AG Charlottenburg: Zur Störerhaftung eines Verlags bei vereinzelten Zustellungen einer Werbezeitung gegen den erklärten Willen

veröffentlicht am 15. Februar 2016

AG Charlottenburg, Urteil vom 07.08.2015, Az. 216 C 13/15
§ 823 Abs. 1 BGB, § 1004 BGB

Das AG Charlottenburg hat entschieden, dass ein Verlag, der eine Wochenzeitung mit redaktionellen Beiträgen und Inseraten herausgibt, nicht zwangsläufig für vereinzelte Zustellungen dieser Zeitung gegen den erklärten Willen eines Empfängers haftet. Vorliegend hatte die Klägerin ihren Briefkasten mit den Aufschriften „Bitte keine Werbung“ und „Einwurf von Werbung untersagt“ gekennzeichnet sowie die Beklagte auch anwaltlich aufgefordert, Zustellungen zu unterlassen. Die Beklagte hatte die Klägerin daraufhin in eine Datenbank aufgenommen, welche sie für Zustellverbote führte, und ihre Subunternehmer verpflichtet, diese Verbote unter Androhung von Vertragsstrafen zu beachten. Damit habe die Beklagte alle rechtlich und wirtschaftlich zumutbaren Maßnahmen getroffen, um eine Beeinträchtigung der Klägerin zu verhindern. Einzelne Ausreißer (3 Zustellungen in ca. 2 Jahren) gehörten zum allgemeinen Lebensrisko der Klägerin und seien zu tolerieren. Zum Volltext der Entscheidung:

Amtsgericht Charlottenburg

Urteil

1.
Die Klage wird abgewiesen.

2.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des gegen sie aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten die Unterlassung des Einwerfens von kostenlosen Zeitschriften und/oder Werbematerialien.

Die Klägerin wohnt in einem Mehrfamilienhaus in … Berlin. Im Hausflur des Vorderhauses befindet sich ein mit dem Namen der Klägerin versehener Briefkasten, welcher mit den Beschriftungen „Bitte keine Werbung“ und „Einwurf von Werbung untersagt“ gekennzeichnet ist.

Die Beklagte ist Herausgeberin der kostenlosen Wochenzeitung „… “ (nachfolgend auch Zeitung genannt). Die Zeitung enthält sowohl einen redaktionellen Teil als auch Inserate gewerblicher Anbieter. Zur Verteilung bedient sich die Beklagte der Berliner … …, welche die Zustellung selbst in den Bezirken durch Zustellagenturen ausführen lässt. Zwischen der Beklagten und der … besteht seit dem 30.08.2004 ein Vertrag über die Zustellung von Druckerzeugnissen. Zu diesem wurde am 05.07.2007 eine Änderungs- und Ergänzungsvereinbarung abgeschlossen (in Ablichtung als Anlage B1, Bl. 24 ff. d.A.). § 5 der Vereinbarung verpflichtet die … zur unbedingten und ausnahmslose Einhaltung von Zustellverboten sowie zur regelmäßigen Überprüfung, ob diese Verbote eingehalten werden. Zudem hat die … die von ihr beschäftigten Zusteller und Subunternehmer in geeigneter Weise zu verpflichten, die Werbe-, Zustell- und Einwurfverbote unbedingt und ausnahmslos zu beachten und die Subunternehmer zu verpflichten, ihren Mitarbeiter regelmäßig in geeigneter Weise auf die Pflicht- zur Beachtung von Werbe-, Zustell- und Einwurfverboten hinzuweisen. § 5 Abs. 3 des Vertrages nimmt Bezug auf ein Berichts- und Dokumentationssystem, in welches gegenüber der Beklagten ausgesprochene Zustellverbote eingetragen werden. Die … hat dann zu veranlassen, dass dem Zusteller das Zustellverbot gleichzeitig mit der Übergabe der zuzustellenden Druckschriften vorgelegt wird. § 5 Abs. 5 sieht für den Verstoß gegen die in § 5 vorgeschriebenen Verpflichtungen eine Vertragsstrafe in Höhe von 5.100,00 € vor. Die … hat ihrerseits eine Zustellrichtlinie (in Ablichtung als Anlage B3, Bl. 29 d.A.) für die ihr beschäftigten Zustellagenturen und Zusteller erlassen und den Zustellagenturen aufgegeben, die Zustellrichtlinie den Verträgen mit den Zustellern beizufügen.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 28.03.2013 (in Ablichtung Bl. 4 d.A.) forderte die Klägerin die Beklagte auf, den Einwurf von Werbezeitungen und kostenlose Zeitungen in ihren Briefkasten zu unterlassen. Am 07.05.2014 fand die Klägerin erneut ein Exemplar der „… “ in ihrem Briefkasten vor. Sie rügte dies gegenüber der Beklagten mit anwaltlichem Schreiben vom 12.05.2014 (in Ablichtung Bl. 5 d.A) und drohte für den Fall der Wiederholung die Erhebung einer Unterlassungsklage an.

Am 03.01.2015 und 07.01.2015 fand die Klägerin erneut Exemplare der „… “ in ihrem Briefkasten vor.

Die Klägerin behauptet, die „… “ sei am 07.05.2014, am 02.01.2015 und am 07.02.2015 durch Zusteller auf Veranlassung der Beklagten in ihren Briefkasten eingeworfen worden. Sie ist der Ansicht daraus, dass sie jeweils die Exemplare der „… “ in ihrem Briefkasten vorgefunden habe, ergebe sich, dass die Beklagte kein funktionierendes System zur Einhaltung und Durchsetzung von Zustellverboten unterhalte bzw. müsse davon ausgegangen werden, dass die Beklagte zumindest ab dem Jahr 2015 wieder Zustellungen an die Klägerin veranlasst habe.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes in Höhe bis zu 250.000,00 € ersatzweise Haft oder bei Vermeidung von Haft es zu unterlassen in den Briefkasten der Klägerin … Berlin, kostenlos Zeitungen und/oder Werbeblätter jeglicher Art einzuwerfen oder einwerfen zu lassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie rügt zunächst die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts. Sie ist der Ansicht, bei dem mit der Klage verfolgten Anspruch handele es sich um einen Anspruch, welcher auf Grund des Wettbewerbsrechts geltend gemacht werde. Die Klägerin selbst habe in der Klageschrift ihr Verlangen mit dem UWG begründet. Gem. § 13 Abs. 1 UWG, § 95 GVG sei daher das Landgericht ausschließlich sachlich zuständig.

Sie behauptet, sie habe ihre Vertriebspartnerin bereits nach Eingang des klägerischen Schreibens vom 28.03.2013 unverzüglich vom Zustellverbot in Bezug auf die Klägerin unterrichtet. Die Adresse der Klägerin sei nicht aus der Verbotsliste entfernt worden und weder der Zusteller noch die Zustellagentur hätten Anweisung erhalten den Briefkasten der Klägerin mit der … zu befüllen. Die … sei ihre alleinige Vertriebspartnerin. Es sei eine Datenbank eingerichtet worden, in welche die Beklagte Reklamationsdaten von Kunden und Empfängern einstellen und an die … übermitteln könne. Sie verwende Vertragsstrafen grundsätzlich als System der Betriebskontrolle. Diese würden auch geltend gemacht und gezahlt.

Die Klage ist der Beklagten am 10.02.2015 zugestellt worden.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen … und … . Hinsichtlich des Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17.07.2015 (Bl. 66 ff. d.A.) verwiesen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Das Amtsgericht Charlottenburg ist sachlich zuständig. Die Zuständigkeit folgt aus § 23 Nr. 1 GVG. Eine ausschließliche sachliche Zuständigkeit des Landgerichts Berlin nach § 13 Abs. 1 S. 1 UWG besteht vorliegend nicht. Eine solche setzt ausweislich des Wortlauts der Vorschrift die Geltendmachung von Ansprüchen auf Grund des UWG voraus. Einen solchen Anspruch macht die Klägerin aber bereits nicht geltend. Sie stützt ihr Unterlassungsbegehren vielmehr auf § 1004 BGB. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die Klägerin vorprozessual die Ansicht vertreten hat, die Beklagte verstoße gegen § 7 Abs. 2 UWG und in der Klageschrift selbst ausgeführt hat, der von ihr behauptete Unterlassungsanspruch folge sowohl aus § 1004 BGB als auch aus § 7 Abs. 2 UWG. Denn die Prüfung der Zulässigkeit bemisst sich nach dem Sachvortrag der Klägerin. Legt man diesen zu Grunde macht die Klägerin keinen Anspruch auf Grund des UWG geltend. § 7 Abs. 2 UWG ist bereits keine Anspruchsgrundlage, da die Norm nicht das Recht von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen, vgl. § 194 BGB, zum Inhalt hat. Anspruchsgrundlage nach dem UWG wegen Vornahme von gem. § 7 UWG unzulässigen geschäftlichen Handlungen ist § 8 Abs. 1 UWG. Dieser Anspruch steht aber nur den in § 8 Abs. 3 genannten Anspruchsinhabern zu. Die Klägerin macht aber gerade nicht geltend zu diesen zu gehören, vielmehr beruft sie sich auf Besitzstörung. Entgegen der Ansicht der Beklagten führt auch die Prüfung von UWG-Normen durch das Gericht im Rahmen der Prüfung der Sachurteilsvoraussetzungen nicht zu einer Zuständigkeit nach § 13 UWG, weil diese nur durch die besondere Sachkunde der Landgerichte vorgenommen werden könnte. Letztere ist zwar der Grund für die Zuständigkeitsbestimmung des § 13 UWG. Die Zuständigkeit wird aber nicht bereits durch die Prüfung derselben, sondern vielmehr durch das Vorliegen der gesetzlich normierten Voraussetzungen begründet. Ob diese vorliegen, hat das Gericht gerade anhand der in Frage kommenden Spezialnormen zu prüfen, es liegt in der Natur der Sache, dass das angerufene Gericht bei der Prüfung von § 13 Abs. 1 S. 1 UWG anhand des UWG beurteilen muss, ob mit der Klage ein Anspruch nach diesem Gesetz verfolgt wird oder nicht.

Die Klage ist allerdings unbegründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegenüber der Beklagten nicht zu.

Dieser ergibt sich insbesondere nicht aus § 1004 BGB in Verbindung mit § 823 BGB.

Zwar stellt der Einwurf einer Gratiszeitung in den Briefkasten bei erklärtem entgegenstehenden Willen des Briefkasteninhabers grundsätzlich eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowie eine Besitzstörung dar (grundlegend BGH NJW 1989, 902). Ein solcher Anspruch kann gegen eine lediglich als mittelbare Störerin in Betracht kommende Verlegerin der Zeitung aber nur dann bestehen, wenn diese dass Selbstbestimmungsrecht und den Besitz der Betroffenen dadurch nicht respektiert, dass sie nicht alle rechtlich und wirtschaftlich zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um die Beeinträchtigung zu verhindern (vgl. BGH a.a.O.). Hat sie dagegen derartige Maßnahmen getroffen, wofür sie darlegungs- und beweisbelastet ist, kann dies zum einen etwaigen Anscheinsbeweis hinsichtlich ihrer Störereigenschaft erschüttern (vgl. zu den Voraussetzungen des Anscheinsbeweises beim Einwurf von Werbung: LG Bonn, Urt. v. 15.01.2014 – 5 S 7/13), zum anderen liegt in derartigen Fällen auch bereits keine Missachtung des Selbstbestimungs- und Besitzrechtes vor, da es aufgrund der dann vorliegenden grundsätzlichen Respektierung des Wunsches der Betroffenen – selbst bei vereinzelten Zustellungen durch Ausreißer – an einem Eingriff durch den Zeitungsverleger in die Rechte der Betroffenen fehlt (vgl. LG Münster, Urt. v. 26.09.2013 – 14 O 360/12).

Letzteres ist vorliegend der Fall. Es kann dahinstehen, ob die „… “ in den drei streitgegenständlichen Fällen durch Zusteller der Beklagten oder durch Dritte in den Briefkasten der Klägerin gelangt ist. Derart geringfügige Ausreißer über einem Zeitraum von fast zwei Jahren unterliegen dem Lebensrisiko des Einzelnen und sind daher zu tolerieren. Ein Eingriff durch die Beklagte in die Rechte der Kläger liegt vorliegend nicht vor. Das Gericht ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die Beklagte alle notwendigen und ihr zumutbaren Maßnahmen veranlasst hat, um die Zustellung an die Klägerin zu verhindern. Die Zeugen … und … haben glaubhaft geschildert, dass die Beklagte mittels einer Datenbank und Tourzetteln sowie Kontrolleuren die Einhaltung der Zustellverbote überwacht und diese grundsätzlich auch durch Vertragsstrafen durchsetzt. Das Gericht hat keine Gründe an der Glaubwürdigkeit der Zeugen zu zweifeln. Es ist insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Zeugen geschildert haben, einen Großteil ihrer Arbeitszeit mit der Verhinderung unerwünschter Zustellungen zu verbringen, nicht ersichtlich, wieso die Beklagte eine Datenbank sowie vielfältige Vertragsbeziehungen unterhalten sollte, wenn sie diese insgeheim gerade nicht zu dem behaupteten Zweck der Verhinderung unerwünschter Zustellungen nutzen würde. Insofern bedurfte es auch nicht mehr der von der Klägerin beantragten Vorlage weiteren Schriftverkehrs im Falle der konkreten Reklamationen, da das Gericht auf Grund der Aussagen der Zeugen sowie der Tatsache, dass unstreitig über längere Zeiträume keine Zustellungen an die Klägerin erfolgt sind, von einem grundsätzlichen Funktionieren des von der Beklagten und den Zeugen geschilderten Systems ausgeht. Dies ist aber nach den vorgenannten Maßstäben bereits ausreichend, um einen Eingriff in die Rechte der Klägerin durch die Beklagte abzulehnen.

Aus der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofes folgt auch nicht, dass der Einwand alle rechtlich und tatsächlich zumutbaren Maßnahmen ergriffen zu haben nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung erst im Rahmen der Vollstreckung unter dem Gesichtspunkt des nicht schuldhaften Handels geltend gemacht werden können. Entspräche dies der Auffassung des Bundesgerichtshofes hätte er sich im dort entschiedenen Fall, in welchem der Unterlassungsanspruch selbst im Streit stand, gar nicht damit beschäftigen müssen, ob die dortige Beklagte ausreichend dargelegt hat, alle in Betracht kommenden und erfolgsversprechenden Aktivitäten entfaltet zu haben (vgl. BGH NJW 1989, 902 (904 f.)).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

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