BGH: Eine Werbung ist nicht irreführend, wenn sie tatsächlich zutrifft und nur bei wenigen zu einem Missverständnis führt

veröffentlicht am 10. Oktober 2012

Rechtsanwältin Katrin ReinhardtBGH, Beschluss vom 16.08.2012, Az. I ZR 200/11
§ 5 UWG

Der BGH hat entschieden, dass eine Werbung nicht irreführend ist bzw. eine Irreführungsgefahr birgt, wenn sie tatsächlich zutrifft und nur potentiell bei einem kleinen Teil der angesprochenen Verbraucher zu einem Missverständnis führt. Vorliegend warb eine Brauerei mit dem Slogan „Über 400 Jahre Brautradition“, welcher auf Flaschenetiketten und Bierkästen abgedruckt war. Diese Aussage sei objektiv richtig. Das Interesse der Beklagten, mit diesem Slogan zu werben, wiege schwerer, als die mögliche (unzutreffende) Annahme einiger Verbraucher, dass eine lange Brautradition den Einsatz eines mehr oder weniger unveränderten Rezeptes bedeute. Zum Volltext der Entscheidung:


Bundesgerichtshof

Beschluss

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. August 2012 durch … beschlossen:

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 13. Oktober 2011 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Gründe

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die auf die Verletzung von Verfahrensgrundrechten gestützten Rügen greifen nicht durch. Auch im Übrigen erfordert weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Die Beschwerde wendet sich im Ergebnis ohne Erfolg gegen die Annahme des Berufungsgerichts, ein auf den Gesichtspunkt der Irreführung gestützter Unterlassungsanspruch scheitere am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Nach der Rechtsprechung des Senats ist eine Irreführungsgefahr in besonderen Ausnahmefällen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit hinzunehmen, wenn die Belange der Allgemeinheit und der Mitbewerber nicht in erheblichem Maße ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen werden, weil die bewirkte Fehlvorstellung zwar von Bedeutung, gleichwohl aber für die Verbraucherentscheidung letztlich nur von geringem Gewicht ist und schutzwürdige Interessen des auf Unterlassung Inanspruchgenommenen entgegenstehen (BGH, Urteil vom 7. November 2002 – I ZR 276/99, GRUR 2003, 628, 630 = WRP 2003, 747 – Klosterbrauerei, mwN). Allerdings ist es fraglich, ob die Beklagte sich auf diese Ausnahme berufen könnte, wenn sie entgegen der beanstandeten Werbeaussage tatsächlich nicht auf eine vierhundertjährige Brautradition zurückblicken könnte.

Auf diesen Gesichtspunkt kommt es indessen im Streitfall nicht an, weil es bereits an einer Irreführungsgefahr fehlt. Nach den getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ist der beanstandete Slogan „Über 400 Jahre Brautradition“, den die Beklagte auf Flaschenetiketten und Bierkästen verwendet, objektiv nicht unrichtig. Dass erhebliche Teile des angesprochenen allgemeinen Verkehrs dem Slogan darüber hinaus die Aussage entnehmen, die Beklagte braue nach einem über 400 Jahre alten Rezept, das noch heute, wenngleich gewandelten brautechnischen Erkenntnissen folgend, die aktuelle Braukunst der Beklagten bestimme, liegt entgegen der Annahme des Berufungsgerichts auch bei der Verwendung der Werbeaussage auf dem Flaschenetikett fern. Doch auch wenn ein Teil des Verkehrs die Aussage entsprechend der Annahme des Berufungsgerichts verstünde, bedürfte es nicht eines Rückgriffs auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Denn im Falle von objektiv zutreffenden Aussagen, die lediglich von einem Teil des Verkehrs falsch verstanden werden, sind die widerstreitenden Interessen gegeneinander abzuwägen. Im Streitfall wiegt das Interesse der Beklagten an der Verwendung des zutreffenden Hinweises auf ihre über vierhundertjährige Brautradition eindeutig schwerer als das Interesse der Allgemeinheit und der Mitbewerber, einige Verbraucher vor dem unterstellt nicht völlig auszuschließenden – Missverständnis zu bewahren, eine lange Brautradition bedeute den Einsatz eines mehr oder weniger unveränderten Rezeptes.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Vorinstanzen:
LG Stuttgart, Entscheidung vom 24.02.2011, Az. 43 O 9/10 KfH
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 13.10.2011, Az. 2 U 29/11

I