LG Frankfurt a.M.: Die Strafe, wenn der Rechtsanwalt blind Rechtsprechungshinweisen von ChatGPT vertraut / 2025

veröffentlicht am 27. Oktober 2025

LG Frankfurt, Beschluss vom 25.09.2025, Az. 2-13 S 56/24
§ 43a BRAO

Das LG Frankfurt a.M. hat sich im Rahmen einer Streitwertfestsetzung zu der Unsitte geäußert, für Schriftsätze in Gerichtsverfahren o.ä. Rechtsprechungshinweise einer KI-Suchmaschine wie ChatGPT ungeprüft zu übernehmen. Derzeit ist es noch sehr häufig zu beobachten, dass die KI auf Anfragen hin Gerichtsentscheidungen einfach erfindet. Fatal ist der Rechtsprechungshinweis der KI insbesondere dann, wenn es die Entscheidung nach Gericht, Entscheidungsdatum und Aktenzeichen tatsächlich gibt, sie aber nicht das angefragte Ergebnis bestätigt. Bei solchen Anfragen ist es als Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt zwingend notwendig, die vorgeschlagenen Entscheidungen herauszusuchen und im Entscheidungstext das Zitat oder sinngemäße Ergebnis selbst für die eigene Arbeit zu ermitteln. Das hatte ein Kollege im vorliegenden Fall offensichtlich nicht getan. Die Kammer belehrte daraufhin: „Nach Auffassung der Kammer dürfte es zu den Grundpflichten anwaltlicher Tätigkeit gehören, dass man weder Fundstellen im Volltext erfindet, noch von einem Chatbot vorgeschlagene Textquellen ungeprüft in einen Schriftsatz übernimmt. Die Unzuverlässigkeit juristischer Aussagen derartiger Systeme muss einem Rechtsanwalt bekannt sein (vgl. nur Herrlein/Gelück NZM 2023, 513; 2023, 737; Conrads/Schweitzer NJW 2023, 2809; 2025, 2888). Die Rechtspflege leidet schweren Schaden, wenn der Rechtsanwalt bei den zitierten Entscheidungen nicht bei der Wahrheit bleibt und das Gericht den derartigen Ausführungen nicht vertrauen kann (vgl. (Henssler/Prütting/Henssler, 6. Aufl. 2024, BRAO § 43a Rn. 187, 190).“ Zum Volltext der Entscheidung:
Landgericht Frankfurt a.M.

Beschluss

Der Beklagte hat das Rechtsmittel der Berufung verloren und die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, nachdem er die Berufung zurückgenommen hat (§ 516 Abs. 3 ZPO).

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf EUR 3.000,00 festgesetzt.

Gründe

Mit Blick auf die Streitwertfestsetzung wird auf den Hinweisbeschluss vom 06.08.2025 verwiesen. Entgegen der Auffassung der Klägerin sind für die Bemessung des Streitwerts einer Klage, die auf die Beseitigung einer baulichen Veränderung gerichtet ist, nicht die Beseitigungskosten, sondern der Wertverlust des Wohnungseigentums des klagenden Wohnungseigentümers maßgeblich (zuletzt BGH WuM 2024, 764 mwN). Dies entspricht auch ständiger Rechtsprechung.

Soweit der Klägervertreter im Schriftsatz vom 10.08.2025 für seine abweichende Rechtsauffassung drei ausführliche, mit Anführungszeichen als wörtlich wiedergegebene Zitate gekennzeichnete BGH-Entscheidungen anführt, handelt es sich insoweit – wie er einräumen musste – um komplette Fälschungen. Weder die angegebenen Fundstellen, noch die Daten oder Aktenzeichen sind existent. Die angegebenen ZB-Aktenzeichen (für Beschwerdeverfahren beim BGH) wären, was bei näherer Analyse hätte auffallen müssen, Streitwertentscheidungen zudem fremd, da der BGH bekanntermaßen für Streitwertbeschwerden nicht zuständig ist (§ 66 Abs. 3 S. 3 GKG). Die Kammer hofft, dass die Fälschungen nicht vom Klägervertreter selbst vorgenommen wurden, sondern von einem Chatbot „halluziniert“ worden sind. Bei einer von Kammermitgliedern vorgenommen neutralen Abfrage nach der Streitwertbemessung für Beseitigungsansprüche in WEG-Verfahren in üblichen – auch juristischen – chatbots ist jedoch stets die korrekte – im Hinweisbeschluss enthaltene – Rechtsauffassung angegeben worden und zwar selbst dann, wenn nachgefragt wurde, ob es nicht für die vom Klägervertreter favorisierte Auffassung Belege aus der Rechtsprechung des BGH gäbe.

Unverständlich ist auch die Erklärung des Klägervertreters aus dem Schriftsatz vom 24.09.2025, dass die „in Anführungszeichen wiedergegebenen Textstellen … versehentlich als wörtliche BGH-Zitate gekennzeichnet“ waren und es sich tatsächlich lediglich um eine „zusammenfassende Wiedergabe der höchstrichterlichen Linie“ handele. Nach Auffassung der Kammer dürfte es zu den Grundpflichten anwaltlicher Tätigkeit gehören, dass man weder Fundstellen im Volltext erfindet, noch von einem Chatbot vorgeschlagene Textquellen ungeprüft in einen Schriftsatz übernimmt. Die Unzuverlässigkeit juristischer Aussagen derartiger Systeme muss einem Rechtsanwalt bekannt sein (vgl. nur Herrlein/Gelück NZM 2023, 513; 2023, 737; Conrads/Schweitzer NJW 2023, 2809; 2025, 2888). Die Rechtspflege leidet schweren Schaden, wenn der Rechtsanwalt bei den zitierten Entscheidungen nicht bei der Wahrheit bleibt und das Gericht den derartigen Ausführungen nicht vertrauen kann (vgl. (Henssler/Prütting/Henssler, 6. Aufl. 2024, BRAO § 43a Rn. 187, 190).

Auch in der Sache ist die Auffassung des Klägervertreters nicht richtig, die erfundenen Zitate geben die Auffassung des BGH nicht zusammenfassend wieder. Der BGH vertritt diese Auffassung nicht. Die hierfür vom Klägervertreter nunmehr angeführten Belege sind zwar immerhin richtig zitiert, befassen sich aber nicht mit dem Streitwert, sondern mit der Beschwer, die in WEG-Sachen vom Streitwert zu unterscheiden ist (vgl. BGH ZWE 2017, 101), was dem Klägervertreter, der regelmäßig in WEG-Sachen tätig ist, bekannt sein dürfte. Zudem ist im reformierten WEG-Recht für die Beseitigungsklage nicht – wie früher gem. § 49a GKG aF – eine Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen vorzunehmen, sondern nur noch das klägerische Beseitigungsinteresse ausschlaggebend (BGH WuM 2024, 764).

Dies führt zu dem austenorierten Streitwert.

I