BGH: Musterklage des Vereins „Schutzgemeinschaft für Bankkunden e.V.“ ist unzulässig

veröffentlicht am 29. Januar 2021

BGH, Urteil vom 17.11.2020, Az. XI ZR 171/19
§ 606 Abs. 1 S.2 Nr. 1 ZPO, § 606 Abs. 1 S.2 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 1

Der BGH hat entschieden, dass eine Musterfeststellungsklage (MFK) des Vereins Schutzgemeinschaft für Bankkunden e.V., Stuttgart, unzulässig ist. Der Verein ist ein seit dem Jahr 2004 als qualifizierte Einrichtung in die Liste nach § 4 UKlaG eingetragener Verbraucherschutzverband. Gleichwohl wies der Senat die Musterfeststellungsklage des Vereins als unzulässig ab. Zum erfülle der Verein nicht die in § 606 Abs. 1 S.2 ZPO genannten Voraussetzungen, da er nicht mindestens 350 natürliche Personen als Mitglieder habe. Der Verein habe nur eine Liste mit 148 Mitgliedern vorgelegt; die weiteren, in der Liste enthaltenen 274 Internetmitglieder seien wegen ihres fehlenden Stimmrechts nicht mitzuzählen. Ohnehin habe der Verein durch die Vorlage einer anonymisierten Mitgliederliste die Voraussetzungen des § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO grundsätzlich nicht dargetan. Zum anderen erfülle der Verein auch nicht die Zulässigkeitsvoraussetzung des § 606 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO. Dieser nehme nicht in Erfüllung seiner satzungsmäßigen Aufgaben Verbraucherinteressen weitgehend durch nicht gewerbsmäßige aufklärende oder beratende Tätigkeiten wahr. Vielmehr bestehe seine Tätigkeit ganz überwiegend darin, durch Analyse der Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Kreditinstituten Rechtsverstöße zu identifizieren, die betreffenden Institute mit anwaltlicher Hilfe abzumahnen und die Fehlerhaftigkeit der Geschäftsbedingungen anschließend gerichtlich durchzusetzen, soweit die betreffenden Institute keine Unterlassungserklärungen abgeben würden. Zum Volltext der Entscheidung:


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Bundesgerichtshof

Urteil

Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 17.11.2020 durch … für Recht erkannt:

Die Revision des Musterklägers gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 20.03.2019 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand:

Der Musterkläger, ein seit dem Jahr 2004 als qualifizierte Einrichtung in die Liste nach § 4 UKlaG eingetragener Verbraucherschutzverband, begehrt im Wege der Musterfeststellungsklage die Feststellung, dass Pflichtangaben in Verbraucherdarlehensverträgen, die die Musterbeklagte mit Verbrauchern zum Zweck der Finanzierung von Kraftfahrzeug-Kaufverträgen abgeschlossen hat, den gesetzlichen Anforderungen nicht entsprächen, dass aus diesem Grund die Widerrufsfrist nicht zu laufen begonnen habe und dass im Fall eines wirksamen Widerrufs bei der Rückabwicklung des Darlehensvertrages kein Ersatz für Wertverluste des Kraftfahrzeugs zu leisten sei. In der Satzung des Musterklägers heißt es u.a.:

㤠3 Zweck des Vereins
Zweck des Vereins ist der Schutz der Verbraucher vor unredlichen Finanzdienstleistern. Dieser Zweck wird vornehmlich durch Aufklärung und Beratung von Verbrauchern wahrgenommen. Die Aufklärung und Beratung der Verbraucher erfolgt durch die Verbreitung von Schriften, durch Vorträge und Versammlungen und durch Einrichtungen von Beratungsstellen.
Der Verein klärt die Verbraucher insbesondere über die Marktlage, die Qualität und Preiswürdigkeit der auf dem Markt angebotenen Finanzdienstleistungen auf. Er schützt die Verbraucher vor Übervorteilung und warnt vor irreführenden Angaben in der Werbung.
Es wird keine Rechtsberatung durchgeführt.
[…]
§ 5 Vereinstätigkeit
Der Verein führt Mitgliedertreffen und -veranstaltungen durch. Außerdem strebt er die Verwirklichung des Vereinszwecks dadurch an, dass er
[…]
3. gegen Regelungen vorgeht, die in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten sind und der zugunsten der Verbraucher bestehenden Rechtslage widersprechen
4. gegen Verhaltensweisen von Finanzdienstleistern vorgeht, die der zugunsten der Verbraucher bestehenden Rechtslage widersprechen
5. bei Bedarf auch gerichtliche Hilfe bei der Durchsetzung von Maßnahmen nach Ziffer 3 und 4 in Anspruch nimmt.“

Nach § 6 der Satzung kann beim Musterkläger eine Vollmitgliedschaft oder eine sogenannte Internetmitgliedschaft beantragt werden. Internetmitglieder des Musterklägers sind nicht stimmberechtigt. In der Satzung heißt es weiter u.a.:

㤠7 Rechte und Pflichten der Mitglieder
1.Internet-Mitglieder sind berechtigt, die Informationen des Vereins zu erhalten und an Mitgliederversammlungen teilzunehmen. […]
2.[…]
§ 10 Die Mitgliederversammlung
[…]
3. Eine außerordentliche Mitgliederversammlung ist einzuberufen, wenn […] mindestens ein Fünftel aller Mitglieder sie durch schriftliche Eingabe beim Vorstand fordert.
4. […]“

Der Musterkläger hat mit der Klageschrift vom 1. November 2018 eine anonymisierte Mitgliederliste zum Stand 30. Oktober 2018 vorgelegt, die weder Nachnamen noch die Postanschrift der Mitglieder enthält. Ferner hat er eine eidesstattliche Versicherung seines 1. Vorsitzenden vorgelegt, in der es heißt, dass die Liste sämtliche Mitglieder zum Stand 30. Oktober 2018 enthalte. Nachdem das Oberlandesgericht in der mündlichen Verhandlung vom 25. Januar 2019 Bedenken gegen die Beweiskraft der vorgelegten Liste geäußert hat, hat der Musterkläger innerhalb der bis zum 22. Februar 2019 nachgelassenen Schriftsatzfrist eine weitere Liste vorgelegt, die ebenfalls anonymisiert ist und in der die Nachnamen und die Postanschrift sowie die vollständigen E-Mail-Adressen fehlen. Die Liste enthält 422 Eintragungen, von denen 148 als Vollmitglieder und 274 als Internetmitglieder bezeichnet werden. In einer eidesstattlichen Versicherung des 1. Vorsitzenden des Musterklägers vom 21. Februar 2019 heißt es, dass in dieser Liste ausschließlich Mitglieder des Musterklägers zum 21. Februar 2019 enthalten seien.

Das Oberlandesgericht hat die Musterfeststellungsklage als unzulässig abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Musterkläger mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision, mit der er die Aufhebung des angefochtenen Musterfeststellungsurteils begehrt.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist unbegründet.

I.
Das Berufungsgericht hat seine unter anderem in WM 2019, 1055 ff. veröffentlichte Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Klage sei unzulässig, da sie nicht von einer qualifizierten Einrichtung im Sinne des § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO erhoben worden sei. Dem Musterkläger fehle die Klagebefugnis, weil er nicht gemäß § 606 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO mindestens 350 natürliche Personen als Mitglieder habe. Der Musterkläger habe nur 148 Vollmitglieder. Die Internetmitglieder dürften nicht berücksichtigt werden, weil diese weitgehend keine organschaftlichen Rechte hätten. Die Rechte und Pflichten der Internetmitglieder würden sich nicht von den Rechten und Pflichten der Abonnenten kostenpflichtiger Newsletter unterscheiden.

Der Musterkläger sei zudem nicht klagebefugt, weil er Verbraucherinteressen nicht gemäß § 606 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO weitgehend durch nicht gewerbsmäßige aufklärende oder beratende Tätigkeit wahrnehme. Aus dem Vorbringen des Musterklägers ergebe sich, dass dieser ganz überwiegend die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Kreditinstitute analysiere, die betreffenden Institute anschließend abmahne und die Fehlerhaftigkeit von Geschäftsbedingungen in der Folge gerichtlich durchsetze, soweit die Institute keine Unterlassungserklärungen abgäben. Dabei komme es nicht maßgebend darauf an, welchen zeitlichen Aufwand der Verein intern für die verschiedenen Tätigkeiten habe. Entscheidend sei vielmehr, mit welchen Tätigkeiten der Musterkläger bei der Wahrnehmung von Verbraucherinteressen seine Wirkung erziele. Auf den geringen zeitlichen Aufwand der Mitarbeiter des Musterklägers im Zusammenhang mit der gerichtlichen Durchsetzung von Verbraucherinteressen könne es nicht ankommen, weil der entsprechende Aufwand in solchen Fällen typischerweise ganz überwiegend bei beauftragten Rechtsanwälten liege.

Der Musterkläger sei außerdem nicht klagebefugt, weil sich nicht feststellen lasse, dass er Musterfeststellungsklagen nicht zum Zweck der Gewinnerzielung erhebe (§ 606 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 ZPO). Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die vom Musterkläger geführten Verfahren nicht nur im Verbraucherschutzinteresse, sondern auch im Gewinninteresse seiner anwaltlichen Mitglieder initiiert würden. Hierfür spreche, dass der Musterkläger im Jahr 2016 insgesamt 133.959,68 EUR für Rechts- und Beratungskosten aufgewandt habe.

II.

Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand, so dass die Revision zurückzuweisen ist. Das Oberlandesgericht hat zu Recht angenommen, dass die Musterfeststellungsklage unzulässig ist, weil sie nicht von einer qualifizierten Einrichtung nach § 606 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 1 Satz 2 ZPO erhoben worden ist.

1. Qualifizierte Einrichtungen in diesem Sinne sind die in § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Unterlassungsklagengesetzes bezeichneten Stellen, die die Voraussetzungen des § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 5 ZPO erfüllen und damit unter anderem als Mitglieder mindestens zehn Verbände, die im gleichen Aufgabenbereich tätig sind, oder mindestens 350 natürliche Personen haben (Nr. 1), in Erfüllung ihrer satzungsmäßigen Aufgaben Verbraucherinteressen weitgehend durch nicht gewerbsmäßige aufklärende oder beratende Tätigkeiten wahrnehmen (Nr. 3) und Musterfeststellungsklagen nicht zum Zwecke der Gewinnerzielung erheben (Nr. 4).

Bei den in § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO genannten Voraussetzungen handelt es sich um besondere Voraussetzungen der Klagebefugnis (vgl. BT-Drucks. 19/2439, S. 23) und damit um von Amts wegen zu prüfende Prozessvoraussetzungen (vgl. Röthemeyer, Musterfeststellungsklage, 2. Aufl., § 606 Rn. 48; Boese/Bleckwenn in Nordholtz/Mekat, Musterfeststellungsklage, § 4 Rn. 33; Felgentreu/Gängel, VuR 2019, 323, 328). Diese können im Wege des Freibeweises nachgewiesen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Mai 1991 IX ZB 81/90, WM 1991, 1652, 1653; zur Verbandsklagebefugnis nach § 8 Abs. 2 Nr. 3 UWG aF: BGH, Urteile vom 23. Oktober 2008 I ZR 197/06, NJW 2009, 1886 Rn. 12 und vom 17. August 2011 I ZR 223/10, juris Rn. 14 f.; zu § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG: BGH, Urteil vom 27. April 2017 I ZR 55/16, BGHZ 215, 12 Rn. 10; zu § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO: Röthemeyer aaO; Boese/Bleckwenn aaO; Felgentreu/ Gängel aaO; aA MünchKommZPO/Menges, 6. Aufl., § 606 Rn. 34 aE: Strengbeweis).

Die Tatsachen, aus denen sich die Klagebefugnis ergibt, müssen spätestens im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz vorgelegen haben und im Revisionsverfahren fortbestehen; sie sind vom Revisionsgericht selbständig festzustellen (vgl. BGH, Urteil vom 27. April 2017 I ZR 55/16, BGHZ 215, 12 Rn. 10 mwN).

2. Ausgehend hiervon hat das Oberlandesgericht im Ergebnis zutreffend angenommen, dass der Musterkläger nicht alle in § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO genannten Voraussetzungen erfüllt und die Musterfeststellungsklage damit als unzulässig abzuweisen ist.

a) Der Musterkläger hat nicht schlüssig vorgetragen, dass er mindestens 350 natürliche Personen als Mitglieder hat (§ 606 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO).

aa) Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung ist die letzte mündliche Verhandlung vor dem Oberlandesgericht. Dieses hat daher zu Recht auf den Mitgliederstand abgestellt, der sich aus der vom Musterkläger zuletzt mit nachgelassenem Schriftsatz bis zum 22.02.2019 fristgerecht vorgelegten Mitgliederliste ergibt, bei der es sich um (in einer Anlage ausgelagerten) Parteivortrag handelt.

bb) Das Oberlandesgericht ist weiter zutreffend davon ausgegangen, dass der Musterkläger nach dieser Liste nur über 148 Mitglieder im Sinne des § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO verfügt, weil die weiteren, in der Liste enthaltenen 274 Internetmitglieder wegen ihres fehlenden Stimmrechts nicht mitzuzählen sind.

Zu den Mitgliedern nach § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO gehören nur solche Verbände und natürliche Personen, die kraft der ihnen organschaftlich zustehenden Rechte in relevanter Weise auf das Verhalten und die Geschicke des Vereins Einfluss nehmen können (vgl. MünchKommZPO/Menges, 6. Aufl., § 606 Rn. 6; Riesner, ZIP 2019, 1507, 1514). Die Möglichkeit, in dieser Weise Einfluss zu nehmen, setzt ein Stimmrecht auf den Versammlungen des Vereins voraus. Da die Internetmitglieder des Musterklägers kein Stimmrecht haben, sind sie, wie das Oberlandesgericht zutreffend annimmt, bei der Berechnung der Mitgliederzahl nach § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO nicht mitzuzählen (aA Röthemeyer, Musterfeststellungsklage, 2. Aufl., § 606 Rn. 35; ders., BKR 2019, 301, 302; Rotter, VuR 2019, 283, 294; Felgentreu/Gängel, VuR 2019, 323, 324; BeckOK ZPO/Lutz, 38. Edition, Stand 01.09.2020, § 606 Rn. 33; Stadler in Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl., § 606 Rn. 7). Das den Internetmitgliedern nach der Satzung des Musterklägers (vgl. § 7 Nr. 1 und § 10 Nr. 3) zustehende Recht auf Teilnahme an Mitgliederversammlungen und das Recht zur Mitwirkung an der Einberufung von Mitgliederversammlungen reicht entgegen der Auffassung der Revision nicht aus, um auf das Verhalten und die Geschicke des Vereins in relevanter Weise Einfluss nehmen zu können.

Ein solches Verständnis des Mitgliedschaftsbegriffs weicht zwar vom vereinsrechtlichen Begriff der Mitgliedschaft ab, nach dem die Satzung abgestufte Mitgliedschaften bestimmen kann, die mit unterschiedlichen Rechten und Pflichten ausgestaltet sind (vgl. BAG, NJW 1996, 143, 151), und für deren Vorliegen das Recht auf Teilnahme an Mitgliederversammlungen und das Recht zur Mitwirkung an der Einberufung solcher nach § 37 BGB grundsätzlich ausreicht (vgl. BAG aaO; Palandt/Ellenberger, BGB, 79. Aufl., § 38 Rn. 2). An den Begriff des Mitglieds im Sinne des § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO sind wegen des vom Gesetzgeber mit den besonderen Tatbestandsmerkmalen der Klagebefugnis bei Musterfeststellungsverfahren verbundenen Zwecks aber höhere Anforderungen zu stellen. Durch die Beschränkung der Klagebefugnis auf besonders qualifizierte Einrichtungen soll sichergestellt werden, dass Musterfeststellungsklagen nur im Interesse betroffener Verbraucher und von Organisationen erhoben werden können, welche aufgrund ihrer bisherigen Tätigkeit die Gewähr für eine sachgerechte Aufgabenerfüllung und keine Anhaltspunkte für Missbrauch bieten (BT-Drucks. 19/2439, S. 23). Außerdem soll verhindert werden, dass sich Einrichtungen aus verbraucherschutzfremden Motiven gründen, nur um für einen bestimmten Einzelfall kurzfristig die Klagebefugnis zu erlangen (BT-Drucks. aaO). Vor diesem Hintergrund ist das Oberlandesgericht im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass Mitglieder im Sinne des § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO die Möglichkeit haben müssen, dafür zu sorgen, dass Musterfeststellungsklagen nicht aus verbraucherschutzfremden Motiven erhoben werden und dass der Verband in zeitlicher Hinsicht eine gewisse Stabilität aufweist. Das setzt wiederum eine gewisse Anzahl – die mit mindestens 350 gesetzlich vorgegeben ist – an Vereinsmitgliedern voraus, deren Willensbildung in den Versammlungen für eine fortlaufend sachgerechte an Verbraucherinteressen orientierte Aufgabenerfüllung des Vereins Sorge trägt. Eine solche vom Vereinszweck getragene Willensbildung ist nach Sinn und Zweck des § 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO nur möglich, wenn die nach Nr. 1 dieser Vorschrift vorgeschriebenen 350 Mitgliedschaften mit einem Stimmrecht ausgestaltet sind. Das ist beim Musterkläger zum maßgebenden Zeitpunkt nach der von ihm zuletzt vorgelegten Liste nur bei 148 und nicht bei mindestens 350 Vereinsmitgliedern der Fall.

cc) Darüber hinaus hat der Musterkläger durch die Vorlage einer anonymisierten Mitgliederliste die Voraussetzungen des § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO grundsätzlich nicht dargetan.

Wie der Bundesgerichtshof (vgl. Urteil vom 18. Oktober 1995 I ZR 126/93, BGHZ 131, 90, 92 ff.) zu der Voraussetzung der Klagebefugnis zu § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG in der bis zum 19. August 1997 geltenden Fassung (nachfol-gend: aF) bereits entschieden hat, genügt ein klagender Verband mit der auf eine anonymisierte Mitgliederliste gestützten Behauptung, er verfüge über die gesetzlich vorgeschriebene Mitgliederanzahl, nicht den an eine ordnungsgemäße Darlegung gestellten Anforderungen. Das gilt auch für die in § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO geregelte Voraussetzung der Klagebefugnis für Musterfeststellungsklagen (vgl. OLG Braunschweig, BKR 2019, 294 Rn. 10, 13 ff., bestätigt durch Senatsbeschluss vom 17. November 2020 XI ZB 1/19, n.n.v.; Stadler in Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl., § 606 Rn. 7; BeckOK ZPO/Lutz, 38. Edition, Stand 01.09.2020, § 606 Rn. 46a; aA Felgentreu/Gängel, VuR 2019, 323, 329), die als Prozessvoraussetzung vom Gericht von Amts wegen zu prüfen ist (siehe oben 1.).

Eine solche Prüfung ist dem Gericht, wenn der Musterkläger die Identität seiner Mitglieder nicht offenlegt, nicht möglich. Das Gericht kann anhand einer anonymisierten Mitgliederliste nicht überprüfen, ob die in der Liste nicht identifizierbaren Personen tatsächlich Mitglieder des Vereins sind, so dass es auch die Anzahl der tatsächlichen Vereinsmitglieder zum maßgebenden Zeitpunkt (siehe oben aa)) nicht feststellen kann.

Darüber hinaus ist es der beklagten Partei, welche die Darstellung der Angaben eines Verbandes zu seiner Mitgliederstruktur, wie hier, als nicht überprüfbar in Zweifel zieht, nicht zuzumuten, ohne die Bekanntgabe der Namen der Mitglieder des klagenden Verbandes von der Richtigkeit der Darstellung der Klagepartei auszugehen (vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 1995 I ZR 126/93, BGHZ 131, 90, 93 mwN). Es ist ein das rechtsstaatliche Verfahren beherrschender Grundsatz, dass der Prozessgegner die Möglichkeit haben muss, Kenntnis von allen entscheidungserheblichen Tatsachen zu nehmen und die Angaben der darlegungs- und beweisbelasteten Partei selbst nachzuprüfen. Dieses Recht gründet sich auf Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. BVerfG NJW 1995, 40) und auf den verfassungsrechtlichen Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG; BGH aaO). Die Grundsätze des deutschen Zivilverfahrensrechts lassen es in der Regel nicht zu, die von einer Partei geheim gehaltenen Tatsachen zu deren Gunsten zu verwerten (BVerfG aaO; BGH aaO). Eine davon abweichende Beurteilung kann zwar ausnahmsweise gerechtfertigt sein, wenn die darlegungs- und beweisbelastete Partei ein erhebliches rechtliches Interesse an der Geheimhaltung bestimmter innerbetrieblicher Informationen hat und dem Prozessgegner aus der Verwertung der geheim gehaltenen Tatsachen keine unzumutbaren Nachteile erwachsen. Anhaltspunkte für eine solche Ausnahme sind bei der Beurteilung der Verbandsklagebefugnis gemäß § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO, soweit es um die Bekanntgabe der Namen der Mitglieder des Verbandes geht, aber regelmäßig nicht festzustellen (vgl. zu § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG aF: BGH aaO, 93 f. mwN). Die Annahme der Revision, die Beklagte und andere Banken könnten die Mitglieder des Musterklägers als kritische Kunden einstufen und daher nicht mehr bereit sein, Geschäftsbeziehungen zu diesen zu unterhalten, ist durch nichts belegt.

b) Der Musterkläger erfüllt wie das Oberlandesgericht ebenfalls zutreffend festgestellt hat auch die Zulässigkeitsvoraussetzung des § 606 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO nicht. Aus dem Vortrag des Musterklägers ergibt sich nicht, dass dieser in Erfüllung seiner satzungsmäßigen Aufgaben Verbraucherinteressen weitgehend durch nicht gewerbsmäßige aufklärende oder beratende Tätigkeiten wahrnimmt.

aa) Die Überprüfung dieser Voraussetzung obliegt uneingeschränkt dem zur Entscheidung berufenen Gericht. Der gerichtlichen Prüfungskompetenz steht insbesondere nicht entgegen, dass § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO Überschneidungen mit den vom Bundesamt für Justiz in einem Verwaltungsverfahren zu prüfenden Eintragungsvoraussetzungen aufweist (vgl. Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 45, 47), die für die Aufnahme des Musterklägers in die Liste der qua-lifizierten Einrichtungen nach § 4 UKlaG erfüllt sein müssen (vgl. BeckOK ZPO/Lutz, 38. Edition, Stand 01.09.2020, § 606 Rn. 36; Felgentreu/ Gängel, VuR 2019, 323, 324).

bb)

(1) Um das Vorliegen der Voraussetzungen des § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO überprüfen zu können, muss der Musterkläger sowohl zu seinen nicht gewerbsmäßigen aufklärenden und beratenden Tätigkeiten als auch zu seinen sonstigen Tätigkeiten so vortragen, dass das Gericht eine Gewichtung vornehmen kann (vgl. Stadler in Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl., § 606 Rn. 8; BeckOK ZPO/Lutz, 38. Edition, Stand 01.09.2020, § 606 Rn. 36; Felgentreu/ Gängel, VuR 2019, 323, 329). Maßgebend hierfür ist nach dem Wortlaut des § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO nicht der Satzungsinhalt, sondern die (tatsächliche) Erfüllung der satzungsmäßigen Aufgabe, Verbraucherinteressen weitgehend durch nicht gewerbsmäßige aufklärende oder beratende Tätigkeiten wahrzunehmen. Entgegen der Meinung der Revision ist daher anders als nach § 13 Abs. 5 UWG in der bis zum 7. Juli 2004 geltenden Fassung (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 6. April 2000 I ZR 294/97, NJW 2001, 896) nicht von einer „Vermutung der satzungsgemäßen Tätigkeit“ auszugehen (aA Felgentreu/Gängel aaO). Der Musterkläger muss vielmehr hinreichende Angaben zu den von ihm tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten machen. Ein solches Verständnis wird durch die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 19/2439, S. 23) unterstützt, in denen ausgeführt wird, dass die gerichtliche Geltendmachung von Verbraucherinteressen auch „in der gelebten Praxis der Einrichtung nur eine untergeordnete Rolle spielen“ darf, was „durch geeignete Nachweise über die tatsächliche Tätigkeit zu belegen“ ist.

Entscheidend für die Erfüllung der Anforderungen nach § 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ZPO ist danach, dass der Verbraucherschutz, der durch die von der qualifizierten Einrichtung tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten erzielt wird, bei einer wertenden Gesamtbetrachtung ganz maßgebend auf eine nicht gewerbsmäßige Aufklärung oder Beratung zurückzuführen ist und der (außer)gerichtlichen Geltendmachung von Verbraucherinteressen nur eine untergeordnete Rolle daneben zukommt. Bei der anzustellenden Gesamtbetrachtung ist dem mit den verschiedenen Tätigkeiten verbundenen Personal- und Zeitaufwand indizielle Bedeutung beizumessen (vgl. BeckOK ZPO/Lutz, 38. Edition, Stand 01.09.2020, § 606 Rn. 36 aE; PG/Halfmeier, ZPO, 12. Aufl., § 606 Rn. 7; aA Felgentreu/ Gängel, VuR 2019, 323, 326), wobei auch der im Zusammenhang mit dem Betreiben von gerichtlichen Verfahren entstehende externe Aufwand zu berücksichtigen ist (vgl. Röthemeyer, Musterfeststellungsklage, 2. Aufl., § 606 Rn. 37). Darüber hinaus ist das Verhältnis der Einnahmen aus den Mitgliedsbeiträgen einerseits und der Einnahmen aus der (außer)gerichtlichen Geltendmachung von Verbraucherinteressen in Form von Abmahnpauschalen und Vertragsstrafen andererseits als Indiz heranzuziehen (vgl. BeckOK ZPO/Lutz, aaO; vgl. auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 22. August 2006 20 U 61/06, juris Rn. 8 zum Begriff „Abmahnverein“). Übersteigen die durch Abmahnpauschalen und Vertragsstrafen erzielten Einnahmen die eingenommenen Mitgliedsbeiträge um ein Vielfaches, spricht dies im Rahmen der wertenden Gesamtbetrachtung dafür, dass die (außer)gerichtliche Geltendmachung von Verbraucherinteressen beim Schutz der Verbraucher vor unredlichen Geschäftspraktiken keine nur untergeordnete Rolle spielt.

(2) Gemessen hieran hat das Oberlandesgericht zu Recht angenommen, dass der Musterkläger nicht dargelegt hat, er nehme Verbraucherinteressen weitgehend durch nicht gewerbsmäßige Aufklärung oder Beratung wahr.

Nach den nicht angegriffenen und vom Akteninhalt gedeckten Feststellungen des Oberlandesgerichts besteht die Tätigkeit des Musterklägers ganz überwiegend darin, durch Analyse der Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Kreditinstituten Rechtsverstöße zu identifizieren, die betreffenden Institute mit anwaltlicher Hilfe abzumahnen und die Fehlerhaftigkeit der Geschäftsbedingungen anschließend gerichtlich durchzusetzen, soweit die betreffenden Institute keine Unterlassungserklärungen abgeben.

Diese Tätigkeiten spielen beim Musterkläger nicht nur eine untergeordnete Rolle. Er hat vorgetragen, dass er in den 14 Jahren seines Bestehens 429 Unterlassungsklagen nach dem Unterlassungsklagengesetz erhoben habe, von denen „ca. ein Dutzend“ vom Bundesgerichtshof entschieden worden seien. Derzeit führe er jährlich ca. 100 Klageverfahren. Nach seinem Vortrag hat er im Jahr 2017 durch Abmahnpauschalen 196.975,07 € und durch Vertragsstrafen 343.712,46 € vereinnahmt. Im ersten Halbjahr 2018 betrugen die Einnahmen aus Abmahnpauschalen 282.381,75 € und aus Vertragsstrafen 302.526,40 €, mithin insgesamt 584.908,15 €. Darüber hinaus hat der Musterkläger Presseartikel vorgelegt, die darauf schließen lassen, dass er sich in gewichtigem Umfang mit der gerichtlichen und außergerichtlichen Durchsetzung von Verbraucherinteressen befasst. So heißt es in der Wirtschaftswoche vom 22. September 2014 „Ein kleiner Verein kämpft gegen die Großbanken“, „Gegen all diese Banken hat die Schutzgemeinschaft Verfahren vor den Landgerichten eingeleitet“ und „Wenn wir eine Klage einreichen, zeigen sich die Banken meist einsichtig“, in der Zeitschrift der Stiftung Warentest vom 13. Mai 2014 heißt es „Kreditbearbeitungsgebühren: Banken in der Schuld“, „In hunderten von Fällen hat Schutzgemeinschafts-Anwalt B. Klage erhoben und schon jetzt Dutzende von Verurteilungen erreicht“ und im Handelsblatt vom 7. Oktober 2014 heißt es „Banken auf Gebührenjagd“, „In den vergangenen Jahren hat [der Vorsitzende des Musterklägers] in knapp 3.400 Fällen Gebühren abgemahnt, die nach der aktuellen Rechtsprechung unlauter oder zumindest zweifelhaft sind“. In der weiter vorgelegten Stellungnahme des Musterklägers zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der zivilrechtlichen Durchsetzung von verbraucherschützenden Vorschriften des Datenschutzes aus dem Jahr 2014 findet sich unter anderem die Aussage des Musterklägers, dass dieser in den 10 Jahren seines Bestehens mehr als 5.000 missbräuchliche Klauseln deutscher Bankinstitute erfolgreich bekämpft und eine Vielzahl verbraucherschützender gerichtlicher Entscheidungen erstritten habe, so dass er über die erforderliche praktische und forensische Erfahrung verfüge, um zu dem Gesetzesvorhaben Stellung zu nehmen.

Auf der Grundlage dieses Vorbringens ist die Tätigkeit des Musterklägers im Bereich der gerichtlichen und außergerichtlichen Anspruchsdurchsetzung sowohl hinsichtlich der Einnahmen als auch in seiner Außendarstellung für den Musterkläger nicht nur von untergeordneter Bedeutung. Zwischen 97% und 99% der Einnahmen des Musterklägers in den angegebenen Zeiträumen stammen aus diesem Tätigkeitsfeld, so dass diese Einnahmen die Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen um ein Vielfaches übersteigen müssen. Dieser Befund korrespondiert mit der klägerischen Satzung, nach der drei der fünf Tätigkeitsfelder des Musterklägers die gerichtliche und außergerichtliche Durchsetzung von Verbraucherinteressen zum Gegenstand haben (§ 5 Nr. 3 bis 5 der Satzung).

Soweit der Musterkläger vorbringt, lediglich 10% der insgesamt für Vereinsaktivitäten aufgewendeten Zeit entfalle auf die „gerichtliche Tätigkeit“, insbesondere auf die Vorbereitung von Klagen und Zwangsmittelanträgen sowie auf die Zusammenarbeit mit Rechtsanwälten, und 100% seiner Zeit verwende er für die „außergerichtlichen Tätigkeiten“, ist dies bereits rechnerisch offensichtlich unschlüssig. Darüber hinaus lässt eine solche Betrachtung den Zeitaufwand unberücksichtigt, der bei den mit den Klageverfahren beauftragten Rechtsanwälten anfällt. Dieser Aufwand ist allein durch die Tätigkeit des Musterklägers veranlasst und diesem daher bei der hier anzustellenden wertenden Gesamtbetrachtung zuzuordnen (vgl. Röthemeyer, Musterfeststellungsklage, 2. Aufl., § 606 Rn. 37). Danach ist auch unter Berücksichtigung der vom Musterkläger gemachten Angaben zu seinen beratenden und aufklärenden Tätigkeiten nicht davon auszugehen, dass die (außer)gerichtliche Geltendmachung von Verbraucherinteressen beim Schutz der Verbraucher vor unredlichen Geschäftspraktiken bei ihm nur eine untergeordnete Rolle spielt.

c) Angesichts der nach § 606 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3 ZPO beim Musterkläger fehlenden Zulässigkeitsvoraussetzungen kommt es nicht mehr darauf an, ob dieser Musterfeststellungsklagen nicht zum Zwecke der Gewinnerzielung erhebt (§ 606 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 ZPO).

Vorinstanzen:
OLG Stuttgart, Urteil vom 20.03.2019, Az. 6 MK 1/18

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