OLG Köln: Urheberrechtlicher Auskunftsanspruch kann auch gegen einen in der Schweiz ansässigen Sharehoster geltend gemacht werden / Filesharing

veröffentlicht am 13. Juni 2011

Rechtsanwalt Dr. Ole DammOLG Köln, Urteil vom 25.03.2011, Az. 6 U 87/10
§ 101 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 3, Abs. 7 UrhG; Art. 40 Abs. 1 EGBGB; Art. 12, 13 DSG (Schweiz)

Das OLG Köln hat entschieden, dass ein Sharehoster auch dann vor einem deutschen Gericht auf Auskunft in Anspruch genommen werden kann, wenn dieser seinen Geschäftssitz in der Schweiz hat. Dabei steht der Inanspruchnahme nicht entgegen, dass die Erteilung der begehrten Auskünfte durch sie gegen schweizerisches Datenschutzrecht verstoßen würde. Zitat:

„B.

Beide Berufungen sind zulässig, haben in der Sache aber keinen Erfolg.

I.
Die Antragstellerinnen machen gegen die in der Schweiz ansässige schweizerische Antragsgegnerin Auskunftsansprüche geltend, die auf eine Verletzung von urheberrechtlichen Nutzungsrechten gestützt sind. Zu Recht hat das Landgericht hierfür seine internationale Zuständigkeit aus Art. 5 Nr. 3 des Lugano-Abkommens hergeleitet. Die Verletzung von urheberrechtlichen Nutzungsrechten stellt eine unerlaubte Handlung bzw. eine einer solchen unerlaubten Handlung gleichgestellte Handlung dar und der daraus entstandene Schaden ist zumindest auch in Deutschland eingetreten, weswegen Artikel 5 Nr. 3 des Lugano-Abkommens in seiner revidierten Fassung die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte begründet.

II.

Die Voraussetzungen eines Auskunftsanspruchs aus § 101 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 3, Abs. 7 UrhG liegen vor.

1.
Ebenfalls zu Recht hat die Kammer ihrer Entscheidung deutsches Recht zu Grunde gelegt. Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB räumt der Antragstellerin für deliktische Ansprüche ein Wahlrecht dahin ein, dass das Recht des Staates angewandt wird, in dem der Handlungserfolg eingetreten, hier also das in Anspruch genommene Recht der Antragstellerin verletzt worden ist (vgl. Palandt-Thorn, BGB, 70. Aufl., Art. 40 EGBGB Rz. 5). Der Einwand der Antragsgegnerin, maßgeblich sei insoweit Art. 8 der sogenannten „Rom II – VO“, dürfte fehlgehen, weil die Schweiz kein EU-Mitgliedstaat ist, ist aber jedenfalls unerheblich, weil auch Art. 8 S. 1 der Rom II-VO mit der Regelung, es sei das Recht des Staates anzuwenden, für den der Schutz beansprucht werde, zur Anwendung deutschen materiellen Rechts führt.

f)
Im Ergebnis ohne Erfolg beruft sich die Antragsgegnern darauf, dass die Erteilung der begehrten Auskünfte durch sie gegen schweizerisches Datenschutzrecht verstoßen würde.

aa) Das Statut für zu erörternde Verletzungen von Datenschutzrechten der Anbieter ist von dem Urheberrechtsstatut nicht erfasst, sondern gesondert nach Art. 40 Abs. 1 EGBGB zu ermitteln. Nach Satz 1 der Bestimmung ist der Handlungsort maßgeblich (vgl. für datenschutzrechtliche Ansprüche ausdrücklich Palandt-Thorn, 70. Aufl., Art. 40 EGBGB Rz 10; ausführlich Münchner Kommentar-Junker, BGB, 4. Aufl., Art. 40 EGBGB Rz 167 ff). Danach ist entgegen der Auffassung der Kammer schweizerisches Recht anzuwenden, weil eine Handlung der Antragsgegnerin an deren Sitz in der Schweiz in Rede steht. Eine Anwendung von Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB, wonach der Verletzte auch verlangen kann, dass das Recht des Staates angewandt wird, in dem der Verletzungserfolg eintritt, kommt nicht in Betracht. Es kann schon nicht unterstellt werden, dass die Anbieter, um deren Datenschutzrechte es geht, von diesem Wahlrecht Gebrauch machen würden, zudem wäre Ort des Schadenseintrittes der gewöhnliche Aufenthalt des Betroffenen (vgl. Thorn a.a.O.; Junker aaO. Rz 169) und dieser ist wegen der Anonymität der Verletzer nicht bekannt.

Eine Rückverweisung im Sinne des Art. 4 EGBGB sieht das schweizerische Recht nicht vor.

bb) Das mithin anzuwendende schweizerische Datenschutzrecht steht einer Verurteilung der Antragsgegnerin zur Erteilung der begehrten Auskünfte nicht entgegen. Mit der Bekanntgabe des Namens, der Anschrift und der E-Mail-Adresse der unter einem Pseudonym auftretenden Anbieter wird die Antragsgegnerin allerdings Personendaten im Sinne von Art. 3 lit. a des Schweizerischen Bundesgesetz über den Datenschutz (DSG) bekannt geben. Diese Bekanntgabe der Daten ist als Verstoß gegen Art. 12, 13 DSG aber nur widerrechtlich, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist.

Der Antragsgegnerin ist einzuräumen, dass die deutschen Normen des § 101 Abs. 1, 2 Nr. 3 und 3 Nr. 1 UrhG, die den Auskunftsanspruch gewähren, mit Blick auf das datenschutzrechtliche Statut, wonach schweizerisches Recht zur Anwendung kommt, die Bekanntgabe der Daten nicht als gesetzliche Grundlage im Sinne des Art. 13 DSG rechtfertigen können. Indes besteht ein überwiegendes privates Interesse der Antragstellerinnen daran, dass Ihnen die Daten bekannt gegeben werden.

Die urheberrechtlichen Nutzungsrechte der Antragstellerinnen wurden und werden durch das beanstandete Verhalten der anonymen Anbieter in massiver Weise verletzt. Die Filme sind so während der aktuellen Verwertungsphase der Allgemeinheit zugänglich, ohne dass die Antragstellerinnen als Rechteinhaberinnen an dieser Verwertung wirtschaftlich partizipieren. Ohne Aufdeckung der Anonymität der Anbieter sind die Antragstellerinnen nicht in der Lage, ihre berechtigten Interessen durchzusetzen. Eine Abwägung zugunsten der anonymen Verletzer würde im Übrigen diese – und andere – bestärken, auf die beschriebene Weise weiter auch an anderen geschützten Werken bzw. Laufbildern Rechte zu verletzen. Demgegenüber wiegen die Belange der Verletzer wesentlich geringer: Dabei ist zunächst festzuhalten, dass es auf der Grundlage der landgerichtlichen Entscheidung mit dem Namen der Anschrift und der Email-Adresse der Anbieter lediglich um solche Daten geht, die zur Aufdeckung ihrer Anonymität benötigt werden. Dazu ist der Antragsgegnerin zwar einzuräumen, dass die Anbieter ihrerseits ein hohes Interesse daran haben mögen, nicht aufgedeckt zu werden. Dieses Interesse muss aber zurücktreten, weil es allein dem Ziel dient, unerkannt und ohne hierfür zur Verantwortung gezogen zu werden, im Internet die Filme urheberrechtswidrig öffentlich zugänglich machen zu können.

Soweit die Antragsgegnerin demgegenüber einwendet, eine Zuerkennung der Anspruchsauskünfte stelle einen Eingriff in deren Privatsphäre dar, so kann dem nicht gefolgt werden. Insbesondere geht die Auffassung fehl, die in Rede stehenden Personendaten würden einen Bezug auf die Intimsphäre und das Sexualleben aufweisen und damit besonders schützenswerte Personendaten im Sinne von Art. 3 lit. c DSG betreffen. Diese Aspekte wären möglicherweise zu berücksichtigen, wenn es um die Daten derjenigen Nutzer ginge, die über die Seite „Sexuria“ von dem Angebot der Anbieter Gebrauch machen. Um diese Nutzer geht es indessen entgegen der Behauptung der Antragsgegnerin in deren nachgelassenem Schriftsatz vom 11.03.2011 nicht. Die Antragstellerinnen begehren – wie in der mündlichen Verhandlung ausführlich erörtert worden ist und auch in der von den Antragstellerinnen neugefassten Antragsfassung klar zum Ausdruck kommt – ausschließlich die Daten der Anbieter und nicht der Nutzer. Im Rahmen des Art. 13 Abs. 1 DSG ist deswegen neben den Interessen der Antragstellerinnen allein auf die Interessen der Antragsgegnerin als Anbieter der pornografischen Filme abzustellen. Deren sexuelle Vorlieben bzw. Ausrichtungen werden indes durch eine Bekanntgabe ihrer in Rede stehenden Daten weder aufgedeckt noch auch nur tangiert.

Eine andere Wertung rechtfertigt auch die als Anlage AG 2 von der Antragsgegnerin vorgelegte Entscheidung des schweizerischen Bundesgerichts vom 08.09.2010 (1 O 285/09) nicht. Dort ist zum einen bestätigt worden, dass ein überwiegendes privates Interesse Eingriffe in Datenschutzrechte rechtfertigen kann. Zum anderen ist in jenem Urteil zwar das überwiegende Interesse verneint worden, die Entscheidung betrifft aber einen mit dem vorliegenden Verfahren nicht übereinstimmenden Sachverhalt: in jenem Verfahren war zu entscheiden, ob die dortige Beschwerdegegnerin, die M. AG, berechtigt sei, mittels einer von ihr entwickelten Software in verschiedenen peer-to-peer-Netzwerken nach urheberrechtlich geschützten Werken zu suchen und ggf. auch Daten des Nutzers jener Netzwerke zu speichern. Diese Tätigkeit, fürdie nach Auffassung des schweizerischen Bundesgerichts in der Schweiz eine gesetzliche Grundlage nicht vorliegt, ist mit der im vorliegenden Verfahren in Rede stehenden Geltendmachung von Auskunftsansprüchen nach glaubhaft gemachter Rechtsverletzung nicht gleichzusetzen. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nicht ein massenhaftes Erfassen von Daten, wobei zwangsläufig auch Daten solcher Anschlussinhaber erfasst werden, die persönlich die Rechtsverletzung gar nicht vorgenommen haben, sondern das Geltendmachen bereits feststehender Ansprüche gegen individuelle Personen, für deren Durchsetzung es lediglich an der Aufdeckung der Anonymität fehlt. Der Senat vermag der Norm des Art. 13 DSG nicht zu entnehmen, dass danach als solche festgestellte Rechtsverletzer sich dadurch vor der Inanspruchnahme sollten schützen können, dass sie ihre rechtswidrige Tätigkeit anonym in der Schweiz vornehmen.

Stellt damit die in Rede stehende Auskunft eine Verletzung datenschutzrechtlicher Bestimmungen nicht dar, so kommen auch die von dieser noch angesprochenen gegen die Antragsgegnerin gerichteten Schadensersatzansprüche oder die Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung nicht in Betracht.“

I