OLG Saarbrücken: Gleiches Recht für alle – Berufsverband, der nur Nicht-Mitglieder abmahnt, handelt rechtsmissbräuchlich

veröffentlicht am 29. September 2010

Rechtsanwältin Katrin ReinhardtOLG Saarbrücken, Urteil vom 23.06.2010, Az. 1 U 365/09 – 91
§ 8 Abs. 4 UWG

Das OLG Saarbrücken hat entschieden, dass ein Berufsverband (hier: im Bereich des Gewinn- und Glücksspielwesens), der ausschließlich Nicht-Mitglieder wegen Wettbewerbsverstößen abmahnt und die Verstöße eigener Mitglieder ignoriert, rechtsmissbräuchlich handelt. Ein Missbrauch ergebe sich insbesondere daraus, wenn die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen maßgeblich von der Absicht getragen sei, den Verletzer im Wettbewerb zu behindern. Zwar sei es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn der Anspruchsberechtigte nur gegen einen oder einzelne von mehreren Verletzer vorgehe, da es den in Anspruch Genommenen freistehe, ihrerseits gegen die anderen Verletzer vorzugehen. Etwas anderes gelte aber, wenn die Auswahl der/s in Anspruch Genommenen diskriminierend erfolge. Dies sei dann anzunehmen, wenn ein Verband grundsätzlich nur gegen Außenstehende und nicht gegen eigene Mitglieder vorgehe, vielmehr deren Wettbewerbsverstöße planmäßig dulde. Dies sei vorliegend der Fall gewesen.

Oberlandesgericht Saarbrücken

Urteil

I.
Die Berufung des Verfügungsklägers gegen das am 24.6.2009 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken – Az.: 7KfH O 77/09 – wird zurückgewiesen.

II.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Verfügungskläger auferlegt.

Gründe

A.

Der Verfügungskläger ist ein im Jahr 2008 gegründeter Berufsverband, der am 4.12. 2008 in das Vereinsregister des Amtsgerichts Köln eingetragen wurde. Nach seiner Satzung fördert er im Sinne der §§ 8 Abs. 3 Ziff. 2 UWG, 3 UKLaG die gewerblichen oder selbstständigen beruflichen Interessen seiner Mitglieder sowie von Personen, die sich unmittelbar oder mittelbar im Wirtschaftsbereich des Geschicklichkeits-, Gewinn- und Glücksspielwesens einschließlich Lotterien, Ausspielungen und Wetten (der „Vereinsinteressenbereich“) betätigen und/oder betätigen wollen. Ihm gehören Mitglieder an, die auf dem Markt für Gewinn- und Glücksspielwesen tätig sind. Wegen des Inhalts der Satzung im Einzelnen wird auf Bl. 26 ff. d. A. Bezug genommen.

Die Verfügungsbeklagte veranstaltet gemäß § 7 Abs. 2 AGGlüStV-Saar Lotterien und Sportwetten.

Der Verfügungskläger beanstandet Darstellungen der Verfügungsbeklagten auf deren Internetseite (vgl. Seite 2a/2b des erstinstanzlichen Urteils = Bl. 572f. d. A.)

Er hat die Ansicht vertreten, er sei gemäß § 8 Abs. 3 Ziff. 2 UWG aktivlegitimiert.

Der Verfügungsanspruch ergebe sich aus §§ 1, 5 und 7 GlüStV.

Die von ihm beanstandeten Darstellungen der Verfügungsbeklagten seien als Werbung für öffentliches Glücksspiel zu qualifizieren. Es handele sich nicht um Information und Aufklärung. Die Gestaltung des Loses sei darauf gerichtet, positive Emotionen beim Betrachter zu erzielen. Das Los enthalte auch nicht die gesetzlich vorgeschriebenen Hinweise. Entsprechendes gelte für den im Internet zur Bewerbung verbreiteten Begleittext. Soweit in der angegriffenen Werbung eine Information und Aufklärung über die Möglichkeit zum Glücksspiel zu sehen sei, stehe dies im Widerspruch zu den Zielen des § 1 GlüStV.

Im übrigen sei Werbung für öffentliches Glücksspiel im Internet nach § 5 Abs. 3 GlüStV schlechthin verboten.

Der Verfügungskläger hat beantragt,

die Verfügungsbeklagte unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen, im Bereich des Glücksspielwesens die Teilnahme an Sofortlotterien zu bewerben und/oder bewerben zu lassen wie in dem beanstandeten Internetauftritt geschehen.

Die Verfügungsbeklagte hat beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, der Verfügungskläger sei nicht aktivlegitimiert, da ihm nicht die nach § 8 Abs. 3 Ziff. 2 UWG erforderliche erhebliche Zahl von Unternehmen angehöre, die in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis zu der Verfügungsbeklagten stehen. Der Verfügungskläger erfülle auch seine satzungsmäßigen Aufgaben nicht.

Letztlich fehle es am Rechtsschutzbedürfnis, weil dem Verfügungskläger überwiegend solche Unternehmen angehörten, die mangels einer Erlaubnis und/oder Erlaubnisfähigkeit ihres Angebotes überhaupt nicht auf dem deutschen Markt als Wettbewerber auftreten dürften. Das Verhalten des Verfügungsklägers sei in höchstem Maße rechtsmissbräuchlich, da der Verfügungskläger grundsätzlich nur gegen Außenstehende und nicht gegen eigene Mitglieder vorgehe, deren Wettbewerbsverstöße vielmehr planmäßig dulde.

Die Verfügungsbeklagte hat die Auffassung vertreten, ein Verstoß gegen § 5 Abs. 1 und Abs. 2 GlüStV sei nicht gegeben, ebenso wenig ein Verstoß gegen § 5 Abs. 3 GlüStV.

Durch Urteil vom 24.6.2009, auf das verwiesen wird, hat das Landgericht den Antrag des Verfügungsklägers auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt:

Der Verfügungskläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass ihm eine repräsentative Zahl von Mitgliedsunternehmen angehört, die auf demselben sachlichen und insbesondere räumlichen Markt wie die Verfügungsbeklagte tätig werden. Damit fehle es an der Aktivlegitimation gemäß § 8 Abs. 3 Ziff. 2 UWG.

Die Geltendmachung des streitgegenständlichen Unterlassungsanspruchs sei auch rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG. Die Auswahl des in Anspruch Genommenen erfolge diskriminierend. Der Verfügungskläger gehe grundsätzlich nur gegen Außenstehende und nicht gegen eigene Mitglieder vor, deren Wettbewerbsverstöße er planmäßig dulde.

Gegen dieses ihm am 29.6.2009 zugestellte Urteil hat der Verfügungskläger am 16.7.2009 Berufung eingelegt und diese mit einem am 31.8.2009, einem Montag, eingegangenen Schriftsatz begründet.

Der Verfügungskläger verfolgt in der Berufung sein erstinstanzliches Begehren weiter.

Die Verfügungsbeklagte tritt der Berufung entgegen und verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Wegen des Berufungsvorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

B.

Die Berufung des Verfügungsklägers ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im übrigen zulässig gemäß §§ 511, 513, 517, 519, 520 ZPO; sie ist jedoch nicht begründet. Das Landgericht hat zu Recht den Antrag des Verfügungsklägers auf Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.

Ob der Verfügungskläger aktivlegitimiert ist gemäß § 8 Abs. 3 Ziff. 2 UWG, kann dahinstehen; es bedarf auch keiner Entscheidung, ob in dem beanstandeten Verhalten der Verfügungsbeklagten ein Verstoß gegen die Regeln des GlüStV liegt. Auch wenn dies der Fall ist, hat der Verfügungskläger vorliegend keinen Erfolg. Die Geltendmachung des streitgegenständlichen Unterlassungsanspruchs durch den Verfügungskläger ist nämlich jedenfalls rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG.

Rechtsmissbräuchliches Verhalten ist dann anzunehmen, wenn der Anspruchsberechtigte mit der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt und diese als die eigentliche Triebfeder und das entscheidende Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen (vgl. dazu Hefermehl/Bornkamm/Köhler, UWG, 27. Aufl., § 8 Rdnr. 4.10 m. w. N.). Mit dem Landgericht sind auch nach Ansicht des Senats solche sachfremden Erwägungen auf Seiten des Verfügungsklägers als Motiv für dessen Vorgehen gegeben.

Missbräuchlich ist die Geltendmachung des wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs insbesondere, wenn sie maßgeblich von der Absicht getragen ist, den Verletzer im Wettbewerb zu behindern (vgl. Hefermehl/Köhler/Bornkamm aaO, Rdnr. 4.20). Zwar ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn der Anspruchsberechtigte nur gegen einen oder einzelne von mehreren Verletzer vorgeht, da es den in Anspruch Genommenen freisteht, ihrerseits gegen die anderen Verletzer vorzugehen.

Etwas anderes gilt aber, wenn die Auswahl des in Anspruch Genommenen diskriminierend erfolgt. Dies ist im vorliegenden Zusammenhang dann anzunehmen, wenn ein Verband grundsätzlich nur gegen Außenstehende und nicht gegen eigene Mitglieder vorgeht, vielmehr deren Wettbewerbsverstöße planmäßig duldet (vgl. Hefermehl/Köhler/Bornkamm, aaO, Rdnr. 4.21). So ist der zur Entscheidung stehende Sachverhalt zu bewerten.

Der Verfügungskläger geht unstreitig nicht gegen Verstöße seiner Mitglieder gegen die Regelungen des GlüStv vor; er wendet sich im wesentlichen gegen die staatlichen Lottogesellschaften, die nach der Satzung des Verfügungsklägers keine Mitglieder werden können (vgl. 5 Nr. 1 S. 2 der Satzung = Bl. 28 d. A.). Zwar hat der Verfügungskläger auch andere Unternehmen, beispielsweise die Firma B. L.-S.-S. GmbH, im Wege der einstweiligen Verfügung in Anspruch genommen (vgl. Anlage BB 39 = Bl. 1067 d. A.). Dies betraf jedoch einen Zeitraum, in dem die Firma B. L.-S.-S. GmbH noch nicht Mitglied des Verfügungsklägers war. Seit sie dem Verfügungskläger beigetreten ist, hat der Verfügungskläger unstreitig gegen diese Firma nichts mehr unternommen. Diese Vorgehensweise des Verfügungsklägers lässt den Schluss darauf zu, dass es ihm primär nicht um das Abwehren von Verstößen gegen den GlüStV geht, sondern vielmehr um die Behinderung anderer Anbieter, im wesentlichen der staatlichen Lottogesellschaften.

Die in der Folgeauflage der vorbezeichneten Kommentierung vertretene Auffassung (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, 28. Aufl. Rdnr. 4.21) vermag nicht zu überzeugen. Dort wird die bislang ständig vertretene Ansicht aufgegeben mit der Begründung, diese liefe auf eine Art unclean-hands-Einwand oder aber auf eine – abzulehnende – Rechtspflicht des Verbands hinaus, auch gegen eigene Mitglieder vorzugehen. Dies ist indes nicht der Fall. Es geht vorliegend nicht darum, einer Partei das Rechtsschutzinteresse abzusprechen mit der Begründung, sie selbst oder ihre Mitglieder verhielten sich in gleicher Weise wettbewerbswidrig wie die von ihnen in Anspruch genommene Partei.

Wesentlich ist vielmehr der Gedanke, ob eine Partei ein Recht, das ihr zusteht, durchzusetzen versucht, um eben dieses Recht zu wahren oder aber dieses Recht instrumentalisiert, um damit andere Zwecke zu verfolgen. Die hier vertretene Rechtsansicht gründet sich dabei letztlich auf das allgemeine Verbot der Schikane bzw. des Rechtsmissbrauchs.

Auch der Hinweis auf eine anderenfalls entstehende Pflicht, gegen eigene Mitglieder vorzugehen, ist nach der hier vertretenen Auffassung – jedenfalls im Hinblick auf das vorliegende Verfahren – nicht stichhaltig. Die Satzung des Verfügungsklägers sieht unter anderem ausdrücklich als Ziel des Verfügungsklägers die Förderung und den Schutz des lauteren Wettbewerbs vor, des weiteren die Ordnung und Überwachung des legalen Glücksspielangebots mit dem Ziel, ein Ausweichen auf illegale Glücksspiele zu verhindern sowie die Sicherstellung der ordnungsgemäßen Durchführung von Glücksspielen (vgl. § 3 der Satzung = Bl. 27 d. A.). Wieso angesichts dieser ausdrücklichen Zielsetzung der Verfügungskläger nicht gehalten sein sollte, auf die Einhaltung dieser Ziele auch und gerade bei seinen Mitgliedern hinzuwirken, ist nicht einsichtig. Ebenso wenig plausibel ist, dass der Verfügungskläger offenbar Unternehmen als Mitglieder aufnimmt, deren Verstöße gegen staatliche Vorschriften er kennt und die er gerade deswegen auch selbst schon in Anspruch genommen hat (z. B. die vorerwähnte Firma B. L.-S.-S. GmbH).

Die Vorgehensweise des Verfügungsklägers ist diskriminierend. Dass der Verfügungskläger nicht gegen eigene Mitglieder vorgeht, ist unstreitig. Unstreitig ist auch, dass der Verfügungskläger in erheblichem Umfang staatliche Lottogesellschaften in Anspruch genommen hat und weiterhin in Anspruch nimmt, wobei dahinstehen kann, wie groß die Anzahl der Verfahren genau ist. Bereits nach den eigenen Angaben des Verfügungsklägers handelt es sich jedenfalls um mehr als 30 Verfahren.

Verstöße von Mitgliedern des Verfügungsklägers gegen Bestimmungen des GlüStV werden dagegen planmäßig geduldet. Die Verfügungsbeklagte hat zuletzt mit Schriftsatz vom 17.5.2010 (Bl. 1947 ff. d. A.) dargelegt, in welcher Weise, vornehmlich durch das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet bzw. durch Werbung für öffentliches Glücksspiel im Internet (§§ 4, 5 GlüStV) Mitglieder des Verfügungsklägers gegen geltendes Recht verstoßen (vgl. Anlage CBH 17 = Bl. 2006 ff. d. A.). Der Verfügungskläger ist dem nicht konkret entgegengetreten, so dass das diesbezügliche Vorbringen, das zudem durch Internetausdrucke belegt ist, als unstreitig angesehen werden kann.

Demgegenüber kann sich der Verfügungskläger nicht mit Erfolg darauf berufen, insoweit bestünden europarechtliche Bedenken, die noch einer gerichtlichen Klärung zugeführt werden müssten. Soweit europarechtlicher Bedenken gegen die geltenden Vorschriften bestehen, betreffen diese im wesentlichen einen möglichen Eingriff in die Gewerbefreiheit; hiervon würden indes die Verbote gemäß §§ 4, 5 GlüStV nicht berührt. Aber auch wenn im Hinblick auf das Verbot, im Internet für Glücksspiele zu werben bzw. diese zu vermitteln, europarechtliche Bedenken bestehen sollten, ist eine höchstrichterliche Klärung nicht herbeizuführen, wenn – wie hier – lediglich einstweilige Verfügungsverfahren angestrengt werden (vgl. § 542 Abs. 2 ZPO). Im übrigen würden diese europarechtlichen Bedenken sich auch auf den vorliegend geltend gemachten Unterlassungsanspruch beziehen, so dass insoweit die Argumentation des Verfügungsklägers in sich widersprüchlich wäre.

Hiernach sieht auch der Senat das Vorgehen des Verfügungsklägers als rechtsmissbräuchlich an. Insoweit besteht kein Widerspruch zu der bislang ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Der Bundesgerichtshof hat vielmehr in einzelnen Entscheidungen die Annahme von Rechtsmissbrauch wegen sachfremder Erwägungen durchaus in die Beurteilung einbezogen; in den zur Entscheidung stehenden Fällen – die sich von dem vorliegenden grundlegend unterscheiden – sah er die betreffenden Voraussetzungen indes aus tatsächlichen Gründen nicht als gegeben an (vgl. BGH GRUR 1997, 537 – Lifting-Creme; GRUR 1997, 681 – Produktwerbung; GRUR 1999, 515 – Bonusmeilen).

Die Berufung des Verfügungsklägers war demnach zurückzuweisen.

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Da das vorliegende Urteil als zweitinstanzliche Entscheidung im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung einem Rechtsmittel nicht mehr unterliegt (§ 542 Abs. 2 S. 1 ZPO), ist dieses damit ohne besonderen Ausspruch nicht nur vorläufig, sondern endgültig vollstreckbar.

I