LG Berlin: Forderung einer Lagergebühr bei Online-Lebensmittellieferung nach Vertragsschluss ist unlauter / 2024

veröffentlicht am 11. Juli 2024

LG Berlin II, Urteil vom 19.06.2024, Az. 52 O 157/23
§ 3 Abs. 1 UWG, § 3a UWG, § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB

Das LG Berlin hat entschieden, dass ein Online-Lieferdienst keine Lagergebühr für Lebensmittel erheben darf, wenn diese Gebühr nicht zuvor zum Gegenstand des Verkaufspreises gemacht wurde. Auf die Erhebung der Lagergebühr wurde erst nach Abshcluss des Bezahlvorgangs hingewiesen („Dieser Artikel hat eine Lagergebühr von 1,99 EUR pro Bestellung. Mehr Infos hier“ und „Bei bestimmten Artikeln kommt es zu einer Gebühr von 1,99 EUR pro Bestellung. Damit wird die benötigte Infrastruktur abgedeckt, um diese Artikel sicher zu lagern“). Die Kammer erkannte hierin einen Wettbewerbsverstoß durch Verwendung einer unwirksamen allgemeinen Geschäftsbedingung (§ 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB). Zum Volltext der Entscheidung:

Landgericht Berlin

Urteil

In dem Rechtsstreit
Verbraucherzentrale Hamburg e.V., vertreten durch d. Vorstand Michael Knobloch, Kirchenal-
lee 22, 20099 Hamburg
– Kläger –

gegen
Flink SE, vertreten durch den Geschäftsführer Christoph Cordes, Brunnenstraße 19-21, 10119
Berlin
– Beklagte –

hat das Landgericht Berlin II – Zivilkammer 52 – durch … aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30.04.2024 für Recht erkannt:

1. Der Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, bei der Anbahnung von Kaufverträgen mit Verbrauchern, die allein oder unter anderem auf die Lieferung von Tabakwaren gerichtet sind, – wie aus den als Anlage K 2 vorgelegten Bildschirmausdrucken ersichtlich – eine vom Käufer neben dem Kaufpreis zu zahlende Lagergebühr zu bestimmen und/oder sich auf eine dahingehende Bestimmung in Verträgen der vorgenannten Art zu berufen.

2. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 297,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.07.2023 zu zahlen.

3. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, und zwar hinsichtlich des Tenors zu Ziffer 1 gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 2.750,- EUR und im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages zuzüglich 10 %.

5. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger macht als Verbraucherverband einen Unterlassungsanspruch gegenüber der Beklagten geltend.

Das Unternehmen der Beklagten bietet Verbrauchern online die Lieferung von Lebensmitteln an. Die Bestellseite der Beklagten im Internet (vgl. Anlage K 2) ist so gestaltet, dass bei einigen Produkten, namentlich bei Tabakwaren, zunächst das Produkt zu einem konkreten Preis beworben wird, nach der Auswahl desselben und vor Abschluss des Bezahlvorgangs aber ein Dialogfenster mit der Information erscheint: „Dieser Artikel hat eine Lagergebühr von 1,99 EUR pro Bestellung. Mehr Infos hier“. Bei Betätigung der Schaltfläche erscheint die ergänzende Information: „Bei bestimmten Artikeln kommt es zu einer Gebühr von 1,99 EUR pro Bestellung. Damit wird die benötigte Infrastruktur abgedeckt, um diese Artikel sicher zu lagern“. Die Höhe dieser zusätzlichen Lagergebühr ist unabhängig von der Zahl der erworbenen Produkte. Sie wird pro Lieferung nur einmal in Rechnung gestellt.

Mit Schreiben vom 17.03.2023 mahnte der Kläger die Beklagte wegen dieser Preisgestaltung ab und begründete dies damit, dass darin ein Verstoß gegen § 3 PAngV liege, weil üblicherweise im Handel anfallende Kosten in den Verkaufspreis einzupreisen und in den Gesamtpreis aufzunehmen seien. In der gesonderten Bepreisung der Lagerkosten liege daher ein Verstoß gegen § 3a UWG. Die Beklagte lehnte die Abgabe einer Unterlassungserklärung und den Ersatz der vorgerichtlichen Abmahnkosten mit Schreiben vom 31.03.2023 ab.

Die Klägerin meint, dass ihr ein Unterlassungsanspruch aus § 8 Abs. 1 S. 1 UWG wie auch aus § 1 UKlaG zustehe. Die Beklagte verhalte sich mit der Inrechnungstellung einer gesonderten Lagergebühr unlauter im Sinne des § 3 Abs. 1 UWG, denn in der Regelung liege eine allgemeine Geschäftsbedingung der Beklagten, die gegen das den §§ 307 ff. BGB zugrundeliegende Verbot einer unangemessenen Benachteiligung der Verbraucher verstoße. Eine solche unangemessene Benachteiligung der Verbraucher liege darin, dass die Beklagte eine Tätigkeit, die sei im eigenen Interesse erbringe, dem Kunden in Rechnung stelle. Sofern die Lagerkosten an den Verkauf von Tabakwaren anknüpften, gehe damit auch ein Verstoß gegen § 28 Abs. 1 TabStG einher, wonach der auf dem Steuerzeichen angegebene Packungspreis nicht überschritten werden dürfe.

Der Kläger beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen, bei der Anbahnung von Kaufverträgen mit Verbrauchern, die allein oder unter anderem auf die Lieferung von Tabakwaren gerichtet sind, – wie aus den als Anlage K 2 vorgelegten Bildschirmausdrucken ersichtlich – eine vom Käufer neben dem Kaufpreis zu zahlende Lagergebühr zu bestimmen und/oder sich auf eine dahingehende Bestimmung in Verträgen der vorgenannten Art zu berufen,
2. an den Kläger 297,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (25.07.2023) zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie wendet ein, dass ihre Informationen über zusätzliche Lagergebühren nach ihrem Dafürhalten keine allgemeinen Geschäftsbedingungen darstellten, die Vertragsbestandteil würden. Vertragsbestandteil werde vielmehr die vor dem Anklicken des Bestellbuttons erscheinende Übersicht über die in den Warenkorb gelegten Produkte und die im einzelnen berechneten Preise, die – ggfs. unter Einbeziehung der gesondert ausgewiesenen Liefer- und der Lagergebühr- in die ausgewiesene Gesamtsumme mündeten. Die Lagergebühr stelle damit einen offengelegten Kalkulationsposten der zu entrichtenden Gesamtsumme dar. Als Bestandteil der Preisabrede sei die Lagergebühr einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 3 S. 1 BGB entzogen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

1.
Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegenüber der Beklagten aus §§ 3 Abs. 1, 3a, 8 UWG zu.

a)
Der Kläger ist klagebefugt. Er zählt als Verbraucherverband zu den in die beim Bundesamt für Justiz geführte Liste eingetragenen qualifizierten Einrichtungen im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG und kann danach unter den Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 UWG Unterlassungsanprüche wegen Zuwiderhandlungen gegen § 3 UWG gerichtlich geltend machen.

b)
Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gegenüber der Beklagten ist begründet, weil die Beklagte mit der beanstandete Inrechnungstellung einer Lagergebühr für Warenbestellungen,die bestimmte Produkte wie etwa Tabakwaren umfassen, eine unlautere geschäftliche Handlung im Sinne des §§ 3 Abs. 1, 3a UWG begeht. Denn diese Preisgestaltung unterliegt nach § 307Abs. 3 S. 1 BGB der richterlichen Inhaltskontrolle und ist gemäß § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.

(1.)
Die Vorgabe der Beklagten, dass sie ihren Kunden beim Erwerb bestimmter Produkte eine Lagergebühr von 1,99 EUR pro Bestellung in Rechnung stellen werde, stellt eine Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne des § 305 Abs. 1 BGB dar. Danach fallen unter diesen Begriff alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrages stellt und die nicht im Einzelnen ausgehandelt werden. Diese Merkmale erfüllt die Preisvorgabe der Beklagten zweifelsohne.

(2.)
Die Klausel unterfällt auch der Inhaltskontrolle nach Maßgabe des § 307 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 BGB. Sie ist davon nicht gemäß § 307 Abs. 3 BGB ausgenommen. Gemäß § 307 Abs. 3 BGB sind von einer Inhaltskontrolle solche Bestimmungen ausgenommen, durch die keine von Rechtsvorschriften abweichenden oder diese ergänzenden Regelungen getroffen werden. Dazu zählen namentlich solche Klauseln, die lediglich eine Leistungsbeschreibung enthalten, also den Umfang der von den Parteien geschuldeten Vertragsleistung festlegen. Dies gilt namentlich für den in einem Vertrag bestimmten Preis. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zählenzu den kontrollfreien Preisvereinbarungen aber nur diejenigen Klauseln, die den zu zahlenden Preis unmittelbar festlegen, gleichgültig, ob es sich um den Preis für die Hauptleistung oder ein rechtlich nicht geregelte zusätzlich angebotene Sonderleistung handelt. Der Inhaltskontrolle unter- liegen hingegen die sogenannten Preisnebenabreden, die keine echte (Gegen-) Leistung zum Gegenstand haben, sondern mit denen der Klauselverwender z. B. Kosten für Tätigkeiten auf den Kunden abwälzt, die er im eigenen Interesse erbringt (BGH; Urteil vom 4. Juli 2017 – XI ZR 562/15 – Tz. 24). Ob eine Klausel nach diesen Grundsätzen eine kontrollfähige Preisnebenabre- de oder eine kontrollfreie Preishauptabrede enthält, ist durch Auslegung zu ermitteln (BGH, a. a.O., Tz. 25).

Nach diesen Maßstäben liegt in der streitgegenständlichen Preisvorgabe der Beklagten für Warenlieferungen, die bestimmte Produkte, wie etwa Tabak, enthalten, eine der Inhaltskontrolle un terliegende Preisnebenabrede. Denn die Beklagte stellt mit der sogenannten Lagergebühr nicht etwa ein Entgelt für die Lagerung einer konkreten erworbenen Ware in Rechnung. Das behauptet sie selbst nicht. Dies ist auch ausgeschlossen, weil die Gebühr unabhängig von der Zahl der beispielsweise bestellten Tabakprodukte anfällt. Die Gebühr lässt sich – anders als die Lieferkosten – keiner konkreten Gegenleistung zuordnen. Die Beklagte legt mit der sogenannten Lagergebühr vielmehr die Kosten um, die ihr möglicherweise für die Lagerung der Gesamtheit der von ihr angebotenen Waren entstehen. Es mangelt damit der Bezug zu der vom jeweiligen Kunden bestellten Ware.

(3.)
Die Klausel hält der danach eröffneten Inhaltskontrolle am Maßstab des § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht stand.

Gemäß § 307 Abs. 1 BGB sind Allgemeine Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine solche unangemessene Benachteiligung ist gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht vereinbar ist. Eben dies ist mit der streitgegenständlichen Inrechnungstellung von Lagerkosten verbunden. Denn es gehört zu den wesentlichen Grundlagen des dispositiven Gesetzesrechts, dass jeder Rechtsunterworfene für Tätigkeiten, zu den er gesetzlich oder nebenvertraglich verpflichtet ist oder die er überwiegend im eigenen Interesse erbringt, kein gesondertes Entgelt verlangen kann (BGH, a. a. O., Tz. 39 m. w. Nachw.). Die Lagerung von Waren, die kurzfiristig geliefert werden sollen, dient vornehmlich dem Interesse der Bekalgten, die sich dies zur Geschäftsaufgabe gemacht hat. Sie dient nicht demjenigen, der zufällig ein Produkt aus diesem Lagerbestand ausgewählt hat und unabhängig von der Anzahl dieser Produkte und den übrigen bestellten Waren zu den Kosten des gesamten Lagerbestandes herangezogen wird.

(4.)
Die für den Unterlassungsanspruch vorausgesetzte Wiederholungsgefahr wird durch die begangene Zuwiderhandlung der Beklagten indiziert. Sie hätte nur durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt werden können, die die Beklagte aber abgelehnt hat.

2.
Der Anspruch auf Ersatz der Abmahnkosten in Höhe von 297,50 EUR steht dem Kläger gegenüber dem Beklagten gemäß § 13 Abs. 3 UWG zu.

Gemäß § 13 Abs. 3 UWG kann der Abmahnende von dem Abgemahnten den Ersatz der für die Abmahnung erforderlichen Aufwendungen verlangen, wenn die Abmahnung berechtigt ist und den Anforderungen des § 13 Abs. 2 UWG entspricht. Dies ist hier ungeachtet des Umstandes zu bejahen, dass der Kläger die Inrechnungstellung der Lagerkosten in seiner Abmahnung nicht als Verstoß gegen das Recht der Allgemeinen Geschäftsbestimmungen gewertet hat, sondern ein unlauteres Verhalten der Beklagten an einem Verstoß gegen die Preisangabenverordnung festgemacht hat. Gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 4 UWG muss die Abmahnung die gerügte Rechtsverletzung unter Angabe der tatsächlichen Umstände angeben. Der Abmahnende muss (nur) die begangene Verletzungshandlung in tatsächlicher Hinsicht so detailliert schildern, dass dem Abgemahnten deutlich wird, was der Abmahnende konkret beanstandet und was der Abgemahnte abstellen oder künftig unterlassen soll (BGH, Urteil vom 21.01.2021 – I ZR 17/18 – Tz. 26). Er schuldet keine rechtliche Würdigung. Deshalb schadet es nicht, dass der Kläger ein und dasselbe tatsächliche Geschehen mit seiner Abmahnung und seiner Klage unter unterschiedlichen rechtlichen Gesichtspunkten als unlauteres Verhalten der Beklagten gewertet hat.

Der Zinsanspruch des Klägers ergibt sich aus § 291 BGB.

3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und 2 ZPO.

Rechtsbehelfsbelehrung:

I