BGH: Gegen die Gestattung einer Providerauskunft über die Identität eines Filesharers kann auch nach erteilter Auskunft Beschwerde eingelegt werden

veröffentlicht am 3. April 2013

BGH, Beschluss vom 05.12.2012, Az. I ZB 48/12
§ 101 Abs. 9 Satz 1 UrhG, § 62 Abs. 1 FamFG, § 62 Abs. 2 Nr. 2 FamFG, § 63 Abs. 3 FamFG

Der BGH hat entschieden, dass der Inhaber eines Internet-Anschlusses, dem illegales Filesharing von urheberrechtlich geschützten Werken vorgeworfen wird (hier: Harry Potter und die Heiligtümer des Todes), auch dann gegen die Gestattung der Auskunftserteilung nach § 101 Abs. 9 Satz 1 UrhG Beschwerde einlegen kann, wenn die Auskunft bereits erteilt worden ist. Geholfen hat dies dem Anschlussinhaber allerdings im Ergebnis nicht. Zum Volltext der Entscheidung:

Bundesgerichtshof

Beschluss

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 05.12.2012 durch … beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 10.04.2012 aufgehoben.

Die Beschwerde des weiteren Beteiligten zu 2 gegen den Beschluss der 27. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 08.02.2011 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren trägt der weitere Beteiligte zu 2.

Gegenstandswert: 806,00 EUR

Gründe

I.
Die Antragstellerin ist ein Hörbuchverlag. Sie ist Inhaberin der ausschließlichen urheberrechtlichen Nutzungsrechte an dem Hörbuch „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“. Das Hörbuch ist im Jahr 2008 in Deutschland veröffentlicht worden.

Die Antragstellerin hat die i. GmbH beauftragt, Online-Tauschbörsen im Blick auf das Hörbuch zu überwachen. Die i. GmbH verfügt über eine Software, mit der festgestellt werden kann, über welchen Internetanschluss eine bestimmte Datei zum Download angeboten wird. Die von der Antragstellerin vorgelegte Anlage ASt 1 enthält von der i. GmbH ermittelte IP-Adressen, die Nutzern zugewiesen waren, die das Hörbuch „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“ in der Zeit zwischen dem 20. Januar und dem 23. Januar 2011 über eine Online-Tauschbörse anderen Nutzern zum Herunterladen angeboten hatten. Die jeweiligen (dynamischen) IP-Adressen waren den Nutzern von der weiteren Beteiligten zu 1, der Deutschen Telekom AG, als Internet-Provider zugewiesen worden.

Die Antragstellerin hat gemäß § 101 Abs. 9 UrhG in Verbindung mit § 101 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UrhG beantragt, der weiteren Beteiligten zu 1 zu gestatten, ihr unter Verwendung von Verkehrsdaten im Sinne des § 3 Nr. 30 TKG über den Namen und die Anschrift derjenigen Nutzer Auskunft zu erteilen, denen die in der Anlage ASt 1 aufgeführten IP-Adressen zu den jeweiligen Zeitpunkten zugewiesen waren.

Das Landgericht hat dem Antrag stattgegeben.

Die Beteiligte zu 1 hat der Antragstellerin die Auskunft erteilt, die fragliche IP-Adresse sei am 20. Januar 2011 um 19:47:07 Uhr und um 20:01:18 Uhr dem weiteren Beteiligten zu 2 zugewiesen gewesen. Die Antragstellerin hat den weiteren Beteiligten zu 2 daraufhin abgemahnt.

Der weitere Beteiligte zu 2 hat gegen den Beschluss des Landgerichts Beschwerde eingelegt, mit der er die Feststellung beantragt hat, dass der Beschluss ihn in seinen Rechten verletzt hat.

Das Beschwerdegericht hat der Beschwerde stattgegeben. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt die Antragstellerin die Zurückweisung der Beschwerde des weiteren Beteiligten zu 2.

II.
Das Beschwerdegericht hat angenommen, der Beschluss des Landgerichts habe den weiteren Beteiligten zu 2 in seinen Rechten verletzt. Das Landgericht habe der weiteren Beteiligten zu 1 die Auskunftserteilung nicht gestatten dürfen, weil keine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß vorgelegen habe. Dazu hat es ausgeführt:

Werde ein einziges urheberrechtlich geschütztes Werk im Internet zum Herunterladen angeboten, könne eine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß grundsätzlich nur angenommen werden, wenn eine hinreichend umfangreiche Datei innerhalb der relevanten Verwertungsphase von regelmäßig sechs Monaten nach der Veröffentlichung öffentlich zugänglich gemacht werde. Ob die relevante Verwertungsphase auch für Hörbücher sechs Monate betrage, könne offenbleiben, weil sich aus den Verkaufszahlen des Werks „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“ ergebe, dass die relevante Verwertungsphase zum Zeitpunkt des öffentlichen Zugänglichmachens des Hörbuchs bereits abgeschlossen gewesen sei. Das gewerbliche Ausmaß ergebe sich auch nicht daraus, dass die angebotene Datei besonders wertvoll oder umfangreich sei.

III.
Die gemäß § 101 Abs. 9 Satz 4 UrhG, § 70 Abs. 1 FamFG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde der Antragstellerin ist begründet. Das Beschwerdegericht hat die Beschwerde des weiteren Beteiligten zu 2 gegen den Beschluss des Landgerichts zwar mit Recht als zulässig erachtet; insbesondere ist der Beteiligte zu 2 beschwerdeberechtigt (dazu 1), die Beschwerde auch nach Auskunftserteilung statthaft (dazu 2) und das Rechtsmittel fristgerecht eingelegt (dazu 3). Mit der vom Beschwerdegericht gegebenen Begründung kann dem Feststellungsantrag des weiteren Beteiligten zu 2 jedoch nicht stattgegeben werden (dazu 4).

1.
Der weitere Beteiligte zu 2 ist beschwerdeberechtigt. Die Beschwerde steht nach § 59 Abs. 1 FamFG demjenigen zu, der durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Die vom Landgericht gemäß § 109 Abs. 1 Satz 1 UrhG beschlossene Gestattung der Auskunftserteilung über den Namen und die Anschrift derjenigen Nutzer der Tauschbörse, denen die fraglichen IP-Adressen zu den besagten Zeitpunkten zugewiesen waren, greift in das Grundrecht auf Wahrung des Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 Abs. 1 GG) der betroffenen Anschlussinhaber ein (vgl. § 101 Abs. 10 UrhG).

2.
Die Beschwerde gegen die im ersten Rechtszug ergangene Entscheidung des Landgerichts ist nach § 58 Abs. 1 FamFG statthaft. Dem steht nicht entgegen, dass sich die Hauptsache durch Erteilung der Auskunft erledigt hat. Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht gemäß § 62 Abs. 1 FamFG auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat.

a)
Im vorliegenden Fall hat sich allerdings keine „angefochtene“ Entscheidung in der Hauptsache erledigt. Die hier in Rede stehende Entscheidung – die Gestattung der Auskunftserteilung durch das Landgericht – hat sich bereits vor ihrer Anfechtung durch den weiteren Beteiligten zu 2 mit Erteilung der Auskunft durch die Beteiligte zu 1 in der Hauptsache erledigt. Die Bestimmung des § 62 Abs. 1 FamFG ist zur Gewährleistung wirksamen Rechtsschutzes jedoch auch anwendbar, wenn sich die angegriffene Maßnahme bereits vor Einlegung der Beschwerde erledigt hat (OLG Köln, GRUR-RR 2011, 88, 89 = WRP 2010, 1545 mwN).

b)
Der weitere Beteiligte zu 2 hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung. Ein berechtigtes Interesse liegt gemäß § 62 Abs. 2 FamFG in der Regel vor, wenn schwerwiegende Grundrechtseingriffe vorliegen (§ 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG) oder eine Wiederholung konkret zu erwarten ist (§ 62 Abs. 2 Nr. 2 FamFG). Die Gestattung der Auskunftserteilung gemäß § 101 Abs. 9 Satz 1 UrhG ist als ein im Sinne des § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG schwerwiegender Grundrechtseingriff anzusehen (OLG Köln, GRUR-RR 2011, 88, 89; OLG München, ZUM 2011, 760 f.; GRUR-RR 2012, 333; aA noch OLG Köln, GRUR-RR 2009, 321, 322). Sie greift in das Grundrecht auf Wahrung des Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 Abs. 1 GG) ein und hat erhebliches Gewicht (vgl. BGH, Beschluss vom 19. April 2012 – I ZB 80/11, GRUR 2012, 1026 Rn. 43 bis 46 = WRP 2012, 1250 – Alles kann besser werden; BVerfGE 125, 260 Rn. 258 f.).

3.
Der weitere Beteiligte zu 2 hat die Beschwerde fristgerecht eingelegt.

a)
Die Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts über den Antrag auf Gestattung der Auskunftserteilung unter Verwendung von Verkehrsdaten ist gemäß § 101 Abs. 9 Satz 7 UrhG binnen einer Frist von zwei Wochen einzulegen. Die Frist beginnt gemäß § 101 Abs. 9 Satz 4 UrhG, § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG jeweils mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses an die Beteiligten. Kann die schriftliche Bekanntgabe an einen Beteiligten nicht bewirkt werden, beginnt die Frist gemäß § 101 Abs. 9 Satz 4 UrhG, § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses.

b)
Die Beschwerdefristen des § 63 Abs. 3 FamFG sind für den weiteren Beteiligten zu 2 nicht in Lauf gesetzt worden. Sie gelten jedenfalls nicht für Beschwerden von Anschlussinhabern gegen die Gestattung der Auskunftserteilung nach § 101 Abs. 9 Satz 1 UrhG.

aa)
Die Beschwerdefristen des § 63 Abs. 3 FamFG gelten für die Beteiligten des erstinstanzlichen Verfahrens. Der weitere Beteiligte zu 2 war nicht Beteiligter im erstinstanzlichen Verfahren über den Antrag auf Gestattung der Auskunftserteilung nach § 101 Abs. 9 UrhG. Wer Beteiligter ist, ergibt sich aus § 7 FamFG. Danach sind in Antragsverfahren neben dem Antragsteller (§ 7 Abs. 1 FamFG) diejenigen Beteiligte in einem Verfahren, die das Gericht als Beteiligte zu dem Verfahren hinzugezogen hat (vgl. § 7 Abs. 2 und 3 FamFG). Der weitere Beteiligte zu 2 gehört an sich zum Kreis derjenigen, die nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG hätten hinzugezogen werden müssen, weil sein Recht durch das Verfahren unmittelbar betroffen wird; schließlich greift die beantragte Gestattung der Auskunftserteilung unmittelbar in sein Grundrecht auf Wahrung des Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 Abs. 1 GG) ein. Es liegt aber in der Natur der Sache, dass das Landgericht ihn nicht hinzuziehen konnte, weil das Verfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG dazu dient, ihn als Anschlussinhaber erst zu ermitteln, er also dem Landgericht noch nicht bekannt sein konnte.

bb)
Teilweise wird die Ansicht vertreten, wer am erstinstanzlichen Verfahren nicht beteiligt gewesen sei, aber von dem Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt werde und daher beschwerdebefugt sei, könne gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG nur fristgemäß Beschwerde einlegen, bis die Frist für den letzten Beteiligten abgelaufen sei (vgl. OLG Köln, ZUM-RD 2011, 558; Bumiller/Harders, FamFG, 10. Aufl., § 63 Rn. 6; Keidel/Sternal, FamFG, 17. Aufl., § 63 Rn. 45). Diese Ansicht kann sich auf die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zum Regierungsentwurf eines FGG-Reformgesetzes stützen. Dort empfiehlt der Rechtsausschuss, den Regierungsentwurf zu § 63 Abs. 3 FamFG, wonach die Frist mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses beginnt, dahin abzuändern, dass die Frist „jeweils“ mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses „an die Beteiligten“ beginnt und für den Fall, dass „die schriftliche Bekanntgabe an einen Beteiligten nicht bewirkt werden [kann]“, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses beginnt (vgl. BT-Drucks. 16/9733, S. 43). Der Rechtsausschuss begründet diese Empfehlung wie folgt (vgl. BT-Drucks. 16/9733, S. 289):

Die Einfügung dient der Klarstellung des Gewollten. Einige Äußerungen aus dem Kreis der Sachverständigen geben Grund zur Annahme, dass im Entwurf bisher nicht hinreichend klar bestimmt ist, wann die Beschwerdefrist endet und Rechtskraft eintritt, wenn erstinstanzlich nicht alle materiell Betroffenen als Beteiligte zu dem Verfahren hinzugezogen wurden. Für diesen Fall stellt die Einfügung klar, dass die schriftliche Bekanntgabe an die nach § 7 am Verfahren beteiligten Personen jeweils den Lauf der für diese geltenden Beschwerdefrist auslöst. Wer am erstinstanzlichen Verfahren nicht beteiligt war, aber von dem Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt wird und daher beschwerdebefugt ist (§ 59 Abs. 1), kann daher nur fristgemäß Beschwerde einlegen, bis die Frist für den letzten Beteiligten abgelaufen ist. Der Umstand, dass eine schriftliche Bekanntgabe des Beschlusses an den im erstinstanzlichen Verfahren nicht hinzugezogenen, aber materiell Beeinträchtigten unterblieben ist, löst somit nicht die Beschwerdeauffangfrist von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses aus. Die Auffangfrist kommt vielmehr nur dann zur Anwendung, wenn eine Bekanntgabe der Entscheidung an einen erstinstanzlich Beteiligten innerhalb dieses Zeitraums nicht gelingt. Diese Lösung dient der Rechtsklarheit und der Rechtssicherheit für die Beteiligten. Die Hinzuziehungspflicht nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 und die Benachrichtigungspflicht des Gerichts gemäß § 7 Abs. 4 stellen sicher, dass die dem Gericht bekannten Beteiligten zu dem Verfahren hinzugezogen werden oder in die Lage versetzt werden, einen Antrag auf Hinzuziehung zu stellen.

cc)
Dieser Ansicht kann nicht zugestimmt werden (OLG München, ZUM 2011, 760, 761; GRUR-RR 2012, 333; Prütting/Helms/Abramenko, FamFG, 2. Aufl., § 63 Rn. 7; Musielak/Borth, FamFG, 3. Aufl., § 63 Rn. 7).

(1)
Der Wortlaut des § 63 Abs. 3 FamFG bietet keinen hinreichenden Anhaltspunkt dafür, dass die dort geregelte Beschwerdefrist auch für diejenigen gelten soll, die am erstinstanzlichen Verfahren nicht beteiligt waren, aber von dem Beschluss in ihren Rechten beeinträchtigt werden und daher beschwerdebefugt sind. Die Begründung zur Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu § 63 Abs. 3 FamFG kann für die Auslegung dieser Vorschrift daher nicht maßgeblich sein. Die vorrangig am objektiven Sinn und Zweck des Gesetzes zu orientierende Auslegung kann nicht durch Motive gebunden werden, die im Gesetzgebungsverfahren dargelegt wurden, im Gesetzeswortlaut aber keinen Ausdruck gefunden haben (vgl. BGH, GRUR 2012, 1026 Rn. 30 – Alles kann besser werden, mwN).

(2)
Die Beschwerdefrist des § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG kann zudem deshalb jedenfalls nicht für die in ihren Rechten betroffenen Anschlussinhaber in Verfahren auf Gestattung der Auskunftserteilung gemäß § 101 Abs. 9 UrhG gelten, weil sonst deren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), ein faires Verfahren (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Gewährleistung von Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) verletzt würde.

Einen Anspruch auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren hat nicht nur derjenige, der an einem gerichtlichen Verfahren als Partei oder in ähnlicher Stellung beteiligt ist, sondern auch derjenige, der unmittelbar rechtlich von einem solchen Verfahren betroffen ist (vgl. BVerfGE 101, 397, 404). Die Rechtsschutzgewährleistung des Art. 19 Abs. 4 GG erfordert zwar keine zeitlich unbegrenzte Zugänglichkeit des Rechtsweges; der Anspruch des Einzelnen auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle darf aber nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 101, 397, 408).

Könnten die von dem Verfahren auf Gestattung der Auskunftserteilung gemäß § 101 Abs. 9 UrhG unmittelbar in ihrem Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG betroffenen Anschlussinhaber nur fristgemäß Beschwerde einlegen, bis die zweiwöchige Frist für den letzten Beteiligten abgelaufen ist, wäre ihr Anspruch auf rechtliches Gehör, ein faires Verfahren und eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle nicht gewährleistet. Das erstinstanzliche Gericht kann die ihm unbekannten Anschlussinhaber in solchen Verfahren entgegen § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG nicht als Beteiligte hinzuzuziehen (vgl. oben Rn. 18). Die Anschlussinhaber erfahren daher in aller Regel erst aufgrund ihrer Abmahnung durch den Antragsteller von der Gestattung der Auskunftserteilung. Zu diesem Zeitpunkt wäre die zweiwöchige Beschwerdefrist meist abgelaufen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller es in der Hand hätte, die Anschlussinhaber erst nach Ablauf der Beschwerdefrist abzumahnen. Die Anschlussinhaber wären damit an das Ergebnis eines Verfahrens gebunden, auf das sie keinen Einfluss nehmen konnten und das sie gerichtlich nicht überprüfen lassen können. Die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 17 bis 19 FamFG) reicht zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nicht aus, weil eine Wiedereinsetzung nur in engen Grenzen möglich ist (vgl. OLG München, GRUR-RR 2012, 333; vgl. auch Prütting/Helms/Abramenko aaO § 63 Rn. 7).

dd)
Die Auffangfrist des § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG gilt sowohl nach ihrem Wortlaut als auch nach der Begründung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu dieser Vorschrift (vgl. oben Rn. 19) nur unter der Voraussetzung, dass die schriftliche Bekanntgabe an einen Beteiligten nicht bewirkt werden konnte. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt, da der Beschluss über die Gestattung der Auskunftserteilung sowohl der Antragstellerin als auch der weiteren Beteiligten zu 1 und damit sämtlichen Beteiligten des erstinstanzlichen Verfahrens schriftlich bekanntgegeben werden konnte.

Die Auffangfrist gilt ferner auch deshalb nicht für diejenigen, die – wie die Anschlussinhaber im Verfahren auf Gestattung der Auskunftserteilung gemäß § 101 Abs. 9 UrhG – am erstinstanzlichen Verfahren nicht beteiligt gewesen sind, aber von dem Beschluss in ihren Rechten beeinträchtigt werden, weil sonst deren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), ein faires Verfahren (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Gewährleistung von Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) verletzt würde (vgl. oben Rn. 22 bis 24; Bumiller/Harders aaO § 63 Rn. 6; Keidel/Sternal aaO § 63 Rn. 45; § 63 FamFG Rn. 7; Prütting/Helms/Abramenko aaO § 63 Rn. 7 mwN). Sie haben – anders als die Beteiligten dieses Verfahrens – keine Kenntnis von dem Verfahren und daher auch keinen Anlass, sich nach dessen Stand zu erkundigen.

ee)
Es kann offenbleiben, ob für denjenigen, der am erstinstanzlichen Verfahren nicht beteiligt war, aber von dem Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist, danach keine Beschwerdefrist gilt oder ob die Beschwerdefrist für ihn in entsprechender Anwendung des § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG mit einer schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses an ihn beginnt (vgl. Prütting/Helms/Abramenko aaO § 63 Rn. 7 f. mwN). Dem weiteren Beteiligten zu 2 ist der Beschluss nicht schriftlich bekanntgegeben worden.

4.
Mit der vom Beschwerdegericht gegebenen Begründung kann dem Feststellungsantrag des weiteren Beteiligten zu 2 jedoch nicht stattgegeben werden.

Das Beschwerdegericht hat angenommen, der Beschluss des Landgerichts habe den weiteren Beteiligten zu 2 in seinen Rechten verletzt. Das Landgericht hätte der weiteren Beteiligten zu 1 die Auskunftserteilung nicht gestatten dürfen, weil keine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß vorgelegen habe.

Der Bundesgerichtshof hat – nachdem das Beschwerdegericht den angegriffenen Beschluss erlassen hat – entschieden, dass der in Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung bestehende Anspruch aus § 101 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UrhG auf Auskunft gegen eine Person, die in gewerblichem Ausmaß für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen erbrachte, nicht voraussetzt, dass die rechtsverletzenden Tätigkeiten das Urheberrecht oder ein anderes nach dem Urheberrechtsgesetz geschütztes Recht in gewerblichem Ausmaß verletzt haben (BGH, GRUR 2012, 1026 Rn. 10 bis 30 – Alles kann besser werden). Er hat ferner entschieden, dass auch die Begründetheit des Antrags nach § 101 Abs. 9 Satz 1 UrhG auf Gestattung der Verwendung von Verkehrsdaten zur Erteilung der Auskunft über den Namen und die Anschrift der Nutzer, denen zu bestimmten Zeitpunkten bestimmte (dynamische) IP-Adressen zugewiesen waren, jedenfalls in den Fällen, in denen ein Auskunftsanspruch nach § 101 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UrhG wegen einer offensichtlichen Rechtsverletzung gegen eine Person besteht, die in gewerblichem Ausmaß für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen erbracht hat, grundsätzlich kein besonderes und insbesondere kein gewerbliches Ausmaß der Rechtsverletzung voraussetzt (BGH, GRUR 2012, 1026 Rn. 40 bis 52 – Alles kann besser werden).

IV.
Danach ist der Beschluss des Beschwerdegerichts auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil diese zur Endentscheidung reif ist (§ 101 Abs. 9 Satz 4 UrhG, § 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG). Auf die Beschwerde der Antragstellerin ist der Beschluss des Beschwerdegerichts abzuändern und die Beschwerde des weiteren Beteiligten zu 2 zurückzuweisen. Der Feststellungsantrag des weiteren Beteiligten zu 2 ist unbegründet, weil der Beschluss des Landgerichts ihn nicht in seinen Rechten verletzt. Das Landgericht hat der weiteren Beteiligten zu 1 mit Recht gestattet, der Antragstellerin gemäß § 101 Abs. 9 in Verbindung mit § 101 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UrhG Auskunft zu erteilen.

1.
Die Antragstellerin hat gegen die Beteiligte zu 2 einen Anspruch aus § 101 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UrhG auf Auskunft über den Namen und die Anschrift derjenigen Nutzer, denen die in der Anlage ASt 1 aufgeführten IP-Adressen zu den jeweiligen Zeitpunkten zugewiesen waren.

a)
Die Antragstellerin ist berechtigt, den Auskunftsanspruch geltend zu machen. Anspruchsberechtigt ist nicht nur der Urheber oder der Inhaber eines anderen nach dem Urheberrechtsgesetz geschützten Rechts, sondern auch der Inhaber eines ausschließlichen urheberrechtlichen Nutzungsrechts. Die Antragstellerin ist Inhaberin der ausschließlichen urheberrechtlichen Nutzungsrechte an dem urheberrechtlich geschützten Hörbuch „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“. Ihr steht daher auch das ausschließliche Recht zu, das Hörbuch öffentlich zugänglich zu machen (§ 19a UrhG).

b)
Dieses ausschließliche Recht ist dadurch verletzt worden, dass ein Nutzer das Hörbuch „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“ am 20. Januar 2011 über eine Online-Tauschbörse anderen Nutzern zum Herunterladen angeboten hat. Die Rechtsverletzung ist auch offensichtlich; sie ist so eindeutig, dass eine ungerechtfertigte Belastung der Beteiligten ausgeschlossen erscheint (vgl. BT-Drucks. 16/5048, S. 39).

c)
Die Beteiligte hat als Internet-Provider den Nutzern die Internetanschlüsse zur Verfügung gestellt und die jeweiligen (dynamischen) IP-Adressen zugewiesen und damit in gewerblichem Ausmaß für die rechtsverletzenden Tä-tigkeiten genutzte Dienstleistungen erbracht.

d)
Die Inanspruchnahme der Beteiligten auf Auskunftserteilung ist auch nicht unverhältnismäßig (§ 101 Abs. 4 UrhG). Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Antragstellerin als Auskunftsberechtigte kein oder nur ein äußerst geringes Interesse daran haben kann, die Rechtsverletzter genannt zu bekommen (vgl. BGH, GRUR 2012, 1026 Rn. 36 – Alles kann besser werden).

2.
Die begehrte Auskunft über den Namen und die Anschrift derjenigen Nutzer, denen die fraglichen IP-Adressen zu den besagten Zeiten zugewiesen waren, kann nur unter Verwendung von Verkehrsdaten (§ 3 Nr. 30 TKG) im Sinne des § 101 Abs. 9 Satz 1 UrhG erteilt werden (vgl. BGH, GRUR 2012, 1026 Rn. 37 bis 39 – Alles kann besser werden).

3.
Die Begründetheit des Antrags nach § 101 Abs. 9 Satz 1 UrhG auf Gestattung der Verwendung von Verkehrsdaten zur Erteilung der Auskunft über den Namen und die Anschrift der Nutzer, denen zu bestimmten Zeitpunkten bestimmte (dynamische) IP-Adressen zugewiesen waren, setzt jedenfalls in den Fällen, in denen – wie hier – ein Auskunftsanspruch nach § 101 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UrhG wegen einer offensichtlichen Rechtsverletzung gegen eine Person besteht, die in gewerblichem Ausmaß für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen erbracht hat, grundsätzlich kein besonderes und insbesondere kein gewerbliches Ausmaß der Rechtsverletzung voraus. Ein solcher Antrag ist vielmehr unter Abwägung der betroffenen Rechte des Rechtsinhabers, des Auskunftspflichtigen und der Nutzer sowie unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in aller Regel ohne weiteres begründet (vgl. BGH, GRUR 2012, 1026 Rn. 40 bis 52 – Alles kann besser werden).

V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 101 Abs. 9 Satz 4 UrhG, § 81 Abs. 1 Satz 1, § 84 FamFG, die Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 30 Abs. 2 Satz 2 KostO.

Vorinstanzen:
LG Köln, Urteil vom 08.02.2011, Az. 227 O 37/11
OLG Köln, Urteil vom 10.04.2012, Az. 6 W 5/12

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