KG Berlin: Zu der Frage, wann eine Abmahnung/eV rechtsmissbräuchlich ist, weil sie den Gegner wirtschaftlich schädigt / Glücksspiel

veröffentlicht am 23. September 2009

KG Berlin, Urteil vom 30.03.2009, Az. 24 U 145/08
§ 5 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 GlüStV, §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1, 3 Nr. 1 UWG

Das KG Berlin hat sich in dieser Entscheidung sehr ausführlich mit der Frage der Zulässigkeit (Rechtsmissbräuchlichkeit) eines Antrags auf einstweilige Verfügung befasst, und zwar unter den Gesichtspunkten, dass 1) die Anwälte die Rechtsverstöße angeblich selbst ermittelten, 2) die Abmahnung lediglich darauf aus sei, den Beklagten wirtschaftlich zu schädigen, 3) es sich um eine sog. Mehrfachinanspruchnahme handele und 4) die Klägerin selbst wettbewerbswidrig handele (sog. Unclean-Hands-Einwand). Im Weiteren führte das Kammergericht ausführlich zu der Zulässigkeit von Werbung für Glücksspiel im Sinne des Glücksspielstaatsvertrages aus.
Das Vorgehen der Klägerin sei nicht als rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 8 Abs. 4 UWG anzusehen.

Ein Missbrauch der Antragsbefugnis liege vor, wenn der Anspruchsberechtigte mit der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolge und diese als die eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung erschienen (BGH, GRUR 2001, 82; KG WRP 2008, 511). Das Vorliegen eines Missbrauchs sei jeweils im Einzelfall „unter Berücksichtigung der gesamten Umstände“ zu beurteilen (BGH GRUR 2001, 354, 355). Maßgebend seien die Motive und Zwecke der Geltendmachung des Anspruchs, die aber in der Regel nur aus äußeren Umständen erschlossen werden könnten. Als typischen Beispielsfall nenne das Gesetz die Geltendmachung eines Anspruchs, der „vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen“. Davon sei auszugehen, wenn der Anspruchsberechtigte kein nennenswertes wirtschaftliches oder wettbewerbspolitisches Interesse an der Rechtsverfolgung haben könne. Maßgebend sei dabei die Sichtweise eines wirtschaftlich denkenden Unternehmers (BGH GRUR 2001, 260, 261).

Soweit die Beklagte den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs darauf stütze, dass die beauftragten Rechtsanwälte der Klägerin hier „in eigener Regie“ tätig geworden seien, insbesondere selbst vermeintliche Wettbewerbsverstöße erst ermittelt hätten, ist ein solches Vorgehen in der Rechtsprechung als Rechtsmissbrauch im Sinne des § 8 Abs. 4 UWG anerkannt (vgl. OLG Köln, GRUR 1993, 571; OLG München WRP 1992, 270). Davon zu unterscheiden sei aber der hier vorliegende Sachverhalt, dass die Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit für eine andere Mandantin Beweismaterial gesichert hätten, die Klägerin durch einen Bericht über rechtliche Entwicklungen auf dem Glücksspielmarkt im Zusammenhang mit Vorbereitungen für ein Genehmigungsverfahren von dieser Tatbestandsaufnahme erfahren habe und sodann um wettbewerbsrechtliche Einschätzung und ggf. wettbewerbsrechtliche Rechtsverfolgung gebeten habe, weil sie die Relevanz des gesammelten Materials für ihre eigenen Interessen erkannt habe. Dass die Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin regelmäßig auf eigene Initiative auf die Suche nach zum Geschäftsbereich der Klägerin oder anderen potentiell Interessierten „passenden“ Verstößen gingen, um sodann ihre Dienste zum Zwecke der für sie einträglichen Rechtsverfolgung anzubieten, sei weder ersichtlich noch von der Beklagten näher dargetan worden.

Allein aus der Tatsache, dass die Klägerin außer den beiden gegen sie anhängig gemachten Verfahren wegen wettbewerbswidriger Werbung weitere sechs Verfahren wegen vergleichbarer Verstöße gegen einzelne Annahmestellen der Beklagten angestrengt habe, könnten hier Rückschlüsse auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Klägerin nicht gezogen werden. Zwar habe der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Rechtsverfolgung in getrennten Verfügungsverfahren gegen mehrere Unterlassungsschuldner, die eine gemeinschaftliche Werbeanzeige geschaltet hätten, rechtsmissbräuchlich sein könne, wenn diese einen einheitlichen Gerichtsstand hätten und durch denselben Anwalt vertreten würden (BGH, GRUR 2006, 243). Diese Rechtsprechung habe aber jedenfalls für das vorliegend zu entscheidende Verfahren bereits deshalb keine Relevanz, weil die Inanspruchnahme der Beklagten als Veranstalterin der Lotterie „Lotto 6 aus 49″ und anderer Glücksspiele, die gemäß § 8 Abs. 2 UWG für die von ihren Annahmestellen betriebene Werbung verantwortlich sei, prozessökonomischer sei als die Inanspruchnahme der Inhaber der einzelnen Annahmestellen. Dass die Klägerin im Übrigen in zwei getrennten Prozessen gegen unterschiedliche Werbungen der Beklagten vorgehe, könne ihr nicht vorgeworfen werden, weil die in dem Parallelverfahren zum Geschäftszeichen 103 O 182/08 des Landgerichts Berlin geltend gemachten Wettbewerbsverstöße später und zu einem Zeitpunkt festgestellt worden seien, als gegen die in hiesigem Rechtsstreit ergangene einstweilige Verfügung bereits Widerspruch eingelegt und Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt worden sei.

Schließlich habe die Klägerin konkrete Anhaltspunkte für ihre Behauptung, die Klägerin handle ausschließlich in der Absicht, sie im Wettbewerb zu behindern beziehungsweise zu schädigen, nicht dargetan. Ihr Argument, der Klägerin ginge es ausschließlich um die Beseitigung des staatlichen Monopols für den Glücksspielmarkt in Deutschland sei dafür nicht geeignet. Ein solches Ziel der Klägerin könne als Argument dafür, ihr beim Vorgehen gegen einzelne Wettbewerbsverstöße staatlicher Wett- und Glücksspielveranstalter pauschal rechtmissbräuchliche Absichten zu unterstellen, nicht herhalten. Würde man sämtlichen Marktteilnehmern, die sich gerichtlich gegen das staatliche Wett- und Glücksspielmonopol zur Wehr setzen würden oder zur Wehr gesetzt hätten oder ein wirtschaftliches Interesse an dessen Beseitigung hätten, eine eigene Klagebefugnis in Bezug auf einzelne Wettbewerbsverstöße der staatlichen Wett- und Glückspielveranstalter absprechen, gäbe es kaum noch Möglichkeiten, die Vertriebs- und Werbemethoden dieser Unternehmen einer gerichtlichen Überprüfung zuzuführen. Das könne nicht im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes sein, zumal die verfassungs- und europarechtliche Zulässigkeit des staatlichen Glücksspielmonopols (§ 5 Abs. 1 AG GlüStV) ebenso wie die des staatlichen Wettmonopols an eine konsequente Umsetzung seines damit verfolgten Ziels der Suchtbekämpfung geknüpft seien (zu den Erfordernissen einer Vereinbarkeit mit der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 43 und 49 EG vgl. EuGH, Rs. C-243/01, Urt.v. 6.11.2003 – Gambelli, EuZW 2004, 115, 116 Rnrn. 62, 67, 69; Rs. C-338/04, C-359/04, C-360/04, Urt.v. 06.03.2007 – Placanica, EuZW 2007, 209, 212 Rnr. 53); zu den Erfordernissen einer Vereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1 GG vgl. Grundsatzurteil des BVerfG vom 28.03.3006 – 1 BvR 1054/01, ZfWG 2006,16, 30, Rdnrn. 142-157).

Der Klägerin fehle auch nicht das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis für ihren Antrag. Bei wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsklagen ergebe sich das Rechtsschutzbedürfnis regelmäßig aus dem behaupteten materiell-rechtlichen Unterlassungsanspruch, dessen Bestehen insoweit zu unterstellen sei (Köhler, a.a.O., § 12 UWG, Rnr. 2.15 unter Hinweis auf BGH, GRUR 1973, 208, 209). Das Rechtsschutzbedürfnis entfalle nur ausnahmsweise, nämlich wenn das Gericht unnütz, unlauter oder prozesszweckwidrig bemüht werde (BGH, GRUR 1976, 256, 257). Dafür sei vorliegend nichts ersichtlich. Der von der Beklagten geltend gemachte Einwand, die Klägerin selbst verhalte sich wettbewerbswidrig und sei deshalb nicht schutzwürdig, sei materiell-rechtlicher Natur und könne deshalb im Rahmen der Prüfung des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses keine Berücksichtigung finden (BGH, GRUR 2005, 519).

Doch finde der Einwand, dass das Begehren der Klägerin treuwidrig sei, weil sie sich selbst wettbewerbswidrig verhalte, da sie durch ihr Angebot im Internet gegen die Vorschriften des GlüStV verstoße (so genannter „unclean-hands-Einwand“ ) auch insoweit keine Berücksichtigung. Der Einwand, der Gläubiger handele in vergleichbarer Weise wettbewerbswidrig, sei nämlich immer dann von vornherein unbeachtlich, wenn durch den Wettbewerbsverstoß nicht lediglich Interessen des einzelnen Mitbewerbers, sondern auch der Allgemeinheit berührt seien (vgl. KG, GRUR 2002, 93, 94). Das sei hier der Fall. Es gehe nämlich bei den zu beachtenden Einschränkungen der Werbung für den Bereich des Glückspiels gemäß § 5 GlüStV unter Berücksichtigung des Regelungszwecks des GlüStV um die Bekämpfung der Spielsucht und damit um Aspekte der Volksgesundheit und des auch aus Sozialstaatsgründen im Interesse der Allgemeinheit liegenden Schutzes Suchtabhängiger vor Ausbeutung (OLG Oldenburg, GRUR-RR 2009, 67, 69).

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