LG Berlin: Werbung mit Sternen ohne eine einzige Kundenrezension ist wettbewerbswidrig / 2023

veröffentlicht am 21. März 2023

Werbung mit Sternen
LG Berlin, Urteil vom 23.09.2023, Az. 16 O 139/21

§ 5 Abs. 1 UWG

Das LG Berlin hat entschieden, dass ein durchschnittlich aufmerksamer und informierter Verbraucher den Zusatz von fünf Sternen bei einem Produkt dahingehend versteht, dass Kunden, die das Produkt bereits erworben haben, es als in jeder Hinsicht positiv beurteilen. Der Gebrauch von „Sternen“ analog zu der bekannten Hotelkategorisierung sei, so die Kammer, im Internet üblich und werde vom Publikum auch so verstanden. Tatsächlich werde der Interessent, der die Übersichtsseite aufrufe, in seiner Erwartung aber enttäuscht, wenn überhaupt keine Kundenrezensionen vorlägen. Der Interessent werde dadurch zu einer geschäftlichen Entscheidung verleitet, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Das gelte nicht nur dann, wenn er das Produkt tatsächlich erwerbe, sondern schon dann, wenn er sich infolge des Irrtums weiter mit dem Angebot befasse, bspw. die Liste mit der Ausstattung des Produkts überprüfe. Nach der Rechtsprechung des EuGH sei der Begriff der „geschäftlichen Entscheidung“ weit zu definieren. Erfasst werde nicht nur die Entscheidung über den Erwerb oder Nichterwerb des Produktes, sondern auch damit unmittelbar zusammenhängende Entscheidungen wie insbesondere das Betreten des Geschäfts. Ebenso hat der BGH das Aufrufen eines Verkaufsportals im Internet als eine relevante geschäftliche Entscheidung angesehen. Das Aufrufen einer Produktunterseite, um sich näher mit einem von Kunden vermeintlich besonders gut bewerteten Produkt zu befassen, sei, so die Kammer, dem Betreten eines Geschäfts oder dem Aufruf eines Portals gleichzustellen. Zum Volltext der Entscheidung:



Landgericht Berlin



Urteil



In dem Rechtsstreit

Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände· Verbraucherzentrale Bundesverband e.V., …
gegen

hat das Landgericht Berlin – Zivilkammer 16 – durch … aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23.09.2021 für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, die Ordnungshaft zu vollziehen an ihren gesetzlichen Vertretern, zu unterlassen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen im Internet auf der Webseite … .de für ein Produkt mit einer Bewertung von 5 Sternen zu werben bzw. werben zu lassen, wenn für dieses Produkt tatsächlich noch keine Bewertung abgegeben wurde und dies geschieht, wie in Anlagen K 3 und K 4 abgebildet:
[Abbildungen]

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 260,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22. Mai 2021 zu zahlen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Das Urteil ist zu Ziff. 1 gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 15.000,00 € und im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages zzgl. 10 % vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger gibt, von der Beklagten mit Nichtwissen bestritten, vor, der Dachverband aller Verbraucherzentralen und weiterer verbraucher- und sozialorientierter Organisationen in Deutschland zu sein. Gemäß § 2 seiner Satzung verfolgt er das Ziel, Verbraucherinteressen wahrzunehmen und den Verbraucherschutz zu fördern. Er ist, von der Beklagten mit Nichtwissen bestritten, unter der Kurzform .Verbraucherzenfrale Bundesverband s. V. (VZBV)“ in der Liste gemäß § 4 Abs. 2 UKlaG eingetragen.

Die Beklagte verkauft über ihre unter www.bike-mailorder.de Fahrräder und Fahrradzubehör. Bei der hier in Rede stehenden Gestaltung erschien zunächst eine Übersicht über die verfügbaren Fahrräder, die u. a. mit einer in gelber Farbe gehaltenen Sternebewertung vorgestellt werden. Vielfach sind fünf Sterne abgebildet (Anlage K 3). Bei Anklicken eines Angebotes erscheint eine Produktübersichtsseite wie auf der Anlage K 4 ersichtlich. Dort werden ebenfalls fünf Sterne angezeigt, nun aber mit dem Zusatz ,,(0)“. Weiter unten auf der Seite befindet sich eine Rubrik .Kundenbewertunqsn für … “ mit der Information „Leider ist noch kein Eintrag vorhanden“, gefolgt von einem Button „Eine Bewertung schreiben“. Wegen der Einzelheiten der Gestaltung wird auf die Anlage K 4 Bezug genommen.

Der Kläger beanstandet diese Gestaltung als irreführend gemäß § 5 Abs. 1 S. 1, Satz 2 Nr. 1 UWG. Er mahnte die Beklagte deswegen mit Schreiben vom 19. Februar 2021 erfolglos ab. Hierfür verlangt er eine Kostenpauschale in Höhe von 260,00 €.

Der Kläger beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, die Ordnungshaft zu vollziehen an ihrem gesetzlichen Vertreter, zu unterlassen,
im Rahmen geschäftlicher Handlungen im Internet auf der Webseite https:lIwww.bike-mailorder.de/für ein Produkt mit einer Bewertung von 5 Sternen zu werben bzw. werben zu lassen, wenn für dieses Produkt tatsächlich noch gar keine Bewertung abgegeben wurde und dies geschieht wie in Anlagen K 3 und K 4 abgebildet,
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 260,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (22. Mai 2021) zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,  die Klage abzuweisen.

Sie macht geltend:
Die von ihr angesprochenen Verkehrskreise seien mit der Bestellung von Werbung im Internet vertraut. Ihnen werde mit der Angabe ,,(0)“ klar vor Augen geführt, dass noch keine Bewertung vorliege. Für jeden halbwegs aufmerksamen Verbraucher sei völlig klar, dass es um eine Selbsteinschätzung des Händlers handele. Es sei im Onlinehandel absolut üblich, die Anzahl von durchgeführten Produktbewertungen bei einem Produkt in einer Klammer hinter der Bewertung anzugeben. Amazon verhalte sich in gleicher Weise.

Wegen des übrigen Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Kläger ist zur Geltendmachung des Anspruchs gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 UKlaG und § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG befugt.

Er hat die Klage unter seinem im Vereinsregister des Amtsgerichts Charlottenburg zu VR 20423 B eingetragenen Namen .Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e. V.“ erhoben. Demgegenüber ist er in der vom Bundesamt für Justiz geführten Liste qualifizierter Einrichtungen nach dem UKlaG unter der Ifd. Nr. 65 als „Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. (VZBV)“ eingetragen. Dass es sich hierbei um den Kläger handelt, ergibt sich aus dem Verweis auf die o. a. Registernummer. Die Beklagte legt auch nicht dar, dass es zwei Bundesverbände der Verbraucherzentralen gibt.

Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus § 2 UKlaG in Verbindung mit § 5 UWG zu. Zwar ist das UWG nach herkömmlicher Betrachtung kein Verbraucherschutzgesetz, wie es § 2 UKlaG voraussetzt. Das gilt jedoch nicht für Vorschriften, die die UGP-RL 2005/29/EG in nationales Recht transformieren. Ihnen kommt verbraucherschützender Charakter zu. Das folgt aus Art. 2 Abs. 2 RL 2009/22/EG (Unterlassungsklagen-RL). Danach stellt jede Handlung einen Verstoß gegen die RL dar, die den in Anhang I aufgeführten Richtlinien in der in die innerstaatliche Rechtsordnung der Mitgliedstaaten umgesetzten Form zuwiderläuft und die in Absatz 1 genannten Kollektiv-interessen der Verbraucher beeinträchtigt. Zu den im Anhang genannten Richtlinien zählt auch die UGP-RL 2005/29/EG (BGH GRUR 2019,754 Tz. 37 – Prämiensparverträge).

Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus § 5 Abs. 1 UWG zu. Die Beklagte täuscht die Verbraucher über tatsächlich nicht abgegebene Kundenbewertungen. Der durchschnittlich aufmerksame und informierte Verbraucher versteht den Zusatz von fünf Sternen bei der Modellbezeichnung dahin, dass Kunden, die das Fahrrad bereits erworben haben, es als in jeder Hinsicht positiv beurteilen. Der Gebrauch von „Sternen“ analog zu der bekannten Hotelkategorisierung ist im Internet üblich und wird vom Publikum auch so verstanden. Tatsächlich wird der Interessent, der die Übersichtsseite aufruft, in seiner Erwartung enttäuscht, wenn überhaupt keine Kundenrezensionen vorliegen. Er wird dadurch zu einer geschäftlichen Entscheidung verleitet, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Das gilt nicht nur dann, wenn er das Fahrrad tatsächlich erwirbt, sondern schon dann, wenn er sich infolge des Irrtums weiter mit dem Angebot befasst, bspw. die Liste mit der Ausstattung des Fahrrades überprüft. Nach. der Rechtsprechung des EuGH ist der Begriff der „geschäftlichen Entscheidung“ weit zu definieren. Art. 2 lit. K der UGP-RL (RL 2005/29/EG) erfasst nicht nur die Entscheidung über den Erwerb oder Nichterwerb des Produktes, sondern auch damit unmittelbar zusammenhängende Entscheidungen wie insbesondere das Betreten des Geschäfts (EuGH GRUR 2014, 196 Tz. 35, 36 – Trento Sviluppo srl). Ebenso hat der BGH das Aufrufen eines Verkaufsportals im Internet als eine relevante geschäftliche Entscheidung angesehen (BGH GRUR 2017, 1269 – MeinPaket.de 11). Das Aufrufen einer Produktunterseite, um sich näher mit einem von Kunden vermeintlich besonders gut bewerteten Produkt zu befassen, ist dem Betreten eines Geschäfts oder dem Aufruf eines Portals gleichzustellen.

Unabhängig davon wird der Irrtum des Verbrauchers durch die Gestaltung der Produktübersichtsseite, Anlage K 4, aber auch nicht aufgeklärt. Es mag sein, dass eine in Klammern gesetzte Zahl hinter den Sternen vom Nutzer auf Hinweis auf die Anzahl der Kommentare verstanden wird. Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass der Interessent, der ein aus Kundensicht vermeintliches Spitzenprodukt aufruft, der Wiedergabe der Sterne auf der folgenden Seite überhaupt noch Aufmerksamkeit widmet; denn aus seiner Sicht hat er die gewünschte Information bereits auf der Übersichtsseite erhalten. Die Aufklärung eines bereits eingetretenen Irrtums erfordert darüberhinaus einen klaren und unmissverständlichen Hinweis, der zudem der irreführenden Angabe zugeordnet sein muss (Köhler/Bornkamm/Feddersen, 39. Aufl., Rn. 1.87 zu § 5). Diese Voraussetzung Iiegt’nicht vor. Die hinter den Sternen angeordnete Zahl ist so klein gehalten, dass die Gefahr des Übersehenwerdens auf der Hand liegt. Dasselbe gilt für den Satz „Leider ist noch kein Eintrag vorhanden“, der in kleiner und dünner Schrift zwischen dem durch schwarzen Fettdruck hervorstechenden Begriff .Kundenbewertunqen für … “ und dem ebenfalls durch den schwarzen Untergrund blickfangartig hervorgehobenen Button förmlich „eingeklemmt“ ist.
Schließlich führen entgegen der Ansicht der Beklagten auch Unterschiede in der gewählten Farbe nicht weiter. Abgesehen davon, dass die vom Verbraucher verwendeten Bildschirme Farbnuancen nicht unbedingt mit der notwendigen Deutlichkeit wiedergeben, erschließen sich die Unterschiede schon bei der direkten Gegenüberstellung auf Seite 6 des Schriftsatzes der Beklagten vom 08. Juli 2021 kaum. Umso mehr gilt dies tür einen Verbraucher, der dieses System nicht kennt und nur einen einzigen Gelbton vor Augen hat.

Die Gestaltung der Internetseite verletzt daher die Kollektivinteressen der Verbraucher. Die Wiederholungsgefahr wird durch das Verletzungsgeschehen vermutet.

Dem Kläger steht aus § 12 Abs. 1 UWG ein Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten zu. Sie sind der Höhe nach unstreitig. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288,291 BGB.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.

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