BGH: Keine „Sammelklage“ bei mehreren betroffenen Verwendern einer strittigen AGB-Klausel

veröffentlicht am 20. Mai 2011

Rechtsanwalt Dr. Ole DammBGH, Beschluss vom 10.02.2011, Az. I ZB 63/09
§ 66 Abs.1 ZPO

Ein Verband hatte eine Unterlassungsklage wegen Verwendung eine angeblich unberechtigten AGB-Klausel erhalten, welche auch andere Verbände der gleichen Branche verwendeten (sog. „Parallelverwender“). Diese sahen in der Klage des beklagten Verbandes eine Möglichkeit, die Wirksamkeit der fraglichen Klausel grundsätzlich klären zu lassen. Das Urteil hätte eine „faktische Präzedenzwirkung“ für die zu erwartenden weiteren Unterlassungsklagen im unterinstanzlichen Bereich. Der BGH verwehrte den anderen Verbänden allerdings die Nebenintervention mit der Begründung, dass allein die Möglichkeit, dass sich unterinstanzliche Gerichte an der im ersten Prozess ergangenen Entscheidung orientieren könnten, nicht für das gemäß § 66 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse ausreiche. Zum Volltext der Entscheidung:


Bundesgerichtshof

Beschluss

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10.02.2011 durch … beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 23. Zivilsenats des Kammergerichts vom 22.07.2009 aufgehoben.

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird die Entscheidung der Zivilkammer 4 des Landgerichts Berlin vom 25.06.2008 abgeändert, soweit die Beitritte der Streithelferinnen zu 9, 10, 12, 19, 22 und 23 für zulässig erklärt und dem Kläger die Kosten des Zwischenstreits über die Zulässigkeit der Beitritte sowie die durch die Nebenintervention verursachten Kosten auferlegt worden sind.

Die Beitritte der Streithelferinnen zu 9, 10, 12, 19, 22 und 23 werden für unzulässig erklärt.

Die Streithelferinnen zu 9, 10, 12, 19, 22 und 23 haben die Kosten des Zwischenstreits über die Zulässigkeit der Beitritte sowie die durch die Nebenintervention verursachten Kosten zu tragen.

Beschwerdewert: 25.000,00 EUR.

Gründe

I.
Gegenstand der Rechtsbeschwerde ist ein Zwischenstreit über die Zulässigkeit von Nebeninterventionen (§ 71 ZPO).

Der Kläger ist ein eingetragener Verein deutschsprachiger Schauspieler, die vornehmlich als Synchronsprecher tätig sind. Er nimmt nach seiner Satzung die Interessen dieser sogenannten Synchronschauspieler wahr. Die Beklagte stellt deutsche Synchronfassungen insbesondere von Spielfilmen her. Dazu engagiert sie Synchronschauspieler unter Verwendung vorformulierter Vertragsbedingungen.

Der Kläger ist der Ansicht, einige Klauseln dieser Vertragsbedingungen seien mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen der §§ 88 ff. UrhG nicht zu vereinbaren und daher gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam. Er hat die Beklagte deshalb nach § 1 UKlaG auf Unterlassung der Verwendung dieser Klauseln in Anspruch genommen.

Die Beklagte hat 28 anderen Synchronunternehmen den Streit verkündet, von denen sechs dem Rechtsstreit auf ihrer Seite als Nebenintervenienten beigetreten sind. Die Nebenintervenienten verwenden Vertragsbedingungen, die mit den vom Kläger beanstandeten Vertragsbedingungen der Beklagten teilweise inhaltsgleich sind. Sie haben ihr rechtliches Interesse an einer Unterstützung der Beklagten (§ 66 Abs. 1 ZPO) damit begründet, dass sie im Falle eines Unterliegens der Beklagten damit rechnen müssten, von der Beklagten wegen der Verwendung inhaltsgleicher Vertragsbedingungen nach §§ 3, 4 Nr. 11, § 8 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 1, § 9 Satz 1 UWG auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden.
Der Kläger ist der Ansicht, die Nebeninterventionen seien nicht zulässig, weil die Nebenintervenienten kein rechtliches Interesse an einem Beitritt zum Rechtsstreit hätten. Er hat daher beantragt, die Nebeninterventionen zurückzuweisen.

Das Landgericht hat die Beitritte der Nebenintervenienten durch Zwischenurteil für zulässig erklärt. Die sofortige Beschwerde des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit seiner zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Kläger seinen Antrag auf Zurückweisung der Nebeninterventionen weiter.

II.
Die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO) und auch sonst zulässig (§ 575 ZPO). Sie hat in der Sache Erfolg.

1.
Auf das Verfahren nach dem Unterlassungsklagengesetz sind gemäß § 5 UKlaG die Vorschriften der Zivilprozessordnung anzuwenden, soweit sich aus dem Unterlassungsklagengesetz nicht etwas anderes ergibt. Danach sind die Bestimmungen der Zivilprozessordnung über die Nebenintervention (§§ 66 ff. ZPO) bei Klagen nach dem Unterlassungsklagengesetz anwendbar (Staudinger/Schlosser, BGB, 2006, § 5 UKlaG Rn. 3).

2.
Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts sind die Nebenintervenienten nicht nach § 71 Abs. 1 Satz 2 ZPO zuzulassen. Sie haben nicht glaubhaft gemacht, ein rechtliches Interesse im Sinne des § 66 Abs. 1 ZPO daran zu haben, dass die Beklagte in dem zwischen dem Kläger und der Beklagten anhängigen Rechtsstreit obsiegt.

a)
Der Begriff des rechtlichen Interesses in § 66 Abs. 1 ZPO ist allerdings weit auszulegen. Aus dem Erfordernis eines rechtlichen Interesses folgt jedoch, dass ein rein wirtschaftliches oder tatsächliches Interesse für die Zulässigkeit einer Nebenintervention nicht ausreicht. Der Begriff des rechtlichen Interesses erfordert vielmehr, dass der Nebenintervenient zu der unterstützten Partei oder dem Gegenstand des Rechtsstreits in einem Rechtsverhältnis steht, auf das die Entscheidung des Rechtsstreits durch ihren Inhalt oder ihre Vollstreckung unmittelbar oder auch nur mittelbar rechtlich einwirkt. Der bloße Wunsch der Nebenintervenienten, der Rechtsstreit möge zugunsten einer Partei entschieden werden, und die Erwartung, dass die damit befassten Gerichte auch in einem künftigen eigenen Rechtsstreit mit einer Partei an einem einmal eingenommenen Standpunkt festhalten und zu einer ihnen günstigen Entscheidung gelangen sollten, stellen lediglich Umstände dar, die ein tatsächliches Interesse am Obsiegen einer Partei zu erklären vermögen. Ein solches Interesse daran, dass eine rechtliche oder tatsächliche Frage auf eine bestimmte Weise beantwortet wird, genügt ebenso wenig wie der denkbare Umstand, dass in beiden Fällen dieselben Ermittlungen angestellt werden müssen oder über gleichgelagerte Rechtsfragen zu entscheiden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17.01.2006, Az. X ZR 236/01, BGHZ 166, 18 Rn. 7; Beschluss vom 24.04.2006, Az. II ZB 16/05, WM 2006, 1252 Rn. 12, jeweils mwN.).

b)
Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts ist nach diesen Maßstäben im vorliegenden Fall ein rechtliches Interesse der Nebenintervenienten zu verneinen. Der bloße Wunsch der Nebenintervenienten, der vorliegende Rechtsstreit möge zugunsten der Beklagten entschieden werden, und die damit verbundene Erwartung, dass die mit einer nachfolgenden Klage der Beklagten gegen sie auf Unterlassung der Verwendung inhaltsgleicher Klauseln befassten Gerichte gleichfalls den Standpunkt einnehmen, dass die in Rede stehenden Vertragsbedingungen nicht wegen einer Unvereinbarkeit mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen der §§ 88 ff. UrhG gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam sind, begründet nur ein tatsächliches Interesse der Nebenintervenienten am Obsiegen der Beklagten. Allein die Möglichkeit, dass ein Urteil im Hauptprozess für nachfolgende Prozesse eine faktische Präzedenzwirkung entfaltet und die befassten Gerichte sich an der Entscheidung im Hauptprozess orientieren, vermag ein rechtliches Interesse im Sinne von § 66 Abs. 1 ZPO nicht zu begründen (aA Musielak/Weth, ZPO, 7. Aufl., § 66 Rn. 7; Wieczorek/Schütze/Mansel, ZPO, 3. Aufl., § 66 Rn. 61 mwN.). Das gilt auch im – hier gegebenen – Fall der Nebenintervention von „Parallelverwendern“ inhaltsgleicher Allgemeiner Geschäftsbedingungen (Lindacher in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 5. Aufl., § 5 UKlaG Rn. 74; aA Hensen in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 11. Aufl., § 5 UKlaG Rn. 22; Staudinger/Schlosser aaO § 5 UKlaG Rn. 3; vgl. auch Nowak-Over, GRUR-Prax 2010, 138).

c)
Die Entscheidung des Beschwerdegerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Entgegen der Ansicht der Beklagten vermag allein die Tatsache der Streitverkündung nach § 72 Abs. 1 ZPO das nach § 66 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse nicht zu begründen (Wieczorek/Schütze/Mansel aaO § 74 Rn. 24 ff.; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 31. Aufl., § 66 Rn. 5; aA OLG Düsseldorf, OLG-Rep 2008, 156; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 74 Rn. 3; MünchKomm.ZPO/Schultes, 3. Aufl., § 74 Rn. 3; Zöller/VolIkommer, ZPO, 28. Aufl., § 66 Rn. 8). Dies ergibt sich bereits aus dem Regelungszusammenhang der maßgeblichen Bestimmungen. Tritt im Falle einer Streitverkündung der Dritte dem Streitverkünder bei, so bestimmt sich sein Verhältnis zu den Parteien gemäß § 74 Abs. 1 ZPO nach den Grundsätzen über die Nebenintervention. Wird die Zurückweisung des Beitritts beantragt, setzt die Zulassung des Dritten daher nach § 71 Abs. 1 ZPO voraus, dass er sein Interesse glaubhaft macht. Aus dem Umstand, dass im Falle einer Streitverkündung und eines Beitritts des Dritten bei einem Antrag auf Zurückweisung des Beitritts zu prüfen ist, ob der Dritte ein Interesse an einem Beitritt glaubhaft gemacht hat, folgt, dass allein die Tatsache der Streitverkündung ein rechtliches Interesse nicht zu begründen vermag.

III.
Danach ist auf die Rechtsbeschwerde des Klägers der Beschluss des Beschwerdegerichts aufzuheben. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers ist die Entscheidung des Landgerichts abzuändern, soweit die Beitritte der Streithelferinnen für zulässig erklärt und dem Kläger die Kosten des Zwischenstreits über die Zulässigkeit der Beitritte sowie die durch die Nebenintervention verursachten Kosten auferlegt worden sind. Die Beitritte der Streithelferinnen sind für unzulässig zu erklären. Die Streithelferinnen haben die Kosten des Zwischenstreits über die Zulässigkeit der Beitritte sowie die durch die Nebenintervention verursachten Kosten zu tragen (§ 91 Abs. 1 ZPO).

Vorinstanzen:
LG Berlin, Urteil vom 25.06.2008, Az. 4 O 91/08
KG Berlin, Urteil vom 22.07.2009, Az. 23 W 55/08

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