OVG Berlin-Brandenburg: Bußgeldstelle darf „Blitzerfotos“ ins Internet stellen?

veröffentlicht am 7. Juli 2014

OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29.04.2014, Az. OVG 12 S 23.14
§ 100h Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO; § 46 Abs. 1 OWiG

Das OVG Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass es zulässig ist, wenn Bußgeldstellen Lichtbilder, die im Rahmen von Ordnungswidrigkeiten gefertigt wurden (sog. „Blitzerfotos“), im Internet zur Verfügung stellen – allerdings nur, wenn diese Daten ausschließlich nach Eingabe individueller Zugangsdaten abgerufen werden können und demnach nicht für die breite Öffentlichkeit zugänglich sind. Die bloße Befürchtung, dass solche Bilder durch einen „Hack“ der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden könnten, genüge nicht für die Untersagung dieser Praxis der Bußgeldstellen. Wer gänzlich vermeiden wolle, dass solche Bilder ins Netz gestellt würden, könne dies nach pragmatischer Auffassung des Gerichts durch eine Einhaltung der Verkehrsvorschriften erreichen. Zum Volltext der Entscheidung:


Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg

Beschluss

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 20. März 2014 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die Beschwerde ist im Verwaltungsrechtsweg nach §§ 40 Abs. 1, 146 Abs. 4 VwGO zulässig. Zwar dürfte es sich bei dem Speichern von Fotos, die im Rahmen der Überwachung des Straßenverkehrs zu Beweiszwecken zur Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten gefertigt wurden, um sonstige Maßnahmen handeln, die von der Verwaltungsbehörde im Bußgeldverfahren getroffen wurden und für die eine abdrängende Sonderzuweisung an das Amtsgericht gemäß § 62 Abs. 2 OWiG besteht, die den allgemeinen Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ausschließt. Der Senat ist jedoch gemäß § 17a Abs. 5 GVG an die Entscheidung des Verwaltungsgerichts gebunden, das den Rechtsweg ohne nähere Ausführungen als eröffnet angenommen und in der Sache entschieden hat.

Die Ablehnung des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel dem Antragsgegner aufzugeben, es zu unterlassen, Fotos, die den Antragsteller oder auf ihn zugelassene Fahrzeuge abbilden, im Internet oder auf internetzugänglichen Rechnern bereitzuhalten oder künftig bereitzuhalten, erweist sich unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens als rechtmäßig. Dem Antragsteller steht kein entsprechender Unterlassungs- bzw. Löschungsanspruch zu.

Was das den Anlass für den Antrag gebende Lichtbild in dem zum Aktenzeichen bei der Zentralen Bußgeldgeldstelle der Polizei geführten Ordnungswidrigkeitenverfahren angeht, in dem dem Antragsteller eine Geschwindigkeitsüberschreitung um 22 km/h außerhalb der geschlossenen Ortschaft auf der Bundesautobahn 11 vorgeworfen wurde, hat sich das Unterlassungsbegehren erledigt, weil das Foto unter den im Anhörungsschreiben vom 14. Februar 2014 angegebenen Zugangsdaten nicht mehr abrufbar ist.

Was die Abrufbarkeit von Lichtbildern des Antragstellers und seiner Fahrzeuge, die im Zusammenhang mit der Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten angefertigt werden, für die Zukunft anbetrifft, mag dahinstehen, ob dem Antragsteller für sein Begehren ein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite steht. Er und sonstige Nutzer seiner Fahrzeuge können nämlich das Bereithalten von entsprechenden Lichtbildern schon dadurch vermeiden, dass sie die Verkehrsvorschriften beachten. Dann werden keine entsprechenden Bilder gefertigt, so dass sie auch nicht gespeichert werden und auch nicht für den Antragsteller oder – das ist seine Befürchtung – für unbefugte Dritte ab- oder aufrufbar sind. Besteht eine solche einfache Möglichkeit der Konfliktvermeidung, kann das Gericht zur Streitentscheidung nicht in Anspruch genommen werden. Darauf kommt es jedoch nicht entscheidend an. Auch wenn sich der Antragsteller erklärtermaßen künftig verkehrsordnungswidrig verhalten wollte, so dass mit der Fertigung entsprechender Fotos und einer Handhabung wie in dem den Anlass gebenden Ordnungswidrigkeitenverfahren zu rechnen wäre, ist nicht erkennbar, dass die Verfahrensweise den Antragsteller in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) verletzt.

Maßgeblich ist zunächst, dass der Eingriff, der zur Existenz des Fotos führt, auf einer hinreichenden Rechtsgrundlage beruht (§ 100h Abs. 1 S.1 Nr. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG) und den Betroffenen nicht in diesem Grundrecht verletzt (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 5. Juli 2010 – 2 BvR 759/10NJW 2010, 2717). Weiter hat bereits das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass entsprechende Bildunterlagen als Bestandteil der Verfahrensakten gemäß § 110b OWiG elektronisch geführt werden dürfen und die Akteneinsicht nach § 110d Abs. 2 Satz 1 OWiG auch durch Übermittlung von elektronischen Dokumenten oder deren Wiedergabe auf einem Bildschirm erfolgen kann. Die Beschwerde verkennt mit ihrem Vorbringen, die Vorschrift regele die Akteneinsicht zwischen Behörde und Verteidiger, dass dies nur für die Regelung in § 110d Abs. 2 Satz 3 OWiG gilt, die hier nicht zur Anwendung gelangt (vgl. zum sog. Abrufverfahren, Gürtler in Göhler, OWiG, 16. Aufl. 2012, § 110d, Rn. 7). Die Möglichkeit, sich das Beweisfoto auf einer Internetseite anzuschauen, findet ihre Grundlage in den Bestimmungen der §§ 49 Abs. 1, 110d Abs. 2 S. 1 OWiG. Das Verfahren ist dabei so ausgestaltet, dass nur derjenige, der über die Zugangsdaten verfügt, auf das Bild zugreifen kann. Damit wird keine öffentliche oder potentiell öffentliche Zugriffsmöglichkeit geschaffen, sondern die Vertraulichkeit im Verhältnis zu dem Empfänger des Anhörungsschreibens, das die Zugangsdaten enthält, gewahrt. Mit einem solchen Verfahren wird der Zugang grundsätzlich auf die berechtigten Nutzer beschränkt. Die Vorkehrungen müssen dabei nicht berücksichtigen, dass sich Unbefugte in illegaler oder sogar strafbarer Weise Zugang zu dem Bild verschaffen können, wenn sie etwa unter Verletzung des Postgeheimnisses das Anhörungsschreiben öffnen und sich Kenntnis von den Zugangsdaten verschaffen. Soweit eine solche Möglichkeit in der Sphäre des Betroffenen besteht, etwa weil dieser das Anhörungsschreiben offen für die Einsichtnahme Dritter verwahrt, kann dies dem Antragsgegner nicht entgegengehalten werden; wer selbst die Möglichkeit für einen Bruch der Vertraulichkeit schafft, kann dies dem Urheber des Verfahrens nicht vorwerfen. Nichts wesentlich anderes gilt allgemein in Bezug auf die Datensicherheit im Internet. Die Möglichkeit, dass sich besonders versierte Nutzer in illegaler Weise Kenntnis von den Zugangsdaten verschaffen könnten, indem sie etwa Sicherheitslücken in der Technik des Antragsgegners, des Betroffenen oder Dritter, die in den Übermittlungsvorgang eingeschaltet sind, nutzen, um den Datenverkehr auszuspähen, schließt den Gebrauch einer grundsätzlich auf Vertraulichkeit angelegten, gesetzlich zugelassenen Abruftechnik nicht aus. Der Antragsgegner hat nur dafür zu sorgen, dass er eine auf Wahrung der Datensicherheit ausgelegte Informationstechnik verwendet und erkannte Sicherheitslücken schließt, soweit diese in seiner Einflusssphäre liegen.

Dass der Antragsgegner diesen Anforderungen hinsichtlich des Abrufverfahrens nicht genügt, hat der Antragsteller nach dem Stand des Beschwerdeverfahrens nicht glaubhaft gemacht. Er hat nicht einmal dargelegt, dass und auf welchem Wege bisher Unbefugte sich Zugang zu den fraglichen Beweisfotos zu verschaffen versucht hätten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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