OLG Stuttgart: Beweislastumkehr – Wer ein faktisch geschlossenes Vertriebssystem unterhält, muss beweisen, dass sich die Markenrechte an seinen Waren NICHT erschöpft haben

veröffentlicht am 25. Mai 2010

OLG Stuttgart, Urteil vom 04.03.2010, Az. 2 U 86/09
§§ 4; 14 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2, Abs. 5 MarkenG

Das OLG Stuttgart hat entschieden, dass – wenn die Erschöpfung von Markenrechten gegenüber dem Betreiber eines geschlossenen Vertriebssystems behauptet wird – der Betreiber dieses Betriebssystems das Gegenteil zu beweisen hat. Dabei wies der Senat darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des BGH ein geschlossenes Vertriebssystem bereits dann vorliege, wenn der Generalimporteur nach den getroffenen Vereinbarungen verpflichtet sei, die Ware nicht an Zwischenhändler zum Weitervertrieb außerhalb seines jeweiligen Vertragsgebiets abzugeben.

Seit dem Inkrafttreten des Markengesetzes liege eine Markenverletzung darin, gekennzeichnete Markenware im Inland zu vertreiben, wenn diese nicht zuvor vom Markeninhaber oder mit dessen Zustimmung erstmals im Inland oder sonst in einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR in Verkehr gebracht worden sei (BGHZ 131, S. 308, 312] = GRUR 1996, GRUR Jahr 1996 Seite 271 – Gefärbte Jeans; BGH, GRUR 2000, S. 879, 880 – stüssy). Nur in diesem Fall und nicht, wenn das erste Inverkehrsetzen außerhalb dieses Raumes erfolge, sei   das Markenrecht im Sinne der zwingenden Vorschrift des Art. 7 Abs. 1 EU-RL 2008/95 (§ 24 Abs. 1 MarkenG) erschöpft (EuGH, Slg. 1998, S. 4799 Rdnr. 26 = GRUR 1998, S. 919 – Silhouette; Slg. 1999, S. 4103 Rdnr. 21 = GRUR Int 1999, S. 870 – Döcksides/Sebago; Slg. 2001, S. 8691 Rn. 32 f. – Davidoff; Slg. 2003, S. 3051 Rdnrn. 25f. = GRUR 2003, S. 512, 513 – Van Doren + Q.).

Die Regelung der Erschöpfung habe den Zweck, die Belange des Markenschutzes mit denen des freien Warenverkehrs in Einklang zu bringen. Dem Markeninhaber stehe danach das ausschließliche Recht zu, das erste Inverkehrbringen der Markenware in der Gemeinschaft zu kontrollieren (vgl. EuGH, Slg. 2005, S. 8761 Rdnr. 33 = GRUR 2006, S. 146 – Colgate-Palmolive). Dadurch solle ihm die Möglichkeit eingeräumt werden, den wirtschaftlichen Wert seiner Marke zu realisieren (vgl. EuGH, Slg. 2004, S.11331 Rn. 40, 42 = GRUR 2005, GRUR, S. 507 – Peak Holding/Axolin-Elinor). Eine Übertragung der Verfügungsgewalt liege nicht nur vor, wenn der Markeninhaber die gekennzeichnete Ware an einen Dritten im EWR veräußert habe, sondern auch, wenn er sie Abnehmern innerhalb des EWR zum Verbrauch durch beliebige Dritte überlasse, namentlich auch wenn dies mit der Bestimmung geschehe, diese Ware an Verbraucher weiterzugeben. Er habe sich dadurch der Möglichkeit begeben, den weiteren Vertrieb der Markenware innerhalb des EWR zu kontrollieren, selbst wenn er dazu ein selektives Vertriebssystem nutze (BGH, GRUR 2007, S. 882 Rn. 14 – Parfümtester, m.w.N.).

Die markenrechtliche Erschöpfung stelle – ebenso wie die Erschöpfung eines Patents (BGHZ 143, S. 268, 277 = GRUR 2000, S. 299 – Karate) – eine Ausnahme gegenüber den Ausschließlichkeitsrechten des Markeninhabers dar, ausgestaltet als Einwendung gegen das Markenrecht. Die Vorschrift des § 24 Abs. 1 MarkenG, die wie die Regelungen der Verjährung, der Verwirkung, der Erlaubnis zur Benutzung des Namens und beschreibender Angaben oder des Benutzungszwangs in dem Abschnitt über Schranken des Markenschutzes enthalten sei, müsse in dem markenrechtlichen Schutzsystems als eine von mehreren Ausnahmevorschriften verstanden werden, deren Voraussetzungen nach den allgemeinen Regeln grundsätzlich der als Verletzer Angegriffene darzulegen und zu beweisen habe (BGH, GRUR 2000, S. 879, 880 – stüssy, m.w. N.; vgl. ferner OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 11.02.2009, Az. 6 U 241/08, BeckRS 2010, BECKRS Jahr 8363).

Dieser Grundsatz gelte jedoch nicht einschränkungslos.

Vertreibe ein Markeninhaber seine Markenware im EWR im Rahmen eines ausschließlichen Vertriebssystems und gebe es in allen Ländern der EU und des EWR jeweils nur einen Alleinvertriebsberechtigten (Generalimporteur) für besagte Waren, der nach den getroffenen Vereinbarungen verpflichtet sei, die Ware nicht an Zwischenhändler zum Weitervertrieb außerhalb seines jeweiligen Vertragsgebiets abzugeben, obliege im Markenverletzungsprozess dem Markeninhaber der Nachweis, dass von einem angegriffenen angeblichen Markenverletzer in den Verkehr gebrachte Originalwaren ursprünglich von ihm selbst oder mit seiner Zustimmung erstmals außerhalb des EWR in den Verkehr gebracht worden seien (BGH, GRUR 2004, S. 156 – stüssy II), wenn dieses Vertriebssystem es einem Markeninhaber ermöglichen könne, die nationalen Märkte abzuschotten und damit die Beibehaltung von etwaigen Preisunterschieden zwischen den Mitgliedstaaten zu begünstigen (vgl. BGH, GRUR 2006, S. 433 Rdnr. 21 – Unbegründete Abnehmerverwarnung). Danach obliege dem Markeninhaber insbesondere dann, wenn er seine Waren im EWR über ein ausschließliches Vertriebssystem in den Verkehr bringe, der Nachweis, dass die Waren ursprünglich von ihm selbst oder mit seiner Zustimmung außerhalb des EWR in den Verkehr gebracht worden seien, wenn der Dritte nachweisen könne, dass eine tatsächliche Gefahr der Abschottung der nationalen Märkte bestehe, falls er den genannten Beweis zu erbringen habe  (vgl. EuGH, Slg. 2003, S. 3051 Rdnr. 40 = GRUR 2003, S. 512, 514 – Van Doren + Q.).

Sei der Generalimporteur nach den getroffenen Vereinbarungen verpflichtet, die Ware nicht an Zwischenhändler zum Weitervertrieb außerhalb seines jeweiligen Vertragsgebiets abzugeben, so habe der BGH daraus die Gefahr einer Abschottung der nationalen Märkte abgeleitet, da mit diesem System der Markeninhaber verhindern könne, dass die in Rede stehende Ware im Binnenmarkt grenzüberschreitend vertrieben werde, was die Beibehaltung etwaiger Preisunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten begünstige.

Daneben habe der BGH auf die tatsächliche Gefahr der Abschottung der nationalen Märkte abgehoben, die bestünde, sofern der Inanspruchgenommene den genannten Beweis für die Herkunft der Ware erbringen müsse, da er dann den Zwischenhändler und dessen Bezugsquelle, also einen Vertragshändler mit Vertriebsberechtigung, benennen müsse und nach der allgemeinen Lebenserfahrung damit zu rechnen sei, dass in einem solchen Fall der Markeninhaber – schon um sein Vertriebssystem aufrechtzuerhalten – auf seinen Vertragshändler einwirke, derartige Lieferungen an den Inanspruchgenommenen beliefernden Zwischenhändler künftig zu unterlassen. Der Inanspruchgenommene gäbe dadurch dem Markeninhaber ein Mittel an die Hand, grenzüberschreitende Lieferungen im Gemeinsamen Markt nachhaltig und erfolgreich zu unterbinden und so den nationalen Markt abzuschotten (BGH, GRUR 2004, S. 156 – stüssy II; vgl. EuGH, Slg. 2003, S. 3051 Rdnr. 40 = GRUR 2003, S. 512, 514 – Van Doren + Q.).

Aus dem gemeinschaftsrechtlichen Gesichtspunkt der Vorschriften der Art. EGV Artikel 28, EGV Artikel 30 EG sei daher die sich aus § 24 Abs.1 MarkenG ergebende Beweislastregelung dahin modifiziert, dass dem Markeninhaber, der ein die Gefahr der Marktabschottung in sich tragendes Vertriebssystem unterhalte, der Nachweis obliege, dass die streitgegenständliche Originalware ursprünglich von ihm selbst oder mit seiner Zustimmung außerhalb des EWR in den Verkehr gebracht worden sei.

Hingegen reiche ein nur stufenspezifisch selektives Vertriebssystem für sich genommen nach dem Leitgedanken der oben genannten Rechtsprechung nicht aus, eine Beweislastumkehr zu Lasten des Markeninhabers zu bewirken. Denn wenn nur eine Vertriebsebene von ihm kontrolliert werde, der dadurch begünstigte Händler aber nicht rechtlich gezwungen sei, seinerseits eine nur systeminterne Weitergabe zu gewährleisten, bestehe eine Lücke im Vertriebssystem, so dass dieses allein eine Abschottung nicht hinreichend sicher gewährleiste.

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