BGH: Kopplung von Gewinnspiel und Warenerwerb ist nicht zwangsläufig unlauter

veröffentlicht am 27. April 2011

BGH, Urteil vom 05.10.2010, Az. I ZR 4/06 (Millionen-Chance II)
§ 3 Abs. 1, § 4 Nr. 6 UWG 2008; Art. 5 Abs. 2 Richtlinie 2005/29/EG

Der BGH hat entschieden, dass die Verbindung des Erwerbs von Waren mit einem Gewinnspiel nicht zwangsläufig wettbewerbswidrig ist. Vorliegend konnten die Kunden eines Supermarktes beim Erwerb von Waren Bonuspunkte sammeln. Für jeweils 20 Bonuspunkte bestand die Möglichkeit, kostenlos an Lotto-Ziehungen teilzunehmen. Die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs hielt dies für unzulässig. Der BGH folgte dieser Auffassung nicht, nach Berücksichtigung der UWG-Änderungen nach 2008 und der Europäischen Rechtslage. Die Kopplung eines Preisausschreibens oder Gewinnspiels an ein Umsatzgeschäft sei nur dann unlauter, wenn sie im Einzelfall eine irreführende Geschäftspraxis darstelle oder den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt widerspreche. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Zum Volltext der Entscheidung:

Bundesgerichtshof

Urteil

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. Oktober 2010 durch … für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 13. Dezember 2005 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Verurteilung der Beklagten zur Unterlassung bestätigt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird das Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Duisburg vom 24. Februar 2005 auf die Berufung der Beklagten abgeändert.

Die Klage wird mit dem Unterlassungsantrag abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

Die Klägerin, die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, nimmt die Beklagte, ein Einzelhandelsunternehmen, wegen wettbewerbswidriger Bewerbung einer „Bonusaktion“ auf Unterlassung und Erstattung von Abmahnkosten in Anspruch.

Die Beklagte, die in Deutschland etwa 2.700 Filialen unterhält, warb in der Zeit vom 16. September bis 13. November 2004 mit dem Hinweis „Einkaufen, Punkte sammeln, gratis Lotto spielen“ für die Teilnahme an der Bonusaktion „Ihre Millionenchance“. Kunden konnten im genannten Zeitraum „Bonuspunkte“ sammeln; sie erhielten bei jedem Einkauf für 5 € Einkaufswert je einen Bonuspunkt. Ab 20 Bonuspunkten bestand die Möglichkeit, kostenlos an den Ziehungen des Deutschen Lottoblocks am 6. oder 27. November 2004 teilzunehmen. Hierzu mussten die Kunden auf einer in den Filialen der Beklagten erhältlichen Teilnahmekarte unter anderem die Bonuspunkte aufkleben und sechs Lottozahlen nach ihrer Wahl ankreuzen. Die Beklagte ließ die Teilnahmekarten in ihren Filialen einsammeln und leitete sie an ein drittes Unternehmen weiter, das dafür sorgte, dass die entsprechenden Kunden mit den jeweils ausgewählten Zahlen an der Ziehung der Lottozahlen teilnahmen. Das Werbematerial, mit dem die Beklagte für diese Aktion geworben hat, ist im Vorlagebeschluss des Senats vom 5. Juni 2008 (I ZR 4/06, GRUR 2008, 807, 808 = WRP 2008, 1175 – Millionen-Chance I) wiedergegeben.

Die Klägerin sieht in der Bonusaktion der Beklagten eine wettbewerbswidrige Verknüpfung des Warenabsatzes mit einem Gewinnspiel. Die Kunden der Beklagten erlangten zwar eine kostenlose Teilnahme an der Lotterie, jedoch bestehe eine rechtliche Abhängigkeit zwischen der kostenlosen Teilnahme und dem Erwerb von Waren bei der Beklagten. Eine derartige Verknüpfung verstoße gegen § 4 Nr. 6 UWG.

Die Klägerin hat die Beklagte nach erfolgsloser Abmahnung auf Unterlassung und auf Zahlung einer Abmahnpauschale in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt (LG Duisburg, WRP 2005, 764). Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht zurückgewiesen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 13. Dezember 2005 – 20 U 81/05, juris). Der Senat hat die Revision zugelassen.

Mit Beschluss vom 5. Juni 2008 hat der Senat dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt (BGH, GRUR 2008, 807 – Millionen-Chance I):

Ist Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken dahin auszulegen, dass diese Vorschrift einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der eine Geschäftspraktik, bei der die Teilnahme von Verbrauchern an einem Preisausschreiben oder Gewinnspiel vom Erwerb einer Ware oder von der Inanspruchnahme einer Dienstleistung abhängig gemacht wird, grundsätzlich unzulässig ist, ohne dass es darauf ankommt, ob die Werbemaßnahme im Einzelfall Verbraucherinteressen beeinträchtigt?

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat diese Frage wie folgt beantwortet (EuGH, Urteil vom 14. Januar 2010 – C-304/08, GRUR 2010, 244 = WRP 2010, 232 – Plus):

Die Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, nach der Geschäftspraktiken, bei denen die Teilnahme von Verbrauchern an einem Preisausschreiben oder Gewinnspiel vom Erwerb einer Ware oder von der Inanspruchnahme einer Dienstleistung abhängig gemacht wird, ohne Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls grundsätzlich unzulässig sind.

Die Beklagte verfolgt mit ihrer Revision den Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

I.
Das Berufungsgericht hat die Klage aus § 4 Nr. 6 UWG für begründet erachtet. Dazu hat es ausgeführt:

Die beanstandete Werbung sei wegen unzulässiger Kopplung der Teilnahme an der Lotterie an einen vorherigen Warenkauf wettbewerbswidrig. Der Gesetzgeber habe durch § 4 Nr. 6 UWG jegliche Kopplung des Absatzes von Waren oder Dienstleistungen mit der Teilnahme an Gewinnspielen unter dem Gesichtspunkt einer unsachlichen Beeinflussung des Verkehrs durch Ausnutzung der Spiellust und der Hoffnung auf einen leichten Gewinn als unlauter klassifiziert. Eine solche unzulässige Kopplung sei im Streitfall gegeben. Die Vorschrift des § 4 Nr. 6 UWG sei so zu verstehen, dass es an einer Abhängigkeit nur dann fehle, wenn dem angesprochenen Verkehr eine „diskriminierungsfreie“ Alternative der Teilnahme an dem Gewinnspiel offenstehe. Eine solche Alternative bestehe beim beanstandeten Gewinnspiel nicht.

Der Wettbewerbsverstoß sei auch nicht unerheblich im Sinne von § 3 UWG. Einer solchen Annahme stünden bereits die Marktmacht der Beklagten und die Vielzahl der angesprochenen Kunden entgegen. Ohne Bedeutung sei der nur geringe Wert der in Aussicht gestellten Vergünstigung. Zudem würden jedenfalls diejenigen Personen angesprochen, die ansonsten kein Lotto spielten, aber von der kostenlosen Teilnahmemöglichkeit profitieren wollten.

II.
Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben im Wesentlichen Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Abweisung der Klage, soweit die Beklagte zur Unterlassung verurteilt worden ist. Keinen Erfolg hat die Revision, soweit sie sich gegen die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Abmahnkosten richtet.

1.
Die Klägerin hat ihren Unterlassungsanspruch auf Wiederholungsgefahr (§ 8 Abs. 1 Satz 1 UWG) und auf eine Verletzungshandlung gestützt, die vom September bis November 2004 begangen worden sein soll. Da der Unterlassungsanspruch auf die Abwehr künftiger Rechtsverstöße gerichtet ist, ist er nur begründet, wenn auf der Grundlage des zum Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Rechts Unterlassung verlangt werden kann. Zudem muss die Handlung zum Zeitpunkt ihrer Begehung wettbewerbswidrig gewesen sein, weil es anderenfalls an der Wiederholungsgefahr fehlt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 29. April 2010 – I ZR 23/08, GRUR 2010, 652 Rn. 10 = WRP 2010, 872 – Costa del Sol, mwN). Für den auf § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG gestützten Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten kommt es hingegen darauf an, ob die Abmahnung zu dem Zeitpunkt, in dem sie dem Schuldner zugegangen ist, berechtigt war (vgl. Bornkamm in Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Aufl., § 12 Rn. 1.84).

Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom 3. Juli 2004 (UWG 2004), das zum Zeitpunkt des beanstandeten Verhaltens galt, ist Ende 2008, also nach Verkündung des Berufungsurteils, geändert worden (UWG 2008). Diese – der Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken dienende – Gesetzesänderung ist insofern von Bedeutung, als die Bestimmung des § 3 UWG geändert worden und die unverändert gebliebene Bestimmung des § 4 Nr. 6 UWG nunmehr – genauer: seit dem endgültigen Ablauf der Umsetzungsfrist am 12. Dezember 2007 – im Lichte der Richtlinie und unter Berücksichtigung der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszulegen ist.

2.
Der Senat hat bereits im Vorlagebeschluss vom 5. Juni 2008 (GRUR 2008, 807 Rn. 11 ff. – Millionen-Chance I) im Einzelnen dargelegt, dass die beanstandete Werbung im Herbst 2004 nach §§ 3, 4 Nr. 6 UWG 2004 wettbewerbswidrig war. Es handelt sich nicht lediglich um ein Zugabeversprechen, sondern um die Werbung für ein Gewinnspiel (BGH, GRUR 2008, 807 Rn. 12 f.), an dem nur teilnehmen konnte, wer zuvor bei der Beklagten Waren in einem bestimmten Umfang erworben hatte (BGH, GRUR 2008, 807 Rn. 14). Die beanstandete Werbung war auch geeignet, den Wettbewerb nicht nur unerheblich zum Nachteil der Mitbewerber, der Verbraucher oder der sonstigen Marktteilnehmer zu beeinträchtigen (§ 3 UWG 2004; BGH, GRUR 2008, 807 Rn. 15). Da der Klägerin der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zum Zeitpunkt der Abmahnung zustand (§ 8 Abs. 1 und 3 Nr. 2 UWG), ist die Beklagte zu Recht zur Zahlung der Abmahnkosten verurteilt worden (§ 12 Abs. 1 Satz 2 UWG).

3.
Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch steht der Klägerin dagegen auf der Grundlage des heute geltenden Rechts nicht (mehr) zu. Auch wenn der Wortlaut der Bestimmung des § 4 Nr. 6 UWG im Rahmen der Gesetzesänderung 2008 unverändert geblieben ist und sich die Verbotsnorm des § 3 UWG 2004 mit nur geringfügigen Änderungen in § 3 Abs. 1 UWG 2008 wiederfindet, verbietet eine richtlinienkonforme Auslegung dieser Bestimmungen die Anwendung auf den Streitfall. Ein Verstoß gegen einen anderen Unlauterkeitstatbestand des Gesetzes scheidet ebenfalls aus.

a)
Nach § 4 Nr. 6 UWG handelt unlauter, wer die Teilnahme von Verbrauchern an einem Gewinnspiel vom Erwerb einer Ware abhängig macht. Die Bestimmung enthält – anders als vergleichbare Beispielstatbestände des § 4 UWG – keine Wertungsmöglichkeit. Die Kopplung eines Gewinnspiels an ein Umsatzgeschäft führt zwar nach dieser Bestimmung nicht stets zur Unzulässigkeit des fraglichen Verhaltens; hinzu kommen muss, dass die Wettbewerbshandlung geeignet ist, den Wettbewerb zum Nachteil der Mitbewerber, der Verbraucher oder der sonstigen Marktteilnehmer spürbar zu beeinträchtigen (§ 3 Abs. 1 UWG 2008). An der Spürbarkeit wird es aber bei intensiv beworbenen Gewinnspielen schon im Hinblick auf die erhebliche Anlockwirkung, die von ihnen ausgeht, nicht fehlen (vgl. BGH, GRUR 2008, 807 Rn. 21 – Millionen-Chance I, zu § 3 UWG 2004). Damit untersagt die Vorschrift des § 4 Nr. 6 UWG im Zusammenwirken mit § 3 Abs. 1 UWG 2008 gekoppelte Preisausschreiben und Gewinnspiele generell und unabhängig von einer Gefährdung der Verbraucherinteressen im Einzelfall. Denn das Verbot beansprucht auch dann Geltung, wenn von dem beworbenen Angebot keine unsachliche Beeinflussung der Verbraucher ausgeht, die Teilnahmebedingungen klar und deutlich angegeben sind und die Verbraucher über ihre Gewinnchancen nicht irregeführt werden (BGH, GRUR 2008, 807 Rn. 21 – Millionen-Chance I).

b)
Mit diesem Inhalt ist § 4 Nr. 6 UWG mit der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken nicht vereinbar.

aa)
Bei einem Angebot, das den Erwerb von Waren oder die Inanspruchnahme von Dienstleistungen mit der Teilnahme der Verbraucher an einem Gewinnspiel oder einem Preisausschreiben koppelt, handelt es sich um eine Geschäftspraxis im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken. Werbemaßnahmen, die – wie im Streitfall – die kostenlose Teilnahme des Verbrauchers an einer Lotterie davon abhängig machen, dass in einem bestimmten Umfang Waren erworben oder Dienstleistungen in Anspruch genommen werden, zielen unmittelbar auf die Förderung des Absatzes des betreffenden Gewerbetreibenden ab und fallen damit in den Geltungsbereich von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (EuGH, GRUR 2010, 244 Rn. 37 – Plus; vgl. dazu Leible, EuZW 2010, 186, 187). Die beanstandete Werbung der Beklagten ist daher an den in der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken aufgestellten Vorschriften zu messen.

bb)
Die Regeln über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern sind mit der Richtlinie 2005/29/EG auf Unionsebene vollständig harmonisiert worden. Daher dürfen die Mitgliedstaaten keine strengeren als die in der Richtlinie festgelegten Maßnahmen erlassen (Art. 4 der Richtlinie), und zwar auch nicht zur Erreichung eines höheren Verbraucherschutzniveaus (EuGH, GRUR 2010, 244 Rn. 41 – Plus; BGH, GRUR 2008, 807 Rn. 17 – Millionen-Chance I).

cc)
Nach der Generalklausel des Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken ist eine Geschäftspraxis unlauter, wenn sie den Erfordernissen der beruflichen Sorgfaltspflicht widerspricht und in Bezug auf das jeweilige Produkt das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers wesentlich beeinflusst oder dazu geeignet ist, es wesentlich zu beeinflussen. Eine in diesem Sinne wesentliche Beeinflussung ist nach der Definition des Art. 2 Buchst. e der Richtlinie immer dann gegeben, wenn eine Geschäftspraxis die Fähigkeit des Verbrauchers, eine „informierte Entscheidung“ zu treffen, spürbar beeinträchtigt und damit den Verbraucher zu einer geschäftlichen Ent-scheidung veranlasst, die er andernfalls nicht getroffen hätte.

In Art. 5 Abs. 4 der Richtlinie werden zwei Arten von Geschäftspraktiken genannt, die als unlauter einzustufen sind, nämlich die „irreführenden Praktiken“ im Sinne der Art. 6 und 7 und die „aggressiven Praktiken“ im Sinne der Art. 8 und 9 der Richtlinie. Darüber hinaus stellt die Richtlinie in ihrem Anhang I eine erschöpfende Liste von 31 Geschäftspraktiken auf, die gemäß Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie „unter allen Umständen“ als unlauter anzusehen sind. Nur diese Geschäftspraktiken können ohne eine Beurteilung des Einzelfalls anhand der Bestimmungen der Art. 5 bis 9 der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken als unlauter gelten (EuGH, GRUR 2010, 244 Rn. 44 f. – Plus).

dd)
Anhang I der Richtlinie und – ihm folgend – der Anhang zu § 3 Abs. 3 UWG 2008 enthalten kein Verbot der Kopplung eines Gewinnspiels an ein Umsatzgeschäft. Es liegt auf der Hand, dass sich ein solches generelles Verbot nicht unter den Tatbestand einer irreführenden Geschäftspraxis (Art. 6 und 7 der Richtlinie) fassen lässt. Es kann aber auch nicht als aggressive Geschäftspraxis im Sinne der Art. 8 und 9 der Richtlinie angesehen werden. Denn eine solche Kopplung stellt weder eine Belästigung oder Nötigung noch eine unzulässige Beeinflussung – also die Ausnutzung einer Machtposition zur Ausübung von Druck (Art. 2 Buchst. j der Richtlinie) – dar, weil von ihr für den Verbraucher nur ein besonderer Anreiz ausgeht, ohne dass der Verbraucher dadurch unter Druck gesetzt wird (vgl. Köhler, GRUR 2010, 177, 182).

Damit stünde die deutsche Regelung mit der Richtlinie nur dann im Einklang, wenn das generelle Verbot der Kopplung eines Gewinnspiels an ein Umsatzgeschäft unter die Generalklausel des Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie fiele. Die Generalklausel setzt sich aus einem Unlauterkeitskriterium und einem Relevanzkriterium zusammen (vgl. Köhler, GRUR 2010, 767, 773): Das fragliche Verhalten muss zum einen den Erfordernissen der beruflichen Sorgfaltspflicht widersprechen (Art. 5 Abs. 2 Buchst. a in Verbindung mit Art. 2 Buchst. h der Richtlinie), es muss zum anderen das wirtschaftliche Verhalten der Verbraucher zu beeinflussen geeignet sein (Art. 5 Abs. 2 Buchst. b in Verbindung mit Art. 2 Buchst. e der Richtlinie). Dass die Kopplung von Gewinnspielen an ein Umsatzgeschäft generell der beruflichen Sorgfalt widerspräche, lässt sich nicht annehmen. Dies entnimmt der Senat der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union, in der die Generalklausel zwar angeführt (EuGH, GRUR 2010, 244 Rn. 43 – Plus), aber nicht als Rechtfertigung der deutschen Regelung herangezogen worden ist (EuGH, GRUR 2010, 244 Rn. 47 ff. – Plus).

Noch deutlicher kommt diese Auffassung des Gerichtshofs in dem – noch vor dem Absetzen der vorliegenden Entscheidungsgründe ergangenen – Urteil „Mediaprint“ zum Ausdruck (EuGH, Urteil vom 9. November 2010 – C-540/08, GRUR 2011, 76 = WRP 2011, 45). Dort hatte der österreichische Oberste Gerichtshof mit seiner zweiten Frage zum Zugabeverbot in § 9 Abs. 1 Nr. 1 des österreichischen UWG wissen wollen, ob die Kopplung eines Gewinnspiels an den Erwerb einer Zeitung eine unlautere Geschäftspraxis im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie darstellt, wenn diese Teilnahmemöglichkeit für einen Teil der angesprochenen Verbraucher das ausschlaggebende Motiv für den Erwerb der Zeitung bildet. In seiner Antwort weist der Gerichtshof darauf hin, dass das angeführte Motiv möglicherweise das Relevanzkriterium erfülle; daneben müsse aber – um eine unlautere Geschäftspraxis zu bejahen – das fragliche Verhalten den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt widersprechen (EuGH, GRUR 2011, 76 Rn. 46 – Mediaprint). Dass dies der Fall sein könnte, wird vom Gerichtshof in der abschließenden Antwort auf diese Frage noch nicht einmal erwogen (EuGH, GRUR 2011, 76 Rn. 47 – Mediaprint).

c)
Ist ein generelles Verbot der Kopplung von Gewinnspielen mit Umsatzgeschäften mit der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken nicht vereinbar, ist die Bestimmung des § 4 Nr. 6 UWG richtlinienkonform in der Weise auszulegen, dass eine solche Kopplung nur dann unlauter ist, wenn sie im Einzelfall eine unlautere Geschäftspraxis im Sinne der Richtlinie darstellt. Da weder der Verstoß gegen ein Per-se-Verbot des Anhangs I der Richtlinie noch eine aggressive Geschäftspraxis nach Art. 8 und 9 der Richtlinie (vgl. dazu oben Rn. 22) in Betracht kommt, bleibt insofern lediglich zu prüfen, ob das beanstandete Verhalten im Einzelfall als irreführende Geschäftspraxis oder als Verstoß gegen die berufliche Sorgfalt einzuordnen ist. Dies ist zu verneinen.

Dass die Beklagte die Verbraucher über die Gewinnchancen in die Irre geführt oder auch nur unzureichend über Teilnahmebedingungen oder Gewinnmöglichkeiten unterrichtet hätte, ist dem Vortrag der Klägerin nicht zu entnehmen. Ebenso fehlt es für einen Verstoß gegen die berufliche Sorgfalt (Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie) zumindest am Unlauterkeitskriterium. Dabei kann offen bleiben, ob es im Einzelfall einen Verstoß gegen die berufliche Sorgfalt darstellen kann, wenn von dem gekoppelten Gewinnspielangebot eine so starke Anlockwirkung ausgeht, dass die Rationalität der Nachfrageentscheidung der Verbraucher vollständig in den Hintergrund tritt (vgl. Haberkamm/Kühne, EWS 2010, 417, 419 zu § 4 Nr. 1 UWG; ablehnend Köhler, GRUR 2010, 767, 775). Denn im Streitfall ist eine solche von der Werbung ausgehende Wirkung ohnehin ausgeschlossen.

d)
Auch ein Verstoß gegen einen anderen Unlauterkeitstatbestand des Gesetzes kommt nicht Betracht. Für eine Irreführung nach § 5 UWG 2008 ist – wie sich bereits aus den Ausführungen zur richtlinienkonformen Auslegung (s. oben Rn. 26) ergibt – nichts ersichtlich. Für eine mangelnde Transparenz im Sinne von § 4 Nr. 4 und 5 UWG lässt sich weder dem festgestellten Sachverhalt noch dem Klagevortrag etwas entnehmen. Ob eine extreme Anlockwirkung unter § 4 Nr. 1 UWG zu subsumieren ist oder allenfalls von der Generalklausel des § 3 Abs. 2 Satz 1 UWG erfasst wird, bedarf im Streitfall ebenfalls keiner Klärung, weil von der beanstandeten Werbung eine solche Anlockwirkung nicht ausgeht (s. oben Rn. 26).

III.
Danach ist das angefochtene Urteil auf die Revision der Beklagten aufzuheben, soweit das Berufungsgericht die Verurteilung der Beklagten zur Unterlassung bestätigt hat. Der Senat hat selbst in der Sache zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Da der Klägerin der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht (mehr) zusteht, ist die Klage unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils mit dem Unterlassungsantrag abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Vorinstanzen:
LG Duisburg, Entscheidung vom 24.02.2005, Az. 21 O 144/04
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 13.12.2005, Az. I-20 U 81/05

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