BGH: Wird eine einstweilige Verfügung per Urteil bestätigt, kann das Ordnungsgeld bereits vor Zustellung des Urteils verhängt werden

veröffentlicht am 30. Juli 2009

BGH, Beschluss vom 22.01.2009, Az. I ZB 115/07
§§ 890, 929, 945 ZPO

Der BGH hat darauf hingewiesen, dass eine per Urteil bestätigte einstweilige Verfügung bereits vor förmlicher Zustellung des Urteils, nämlich bereits mit Verkündung des Urteils, Wirkung entfaltet. Durch Urteil hatte das Landgericht der Schuldnerin im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel untersagt, für das Mittel „N. V. “ in einer näher bezeichneten Weise zu werben. Das Urteil war am Schluss der mündlichen Verhandlung in Abwesenheit der Parteien verkündet und der Schuldnerin am 12.01.2007 zugestellt worden. Der Gläubiger hatte beantragt, gegen die Schuldnerin ein angemessenes  Ordnungsmittel zu verhängen. Seinen Antrag hatte er darauf gestützt, dass die Schuldnerin nach Verkündung aber noch vor Zustellung des Urteils, im Internet in der verbotenen Weise geworben habe. Das Landgericht lehnte die Verhängung eines Ordnungsgeldes ab, das Oberlandesgericht gab ihr statt (5.000,00 EUR).

Der Bundesgerichtshof wies darauf hin, dass die Frage, ob eine durch Urteil erlassene Verbotsverfügung mit der  Verkündung des Urteils wirksam werde und vom Schuldner zu beachten sei, in Rechtsprechung und Literatur umstritten sei.

Teilweise werde angenommen, der Schuldner brauche eine mit einer Ordnungsmittelandrohung verbundene Verbotsverfügung noch nicht mit der Verkündung, sondern erst ab der Zustellung im Parteibetrieb zu beachten (LAG Bremen Rpfleger 1982, 481; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 22. Aufl., § 938  Rdn. 30; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 67. Aufl., § 936 Rdn. 9; Ahrens/Spätgens, Der Wettbewerbsprozess, 5. Aufl., Kap. 64 Rdn. 65; ähnlich Ahrens/Ahrens aaO Kap. 66 Rdn. 11 ff.). Begründet werde dies mit einer Schutzlücke auf Seiten des Schuldners, der das Verbot ansonsten bereits ab Verkündung beachten müsse, wenn er nicht die Verhängung eines Ordnungsmittels riskieren wolle, aber noch nicht durch die Schadensersatzpflicht des Gläubigers nach § 945 ZPO geschützt sei, wenn sich die einstweilige Verfügung als von Anfang an ungerechtfertigt erweise.

Nach der überwiegend vertretenen Gegenansicht sei eine durch Urteil erlassene Verbotsverfügung mit der Verkündung des Urteils wirksam und könne Grundlage einer Ordnungsmittelfestsetzung sein, wenn die Ordnungsmittelandrohung im Urteil enthalten sei (OLG Frankfurt ZZP 67 (1954), 70, 71; OLGZ 1982, 347, 349; OLG Stuttgart MDR 1962, 995, 996; KG MDR 1964, 155; OLG Hamburg WRP 1967, 324, 325; GRUR 1973, 425; WRP 1980, 341; 1994, 408, 409; OLG Bremen WRP 1979, 791, 792; OLG Hamm WRP 1980, 42; Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 890 Rdn. 21; Wieczorek/Schütze/Thümmel, ZPO, 3. Aufl., § 929 Rdn. 14; MünchKomm.UWG/Schlingloff, § 12 Rdn. 572; Köhler in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 27. Aufl., § 12 Rdn. 3.29; Piper in Piper/Ohly, UWG, 4. Aufl., § 12 Rdn. 141; Harte/Henning/Retzer, UWG, § 12, Rdn. 403; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 9. Aufl., Kap. 55 Rdn. 35; Fezer/Büscher, UWG, § 12 Rdn. 101; Berneke, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 2. Aufl., Rdn. 160; Bork, WRP 1989, 360, 365). Dem sei zuzustimmen.

Nach § 890 ZPO sei der Schuldner, der einer Verpflichtung schuldhaft zuwiderhandele, eine Handlung zu unterlassen, wegen jeder Zuwiderhandlung auf Antrag des Gläubigers von dem Prozessgericht des ersten Rechtszugs zu Ordnungsmitteln zu verurteilen, wenn der Zuwiderhandlung eine entsprechende Androhung vorausgegangen sei. Danach müsse die Zuwiderhandlung in zeitlicher Hinsicht der Androhung und der unbedingten Vollstreckbarkeit des Urteils nachfolgen. Beide Voraussetzungen seien im Streitfall erfüllt. Das Urteil, in dem die Androhung nach § 890 Abs. 2 ZPO bereits enthalten gewesen sei, sei mit der Verkündung existent geworden und sei ohne besondere Anordnung vorläufig vollstreckbar gewesen (§ 929 Abs. 1, § 936 ZPO). Das Verbot sei damit auch vom Schuldner zu beachten gewesen.

Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ergebe sich Gegenteiliges auch nicht aus Sinn und Zweck der allgemeinen Vorschriften über den Beginn der Zwangsvollstreckung und aus der Notwendigkeit, eine einstweilige Verfügung nach § 929 ZPO zu vollziehen.

Die Wirksamkeit der in einem verkündeten Urteil enthaltenen Verbotsverfügung sei auch nicht bis zum Zeitpunkt der Vollziehung nach § 929 Abs. 2 ZPO hinausgeschoben, weil ansonsten ein Wertungswiderspruch zu der Schadensersatzpflicht nach § 945 ZPO entstünde. Allerdings dürfe die Schadensersatzpflicht aus § 945 ZPO nicht später einsetzen als die strafbewehrte Verbindlichkeit des Unterlassungsgebots für den Schuldner. Sobald dieser das Verbot beachten und im Fall einer Zuwiderhandlung mit der Verhängung von Ordnungsmitteln rechnen müsse, müsse er auch durch § 945 ZPO geschützt sein (vgl. BGHZ 120, 73, 80). Derjenige, der die Vollstreckung aus einem noch nicht endgültigen Titel betreibe, solle das Risiko tragen, dass sich sein Vorgehen nachträglich als unberechtigt erweise (BGHZ 131, 141, 143). Andererseits setze die Schadensersatzpflicht nach § 945 ZPO einen irgendwie gearteten Vollstreckungsdruck voraus, der aber bereits durch die Androhung von Ordnungsmitteln erreicht werden könne (vgl. BGHZ 168, 352 Tz. 15). Dazu genüge die Androhung von Ordnungsmitteln in einer mit der Verkündung wirksam werdenden Urteilsverfügung. Zwar sei die in der Urteilsverfügung enthaltene Ordnungsmittelandrohung dem Erkenntnisverfahren zuzurechnen und unterliege insoweit denselben Rechtsmitteln, die gegen das Urteil eröffnet seien (BGH, Urteil vom 16.05.1991, Az. I ZR 218/89, GRUR 1991, 929, 931 = WRP 1993, 467 – Fachliche Empfehlung II). Daraus ergebe sich aber nicht, dass die im Urteil enthaltene Strafandrohung nicht auch einen ersten Schritt der Vollziehung i.S. des § 945 ZPO darstellten, der die Schadensersatzverpflichtung nach dieser Vorschrift auslösen könne, weil der Schuldner mit der Verkündung der Urteilsverfügung das Unterlassungsgebot bereits zu diesem Zeitpunkt strafbewehrt zu beachten habe. Dem daraus folgenden Risiko für den Gläubiger, sich Schadensersatzansprüchen nach § 945 ZPO bereits ab dem Zeitpunkt der Urteilsverkündung auszusetzen, könner dieser auf verschiedene Weise begegnen. Er könne davon absehen, bereits im Erkenntnisverfahren eine Ordnungsmittelandrohung zu beantragen, oder er könne vor der Verkündung der mit der Ordnungsmittelandrohung versehenen Urteilsverfügung dem Schuldner gegenüber die Erklärung abgeben, dass er für einen bestimmten Zeitraum – etwa bis zur Zustellung der Urteilsverfügung – keine Rechte aus dem Vollstreckungstitel herleite.

Vorinstanzen:
LG Essen, Entscheidung vom 12.03.2007, Az. 44 O 192/06
OLG Hamm, Entscheidung vom 28.08.2007, Az. 4 W 48/07

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