EuGH: Das portugiesische Verbot von Glücksspielen im Internet ist mit EU-Recht vereinbar

veröffentlicht am 11. September 2009

EuGH, Urteil vom 08.09.2009, Az. C?42/07
Art. 49, 234 EGV

In diesem Vorabentscheidungsersuchen hatte der EuGH über das portugiesische Verbot von Glücksspielen im Internet zu befinden und kam zu folgendem Entschluss: Art. 49 EG steht einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegen, nach der Wirtschaftsteilnehmer wie die Bwin International Ltd, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind, in denen sie rechtmäßig entsprechende Dienstleistungen erbringen, im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats keine Glücksspiele über das Internet anbieten dürfen. Zu dem Verfahren hatten nahezu alle europäischen Mitgliedsstaaten schriftliche Stellungnahmen abgegeben.

Im Wesentlichen führte der EuGH Folgendes aus:

Art. 49 EG verlangt die Aufhebung jeder Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs – selbst wenn sie unterschiedslos für inländische Dienstleistende wie für solche aus den anderen Mitgliedstaaten gilt -, sofern sie geeignet ist, die Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, in dem er rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 25. Juli 1991, Säger, C?76/90, Slg. 1991, I?4221, Randnr. 12, und vom 3. Oktober 2000, Corsten, C?58/98, Slg. 2000, I?7919, Randnr. 33). Im Übrigen gilt die Dienstleistungsfreiheit sowohl zugunsten des Dienstleistenden als auch des Dienstleistungsempfängers (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 31. Januar 1984, Luisi und Carbone, 286/82 und 26/83, Slg. 1984, 377, Randnr. 16).

Eine Regelung eines Mitgliedstaats, die es in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Dienstleistungserbringern wie Bwin untersagt, in seinem Hoheitsgebiet Dienstleistungen über das Internet anzubieten, stellt eine Beschränkung des in Art. 49 EG verbürgten freien Dienstleistungsverkehrs dar (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. November 2003, Gambelli u. a., C?243/01, Slg. 2003, I?13031, Randnr. 54).

Mit einer solchen Regelung wird außerdem die Freiheit der Einwohner des betreffenden Mitgliedstaats beschränkt, über das Internet Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, die in anderen Mitgliedstaaten angeboten werden.

Zu prüfen ist, inwieweit die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Beschränkung im Rahmen der Ausnahmeregelungen, die in den nach Art. 55 EG auf diesem Gebiet anwendbaren Art. 45 EG und 46 EG ausdrücklich vorgesehen sind, zulässig oder gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofs aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist.

Art. 46 Abs. 1 EG lässt Beschränkungen zu, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind. Darüber hinaus hat die Rechtsprechung eine Reihe von zwingenden Gründen des Allgemeininteresses herausgestellt wie die Ziele des Verbraucherschutzes, der Betrugsvorbeugung, der Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu überhöhten Ausgaben für das Spielen und der Verhütung von Störungen der sozialen Ordnung im Allgemeinen (vgl. Urteil Placanica u. a., Randnr. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Wie von den meisten Mitgliedstaaten, die beim Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, ausgeführt, gehört die Regelung der Glücksspiele zu den Bereichen, in denen beträchtliche sittliche, religiöse und kulturelle Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bestehen. In Ermangelung einer Harmonisierung des betreffenden Gebiets durch die Gemeinschaft ist es Sache der einzelnen Mitgliedstaaten, in diesen Bereichen im Einklang mit ihrer eigenen Wertordnung zu beurteilen, welche Erfordernisse sich aus dem Schutz der betroffenen Interessen ergeben (vgl. u. a. Urteile vom 14. Dezember 1979, Henn und Darby, 34/79, Slg. 1979, 3795, Randnr. 15, vom 24. März 1994, Schindler, C?275/92, Slg. 1994, I?1039, Randnr. 32, vom 20. November 2001, Jany u. a., C?268/99, Slg. 2001, I?8615, Randnrn. 56 und 60, sowie Placanica u. a., Randnr. 47).

Allein der Umstand, dass ein Mitgliedstaat ein anderes Schutzsystem als ein anderer Mitgliedstaat gewählt hat, kann keinen Einfluss auf die Beurteilung der Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit der einschlägigen Bestimmungen haben. Diese sind allein im Hinblick auf die von den zuständigen Stellen des betroffenen Mitgliedstaats verfolgten Ziele und auf das von ihnen angestrebte Schutzniveau zu beurteilen (Urteile vom 21. September 1999, Läärä u. a., C?124/97, Slg. 1999, I?6067, Randnr. 36, und vom 21. Oktober 1999, Zenatti, C?67/98, Slg. 1999, I?7289, Randnr. 34).

Somit steht den Mitgliedstaaten zwar frei, die Ziele ihrer Politik auf dem Gebiet der Glücksspiele festzulegen und gegebenenfalls das angestrebte Schutzniveau genau zu bestimmen, doch müssen die von ihnen vorgeschriebenen Beschränkungen den sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebenden Anforderungen an ihre Verhältnismäßigkeit genügen (Urteil Placanica u. a., Randnr. 48).

Daher ist im vorliegenden Fall insbesondere zu prüfen, ob die mit den im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Rechtsvorschriften verfügte Beschränkung des Anbietens von Glücksspielen über das Internet geeignet ist, die Verwirklichung eines oder mehrerer der von dem betroffenen Mitgliedstaat geltend gemachten Ziele zu gewährleisten, und ob sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des Ziels oder der Ziele erforderlich ist. Auf jeden Fall dürfen die Beschränkungen nicht diskriminierend angewandt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil Placanica u. a., Randnr. 49).

In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass eine nationale Regelung nur dann geeignet ist, die Verwirklichung des geltend gemachten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, es in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen (Urteil vom 10. März 2009, Hartlauer, C?169/07, Slg. 2009, I?0000, Randnr. 55).

Nach Angaben der portugiesischen Regierung und von Santa Casa besteht das mit der nationalen Regelung verfolgte Ziel hauptsächlich in der Bekämpfung der Kriminalität, genauer im Schutz der Glücksspieler vor Betrug durch die Anbieter.

Dazu ist festzustellen, dass die Bekämpfung der Kriminalität ein zwingender Grund des Allgemeininteresses sein kann, der geeignet ist, Beschränkungen hinsichtlich der Wirtschaftsteilnehmer zu rechtfertigen, denen es gestattet ist, Dienstleistungen im Glücksspielsektor anzubieten. Glücksspiele bergen nämlich in Anbetracht der Höhe der Beträge, die mit ihnen eingenommen werden können, und der Gewinne, die sie den Spielern bieten können, eine erhöhte Gefahr von Betrug und anderen Straftaten.

Der Gerichtshof hat ferner anerkannt, dass eine begrenzte Erlaubnis von Spielen im Rahmen eines Ausschließlichkeitsrechts den Vorteil bietet, den Spielbetrieb in kontrollierte Bahnen zu lenken und die Gefahren eines auf Betrug und andere Straftaten ausgerichteten Spielbetriebs auszuschalten (vgl. Urteile Läärä u. a., Randnr. 37, und Zenatti, Randnr. 35).

Die portugiesische Regierung macht geltend, die Verleihung von Ausschließlichkeitsrechten für die Veranstaltung von Glücksspielen an Santa Casa erlaube es, den Betrieb eines überwachten und sicheren Systems sicherzustellen. Zum einen belege das weit zurückreichende, sich über mehr als fünf Jahrhunderte erstreckende Bestehen von Santa Casa die Zuverlässigkeit dieser Einrichtung. Zum anderen arbeite Santa Casa in enger Abhängigkeit von der portugiesischen Regierung. Der rechtliche Rahmen der Glücksspiele, die Satzung von Santa Casa und die Beteiligung der Regierung an der Ernennung der Mitglieder der Verwaltungsorgane von Santa Casa erlaubten dem Staat eine wirksame Aufsicht über Letztere. Dieses durch Recht und Satzung errichtete System gebe dem Staat hinreichende Sicherheiten für die Einhaltung der Vorschriften zur Wahrung der Redlichkeit der von Santa Casa veranstalteten Glücksspiele.

Aus dem oben in den Randnrn. 12 bis 19 geschilderten nationalen rechtlichen Rahmen ergibt sich, dass die Organisation und der Betrieb von Santa Casa Beweggründen und Anforderungen folgen, die auf Ziele von öffentlichem Interesse abstellen. Der Abteilung Spiele von Santa Casa sind die Befugnisse einer Verwaltungsbehörde verliehen worden, um Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen des unzulässigen Betriebs von Glücksspielen, die ausschließlich Santa Casa zugewiesen worden sind, zu organisieren und zu betreiben.

Die Verleihung von Ausschließlichkeitsrechten für den Betrieb von Glücksspielen über das Internet an einen einzigen, einer engen Überwachung durch die öffentliche Gewalt unterliegenden Wirtschaftsteilnehmer wie Santa Casa kann es unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens ermöglichen, den Betrieb dieser Spiele in kontrollierte Bahnen zu lenken, und ist geeignet, die Verbraucher vor Betrug durch die Anbieter zu schützen.

Zur Frage der Erforderlichkeit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung bringt die portugiesische Regierung vor, die Behörden eines Mitgliedstaats hätten in Bezug auf nicht gebietsansässige Wirtschaftsteilnehmer, die ihre Dienstleistungen über das Internet anböten, nicht die gleichen Überwachungsmöglichkeiten wie im Fall eines Wirtschaftsteilnehmers wie Santa Casa.

Dazu ist festzustellen, dass der Sektor der über das Internet angebotenen Glücksspiele in der Gemeinschaft nicht harmonisiert ist. Ein Mitgliedstaat darf deshalb die Auffassung vertreten, dass der Umstand allein, dass ein Wirtschaftsteilnehmer wie Bwin zu diesem Sektor gehörende Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat, in dem er niedergelassen ist und in dem er grundsätzlich bereits rechtlichen Anforderungen und Kontrollen durch die zuständigen Behörden dieses anderen Mitgliedstaats unterliegt, rechtmäßig über das Internet anbietet, nicht als hinreichende Garantie für den Schutz der nationalen Verbraucher vor den Gefahren des Betrugs und anderer Straftaten angesehen werden kann, wenn man die Schwierigkeiten berücksichtigt, denen sich die Behörden des Sitzmitgliedstaats in einem solchen Fall bei der Beurteilung der Qualitäten und der Redlichkeit der Anbieter bei der Ausübung ihres Gewerbes gegenüber sehen können.

Außerdem bergen die Glücksspiele über das Internet, verglichen mit den herkömmlichen Glücksspielmärkten, wegen des fehlenden unmittelbaren Kontaktes zwischen dem Verbraucher und dem Anbieter anders geartete und größere Gefahren in sich, dass die Verbraucher eventuell von den Anbietern betrogen werden.

Zudem kann die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, dass ein Wirtschaftsteilnehmer, der für manche der Sportwettbewerbe, auf die er Wetten annimmt, sowie für manche der daran beteiligten Mannschaften als Sponsor auftritt, eine Stellung innehat, die es ihm erlaubt, den Ausgang dieser Wettbewerbe unmittelbar oder mittelbar zu beeinflussen und so seine Gewinne zu erhöhen.

Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Beschränkung in Anbetracht der Besonderheiten, die mit dem Anbieten von Glücksspielen über das Internet verbunden sind, als durch das Ziel der Bekämpfung von Betrug und anderen Straftaten gerechtfertigt angesehen werden kann.“

I