BGH: Zur Frage, wann ein Apotheker ausnahmsweise ohne ärztliche Verordnung ein verschreibungspflichtiges Medikament an Kunden abgeben darf

veröffentlicht am 21. Juli 2015

BGH, Urteil vom 08.01.2015, AZ. I ZR 123/13
§ 4 Nr. 11 UWG, § 48 Abs. 1 AMG, § 4 Abs. 1 AMVV

Der BGH hat entschieden, dass ein Apotheker in einem Ausnahmefall, wenn auf andere Art und Weise eine erhebliche, akute Gesundheitsgefährdung des Patienten nicht abzuwenden ist, ein verschreibungspflichtiges Medikament gemäß § 34 StGB analog auch ohne ärztliches Rezept oder telefonische Anweisung eines Arztes (nach vorheriger Patientenuntersuchung) herausgeben darf. Im vorliegenden Fall wurde ein solcher Ausnahmetatbestand aber abgelehnt. Bei einem fehlenden Rezept über ein blutdrucksenkendes Mittel hätte ohne Ausfallerscheinung vorher der ärztliche Notdienst aufgesucht werden können. Zum Volltext der Entscheidung:

Bundesgerichtshof

Urteil

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 08.01.2015 durch … für Recht erkannt:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 13. Juni 2013 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage mit Ausnahme der Anträge auf Auskunft über Vor- und Nachnamen der Kunden und auf Zahlung eines Betrags von mehr als 1.099,00 EUR nebst Zinsen abgewiesen worden ist.

Auf die Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers wird das Urteil der 7. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Ravensburg vom 15. November 2012 unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsmittel teilweise abgeändert (Urteilsformel zu 2 und 4) und insoweit wie folgt neu gefasst:

2.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft darüber zu erteilen, seit wann und in welchem Umfang Handlungen gemäß Ziffer 1 begangen wurden unter genauer Angabe der Bezeichnung und Menge des Arzneimittels aufgeschlüsselt nach Monaten.

4.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.099 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 27. August 2011 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.

Tatbestand

Die Parteien betreiben jeweils eine Apotheke in A.

Die Kundin E. , der das verschreibungspflichtige, blutdrucksenkende Medikament Tri Normin 25 bereits seit Jahren ärztlich verordnet wurde, pflegte die Rezepte beim Kläger einzulösen. Auch am Samstag, dem 26. Februar 2011, erschien sie zunächst in der Apotheke des Klägers, um das Arzneimittel zu erwerben. Ihr war das Medikament ausgegangen und sie hatte es versäumt, sich bei ihrem Arzt eine neue Verordnung ausstellen zu lassen. Eine Mitarbeiterin des Klägers lehnte die Abgabe des Medikaments ohne Verordnung ab und verwies die Kundin auf den 15 Kilometer entfernten ärztlichen Notdienst in Bad S. . Die Kundin E. suchte daraufhin die Apotheke der Beklagten auf und erhielt dort eine Packung des Mittels mit 100 Tabletten ohne ärztliche Verordnung.

Der Kläger sieht in dem Verhalten der Beklagten einen Verstoß gegen das Verbot der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel ohne Rezept. Er hat die Beklagte auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Zahlung von Abmahnkosten in Anspruch genommen und die Feststellung der Schadensersatzverpflichtung der Beklagten begehrt.

Die Beklagte macht geltend, die Zeugin sei dringend auf das von ihr regelmäßig eingenommene Medikament angewiesen gewesen, das nach Auskunft einer mit der Beklagten befreundeten Ärztin habe unbedenklich an die Zeugin abgegeben werden können.

Das Landgericht hat die Beklagte unter Androhung von Ordnungsmitteln verurteilt, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr verschreibungspflichtige Arzneimittel an Verbraucher ohne ärztliche Verschreibung abzugeben, wenn dies geschieht wie im Fall Frau H. E. , der am 26. Februar 2011 von der Beklagten das Arzneimittel Tri Normin in einer Verpackungsgröße von 100 Stück ohne Vorliegen einer ärztlichen Verordnung verkauft wurde.

Außerdem hat das Landgericht die Beklagte zur Auskunft verurteilt und ihre Verpflichtung zum Schadenersatz festgestellt. Abmahnkosten hat es dem Kläger unter Abweisung seines insoweit weitergehenden Antrags in Höhe von 507,50 € zuzüglich Zinsen zugesprochen.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht unter Zurückweisung der Anschlussberufung des Klägers die Klage abgewiesen (OLG Stuttgart, Urteil vom 13. Juni 2013 2 U 193/12, juris).

Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts sowie die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung weiterer Abmahnkosten in Höhe von 872,30 € zuzüglich Zinsen.

Entscheidungsgründe

I.
Das Berufungsgericht hat angenommen, dem Kläger stünden gegen die Beklagte weder ein Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 und 3 Nr. 1, §§ 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 48 AMG noch die darauf bezogenen Folgeansprüche und Abmahnkosten zu. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Die Beklagte habe zwar gegen die Bestimmung des § 48 AMG verstoßen, die eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG sei. Die Abgabe des Arzneimittels ohne Rezept sei nicht nach § 4 Abs. 1 der Arzneimittelverschreibungsverordnung zulässig gewesen. Die Beklagte habe gewusst, dass die Kundin E. über keine Verschreibung eines behandelnden Arztes verfügt habe. Nachdem die Beklagte zunächst erfolglos versucht habe, den behandelnden Arzt über seine Privatnummer zu erreichen, habe sie die ihr bekannte Ärztin Dr. F. angerufen, die ihr nach Schilderung des Sachverhalts erklärt habe, sie könne das Medikament an die Patientin abgeben. Damit seien die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 AMVV nicht erfüllt. Eine keinen Aufschub duldende Gesundheitsgefährdung der Kundin habe nicht bestanden. Diese habe beim Besuch der Apotheke der Beklagten unter keinen Ausfallerscheinungen gelitten. Auch die Beklagte sei davon ausgegangen, dass das Medikament noch fortwirke. Wie der Beklagten bewusst gewesen sei, hätte die Patientin ohne weiteres den ärztlichen Notdienst im 15 Kilometer entfernten Bad S. aufsuchen können, um ein Rezept zu erhalten.

Trotz des Verstoßes der Beklagten gegen § 48 AMG sei die Klage jedoch unbegründet, weil es unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Falls an der erforderlichen Spürbarkeit der Beeinträchtigung der Interessen der Verbraucher und der Mitbewerber im Sinne von § 3 Abs. 1 UWG fehle. Die Beklagte habe sich in einem außergewöhnlichen Entscheidungskonflikt befunden. Sie habe gewusst, dass die Patientin wegen ihrer gravierenden Krankheitsgeschichte auf das Medikament angewiesen gewesen sei. Nachdem die Beklagte vergeblich versucht habe, den behandelnden Arzt zu erreichen, habe sie die Erklärung der Ärztin Dr. F. , sie könne das Medikament an die Patientin abgeben, aus juristischer Laiensicht als Verschreibung durch diese Ärztin verstehen können. Mangels Spürbarkeit des Wettbewerbsverstoßes seien auch die weiteren vom Kläger geltend gemachten Ansprüche unbegründet.

II.
Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben weitgehend Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückweisung der Berufung der Beklagten mit Ausnahme des Antrags des Klägers auf Auskunft über Vor- und Nachnamen der Kunden sowie auf die Anschlussberufung des Klägers zur Abänderung des landgerichtlichen Urteils und zur Verurteilung der Beklagten zur Zahlung weiterer Abmahnkosten in Höhe von 591,50 EUR nebst Zinsen. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht die Spürbarkeit des Wettbewerbsverstoßes der Beklagten verneint. Die Verurteilung der Beklagten erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Abmahnkosten stehen dem Kläger aus einem höheren als dem vom Landgericht angenommenen Wert zu.

1.
Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft angenommen, der von ihm bejahte Verstoß der Beklagten gegen § 48 AMG sei aufgrund der Umstände des Streitfalls nicht spürbar im Sinne von § 3 Abs. 1 UWG.

a)
Das in § 48 AMG geregelte Verbot der Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel ohne Verschreibung ist eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG. Es wirkt sich unmittelbar auf den Wettbewerb zwischen Apotheken aus (MünchKomm.UWG/Schaffert, 2. Aufl., § 4 Nr. 11 Rn. 295; von Jagow in Harte/Henning, UWG, 3. Aufl., § 4 Nr. 11 Rn. 50; Großkomm.UWG/Metzger, 2. Aufl., § 4 Nr. 11 Rn. 100; vgl. OLG Düsseldorf, GRUR 1987, 295) und dient dem Schutz der Patienten vor gefährlichen Fehlmedikationen (vgl. Hofmann in Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, § 48 Rn. 6 f.; Heßhaus in Spickhoff, Medizinrecht, 2. Aufl., § 48 AMG Rn. 1; Pabel, PharmR 2009, 499).

Der Anwendung des § 4 Nr. 11 UWG steht im Streitfall nicht entgegen, dass die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken keinen dieser Vorschrift vergleichbaren Unlauterkeitstatbestand kennt. Die Richtlinie 2005/29/EG bezweckt gemäß ihrem Art. 4 allerdings die vollständige Harmonisierung der Vorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken, soweit sie die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher beeinträchtigen. Gemäß ihrem Art. 3 Abs. 3 sowie ihrem Erwägungsgrund 9 bleiben die Rechtsvorschriften der Union und der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten jedoch unberührt. Dabei kommt im Streitfall hinzu, dass durch § 48 AMG der Titel VI und insbesondere Art. 71 der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in das deutsche Recht umgesetzt wird (vgl. Rehmann, Arzneimittelgesetz, 4. Aufl., § 48 Rn. 1). Die Anwendung des § 4 Nr. 11 UWG steht daher mit der Richtlinie 2005/29/EG im Einklang, soweit Marktverhaltensregelungen – wie hier – dem Schutz der Gesundheit und Sicherheit von Verbrauchern dienen (vgl. nur BGH, Urteil vom 9. September 2010 I ZR 193/07, GRUR 2010, 1136 Rn. 13 = WRP 2010, 1482 – UNSER DANKESCHÖN FÜR SIE; Urteil vom 13. Dezember 2012 I ZR 161/11, GRUR 2013, 857 Rn. 11 = WRP 2013, 1024 – Voltaren).

b)
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Verstöße gegen Marktverhaltensregelungen, die den Schutz der Gesundheit der Verbraucher bezwecken, ohne weiteres geeignet, die Interessen der Verbraucher im Sinne von § 3 Abs. 1 UWG spürbar zu beeinträchtigen (BGH, Urteil vom 26. März 2009 I ZR 213/06, BGHZ 180, 355 Rn. 34 Festbetragsfestsetzung; Urteil vom 4. November 2010 I ZR 139/09, GRUR 2011, 633 Rn. 36 = WRP 2011, 858 BIO TABAK). Diese Beurteilung wird, soweit ersichtlich, in der Literatur einhellig geteilt (vgl. nur Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 32. Aufl., § 3 Rn. 149; Podszun in Harte/Henning aaO § 3 Rn. 149; Ullmann in Ullmann, jurisPK-UWG, 3. Aufl., § 3 Rn. 76; Lehmler in Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz Urheberrecht Medienrecht, 3. Aufl., § 3 UWG Rn. 55).

c)
Danach sind Verstöße gegen die in § 48 AMG geregelte Verschreibungspflicht stets spürbar. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts lässt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für einzelfallbezogene Abwägungen, aufgrund derer die Spürbarkeit verneint werden kann, in diesem Zusammenhang keinen Raum. Anders als die Revisionserwiderung meint, kommt es nicht darauf an, ob die bisherige Senatsrechtsprechung zu dieser Frage durchweg zu Fällen einer an das allgemeine Publikum gerichteten Werbung oder zu Fallgestaltungen ergangen ist, in denen der in Anspruch Genommene als Arzneimittelhersteller aufgetreten war und seine beanstandete geschäftliche Aktivität von vornherein auf eine Vielzahl von Fällen ausgerichtet hat. Das hohe Schutzgut der menschlichen Gesundheit und die großen Gefahren, die mit einer Fehlmedikation verschreibungspflichtiger Medikamente verbunden sind, erfordern es vielmehr, Verstöße gegen die Verschreibungspflicht grundsätzlich als unlauter anzusehen.

2.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler einen Verstoß der Beklagten gegen § 48 AMG bejaht.

a)
Nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 AMG dürfen Arzneimittel, die durch Rechtsverordnung nach Absatz 2 bestimmte Stoffe, Zubereitungen aus Stoffen oder Gegenstände sind oder denen solche Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen zugesetzt sind, nur bei Vorliegen einer ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Verschreibung an Verbraucher abgegeben werden. Auf der Grundlage des § 48 Abs. 2 AMG ist die Verordnung über die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln vom 21. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3632) ergangen. Nach § 1 AMVV dürfen Arzneimittel, die die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllen, nur bei Vorliegen einer ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Verschreibung abgegeben werden, wenn in der Arzneimittelverschreibungsverordnung nichts anderes bestimmt ist. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass das Arzneimittel Tri Normin 25 der Verschreibungspflicht unterfällt. Die Voraussetzungen eines Ausnahmetatbestands nach der Arzneimittelverschreibungsverordnung sind im Streitfall nicht erfüllt. In Betracht kommt allein § 4 Abs. 1 AMVV. Diese Bestimmung greift vorliegend nicht ein.

aa)
Nach § 4 Abs. 1 AMVV kann die verschreibende Person den Apotheker in geeigneter Weise, insbesondere fernmündlich, über die Verschreibung und deren Inhalt unterrichten, wenn die Anwendung eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels keinen Aufschub erlaubt. Der Apotheker hat sich über die Identität der verschreibenden Person Gewissheit zu verschaffen. Die verschreibende Person hat dem Apotheker die Verschreibung in schriftlicher oder elektronischer Form unverzüglich nachzureichen.

Die Darlegungs- und Beweislast für diesen Ausnahmetatbestand trifft die Beklagte (vgl. allgemein BGH, Urteil vom 19. November 2009 I ZR 186/07, GRUR 2010, 160 Rn. 15 = WRP 2010, 250 Quizalofop).

bb)
Wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, setzt § 4 Abs. 1 AMVV eine eigene Therapieentscheidung des behandelnden Arztes auf der Grundlage einer vorherigen, regelgerechten eigenen Diagnose voraus, die der Verschreibung vorausgeht. Die Bestimmung des § 4 Abs. 1 AMVV sieht keinen Verzicht auf die ärztliche Verschreibung vor. Vielmehr gestattet sie lediglich, dass der Apotheker über die bereits erfolgte Verschreibung in geeigneter Weise, insbesondere fernmündlich, unterrichtet werden kann (vgl. Cyran/Rotta, Apothekenbetriebsordnung, § 17 Rn. 712 (Stand September 2012)). Dabei ist es nach dem vom Gesetz vorausgesetzten Regelfall der Arzt, der von sich aus den Apotheker unterrichtet. Allerdings wird es zu Recht als ausreichend angesehen, wenn der Apotheker den behandelnden Arzt anruft, um festzustellen, ob eine entsprechende Verschreibung vorliegt (vgl. LG Berlin, StV 1997, 309; Weber, BtMG, 4. Aufl., § 48 AMG Rn. 22). Demgegenüber fehlt es an der erforderlichen Therapieentscheidung des Arztes, wenn ein Apotheker einen Arzt, der den Patienten nicht kennt und deshalb zuvor nicht untersucht hat und nicht behandelnder Arzt des Patienten ist, um Zustimmung zur Abgabe eines Medikaments bittet. § 4 Abs. 1 AMVV lässt es nicht zu, dass der Apotheker einen Arzt erst zu einer Verschreibung für einen ihm unbekannten Patienten veranlasst.

So liegt es indes im Streitfall. Die Beklagte hat von sich aus die mit ihr befreundete Ärztin Dr. F. angerufen, um von ihr zu erfahren, ob die der Ärztin unbekannte und von ihr zu keinem Zeitpunkt untersuchte Kundin E. das Medikament erhalten dürfe. Auch wenn Frau Dr. F. daraufhin das Medikament verschrieben haben sollte, könnte dies den Tatbestand des § 4 Abs. 1 AMVV nicht erfüllen.

b)
Die Abgabe des Medikaments durch die Beklagte ist auch nicht unter dem Aspekt eines rechtfertigenden Notstands analog § 34 StGB gerechtfertigt.

aa)
Falls auf andere Art und Weise eine erhebliche, akute Gesundheitsgefährdung des Patienten (vgl. Weber aaO § 48 AMG Rn. 19) nicht abzuwenden ist, kann die Abgabe eines verschreibungspflichtigen Medikaments durch den Apotheker in engen Grenzen im Einzelfall analog § 34 StGB in Betracht kommen, obwohl ihm weder ein Rezept vorgelegt wird noch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 AMVV erfüllt sind (vgl. Cyran/Rotta aaO § 17 Rn. 707, 718; Pfeil/Pieck/Blume, Apothekenbetriebsordnung, § 17 Rn. 45 (Stand 2014)). Um festzustellen, ob ein solcher Sachverhalt vorliegt, kann der Apotheker Auskünfte anderer Ärzte einholen, wenn der den Patienten behandelnde Arzt nicht erreicht werden kann.

bb)
Im Streitfall kann sich die Beklagte auf diesen Rechtfertigungsgrund indes nicht mit Erfolg berufen.

(1)
Das Berufungsgericht hat angenommen, die Beklagte habe nicht dargelegt, dass die Anwendung des verschreibungspflichtigen Arzneimittels wegen des Gesundheitszustands der Patientin keinen Aufschub mehr erlaubt hätte. Vielmehr habe eine ärztliche Kontrolle und eine darauf aufbauende Verschreibung durch den ärztlichen Notdienst im nur 15 Kilometer entfernten Bad S. abgewartet werden können. Die einem Geschäftstermin ihres Ehemanns in der Schweiz vorgeschaltete Ausflugsreise hätte ohne nennenswerte Umwege am Samstag über Bad S. erfolgen können. Die Beklagte habe zwar geltend gemacht, dass bei der an Bluthochdruck leidenden Patientin ohne Einnahme des schon seit Jahren verordneten Medikaments noch am Wochenende ein lebensbedrohlicher Zustand hätte eintreten können. Damit werde aber eine zeitnahe, unmittelbar bevorstehende gesundheitliche Gefährdung nicht dargelegt. Die Patientin habe auch noch keine Ausfallerscheinungen gezeigt.

(2)
Diese Beurteilung lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung erlaubt die Anwendung eines Arzneimittels nicht schon dann zur Abwendung einer erheblichen, akuten Gesundheitsgefährdung keinen Aufschub, wenn einem Patienten die verordnete regelmäßige Einnahme eines Medikaments nicht möglich ist, falls ihm das Medikament nicht unverzüglich ausgehändigt wird. Die Frage, ob die Anwendung des Arzneimittels keinen Aufschub erlaubt, hängt auch im Fall der Unterbrechung einer regelmäßigen Einnahme davon ab, wann diese Unterbrechung für den Patienten ernsthafte Konsequenzen haben kann. Deshalb ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht eine zeitnahe, unmittelbar bevorstehende gesundheitliche Gefährdung der Patientin E. mit der Erwägung verneint hat, die Beklagte habe selbst eine Fortwirkung des blutdrucksenkenden Mittels nach der letzten Einnahme vorgetragen.

Die mit dem Aufsuchen des ärztlichen Notdienstes im nahegelegenen Bad S. verbundene kurzfristige Verzögerung der nächsten Medikamenteneinnahme konnte unter diesen Umständen von der Patientin wie
das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat ohne weiteres hingenommen werden.

Anders als die Revisionserwiderung meint, wird dem Apotheker bei dieser Beurteilung nicht zugemutet, mit der Medikamentenabgabe zuzuwarten, bis der Patient kurz vor einer lebensbedrohlichen Situation steht. Entscheidend ist vielmehr, dass die Beklagte nicht dargelegt hat, die Patientin E. hätte erhebliche, akute gesundheitliche Beeinträchtigungen zu befürchten gehabt, wenn sie den Notdienst in Bad S. aufgesucht hätte.

3.
Das Berufungsgericht hat es deshalb zu Recht als Verstoß gegen § 48 Abs. 1 AMG angesehen, dass die Beklagte der Kundin E. unter den näher festgestellten Umständen das Medikament Tri Normin 25 ausgehändigt hat. Es kommt deshalb nicht mehr auf den weiteren Vortrag des Klägers an, die Beklagte habe auch im Fall Fr. H. gegen § 48 AMG verstoßen, weil dieser am 6. November 2012 in ihrer Apotheke ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel ohne gültiges Rezept erwerben konnte.

III.
Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben. Da weitere Feststellungen nicht erforderlich sind, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO).

1.
Der Unterlassungsantrag des Klägers ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, und nach §§ 8, 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 48 Abs. 1 AMG begründet.

2.
Die Anträge des Klägers auf Auskunft und Schadensersatzfeststellung sind gemäß § 9 UWG, § 242 BGB ebenfalls weitgehend begründet.

Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, fällt der Beklagten jedenfalls Fahrlässigkeit zur Last. Maßgeblich ist im Streitfall der Sorgfaltsmaßstab eines Angehörigen der Fachkreise der Apotheker und nicht wovon das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft ausgegangen ist derjenige eines juristischen Laien. Danach konnte die Beklagte als Apothekerin, die mit den einschlägigen Vorschriften über die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel vertraut sein musste, ohne weiteres erkennen, dass der Patientin E. eine Fahrt zum ärztlichen Notdienst nach Bad S. zuzumuten war. Stattdessen hat sie sich, nachdem der behandelnde Arzt nicht erreichbar war, pflichtwidrig für die Abgabe des Medikaments auf die telefonische Auskunft der ihr bekannten Ärztin Dr. F. verlassen, die die Patientin E. weder untersucht hatte noch überhaupt kannte.

Ungeachtet der Beschränkung des Unterlassungsantrags auf die konkrete Verletzungsform steht dem Kläger ein Auskunftsanspruch für kerngleiche Handlungen zu.

Allerdings ist der Auskunftsantrag nur zum Teil begründet. Die Angabe der Vor- und Nachnamen der Kunden, an die von der Beklagten Arzneimittel ohne Verschreibung abgegeben worden sind, kann der Kläger nicht verlangen. Die Weitergabe dieser Daten ist der Beklagten nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB im Hinblick auf das berechtigte Interesse der betroffenen Patienten an der Wahrung der Vertraulichkeit ihrer persönlichen Daten untersagt. Die Namen der Kunden sind zur Durchsetzung des für den Kläger in Betracht kommenden Schadenersatzanspruchs nicht erforderlich.

3.
Die Anschlussberufung des Klägers ist überwiegend begründet.

Das Landgericht hat dem Kläger auf der Grundlage eines Streitwerts von 7.000,00 EUR Abmahnkosten einschließlich Auslagenpauschale in Höhe von 507,50 EUR zuzüglich Zinsen zugesprochen. Auf die Streitwertbeschwerde des Klägers hat das Berufungsgericht den Streitwert im Berufungsurteil auf 32.000,00 EUR festgesetzt. Die dem Kläger zustehenden Abmahnkosten berechnen sich auf dieser Grundlage aus einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr gemäß Anlage 2 zu § 13 Abs. 1 RVG aF von 1.079,00 EUR zuzüglich der Auslagenpauschale von 20,00 EUR, so dass sie insgesamt 1.099,00 EUR betragen.

Nachdem das Landgericht dem Kläger nur 507,50 EUR zugesprochen hat, ist die Beklagte auf die Anschlussberufung zur Zahlung weiterer 591,50 EUR zu verurteilen. Im Übrigen ist die Anschlussberufung unbegründet.

IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 92 Abs. 2 Nr. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

Vorinstanzen:
LG Ravensburg, Entscheidung vom 15.11.2012, Az. 7 O 76/11 KfH 1
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 13.06.2013, Az. 2 U 193/12 (2 W 2/13)

I