BGH: Unternehmensentwicklungen dürfen kritisch kommentiert werden

veröffentlicht am 3. Oktober 2009

Rechtsanwältin Katrin ReinhardtBGH, Urteil vom 22.09.2009, Az. VI ZR 19/08
§§ 823, 1004 Abs. 1 BGB, Art. 5 GG

Der BGH hat die Äußerung „Ich glaube nicht, dass der Rücktritt (des Vorstandsvorsitzenden) freiwillig war. Ich glaube, dass er dazu gedrängt und genötigt wurde. … und das muss damit zusammenhängen, dass die Geschäfte nicht immer so sauber waren, die Herr S. geregelt hat.“ als zulässige Meinungsäußerung gewertet. Die Äußerungen des Beklagten dürften nicht isoliert gesehen, sondern müssen im Gesamtzusammenhang des Interviews bewertet werden.

Der erste Teil der Äußerung sei entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht als Tatsachenbehauptung, sondern als Werturteil einzustufen. Beim zweiten Teil habe es sich auch nicht um unzulässige Schmähkritik gehandelt, weil sich der Beklagte zu einem Sachthema von erheblichem öffentlichen Interesse geäußert habe und nicht die Herabsetzung der Person des klagenden Vorstandsvorsitzenden im Vordergrund stand. Bei der danach gebotenen Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsschutz der Kläger und dem Grundrecht des Beklagten auf freie Meinungsäußerung habe der Persönlichkeitsschutz der Kläger im vorliegenden Fall zurücktreten müssen. An der Bewertung der Geschäftstätigkeit des Vorstandsvorsitzenden eines Großunternehmens und dessen vorzeitigem Rücktritt bestehe ein großes öffentliches Interesse. Demgemäß müssen die Grenzen zulässiger Kritik gegenüber einem solchen Unternehmen und seinen Führungskräften weiter sein. Würde man solche Äußerungen am Tag des Ereignisses unterbinden, wäre eine öffentliche Diskussion aktueller Ereignisse von besonderem Öffentlichkeitswert in einer mit Art. 5 Abs. 1 GG nicht zu vereinbarenden Weise erschwert.

Vorinstanzen:
LG Hamburg, Urteil vom 19. Januar 2007, Az.
324 O 283/06
OLG Hamburg, Urteil vom 18. Dezember 2007, Az. 7 U 18/07

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