LG Düsseldorf, Urteil vom 18.04.2024, Az. 14d O 1/23
§ 19 Abs. 2 Nr. 1 1. Alt. GWB
Das LG Düsseldorf hat die Sperrung eines Nutzerkontos durch Facebook ohne vorherige oder unverzüglich darauf folgende Begründung und Anhörung für rechtswidrig erklärt. Betroffen war die Filmwerkstatt Düsseldorf gemeinnütziger e.V. Facebook konnte nach Mitteilung eines Verfahrensbeteiligten selbst nicht mehr nachvollziehen, aus welchen Gründen die Sperre erfolgt war. Die Kammer begründete die Sperrung mit dem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne einer Behinderung (vgl. § 19 Abs. 2 Nr. 1 1. Alt. GWB). Facebook darf nach Ansicht des LG Düsseldorf gem. § 3 Abs. 2 NetzDG Posts in einem Facebook-Konto – auch automatisiert – löschen und Facebook-Konten sperren, um die Verbreitung verbotener Inhalte zu verhindern. Allerdings muss dann dem Nutzer eine effektive Möglichkeit offenstehen, diese automatisierte Entscheidung zu überprüfen. Die Möglichkeit, online Beschwerde einzulegen, sei nicht ausreichend. Im vorliegenden Fall durfte durch den Verein ein deutsches Gericht angerufen werden, da es sich um eine kartellrechtliche Streitigkeit gehandelt habe. Anderenfalls hätte der hinter Facebook stehende Konzern Meta in Irland verklagt werden müssen. Zum Volltext der Entscheidung:
Landgericht Düsseldorf
Urteil
In der Zivilsache
…
hat die 14d. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf auf die mündliche Verhandlung vom 18.04.2024 durch … für Recht erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, die unter der URL https://www.facebook.com/pages/Filmwerkstatt-Düsseldorf bzw. https://www.facebook.com/pages/Filmwerkstatt-D%C3%BCsseldorf/ verfügbare Seite des Klägers erneut zu sperren, wenn dies erfolgt wie bei dem der Sperrung am 15.12.2021 zugrundeliegenden Sachverhalt, d. h. ohne vorherige oder unverzüglich nach der Sperrung erfolgte Benennung konkreter Gründe und/oder Gelegenheit für den Kläger, zu etwaigen Vorwürfen Stellung zu nehmen;
Der Beklagten wird angedroht, dass für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die in Ziffer 1 ausgesprochene Verpflichtung ein Ordnungsgeld bis zu EUR 250.000 und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, diese zu vollstrecken an den jeweiligen Direktoren bzw. Geschäftsführern, festgesetzt werden kann.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den Kosten für die außergerichtliche Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 627,13 freizustellen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist wegen des Unterlassungsanspruchs gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 2.000,00 EUR vorläufig vollstreckbar; im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand:
Der Kläger ist ein 1992 eingetragener und als gemeinnützig anerkannter Verein mit Sitz in Düsseldorf. Er ist ein Zusammenschluss aus Filmschaffenden und organisiert einmalige und regelmäßige Online- und Präsenzveranstaltungen wie Ausstellungen, Konzerte, Film- und Seminarreihen, Workshops, Masterclasses, Talks und Vorträge, bei denen der diskursive Austausch zwischen Filmschaffenden, Künstlern und Publikum im Mittelpunkt steht.
Im Rahmen seiner Öffentlichkeitsarbeit und der Bewerbung seines Angebots bewarb der Kläger seit mindestens 2014 seine Kulturveranstaltungen – etwa Filmvorführungen, Ausstellungen und Diskussionsrunden zu (film-)künstlerischen und weiteren sozio-kulturellen Themen – über seine bei der Beklagten eingerichtete Facebook-Seite mit der Bezeichnung „Filmwerkstatt Düsseldorf“.
Im Jahr 2018 nahm die Beklagte Anpassungen ihrer Nutzungsbedingungen und Gemeinschaftsstandards vor. Im Zuge dessen wurde jeder Facebook-Nutzer über die Aktualisierung der Nutzungsbedingungen sowie der Gemeinschaftsstandards mit
Wirkung zum 19.04.2018 über ein Pop-Up-Fenster sowie durch E-Mail- Benachrichtigung informiert. Nutzer waren aufgefordert, die Änderungen über eine Schaltfläche „ich stimme zu“ zu bestätigen.
In der Fassung vom 19.04.2018 enthalten die Nutzungsbedingungen unter Ziffer 4.4. folgende Regelung:
„Wenn du ein Verbraucher bist und deinen ständigen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union hast, gelten die Gesetze dieses Mitgliedstaats für jeglichen Anspruch, Klagegegenstand oder Streitfall, den du uns gegenüber hast und der sich aus diesen Nutzungsbedingungen oder aus den Facebook-Produkten oder im Zusammenhang damit ergibt („Anspruch“). Du kannst deinen Anspruch vor jedwedem Gericht in diesem Mitgliedsstaat klären lassen, das für den Anspruch zuständig ist. In allen anderen Fällen stimmst du zu, dass der Anspruch vor einem zuständigen Gericht in Irland zu klären ist und dass diese Nutzungsbedingungen sowie jedweder Anspruch irischem Recht unterliegen, und zwar ohne Rücksicht auf kollisionsrechtliche Bestimmungen.“
Ferner sehen die Gemeinschaftsstandards der Beklagten – jedenfalls in der am 19.06.2023 abgerufenen und von der Beklagten vorgelegten Fassung – zu dem Verbot von Nacktdarstellungen von Kindern Folgendes vor:
„Reale nackte Kleinkinder, die Folgendes zeigen:
Sichtbare Genitalien, auch wenn diese durch transparente Kleidung bedeckt oder verschleiert sind.
Sichtbarer Anus und/oder Nahaufnahme von vollständig nacktem Gesäß.
Reale nackte Minderjährige, die Folgendes zeigen:
Sichtbare Genitalien (auch Genitalien, die nur durch Schamhaar oder transparente Kleidung bedeckt sind).
Sichtbarer Anus und/oder Nahaufnahme von vollständig nacktem Gesäß.
Nicht bedeckte weibliche Brustwarzen.
Bereich vom Hals bis zu den Knien unbekleidet, selbst wenn keine Genitalien oder weiblichen Brustwarzen zu sehen sind. […]“
Am 15.12.2021 sperrte die Beklagte die Facebook-Seite des Klägers und teilte dem Kläger mit E-Mail vom gleichen Tag u.a. Folgendes mit:
„Dein Facebook-Konto wurde deaktiviert, weil dein Konto oder damit verbundene Aktivitäten gegen unsere Gemeinschaftsstandards verstoßen haben.
Wenn du denkst, dass dein Konto fälschlicherweise deaktiviert wurde, kannst du mit wenigen Schritten eine Überprüfung anfordern. Du musst diese Schritte innerhalb von 30 Tagen abschließen, um zu verhindern, dass dein Konto dauerhaft gesperrt wird.“
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die E-Mail vom 15.12.2021 (Anlage K11) Bezug genommen.
Kurz vor der Sperrung hatte der Kläger einen Beitrag erstellt, bei dem Uploads sog. Filmstills zu dem FSK12 eingestuften Film „Der Schamane und die Schlange“ vorgenommen wurden. Hierzu war der Kläger urheberrechtlich berechtigt.
Hierzu gehört u.a. diese Abbildung:
Seit Mitte Januar 2022 wurde auf Anmeldeversuche des Klägers u.a. mitgeteilt: „Du kannst Facebook nicht nutzen, weil dein Konto bzw. deine Kontoaktivitäten gegen unsere Gemeinschaftsstandards verstoßen haben.“ (Anlage K12).
Zum Zeitpunkt der Sperrung verfügte die Facebook-Seite des Klägers über ca. 4.000 sog. Follower.
Der Kläger behauptet, es habe nach seiner Kenntnis keinen begründeten Anlass für eine Sperre gegeben. Insbesondere sei für ihn kein Verstoß gegen etwaige Gemeinschaftsstandards ersichtlich. Soweit möglicherweise der Upload eines Filmstills aus einem Film „Der Schamane und die Schlange“ Anlass für die Sperrung gewesen sein könnte, ist er der Ansicht, dem Sachverhalt komme eine verfassungsrechtliche Dimension zu. Zum einen habe die Beklagte bei der Sperrung der Seite des Klägers die besondere Berücksichtigung der Grundrechte des Klägers missachtet. Aufgrund der Beeinträchtigung des Klägers in seinen Rechten aus Art. 5 Abs. 3 S. 1, Abs. 1 S. 2 Var. 2, Abs. 1 S. 1 i. V. m. Art. 9 Abs. 1 GG sowie Art: 3 Abs.
1 GG sei nunmehr Klage geboten. Zum anderen können die Beklagte sich zur Rechtfertigung der konkreten Seitensperrung nicht auf entgegenstehende Grundrechte berufen. Der Kläger ist der Auffassung, ihm stehe sowohl ein kartellrechtlicher Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch nach § 33 Abs. 1, § 19 Abs. 1 GWB als auch der Anspruch aus §§ 823, 1004 BGB gegen die Beklagte zu. Insoweit sei das Landgericht Düsseldorf auch international gem. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO zuständig. Der Kläger behauptet weiter, er habe am Tag der Sperrung eine Überprüfung angefordert, woraufhin ihm in der Folgezeit bei Aufruf der Seite mitgeteilt worden sei, dass die Seite gerade überprüft werde. Mit E-Mails vom 26.01.2022 sowie vom 02.02.2022 habe er die Beklagte mit dem Hinweis auf die am 15.12.2021 erbetene Prüfung erneut zur Überprüfung aufgefordert. Nachdem keine Reaktion erfolgt sei, habe er sich mit Schreiben vom 09.03.2022 an die Facebook Germany GmbH gewandt und diese unter Bezugnahme auf die vorangegangenen Abläufe aufgefordert, eine ordnungsgemäße Prüfung durchzuführen und die Deaktivierung des Kontos zurückzunehmen. Ferner habe er die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 11.11.2022 abmahnen und zur Freischaltung und Aufhebung sämtlicher Sperrmaßnahmen bis zum 02.12.2022, ferner zur unverzüglichen Sicherstellung der Nicht-Löschung der zur Wiederherstellung erforderlichen Daten sowie zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung bis zum 09.12.2022 auffordern lassen.
Mit seiner Klage vom 23.02.2023, eingegangen bei Gericht am gleichen Tage und der Beklagten zugestellt am 31.03.2023, hatte der Kläger mit dem ursprünglichen Klageantrag zu 1. die Entsperrung der Facebook-Seite beantragt. Nachdem die Beklagte eine Freischaltung der Seite am 31.05.2023 vorgenommen hatte, haben die Parteien den Rechtsstreit mit Schriftsatz vom 11.08.2023 (Bl. 143 HA) sowie Schriftsatz vom 24.10.2023 (Bl. 225 HA) insoweit übereinstimmend, aber mit wechselseitigem Kostenantrag, für erledigt erklärt.
Der Kläger beantragt nunmehr,
die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, die unter der URL https://www.facebook.com/pages/Filmwerkstatt-Düsseldorf bzw. https://www.facebook.com/pages/Filmwerkstatt-D%C3%BCsseldorf/ verfügbare Seite des Klägers erneut zu sperren, wenn dies erfolgt wie bei dem der Sperrung am 15.12.2021 zugrundeliegenden Sachverhalt, d. h. ohne vorherige oder unverzüglich nach der Sperrung erfolgte Benennung konkreter Gründe und/oder Gelegenheit für den Kläger, zu etwaigen Vorwürfen Stellung zu nehmen;
der Beklagten anzudrohen, dass für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die in Ziffer 1 ausgesprochene Verpflichtung ein Ordnungsgeld bis zu EUR 250.000 und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, diese zu vollstrecken an den jeweiligen Direktoren bzw. Geschäftsführern, festgesetzt werden kann; die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von den Kosten für die außergerichtliche Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 627,13 freizustellen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, die damalige Administratorin der streitgegenständlichen Facebook-Seite, , habe am 20.04.2018 den aktualisierten Nutzungsbedingungen zugestimmt. Die Sperrung sei erfolgt, weil am 15.12.2021 insgesamt 17 Beiträge wegen Verstößen gegen die Gemeinschaftsstandards von der Seite entfernt worden seien. Konkret sei gegen das in den Gemeinschaftsstandards niedergelegte Verbot der Nacktdarstellung von Kindern verstoßen worden. Insoweit sei in den internen Systemen der Beklagten noch der Vermerk „CHILD_NUDITY“ hinterlegt. Die Maßnahmen hätten daher auf der Annahme einer Vielzahl von Verstößen gegen die vertraglichen Regelungen zur Nutzung des Angebots der Beklagten beruht. Dies sei im Einzelnen nicht mehr nachvollziehbar, da die Beiträge spätestens nach einer Zeit von 90 Tagen in den Systemen der Beklagten endgültig gelöscht würden. Die Sperrung könnte sich als „Fehler im Einzelfall“ darstellen. Für den weitergehenden Vorwurf des Klägers, die Beklagte habe absichtlich eine Fehlbeurteilung vorgenommen, fehle es an konkreten Anknüpfungspunkten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrags der Parteien wird auf deren Schriftsätze und die von ihnen zu den Akten gereichten Anlagen Bezug genommen. Zur Wahrung der Übersichtlichkeit des Tatbestands wird auf die Darstellung des wechselseitigen Vorbringens im Rahmen der Entscheidungsgründe ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Klage ist zulässig
1.
Das Landgericht Düsseldorf ist international zuständig.
a.
Die Zuständigkeit ergibt sich aus Art. 7 Nr. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1215/2012 (nachfolgend: EuGVVO).
Der Kläger macht Ansprüche geltend, die er auf eine unerlaubte Handlung im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO stützt. Er begehrt die Unterlassung eines Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung durch die Beklagte als Betreiberin des sozialen Netzwerks Facebook. Das Bestehen einer Vertragsbeziehung zwischen den Parteien schließt die Qualifikation des Klagebegehrens als deliktischen Anspruch nicht aus. In Abgrenzung zum vertraglichen Gerichtsstand nach Art. 7 Nr. 1 EuGVVO ist für die Annahme des deliktischen Gerichtsstands nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO vielmehr entscheidend, ob ein gesetzlicher Anspruch geltend gemacht wird, der unabhängig von einem Vertragsverhältnis zwischen den Parteien besteht. Dies ist dann der Fall, wenn die Rechtsmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der mit der Klage beanstandeten Handlung des Anspruchsgegners nicht vom Inhalt der beiderseitigen vertraglichen Rechte und Pflichten abhängt, sondern hiervon unabhängig nach Deliktsrecht zu beurteilen ist (EuGH, Urteil vom 24.11.2020, C‑59/19, NJW 2021, 144, 146, Rn. 32 – Wikingerhof/Booking.com; BGH, Urteil vom 10.02.2021, Az. KZR 66/17, GRUR 2021, 991, 992, Rn. 11 – Wikingerhof).
Die Kartellrechtswidrigkeit der konkret beanstandeten Handlung hängt allein davon ab, ob die Beklagte Adressat des Missbrauchsverbots nach § 19 GWB ist und hiergegen verstoßen hat. Für die Beurteilung ist eine Auslegung des zwischen den Parteien bestehenden Vertrages im Sinne der vom EuGH aufgestellten Abgrenzungsformel (EuGH, aaO., Rn. 37) auch nicht unerlässlich. Der Kläger begründet den streitgegenständlichen Unterlassungsanspruch vorrangig mit einem Verstoß gegen das Kartellrecht, namentlich mit dem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung. Insoweit ist das Verhalten grundsätzlich allein an kartellrechtlichen Maßstäben zu messen. Denn der Kläger beruft sich im Kern auf ein Abhängigkeitsverhältnis gegenüber der Beklagten verbunden mit dem Vorwurf, die Sperrung seiner Facebook- Seite sei ohne vorherige oder unverzüglich nach der Sperre erfolgte Begründung und Anhörung erfolgt. Hinsichtlich der Verfahrensgrundsätze für die Löschung bzw. Kontosperrung ist nicht allein der Inhalt der Nutzungsbedingungen maßgeblich. Vielmehr kann die Prüfung, ob die Beklagte zur Einhaltung der von der Klägerin begehrten Verfahrensgrundsätze verpflichtet ist, abstrakt allein anhand wettbewerbsrechtlicher Maßstäbe erfolgen.
Dass die nach § 19 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 GWB stets gebotene Interessenabwägung im Einzelfall bei einer Vertragsbeziehung der Parteien auch eine Betrachtung der vertragstypischen Rechte und Pflichten und der zwischen den Parteien getroffenen Regelungen erfordert, ist für die Qualifikation des Klageanspruchs als deliktischer Anspruch ohne Belang (BGH, aaO., Rn. 13).
Entgegen der Ansicht der Beklagten muss auch nicht zunächst der Umfang der Nutzungsberechtigung durch Auslegung des Nutzungsvertrages ermittelt werden. Im vorliegenden Streitfall wendet sich der Kläger gegen eine aus seiner Sicht willkürliche Löschung, ohne dass ein „abstraktes, unbegrenztes Recht auf Veröffentlichung auf Facebook“ geltend gemacht wird.
Auch soweit das Oberlandesgericht Düsseldorf in der von der Beklagten zitierten Entscheidung (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24.03.2023, Az. I-16 W 8/23, vorgelegt als Anlage B 1) für Fälle, in denen keine Verbrauchereigenschaft gemäß Art. 17 Abs. 1 lit. c), Art. 18 Abs. 1 EuGVVO vorliegt, eine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für deliktische Ansprüche auf Grundlage von Art. 7 Abs. 2 EuGVVO ablehnt, ist diese Rechtsprechung nach Auffassung der Kammer nicht auf die vorliegende Fallkonstellation übertragbar. Während sich die dortige Antragstellerin neben einem vertraglichen Unterlassungsanspruch auch auf kartellrechtliche Ansprüche (§§ 33 Abs. 1, 19 Abs. 1 GWB) berufen hat, ist die Klage im vorliegenden Verfahren vorrangig auf einen Kartellverstoß gestützt, der – wie vorstehend ausgeführt – unabhängig von Nutzungsvertrag – zu beurteilen ist. Anders als in dem Verfahren, dem die zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf zugrunde lag, wird in kartellrechtlicher Hinsicht nicht der Vorwurf erhoben, „dass sich die missbräuchliche Ausnutzung der marktbeherrschenden Stellung der Antragsgegnerin darin zeige, wie sie eine Sperre des Business-Kontos auf der Grundlage des von den Parteien geschlossenen Nutzungsvertrags vornehme“ (OLG Düsseldorf, aaO., S. 11).
Auch wenn sich die Einstufung einer Klage als vertraglich im Sinne von Art. 7 Nr. 1 EuGVVO oder als deliktisch im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO nicht nach nationalem Recht richtet, sondern autonom unter Berücksichtigung der Systematik und der Ziele der EuGVVO zu entscheiden ist (EuGH, Urteil vom 13.03.2014, Az. C-548/12, NJW 2014, 1648, 1649, Rn. 18 – Brogsitter; Urteil vom 24.11.2020, Az. C-59/19, NJW 2021, 144, 146, Rn. 25 – Wikingerhof/Booking.com), erscheint es nach Auffassung der Kammer angezeigt, den vorliegenden Rechtsstreit angesichts des auf einen Marktmachtmissbrauch gerichteten Vorwurfs trotz der vertraglichen Verbindung der Parteien als deliktisch im Sinne von Art. 7 Nr. 2 EuGVVO zu qualifizieren. Die daraus resultierende Annahme einer Zuständigkeit deutscher Gerichte als Gerichtsstand der unerlaubten Handlung steht im Einklang mit den Zielen der EuGVVO. Das nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO zuständige Gericht – nämlich das des Marktes, der von dem geltend gemachten wettbewerbswidrigen Verhalten beeinträchtigt wird – ist am besten in der Lage, über die Hauptfrage der Begründetheit dieses Vorwurfs zu entscheiden (vgl. EuGH, Urteil vom 24.11.2020, Az. C‑59/19, NJW 2021, 144, 147, Rn. 37 –Wikingerhof/Booking.com).
b.
Die nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO begründete internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ist auch nicht aufgrund einer zwischen den Parteien getroffenen Gerichtsstandvereinbarung ausgeschlossen.
Es kann dahinstehen, ob die Parteien einen irischen Gerichtsstand, wie in Ziffer 4.4. der Facebook-Nutzungsbedingungen vorgesehen, wirksam vereinbart haben. Sie führt als Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne von Art. 25 Abs. 1 S. 1 EuGVVO jedenfalls für die hier geltend gemachten Ansprüche nicht zu einer Prorogation zu irischen Gerichten.
Eine Anwendung dieser Gerichtsstandsklausel auf die geltend gemachten Ansprüche aus § 33 GWB ist zwar nach Art. 25 Abs. 1 EuGVVO nicht schlechthin ausgeschlossen. Ausgangspunkt ist hierbei das Erfordernis, dass die Geltung einer Gerichtsstandsvereinbarung zwar auf Rechtsstreitigkeiten beschränkt ist, die ihren Ursprung in dem Rechtsverhältnis haben, anlässlich dessen die Vereinbarung geschlossen wurde, weil andernfalls eine Partei dadurch überrascht wird, dass die Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts für sämtliche Rechtsstreitigkeiten begründet wird, die sich eventuell aus den Beziehungen mit ihrem Vertragspartner ergeben und ihren Ursprung in einer anderen Beziehung als derjenigen haben, anlässlich deren die Begründung des Gerichtsstands vorgenommen wurde (EuGH, Urteil vom 21.05.2015, Az. C-352/13, GRUR Int. 2015, 1176, 1182, Rn. 68 m.w.N. – CDC Hydrogen
Peroxide). Insoweit nimmt der EuGH an, dass die Beteiligung eines Vertragspartners an einem rechtswidrigen Kartell für das geschädigte Unternehmen im Zeitpunkt der Zustimmung nicht hinreichend vorhersehbar war und die Klausel insoweit nicht zu einer wirksamen Derogation führt (EuGH aaO., Rn. 70). Im Unterschied dazu kann sich der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, in den von einem Unternehmen, das eine beherrschende Stellung innehat, geknüpften vertraglichen Beziehungen über die Vertragsbedingungen manifestieren, mit der Folge, dass eine solche Klausel auch dann nicht überraschend im Sinne von Art. 22 EuGVVO ist, wenn sie sich nicht ausdrücklich auf Streitigkeiten im Zusammenhang mit einem Wettbewerbsverstoß bezieht (EuGH, Urteil vom 24.10.2018, Az. C-595/17, NJW 2019, 349, 350, Rn. 28f. – Apple Sales; BGH, Urteil vom 10.02.2021, Az. KZR 66/17, GRUR
2021, 991, 992, Rn. 18 – Wikingerhof).
Die sachliche Reichweite einer Gerichtsstandsvereinbarung ist vom nationalen Gericht durch Auslegung zu ermitteln, wobei sich die Auslegung der Vereinbarung als Teil des
umfangreicheren Gesamtvertragswerks regelmäßig nach dem für den Vertrag geltenden Recht richtet, soweit Art. 25 EuGVVO keine Maßstäbe und Vorgaben enthält (BGH, Urteil vom 06.12.2018, Az. IX ZR 22/18, NJW 2019, 1300, 1302, Rn. 25; BGH,
Urteil vom 10.02.2021, Az. KZR 66/17, GRUR 2021, 991, 992, Rn. 13 – Wikingerhof).
Es kann nach Ansicht der Kammer in diesem Zusammenhang offenbleiben, ob die in den Nutzungsbedingungen enthaltene Rechtswahlklausel wirksam in den zwischen den Parteien bestehenden Vertrag einbezogen worden ist und die Parteien damit die Anwendung irischen Rechts vereinbart haben. Auch das im Fall einer wirksamen Einbeziehung für die Auslegung der Gerichtsstandvereinbarung maßgebliche irische Recht sieht Auslegungsgrundsätze vor, die bei einer Vertragsauslegung insbesondere auch die Interessen der jeweiligen Vertragsparteien und den Zweck der jeweiligen Klausel berücksichtigen. Dies ergibt sich aus den von der Beklagten im Schriftsatz vom 30.05.2024 zitierten Entscheidungen irischer Gerichte, insbesondere aus der Entscheidung des High Court, wonach die Absichten der Beteiligten („This is because it seems unlikely that commercial entities would intend that disputes arising out of their business relationship would be determined in different jurisdictions […]“, High Court, Entscheidung vom 01.02.2024, Az. [2024] IEHC 44, 2023/2255 P; Anlage B15, Rn.
59) und der Zweck der Klausel („a common sense view of the purpose of the clause“; High Court aaO., Rn. 62) bei der Auslegung einer Gerichtsstandvereinbarung berücksichtigt worden sind. Insoweit unterscheiden sich die Auslegungsgrundsätzlich nicht wesentlich von denen des deutschen Rechts.
Nach dem Wortlaut von Ziffer 4.4. der Nutzungsbedingungen und der dortigen Definition des Begriffs „Anspruch“ erfasst die Gerichtsstandvereinbarung alle Streitigkeiten gegenüber der Beklagten „aus diesen Nutzungsbedingungen oder aus den Facebook-Produkten oder im Zusammenhang damit“. Auch wenn die Klage im vorliegenden Fall ausdrücklich auf kartell- sowie allgemein deliktrechtliche Ansprüche gestützt wird und der Kläger seine Ansprüche damit nicht primär aus dem Vertrag ableitet und die Nutzungsbedingungen (inkl. Gemeinschaftsstandards) nur hilfsweise anführt, steht die Klage grundsätzlich in „Zusammenhang“ mit den „Facebook- Produkten“ – hier: der gesperrten Facebook-Seite selbst.
Die damit ihrem Wortlaut nach sehr weitgefasste Klausel ist jedoch nach Auffassung der Kammer unter Berücksichtigung der Interessen beider Vertragsparteien dahingehend – einschränkend – auszulegen, dass lediglich Streitigkeiten über die sich aus dem Vertragsverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten erfasst werden.
Es bestehen erhebliche Zweifel, dass die neben den „Nutzungsbedingungen“ genannte Tatbestandsalternative der „Facebook-Produkte“ jegliche und vom eigentlichen Nutzungsvertrag abgekoppelte Streitigkeiten über die Nutzung der Produkte erfassen soll. Ein solch weitgehendes Verständnis, auch den vorliegenden Fall einer auf Kartellrecht gestützten Klage zu erfassen, ist unter Berücksichtigung der Interessen beider Vertragsparteien fernliegend. Dass sich dieser
Marktmachtmissbrauch in vertraglichen Bestimmungen manifestieren kann, ändert nichts daran, dass der konkrete Streit im vorliegenden Verfahren nicht Rechte und Pflichten aus dem Vertrag betrifft (vgl. BGH, Urteil vom 10.02.2021, KZR 66/17 – Wikingerhof, GRUR 2021, 991, 992, Rn. 24).
Hierbei ist u.a. zu berücksichtigen, dass die Gerichtsstandsklausel in Ziffer 4.4. Teil des allgemeinen Vertragswerks ist und keinerlei Bezugnahmen auf kartell- oder deliktsrechtliche Implikationen hat. Auch wenn die explizite Nennung derartiger Ansprüche nicht erforderlich ist, fehlt es jedenfalls aber an Hinweisen, dass nach dem Willen der Parteien auch derartige Ansprüche erfasst werden sollen.
Deutliche Anhaltspunkte, dass die Vertragsparteien die sachliche Reichweite der Gerichtsstandsvereinbarung auch auf solche vom Vertrag unabhängige Ansprüche erstrecken wollten, die der BGH jedenfalls bei einer „engen“ Gerichtsstandsvereinbarung fordert (BGH, aaO., Rn. 25), sind hierfür nicht erforderlich, weil der Wortlaut der streitgegenständlichen Klausel, wie vorstehend ausgeführt, durch das Merkmal des Zusammenhangs mit „Facebook-Produkten“ weiter gefasst ist.
Allerdings ergeben sich bei Berücksichtigung der Interessenlage der Parteien Zweifel an einer Einbeziehung kartellrechtlicher Ansprüche in die Gerichtsstandsklausel. Durch einen so weiten Anwendungsbereich der Klausel würde die Beklagte als Verwenderin einseitig begünstigt. Zuwiderhandlungen gegen das kartellrechtliche Missbrauchsverbot sind dem Vertragspartner im Zeitpunkt des Vertragsschlusses regelmäßig nicht bekannt, noch muss er damit rechnen (BGH, aaO., Rn. 25). Da ein entsprechender Regelungswille damit nicht unterstellt werden kann, kann – nach Auffassung der Kammer auch angesichts des Wortlauts der Klausel – nicht angenommen werden, der Kläger habe sich dem Vertragsgerichtsstand auch für die Prüfung von Ansprüchen wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung unterworfen. Entgegen der Ansicht der Beklagten bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein übereinstimmendes Interesse an einer umfassenden Zuständigkeit eines Gerichts für sämtliche, auch delikts- und kartellrechtliche Ansprüche. Trotz der Ähnlichkeiten im Sachverhalt sowie im Klageantrag, handelt es sich bei der Geltendmachung von vertraglichen Ansprüchen einerseits und kartellrechtlichen Ansprüchen andererseits um unterschiedliche Klagegegenstände, deren Unterscheidung nicht bloß von Zufälligkeiten abhängt.
2.
Die Klageanträge entsprechen – auch in Bezug auf den Unterlassungsantrag – den Bestimmheitsanforderungen nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO:
Der konkretisierende Zusatz, wonach eine erneute Sperrung unterlassen werden soll,
„wenn dies erfolgt wie bei dem der Sperrung am 15. Dezember 2021 zugrundeliegenden Sachverhalt, d. h. ohne vorherige oder unverzüglich nach der Sperrung erfolgte Benennung konkreter Gründe und/oder Gelegenheit für die Klägerin, zu etwaigen Vorwürfen Stellung zu nehmen;“ stellt eine hinreichende Umschreibung des streitgegenständlichen Vorwurfs dar, nämlich die unterbliebene Mitteilung (konkreter) Gründe und die (wirksame) Möglichkeit, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Da beide Anforderungen aus Sicht des Klägers nicht erfüllt sein sollen, ist es folgerichtig, auch die „und/oder“-Formulierung zu wählen, da die Anforderungen kumulativ erfüllt sein sollen und bereits das Fehlen einer Anforderung einen Verstoß begründen soll.
II.
Die Klage ist auch begründet.
1.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Unterlassung gegen die Beklagte aus §§ 33 Abs. 1, 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 1. Alt. GWB.
a.
Die Beklagte ist Normadressatin von §§ 19, 20 GWB.
Nach dem Bedarfsmarktkonzept ist der sachlich relevante Markt als der Nachfragemarkt für soziale Netzwerke abzugrenzen, wobei soziale Netzwerke als Unterabgrenzung von sozialen Medien zu werten sind (BKartA, Beschluss v. 02.05.2022, B6-27/21, Rn. 133 ff., Anlage K05). Dies betrifft auch die Beteiligung des Klägers als Inhalteanbieter im sozialen Netzwerk, weil aus seiner Sicht der Zugang zu privaten Nutzern maßgeblich ist.
Dem Kläger kommt bei seiner Nutzung von Facebook die Rolle eines Inhalteanbieters zu, bei dem sich – so auch die Feststellungen des Bundeskartellamtes (BKartA, aaO., Rn. 131) – der Nutzungszweck von der privaten Nutzung unterscheidet. Diese Form der Nutzung dient vorrangig Vermarktungszwecken. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass es sich bei einem sozialen Netzwerk wie Facebook um einen mehrseitigen Markt handelt, bei dem privater Nutzer auf Inhalteanbieter treffen – jeweils vermittelt durch die Beklagte als Plattformbetreiberin.
Räumlich ist der relevante Markt national abzugrenzen im Hinblick auf Sprachbarrieren und die von den Nutzern geteilten Inhalte mit einem regionalen oder nationalen Bezug sowie die Werbung, die in deutscher Sprache verfasst und auf die Interessen deutscher Nutzer zugeschnitten ist (BKartA, aaO., Rn. 161).
Auf diesem Markt ist die Beklagte auch marktbeherrschend. Die Beklagte verfügt über eine quasi-monopolartige Stellung auf dem national abzugrenzenden Markt für soziale Netzwerke. Ausweislich der Feststellungen des Bundeskartellamtes im Beschluss vom 02.05.2022, auf die sich der Kläger beruft, kommt Facebook nach den Ermittlungen der Beschlussabteilung auf der Basis der Kenngröße der täglich aktiven Nutzer (Daily Active User – DAU) auf eine quasi-monopolistische Marktstellung mit praktisch 100% Marktanteil, die seit vielen Jahren bis heute unverändert besteht (BKartA, aaO., Rn. 165, Anlage K05).
Der Kläger stützt seinen Sachvortrag zur Marktabgrenzung sowie zur Marktbeherrschung auf die Feststellungen des Bundeskartellamtes im Beschluss vom 02.05.2022, Az. B6-27/21 (vorgelegt als Anlage K05). Auch wenn diese Feststellungen keine Bindungswirkung nach § 33b GWB entfalten, weil sie nicht den streitgegenständlichen Verstoß betreffen, kann auf sie zur Substantiierung des Klägervortrages Bezug genommen werden. Die Beklagte ist diesen Ausführungen zu Marktabgrenzung und Marktanteil nicht hinreichend entgegengetreten.
b.
In der von der Beklagten vorgenommenen Sperrung ohne vorherige oder unverzüglich nach der Sperrung erfolgte Begründung und Anhörung, liegt ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne einer Behinderung des Klägers gem. § 19 Abs. 2 Nr. 1 1. Alt. GWB.
aa.
Die Behinderung des Klägers hat auch kartellrechtliche Relevanz.
Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Vorfall nicht nur um eine Vertragsverletzung im Einzelfall. Als Behinderung im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 1 1. Alt. GWB ist jedes Verhalten zu verstehen, dass die wettbewerbliche Betätigungsfreiheit eines anderen Unternehmens nachteilig beeinflusst (Bunte, KartellR/Nothdurft, 14. Aufl., § 19 GWB, Rn. 319 m.w.N.). Erforderlich ist, dass die Position des beeinträchtigten Unternehmens im Wettbewerb berührt wird.
Demgegenüber begründen Verstöße gegen Rechtsnormen (wie z.B. des Vertragsrechts), welche nicht den Inhalt von Marktbeziehungen zum Gegenstand haben oder auf sie einwirken, keinen Verstoß gegen § 19 GWB (HansOLG, Beschluss
vom 29. Juni 2022, Az. 15 W 32/22, S. 15 f., vorgelegt als Anlage B 2; Bechtold/Bosch, in: Bechtold/Bosch, 10. Aufl. 2021, § 19 GWB, Rn. 5).
Die Sperrung der Facebook-Seite des Klägers betrifft jedoch Marktbeziehungen und berührt die Position des Klägers im Wettbewerb. Auch wenn es sich beim Kläger um einen gemeinnützigen Verein handelt, steht dieser hinsichtlich seiner Angebote, insbesondere seinen Veranstaltungen, im Wettbewerb mit anderen Film- und Kultureinrichtungen. Die Facebook-Seite wird zur Bewerbung von Veranstaltungen genutzt, mit der Folge, dass dem Kläger infolge der Sperre ein Kommunikationskanal abgeschnitten worden ist, der u.a. zur Bewerbung seiner Veranstaltungen genutzt worden ist. Dass der Kläger, worauf die Beklagte hinweist, noch über weitere Kanäle, wie u.a. seine Homepage und sein Instagram-Profil verfügt, steht einer marktbezogenen Behinderung im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 1 1. Alt. GWB nicht entgegen.
Ferner ist auch ein Nachweis konkreter nachteiliger Marktfolgen für die Bejahung eines Behinderungsmissbrauchs nicht erforderlich (Bunte aaO., Rn. 322). Ausreichend ist vielmehr ein Nachweis konkreter Gefahrenlagen, die sich vorliegend bereits aus der Sperre und damit aus den Einschränkungen bei der Veröffentlichung und Bewerbung der Angebote des Klägers ergeben. Feststellungen zum konkreten Rückgang der Teilnehmerzahlen sind hingegen nicht erforderlich.
bb.
Das Vorgehen der Beklagten ist auch sachlich nicht gerechtfertigt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und den insoweit aufgestellten Mindestanforderungen an das Verfahren zur Sperrung von Nutzerkonten, ist der Nutzer umgehend über eine beabsichtigte Sperrung seines Nutzerkontos zu informieren, ihm ist der Grund dafür mitzuteilen und ihm ist eine Möglichkeit zur Gegenäußerung einzuräumen, an die sich eine Neubescheidung anschließt (vgl. BGH, Urteil v. 29.07.2021, Az. III ZR 179/20, NJW 2021, 3179, 3189, Rn 85). Zwar kann es
nach Auffassung der Kammer in Ausnahmefällen auch gerechtfertigt sein, eine Löschung der Inhalte und gegebenenfalls eine Sperrung des Accounts unmittelbar und ohne vorherige Anhörung vorzunehmen, um etwa das bedeutsame Verbot der Nacktdarstellung von Minderjährigen effektiv durchzusetzen, sobald z.B. ein Algorithmus verbotene Inhalte erkennt. Eine solche Maßnahme entsprach auch den Anforderungen von § 3 Abs. 2 NetzDG in der bis 14.05.2024 geltenden Fassung. Allerdings muss eine effektive Möglichkeit bestehen, diese automatisierte Entscheidung zu überprüfen. Dies ist im vorliegenden Fall offensichtlich nicht erfolgt. Nach Art. 4 Abs. 1, Abs. 5 UAbs. 1 Verordnung (EU) 2019/1150 (nachfolgend: P2B- VO) hat ein Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten, will er die Geschäftsbeziehung einseitig beenden, die konkreten Tatsachen oder Umstände, einschließlich des Inhalts
der Mitteilungen Dritter, die ihn zu seiner Entscheidung bewogen haben, und die für diese Entscheidung maßgeblichen Gründe anzugeben. Dabei können die Wertungen der P2B-VO mittelbar in der Kartellrechtsanwendung Berücksichtigung finden, da es sich dabei um marktbezogene Vorschriften handelt (LG München I, Urteil v. 12.05.2021, 37 O 32/21, MMR 2021, 995, 998, Rn. 75 m.w.N.). Dies wird nicht zuletzt in Erwägungsgrund 7 der P2B-VO deutlich, wonach der Zweck der Verordnung in der Sicherstellung eines fairen, vorhersehbaren, tragfähigen und vertrauenswürdigen Online-Geschäftsumfelds im Binnenmarkt liegt. Entsprechendes gilt auch für die Vorgaben nach Art. 17 Abs. 1 lit. a) und d), Abs. 3, Abs. 4 der Verordnung (EU) 2022/2065 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Oktober 2022 über einen Binnenmarkt für digitale Dienste und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG (nachfolgend: „Digital Services Act“). Auch hiernach erfordert die Sperrung von Nutzerkonten eine klare, spezifische und umfassende Begründung, die den Nutzer in die Lage versetzt, die gegen die Sperrung zur Verfügung stehenden internen wie externen Rechtsbehelfe zu ergreifen. Wenngleich die Vorgaben des Digital Services Act erst seit Februar 2024 vollumfänglich gelten, ist die Verordnung bereits im November 2022 in Kraft getreten und bringt damit jedenfalls den Willen des Unionsgesetzgebers zum Ausdruck, Seitensperrungen u.a. nicht ohne Anhörung des Betroffenen vorzunehmen.
Zugunsten des Klägers sind auch dessen Grundrechte im Wege der mittelbaren Drittwirkung von der Kammer bei der Anwendung von § 19 GWB und der insoweit vorzunehmenden Interessenabwägung zu berücksichtigen. Dabei hängt die Reichweite der mittelbaren Grundrechtswirkung von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Maßgeblich ist, dass die Freiheitssphären der Bürgerinnen und Bürger in einen Ausgleich gebracht werden müssen, der die in den Grundrechten liegenden Wertentscheidungen hinreichend zur Geltung bringt. Dabei können insbesondere auch die Unausweichlichkeit von Situationen, das Ungleichgewicht zwischen sich gegenüberstehenden Parteien, die gesellschaftliche Bedeutung von bestimmten Leistungen oder die soziale Mächtigkeit einer Seite eine maßgebliche Rolle spielen (BVerfG, Beschluss vom 11. April 2018, Az. 1 BvR 3080/09, NJW 2018, 1667, Rn. 33 m.w.N.). Insoweit berücksichtigt die Kammer, dass die Nutzung von Facebook“ eine hohe soziale Relevanz hat, mit der Folge, dass sich der Kläger auf die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG), Filmfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 2 GG), (Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 1 i. V. m. Art. 9 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG) sowie das Willkürverbot (Art.3 Abs. 1 GG) berufen kann.
Soweit die Beklagte in der Klageerwiderung vorträgt, dass sie aufgrund von Ziff. 4.2 der Nutzungsbedingungen, ebenso wie nach §§ 314, 626 BGB, ohne Anhörung bzw. Abmahnung zur dauerhaften Kontosperrung aus wichtigem Grund berechtigt sein kann, ist dies für die Beurteilung des konkreten Vorfalls anhand von § 19 GWB ohne Bedeutung. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass das konkret in Rede stehende
Bild keinen strafrechtlich relevanten Inhalt hat und die Beklagte auch darüber hinaus keine Gründe vorbringt, die sie im streitgegenständlichen Fall zur Sperrung ohne Anhörung des Klägers berechtigt hätten.
c.
Schließlich entspricht auch der Umfang des Antrages der Reichweite des Unterlassungsanspruchs. Wie bereits vorstehend zur Frage der Bestimmtheit des Antrages ausgeführt, umfasst die Antragsfassung sowohl die vorherige als auch die nachträgliche Begründung und Anhörung.
Soweit die Beklagte darüber hinaus einwendet, es seien Fälle möglich, in denen die Erfordernisse einer Begründung und Anhörung zur einer Behinderung von strafrechtlichen Ermittlungen führen, wird derartigen Konstellationen durch die Möglichkeit, die Benennung konkreter Gründe und die Anhörung „unverzüglich nach der Sperrung“ durchzuführen, Rechnung getragen. Sollte – z.B. in Abstimmung mit den Ermittlungsbehörden – aus ermittlungstaktischen Gründen o.ä. eine Mitteilung an den Betroffenen zunächst unterbleiben, läge kein schuldhaftes Zögern im Sinne des Kriteriums „unverzüglich“ vor.
2.
Der Kläger hat ferner einen Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 627,13 EUR gegen die Beklagten aus §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1 BGB.
Die Beklagte befand sich zum Zeitpunkt des anwaltlichen Schreibens vom 11.11.2022 in Verzug. Eine verzugsbegründende Mahnung im Sinne von § 286 Abs. 1 BGB ist jedenfalls in der E-Mail des Klägers vom 26.01.2022 (Anlage K13) zu sehen. Die darin geäußerte Bitte, „die Deaktivierung unseres Kontos zu prüfen“, stellt eine eindeutige Leistungsaufforderung dar. Für die Leistungsaufforderung nach § 286 Abs. 1 BGB genügt es, dass der Gläubiger zum Ausdruck bringt, dass er die geschuldete Leistung verlangt. Der Eindeutigkeit steht nicht entgegen, dass eine höfliche Form („bitten wir Sie “ / „Überprüfung“) gewählt wird (Grüneberg/Grüneberg, BGB, 83. Aufl., § 286, Rn.17; Staudinger/Feldmann, BGB, Neubearb. 2019, § 286 BGB, Rn. 29). Zudem ist die Aufforderung auch hinreichend bestimmt. In der Bitte um Überprüfung der Deaktivierung ist die Aufforderung zur Reaktivierung, d.h. zur Freischaltung der gesperrten Facebook-Seite, zu sehen.
Soweit die Beklagte vorgetragen hat, hinsichtlich eines Antrags auf Überprüfung in ihren Systemen dazu keine Aufzeichnungen zu finden, ist dieser Vortrag nicht als Bestreiten im Sinne von § 138 Abs. 2 ZPO auszulegen. Im Übrigen wäre ein Bestreiten
mit Nichtwissen nach § 138 Abs. 4 ZPO unzulässig, da der in Rede stehende Erhalt der E-Mails Gegenstand eigener Wahrnehmung der Beklagten ist.
Die Kosten der anwaltlichen Vertretung, von denen der Kläger freizustellen ist, berechnen sich nach einer 1,3 Geschäftsgebühr auf Grundlage eines Gegenstandswerts von 6.000,00 EUR sowie der Auslagenpauschale und der Umsatzsteuer.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 91a Abs. 1 ZPO.
Soweit die Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich des ursprünglichen Klageantrags zu
1. übereinstimmend für erledigt erklärt haben, waren die Kosten der Beklagten aufzuerlegen. Der Antrag war ursprünglich zulässig und begründet. Mit dem auf Entsperrung der Facebook-Seite gerichteten Klageantrag hat der Kläger einen Beseitigungsanspruch nach § 33 Abs. 1 GWB geltend gemacht, für den die gleichen Voraussetzungen gelten, wie für den weiterhin rechtshängigen Unterlassungsanspruch. Mit der zwischenzeitlichen Freischaltung der Facebook-Seite des Klägers am 31.05.2023 ist dieser Beseitigungsanspruch erfüllt worden, so dass der Klageantrag nach Rechtshängigkeit unbegründet geworden ist.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.
Der Streitwert wird auf 6.000,00 EUR festgesetzt.