LAG Niedersachsen: Ein Rechtsanwalt darf bei Anreise zu Verhandlungstermin zwischen eigenem Pkw und Bahnfahrt wählen

veröffentlicht am 25. August 2011

LAG Niedersachsen, Beschluss vom 17.06.2011, Az. 17 Ta 520/10
Nr. 7003 VV RVG

Das LAG Niedersachsen hat entschieden, dass bei der Festsetzung der Reisekosten für einen Rechtsanwalt dem Rechtsanwalt ein Wahlrecht zusteht zwischen der Anreise per Pkw oder Bahn (1. Klasse), soweit die geltend gemachten Reisekosten nicht diejenigen übersteigen, die bei einem am Wohnort des Klägers ansässigen Anwalt zu erstatten gewesen wären. Die Höhe der zu erstattenden Reisekosten richte sich, so die Kammer, nach VV 7003 bis 7006. Nach VV 7003 sind bei Benutzung eines eigenen KfZ für jeden gefahrenen km 0,30 Euro zu erstatten. Zitat: „Die Fahrtkosten eines anderen Verkehrsmittels werden – soweit sie angemessen sind – in voller Höhe erstattet. Zu ersetzen sind dem Rechtsanwalt bei Benutzung anderer Verkehrsmittel gemäß VV 7004 daher die tatsächlichen Aufwendungen, soweit sie angemessen sind. Dabei darf der Anwalt frei wählen, ob er mit der Bahn oder mit seinem eigenen KfZ fährt. Was gem. § 5 Abs. 1 JVEG für die Reisekosten einer Partei gilt, muss auch für den Rechtsanwalt gelten. Es ist keine Vergleichsberechnung hinsichtlich der Kosten mit dem eigenen KfZ und der Bahn durchzuführen. Es sind nicht nur die Kosten des billigeren Verkehrsmittels zu erstatten (Gerold/Schmidt, aaO., Rn 21 zu VV 7003, 7004). Gerade in Zeiten des Klimaschutzes wird man den Bahn fahrenden Anwalt nicht auf die PKW-Benutzung verweisen können. Grundsätzlich sind dem Anwalt die Auslagen für die Benutzung der 1. Wagenklasse – soweit sie tatsächlich entstanden sind – zu vergüten. Auch die Benutzung eines Taxis ist allgemein als angemessen anzusehen.“ Zum Volltext der Entscheidung:


Landesarbeitsgericht Niedersachsen

Beschluss

Auf die Beschwerde des Klägervertreters vom 10.05.2011 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Hildesheim vom 19.04.2011 abgeändert:

Die dem beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskasse zu zahlende Prozesskostenhilfevergütung gem. § 45 RVG wird auf 1.042,68 EUR festgesetzt.

Dieser Beschluss ergeht gerichtsgebührenfrei.

Gründe

I.
Das Arbeitsgericht Hildesheim hat mit Beschluss vom 15.10.2010 dem Kläger auf seinen Antrag hin Prozesskostenhilfe ab 18.05.2010 für die erste Instanz – bis auf den mit der Klage geltend gemachten Antrag zu 5) – bewilligt und ihm im Wege der Prozesskostenhilfe den in D-Stadt ansässigen Beschwerdeführer zu den Bedingungen eines im Bezirk des Arbeitsgerichts Hildesheim ansässigen Anwalts beigeordnet.

Der/Die zuständige Urkundsbeamte/in der Geschäftsstelle beim Arbeitsgericht Hildesheim hat mit Beschluss vom 28.12.2010 die gem. § 45 RVG aus der Staatskasse an den Anwalt zu zahlende Vergütung auf 1.037,09 EUR festgesetzt. In dieser festgesetzten Vergütung sind Fahrtkosten für den durch das Arbeitsgericht anberaumten Termin am 10.08.2010 in Höhe von lediglich 39,00 EUR berücksichtigt. Hiergegen richtet sich das als Erinnerung ausgelegte Schreiben des Beschwerdeführers vom 30.12.2010, beim Arbeitsgericht am 10.01.2011 eingegangen, mit dem er begehrt, die Fahrtkosten – wie beantragt – auf 43,70 EUR statt der berücksichtigten 39,00 EUR festzusetzen, mithin insgesamt 1.042,68 EUR statt der festgesetzten 1.037,09 EUR.

Zur Begründung verweist er darauf, dass bei der vorliegenden einschränkenden Beiordnung im PKH-Beschluss vom 18.05.2010 auf die weiteste Entfernung zwischen dem Gerichtssitz und der Grenze des Gerichtsbezirks abzustellen sei. Die von ihm geltend gemachten Fahrtkosten seien nicht höher als die Fahrtkosten für die weiteste Entfernung zwischen dem Gerichtssitz und der Grenze des Gerichtsbezirks des Arbeitsgerichts Hildesheim. Mit Beschluss vom 20.01.2011 half die zuständige Rechtspflegerin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle der Erinnerung des Klägervertreters vom 30.12.2010 gegen die Absetzung vom 28.12.2010 nicht ab und legte den Vorgang der zuständigen Vorsitzenden zur Entscheidung vor. Diese hat die Erinnerung mit dem angegriffenen Beschluss vom 19.04.2011 zurückgewiesen und die Beschwerde gesondert zugelassen. Mit am 10.05.2011 per Fax beim Arbeitsgericht Hildesheim eingegangenen Schriftsatz legte der Klägervertreter gegen diesen Beschluss Beschwerde ein. Die zuständige Richterin hat daraufhin auch der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen zur Entscheidung vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

II.

1.
Die am 10.05.2011 per Fax beim Arbeitsgericht Hildesheim eingegangene sofortige Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hildesheim vom 19.04.2011, die ihm am 28.04.2011 zugestellt wurde, ist statthaft. Die Beschwerde wurde in dem angegriffenen Beschluss zugelassen. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt worden und ist somit insgesamt gem. §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 RVG zulässig.

2.
Die Beschwerde ist auch begründet.

2.1
Ein nicht im Bezirk des angerufenen Arbeitsgerichts niedergelassener Rechtsanwalt kann gem. § 121 Abs. 3 ZPO i. V. m. § 11 a Abs. 3 ArbGG – auch bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen für die Bestellung eines Verkehrsanwalts – im Rahmen der Gewährung von Prozesskostenhilfe beigeordnet werden, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen. Weitere Kosten i. S. v. § 121 Abs. 2 ZPO entstehen grundsätzlich dann nicht, wenn die Entfernung seines Kanzleisitzes zum Gerichtsort kürzer ist als die größtmögliche Strecke eines Ortes innerhalb des Bezirks des angerufenen Arbeitsgerichts zum Sitz des Gerichtstages (Zöller-Philippi, ZPO Kommentar, 28. Auflage § 121 Rn 13 b). Im Regelfall sind die Reisekosten des im Rahmen der Prozesskostenhilfebewilligung beigeordneten Rechtsanwalts gem. § 121 Abs. 3 ZPO i. V. m. § 11 a Abs. 3 ArbGG daher auf die Kosten zu beschränken, die einem im Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalts entstehen würden. Dies bedeutet allerdings nicht, dass ohne weiteres die Reisekosten des im Gerichtsbezirk am weitesten vom Gericht entfernt niedergelassenen Anwalts zu erstatten wären. Das Gegenteil ergibt sich auch nicht aus § 121 Abs. 3 ZPO. Auch die im Gerichtsbezirk wohnhafte Partei kann nämlich ebenfalls nicht ohne besondere Gründe einen weiter vom Gericht entfernt niedergelassenen Anwalt wählen, wenn sie selbst am Gerichtsstandort bzw. jedenfalls näher am Gerichtsstandort wohnt. Es sind daher maximal die Reisekosten des beigeordneten Anwalts zu vergüten, die angefallen wären, wenn die Partei den ihr am nächsten ansässigen Anwalt des Gerichtsbezirks mandatiert hätte (Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl., Rn 26 b zu § 46).

2.2
Letztlich kommt es hierauf im Streitfall allerdings nicht an, denn die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Reisekosten übersteigen nicht diejenigen, die bei einem am Wohnort des Klägers ansässigen Anwalt zu erstatten gewesen wären.

Die Höhe der zu erstattenden Reisekosten richtet sich nach VV 7003 bis 7006. Nach VV 7003 sind bei Benutzung eines eigenen KfZ für jeden gefahrenen km 0,30 Euro zu erstatten. Die Fahrtkosten eines anderen Verkehrsmittels werden – soweit sie angemessen sind – in voller Höhe erstattet. Zu ersetzen sind dem Rechtsanwalt bei Benutzung anderer Verkehrsmittel gemäß VV 7004 daher die tatsächlichen Aufwendungen, soweit sie angemessen sind. Dabei darf der Anwalt frei wählen, ob er mit der Bahn oder mit seinem eigenen KfZ fährt. Was gem. § 5 Abs.1 JVEG für die Reisekosten einer Partei gilt, muss auch für den Rechtsanwalt gelten. Es ist keine Vergleichsberechnung hinsichtlich der Kosten mit dem eigenen KfZ und der Bahn durchzuführen. Es sind nicht nur die Kosten des billigeren Verkehrsmittels zu erstatten (Gerold/Schmidt, aaO., Rn 21 zu VV 7003, 7004). Gerade in Zeiten des Klimaschutzes wird man den Bahn fahrenden Anwalt nicht auf die PKW-Benutzung verweisen können.

Grundsätzlich sind dem Anwalt die Auslagen für die Benutzung der 1. Wagenklasse – soweit sie tatsächlich entstanden sind – zu vergüten. Auch die Benutzung eines Taxis ist allgemein als angemessen anzusehen.
Im Streitfall hat der Beschwerdeführer Fahrtkosten in Höhe von 43,70 Euro, nämlich 36,70 Euro für die Bahnfahrt 2. Klasse von D-Stadt nach Hildesheim und zurück sowie 7,00 Euro Taxikosten geltend gemacht. Diese Kosten liegen noch unter den Bahnkosten für die 1. Wagenklasse von A-Stadt nach Hildesheim, die 55,60 Euro betragen hätten.

Auf die Beschwerde des Klägervertreters war der Beschluss des Arbeitsgerichts daher abzuändern und die dem beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskasse zu zahlende Prozesskostenhilfevergütung in der beantragten Höhe gem. §§ 45, 55 RVG festzusetzen.

III.
Das Verfahren über die Erinnerung und die Beschwerde ist gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG).
Gründe, die weitere Beschwerde zuzulassen, liegen nicht vor. Gegen diese Entscheidung ist daher ein Rechtsmittel nicht gegeben (§ 56 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 33 Abs. 3 – 8 RVG).

Auf die Entscheidung hingewiesen hat der Kollege Burhoff (hier).

I