BGH: Zum dinglichen Charakter des einfachen Nutzungsrechts / Das Abstraktionsprinzip im Urheberrecht

veröffentlicht am 6. September 2009

BGH, Urteil vom 26.03.2009, Az.  I ZR 153/06
§§ 35, 41, 97 Abs. 1 UrhG

Das BGH hat zur Geltung des sog. Abstraktionsprinzips im Urheberrecht entschieden. Zu beantworten war die Frage, ob ein einfaches Nutzungsrecht nach Erlöschen des ausschließlichen (Mutter-) Nutzungsrechts, von welchem sich das einfache Nutzungsrecht ableitete, ebenfalls automatisch erlischt. Dies hat der BGH verneint. Das einfache Nutzungsrecht habe – wie auch das ausschließliche Nutzungsrecht – keinen schuldrechtlichen, sondern dinglichen Charakter. Der Lizenzgeber müsse dem Lizenznehmer das Nutzungsrecht daher nicht während der Dauer des Lizenzverhältnisses fortwährend in seinem Bestand vermitteln; vielmehr sei das Enkelrecht nach seiner Abspaltung vom Tochterrecht von dessen Fortbestand unabhängig.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

Der Kläger war Programmierer. Er behauptete, alleiniger Urheber des für Reifenhändler bestimmten Computerprogramms „Reifen Progressiv“ zu sein, an dessen Erstellung er jedenfalls maßgeblich beteiligt gewesen sei. Die A. GmbH besaß das ausschließliche Nutzungsrecht an diesem Programm einschließlich der Berechtigung, es zu verändern und weiterzuentwickeln. Sie räumte der Beklagten, einer Reifenhändlerin, mit Vertrag vom 24.09.1997 gegen einmalige Zahlung eines bestimmten Betrages ein einfaches Nutzungsrecht an der Software ein und schloss mit ihr am 31.10.1997 einen Programmwartungsvertrag, in dem sie sich verpflichtete, der Beklagten gegen Zahlung einer jährlichen Gebühr die jeweils neueste Version des Programms zur Verfügung zu stellen. Nachdem die A. GmbH ihren Geschäftsbetrieb im September 2001 eingestellt und später Insolvenzantrag gestellt hatte, erklärte der Kläger gegenüber der A. GmbH mit Schreiben vom 22.07.2003 gemäß § 41 UrhG den Rückruf des dieser eingeräumten ausschließlichen Nutzungsrechts. Die A. GmbH hatte im Jahre 2001 die P. AG mit dem Vertrieb des Computerprogramms betraut. Das Berufungsgericht hat der P. AG in einem Vorprozess die Verwendung des Programms mit der Begründung untersagt, der Kläger sei zumindest dessen Miturheber und habe einer Übertragung der Nutzungsrechte auf die P. AG nicht zugestimmt.

Der Kläger ist der Auffassung, mit dem wirksamen Rückruf des ausschließlichen Nutzungsrechts der A. GmbH sei auch das einfache Nutzungs- recht der Beklagten erloschen, so dass diese das Programm seitdem unbefugt nutze. Zudem verwende die Beklagte eine ohne seine Zustimmung durch die P. AG veränderte Version des Programms und verletze auch dadurch sein Urheberrecht. Er nahm die Beklagte auf Unterlassung und Schadensersatz bzw. Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung in Höhe eines in das Ermessen des Gerichts gestellten Betrages in Anspruch.

Die Frage, so der BGH, ob beim Erlöschen eines vom Urheberrecht (dem „Mutterrecht“) abgespaltenen ausschließlichen oder einfachen Nutzungsrechts (des „Tochterrechts“) die davon abgeleiteten ausschließlichen oder einfachen Nutzungsrechte (die „Enkelrechte“) gleichfalls erlöschen würden oder bestehen blieben, sei umstritten. Der Gesetzgeber habe für den Fall, dass der Inhaber des Rechts, der das Nutzungsrecht eingeräumt habe, auf sein Recht verzichte, mit der durch das Gesetz zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern vom 22.03.2002 (BGBl. I, S. 1155) eingefügten Regelung des § 33 Satz 2 UrhG bestimmt, dass die von ihm eingeräumten ausschließlichen und einfachen Nutzungsrechte wirksam blieben.

Dem Vorschlag des sogenannten Professorenentwurfs, darüber hinaus in § 33 Satz 3 UrhG zu regeln, dass im Übrigen die Nutzungsrechte erlöschen sollten, wenn das Recht, aufgrund dessen sie eingeräumt worden seien, wegfalle (GRUR 2000, 765, 766 und 775), habe der Gesetzgeber nicht entsprochen. Die Streitfrage, ob Nutzungsrechte späterer Stufe bestehen blieben, wenn das Nutzungsrecht früherer Stufe erlösche, solle nicht präjudiziert werden, sondern der Rechtsprechung zur Klärung überlassen bleiben (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drucks. 14/6433, S. 16). In der Rechtsprechung und im Schrifttum würden zu dieser Frage gegensätzliche Auf-fassungen vertreten [wurde mit Zitaten weiter ausgeführt].

Mit dem Gedanken der Zweckbindung der Nutzungsrechtseinräumung (vgl. etwa BGH, Urt. v. 22.1.1998 – I ZR 189/95, GRUR 1998, 680, 682 – Comic-Übersetzungen, m.w.N.) lasse sich zwar begründen, weshalb das Erlö-schen des zwischen dem Urheber und dem Nutzungsberechtigten geschlossenen Verpflichtungsgeschäfts zu einem Rückfall des auf dessen Grundlage eingeräumten Nutzungsrechts führe. Daraus sei aber nicht ohne weiteres zu schließen, dass zugleich die vom ersten Nutzungsberechtigten eingeräumten weiteren Nutzungsrechte an den Urheber zurückfielen. Die Einräumung dieser weiteren Nutzungsrechte habe ihre Grundlage nicht in der zwischen dem Urheber und dem ersten Nutzungsberechtigten, sondern in einer zwischen diesem und dem zweiten Nutzungsberechtigten geschlossenen Vereinbarung. Das Erlöschen des ersten Verpflichtungsgeschäfts habe grundsätzlich nicht das Erlöschen dieser weiteren Vereinbarung zur Folge.

Aus dem Grundsatz, dass niemand mehr Rechte vergeben könne, als er selbst besitzt, und dem Umstand, dass es im Urheberrecht keinen gutgläubigen Erwerb von Rechten gebe, lasse sich gleichfalls nicht herleiten, dass mit der Berechtigung des Inhabers eines Nutzungsrechts auch die Berechtigung des Inhabers eines davon abgeleiteten Nutzungsrechts ende. Vom Zeitpunkt der Beendigung des Vertrags und des Erlöschens des Nutzungsrechts an sei zwar der bis dahin Nutzungsberechtigte nicht mehr berechtigt, weitere Nutzungsrechte einzuräumen, und auch ein gutgläubiger Dritter nicht imstande, ein Nutzungsrecht von ihm zu erwerben. Dies stehe jedoch der Annahme nicht entgegen, dass der spätere Wegfall der Berechtigung des Verfügenden die Wirksamkeit seiner früheren Verfügungen unberührt lasse und die wirksam eingeräumten Enkelrechte rechtlich selbständig und vom Fortbestand des Tochterrechts unabhängig seien.

Das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Regelung des § 33 Satz 2 UrhG, wonach die ausschließlichen und einfachen Nutzungsrechte wirksam blieben, wenn der Inhaber des Rechts, der das Nutzungsrecht eingeräumt habe, auf sein Recht verzichte, erkennen lasse, dass der Verlust eines Nutzungsrechts nach der Vorstellung des Gesetzgebers nicht zum Entfallen der daraus abgeleiteten Nutzungsrechte führen müsse.

Entgegen der Ansicht der Revision habe das Berufungsgericht nicht übersehen, dass im Streitfall die Nutzungsrechtsüberlassung Dauerleistungscharakter hat und der Lizenzgeber nach dem Erlöschen seines Nutzungsrechts nicht mehr die Rechtsmacht habe, seinem Lizenznehmer das Nutzungsrecht weiterhin zu vermitteln (vgl. W. Nordemann, GRUR 1970, 174, 175). Das einfache Nutzungsrecht habe – wie auch das ausschließliche Nutzungsrecht – keinen schuldrechtlichen, sondern dinglichen Charakter (Schricker/Schricker, Urheberrecht, vor §§ 28 ff. UrhG Rdn. 49 m.w.N. auch zur Gegenansicht). Der Lizenzgeber müsse dem Lizenznehmer das Nutzungsrecht daher nicht während der Dauer des Lizenzverhältnisses fortwährend in seinem Bestand vermitteln, vielmehr sei das Enkelrecht nach seiner Abspaltung vom Tochterrecht von dessen Fortbestand unabhängig (vgl. Wohlfahrt aaO S. 151).

Bei der gebotenen Abwägung der Interessen des Urhebers einerseits und des Sublizenznehmers andererseits sei im Falle eines – hier gegebenen – Rückrufs von Nutzungsrechten nach § 41 UrhG die dieser Bestimmung zugrunde liegende Wertung zu berücksichtigen. Die Vorschrift des § 41 Abs. 5 UrhG regele zwar allein, dass mit dem Wirksamwerden eines Rückrufs das zurückgerufene Nutzungsrecht erlösche; ob die aus dem zurückgerufenen Nutzungsrecht abgeleiteten Nutzungsrechte erlöschen oder fortbestehen würden, sei in § 41 UrhG dagegen nicht ausdrücklich bestimmt. Die dieser Regelung zu entnehmende gesetzliche Wertung spreche jedoch dafür, dass beim wirksamen Rückruf eines ausschließlichen Nutzungsrechts wegen Nichtausübung die davon abgeleiteten einfachen Nutzungsrechte bestehen blieben.

Nach § 41 Abs. 1 Satz 1 UrhG könne der Urheber ein ausschließliches Nutzungsrecht zurückrufen, wenn dieses von seinem Inhaber nicht oder nur unzureichend ausgeübt werde und dadurch berechtigte Interessen des Urhebers erheblich verletzt würden. Da die Bestimmung nicht zwischen ausschließlichen Nutzungsrechten erster oder späterer Stufe unterscheide, komm es nicht darauf an, ob der Urheber selbst das ausschließliche Nutzungsrecht vergeben oder der Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrechts seinerseits das ausschließliche Nutzungsrecht als ein Recht zweiter oder späterer Stufe eingeräumt habe. Der Urheber kann könne den Rückruf daherauch gegenüber dem Inhaber eines abgeleiteten ausschließlichen Nutzungsrechts erklären. Mit dem Wirksamwerden des Rückrufs falle ein solches ausschließliches Nutzungsrecht weiterer Stufe unmittelbar an den Urheber zurück.

Gegenstand des Rückrufs könne nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Regelung allerdings stets nur ein ausschließliches Nutzungsrecht sein. Das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung nach § 41 UrhG diene dem ideellen Interesse des Urhebers am Bekanntwerden seines Werkes (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. IV/270, S. 60) und seinem materiellen Interesse an dessen Verwertung. Ein einfaches Nutzungsrecht versperre dem Urheber nicht eine anderweitige Nutzung und steht daher einer Verwertung und einem Bekanntwerden seines Werkes nicht entgegen (Schricker/Schricker, Urhe-berrecht aaO § 41 UrhG Rdn. 11 m.w.N.).

Der Urheber werde beim wirksamen Rückruf eines ausschließlichen Nutzungsrechts demnach nicht übermäßig in einer Nutzung seines Rechts beeinträchtigt, wenn die vom ausschließlich Nutzungsberechtigten erteilten einfachen Nutzungsrechte fortbestünden. Diese hinderten ihn nicht daran, aufgrund des an ihn zurückgefallenen ausschließlichen Nutzungsrechts neue Nutzungsrechte zu vergeben. Da er der Erteilung weiterer Nutzungsrechte durch den Inhaber des ausschließlichen Nutzungsrechts zugestimmt habe (§ 35 Abs. 1 Satz 1 UrhG), müsse er es hinnehmen, dass sein ausschließliches Nutzungsrecht beim Rückfall mit einfachen Nutzungsrechten belastet sei.

Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 16.11.2005, Az. 28 O 349/05
OLG Köln, Entscheidung vom 14.07.2006, Az. 6 U 224/05

I