LG Frankfurt, Urteil vom 27.08.2025, Az. 2-06 O 167/24
Art. 124 UMV, Art. 125 Abs. 5 UMV
Das LG Frankfurt a.M. hat entschieden, dass eine Klage auf Feststellung der Nichtverletzung einer Unionsmarke (negative Feststellungsklage) nicht vor einem deutschen Gericht erhoben werden kann, wenn die Beklagte ihre Niederlassung im europäischen Ausland (hier: Frankreich) unterhalte. Insoweit sei Art. 125 Abs. 5 UMV einschlägig. Nach dem klaren Wortlaut von Art. 125 Abs. 5 UMV seien negative Feststellungsklagen – wie hier – nicht (zusätzlich) am Handlungs- oder Erfolgsort möglich. Dogmatisch interessant bleibt die vorgetragene Ansicht der Klägerin: Diese war der Ansicht, dass die Ausnahmeregelung in Art. 125 Abs. 5 UMV in einem engen Regelungszusammenhang mit Art. 124 lit. c) UMV stehe. Daraus ergebe sich, dass die Unionsmarkengerichte für negative Feststellungsklagen wegen der Nichtverletzung einer Unionsmarke nur dann ausschließlich zuständig seien, wenn das nationale Recht des jeweiligen Mitgliedstaates das Instrument der negativen Feststellungsklage überhaupt vorsähen (was in Frankreich nicht der Fall sei). Nur in diesem Fall könne die Ausnahmeregelung in Art. 125 Abs. 5 UMV greifen. Könne also der potenzielle Verletzer eine negative Feststellungsklage nicht vor den nach Art. 125 Abs. 1–4 UMV zuständigen Unionsmarkengerichten erheben, weil die jeweiligen nationalen Rechtsordnungen diese nicht vorsähen, sei eine negative Feststellungsklage auch am Verletzungsort zulässig und das Unionsmarkengericht könne sich dort nicht unter Hinweis auf Art. 125 Abs. 5 UMV für unzuständig erklären. Denn in diesem Fall habe der potenzielle Verletzer gar keine Möglichkeit, sich im Wege der negativen Feststellungsklage gegen unberechtigte Ansprüche aus einer Unionsmarke zur Wehr zu setzen. Es bestehe eine Rechtsschutzlücke. Daher sei es interessengerecht, die Regelung des Art. 125 Abs. 5 UMV teleologisch zu reduzieren. Dass negative Feststellungsklagen grundsätzlich nicht vom Gerichtsstand des Art. 125 Abs. 5 UMV erfasst seien, diene im Übrigen dem Zweck, sogenannte Torpedoklagen zu verhindern, also die Erhebung einer negativen Feststellungsklage, um deren Rechtshängigkeit einer später erhobenen Verletzungsklage entgegenzuhalten. Dieses Ziel könne und brauche aber nicht erreicht werden, wenn die Rechtshängigkeit einer negativen Feststellungklage der später erhobenen Verletzungsklage gerade nicht entgegengehalten werden könne, so wie vorliegend. Die Klägerin regte an, das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 AEUV dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen. Dem erteilte die Kammer jedoch eine Absage. Zum Volltext der Entscheidung:
Landgericht Frankfurt a.M.
Urteil
…
Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Parteien streiten um das Vorliegen einer Verletzung einer Marke der Beklagten durch das Angebot von Kunststoffgeschirr durch die Klägerin.
Bei der Klägerin handelt es sich um eine Herstellerin und Exporteurin hochwertiger Acrylprodukte mit Sitz in Taiwan.
Bei der Beklagten handelt es sich um ein französisches Unternehmen. Sie ist Teil der …-Gruppe, die auf die Entwicklung und Herstellung von Glasgeschirr spezialisiert ist. Die Beklagte ist Inhaberin der Unionsmarke (Bildmarke) Nr. … (im Folgenden „die Unionsmarke“) (Registerauszug Anlage K 4):
[Bild]
Am 05.02.2023 nahm die Beklagte auf der internationalen Messe „Ambiente“ in Frankfurt am Main am Stand der Klägerin an Kontrollmaßnahmen der Zollverwaltung teil. In diesem Zusammenhang erstattete die Beklagte durch ihren rechtlichen Vertreter eine Strafanzeige und stellte Strafantrag gegen die anwesende Mitarbeiterin der Klägerin mit der Behauptung, dass das von der Klägerin an ihrem Stand ausgestellte Kunststoffgeschirr die Unionsmarke verletze. Der Zoll stellte daraufhin acht Ausstellungsstücke der Klägerin sicher, sodass diese nicht weiter an ihrem Stand gezeigt werden konnten.
Mit Antrag vom 03.07.2023 leitete die Klägerin beim EUIPO ein Löschungsverfahren wegen Verfalls und Nichtigkeit der Unionsmarke ein. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 17.07.2023 mahnte die Klägerin die Beklagte erfolglos ab und forderte sie auf, die Berühmung mit der Verletzung der Unionsmarke zu unterlassen.
Am 29.01.2024 ging die Beklagte erneut auf der Messe „Ambiente“ in Frankfurt am Main gegen die Klägerin vor und veranlasste die Sicherstellung der Ausstellungsstücke der Klägerin auf der Messe durch den Zoll, wiederum auf Basis der Unionsmarke.
Die Klägerin trägt vor, dass das französische Markenrecht eine negative Feststellungsklage nicht vorsehe.
Die Klägerin ist der Ansicht, die Ausnahmeregelung in Art. 125 Abs. 5 UMV stehe in einem engen Regelungszusammenhang mit Art. 124 lit. c) UMV. Daraus ergebe sich, dass die Unionsmarkengerichte für negative Feststellungsklagen wegen der Nichtverletzung einer Unionsmarke nur dann ausschließlich zuständig seien, wenn das nationale Recht des jeweiligen Mitgliedstaates das Instrument der negativen Feststellungsklage überhaupt vorsehe. Nur in diesem Fall könne die Ausnahmeregelung in Art. 125 Abs. 5 UMV greifen. Könne also der potenzielle Verletzer eine negative Feststellungsklage nicht vor den nach Art. 125 Abs. 1–4 UMV zuständigen Unionsmarkengerichten erheben, weil die jeweiligen nationalen Rechtsordnungen diese nicht vorsehen, sei eine negative Feststellungsklage aber am Verletzungsort zulässig, könne sich das Unionsmarkengericht dort nicht unter Hinweis auf Art. 125 Abs. 5 UMV für unzuständig erklären. Denn in diesem Fall habe der potenzielle Verletzer gar keine Möglichkeit, sich im Wege der negativen Feststellungsklage gegen unberechtigte Ansprüche aus einer Unionsmarke zur Wehr zu setzen. Es bestehe eine Rechtsschutzlücke. Daher sei es interessengerecht, die Regelung des Art. 125 Abs. 5 UMV teleologisch zu reduzieren.
Dass negative Feststellungsklagen grundsätzlich nicht vom Gerichtsstand des Art. 125 Abs. 5 UMV erfasst sind, diene dem Zweck, sogenannte Torpedoklagen zu verhindern, also die Erhebung einer negativen Feststellungsklage, um deren Rechtshängigkeit einer später erhobenen Verletzungsklage entgegenzuhalten. Dieses Ziel könne und brauche aber nicht erreicht werden, wenn die Rechtshängigkeit einer negativen Feststellungklage der später erhobenen Verletzungsklage gerade nicht entgegengehalten werden könne, so wie vorliegend.
Die Klägerin regt an, das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 AEUV dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Die Klägerin beantragt,
1. festzustellen, dass die Klägerin durch den Vertrieb der nachstehend abgebildeten Produkte die Markenrechte der Beklagten aus der Unionsmarke Nr. … nicht verletzt:
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2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin EUR 3.865,00 zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte rügt die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt a.M.
Sie ist der Auffassung, dass deutsche Gerichte gemäß Art. 125 Abs. 5 UMV nicht zuständig seien.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1. Die Klage ist unzulässig. Es fehlt an der internationalen Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt a.M.
Die Beklagte hat ihren Sitz und damit ihren allgemeinen Gerichtsstand gemäß Art. 125 Abs. 1 UMV in Frankreich.
Die Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin nicht aus Art. 124, 125 UMV. Gemäß Art. 125 Abs. 5 UMV können die in Art. 124 UMV genannten Verfahren unter anderem auch bei den Gerichten des Mitgliedstaats anhängig gemacht werden, in dem eine Verletzungshandlung begangen worden ist oder droht. Hiervon ausgenommen sind jedoch ausdrücklich „Klagen auf Feststellung der Nichtverletzung einer Unionsmarke“. Nach dem klaren Wortlaut von Art. 125 Abs. 5 UMV sind daher negative Feststellungsklagen – wie hier – nicht (zusätzlich) am Handlungs- oder Erfolgsort möglich.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist eine internationale Zuständigkeit auch nicht aufgrund der Regelung des Art. 124 UMV bzw. im Zusammenspiel zwischen Art. 124, 125 UMV begründet. Nach Art. 124 lit. b) UMV sind die Unionsmarkengerichte grundsätzlich zuständig für Klagen auf Feststellung der Nichtverletzung. Diese Regelung sieht jedoch ausdrücklich die Ausnahme vor, dass die Zuständigkeit nur begründet wird, „falls das nationale Recht diese zulässt“. Die Klägerin hat insoweit vorgetragen, dass in Frankreich eine Klage auf Nichtverletzung nicht möglich sei. Damit greift Art. 125 Abs. 5 UMV auch in der Zusammenschau mit Art. 124 lit. b) UMV nicht (vgl. BeckOK UMV/Müller, 36. Ed. 15.2.2022, Art. 125 Rn. 29; Hildebrandt/Sosnitza/Hildebrandt, 2021, Art. 124 UMV Rn. 12, Art. 125 Rn. 37; BeckOK MarkenR/Gillert, 41. Ed. 1.4.2025, Art. 125 UMV Rn. 30).
Auf Art. 7 Abs. 2 Brüssel-Ia-VO kann sich die Klägerin ebenfalls nicht berufen, da diese Regelung durch Art. 125 Abs. 5 UMV als insoweit speziellere Regelung verdrängt wird (Hildebrandt/Sosnitza/Hildebrandt, 2021, Art. 124 UMV Rn. 12).
Die Kammer sieht entgegen der Auffassung der Klägerin keinen Anlass für eine teleologische Reduktion von Art. 125 Abs. 5 UMV, auch bzw. gerade, wenn die Kammer den Vortrag der Klägerin unterstellt, dass nach französischem Recht keine negative Feststellungsklage gerichtet auf die Feststellung, dass die Produkte der Klägerin nicht die Unionsmarke verletzen, möglich wäre. Der Unionsgesetzgeber hat sich mit Art. 124 lit. b) UMV dazu entschieden, es den Mitgliedstaaten zu überlassen, ob die nationalen Prozessordnungen (auch) im Markenrecht negative Feststellungsklagen vorsehen. Er hat sowohl in Art. 124 lit. b) UMV als auch in Art. 125 Abs. 5 UMV ausdrücklich auf die nationalen Rechtsordnungen verwiesen und nicht über die UMV eine nur für das Unionsmarkenrecht wirkende, für einige Mitgliedstaaten neue, prozessuale Möglichkeit geschaffen.
Insoweit greift auch der Einwand der Klägerin, sie wäre bei einer wörtlichen Anwendung des Art. 125 Abs. 5 UMV rechtlos gestellt, nicht. Denn die Klägerin steht letztlich durch die Regelung nicht anders, als wenn die mögliche Verletzungshandlung auf französischem Boden stattgefunden hätte. Denn auch in diesem Fall könnte die Klägerin – nach ihrem eigenen Vortrag – nicht auf Feststellung der Nichtverletzung (in Frankreich) klagen. Dieses Ergebnis entspricht der gesetzgeberischen Entscheidung, keinen über die nationalen Rechtsordnungen hinausgehenden zusätzlichen Rechtsbehelf zu schaffen.
Schließlich greift auch die Argumentation der Klägerin, Sinn und Zweck von Art. 125 Abs. 5 UMV sei die Verhinderung sog. „Torpedo-Klagen“ und eine solche drohe im vorliegenden Fall nicht, zu kurz. Denn es mag zutreffen, dass dies ein Grund für die Regelung ist. Wie oben dargestellt, lässt sich Art. 124, 125 UMV jedoch entnehmen, dass über die UMV in Mitgliedstaaten, die eine solche nicht vorsehen, keine neue Klagemöglichkeit für negative Feststellungsklagen geschaffen werden sollte. Auf die Frage, ob eine „Torpedo-Klage“ verhindert wird oder nicht, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, da Klägerin voll unterlegen ist.
3. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.
4. Die Kammer hat auch die Anregung der Klägerin, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH Fragen zur Auslegung von Art. 125 Abs. 5 UMV vorzulegen, nicht aufgegriffen. Nach Auffassung der Kammer besteht in Bezug auf die hier im Streit stehende Rechtsfrage kein Zweifel über die Auslegung von Art. 125 Abs. 5 UMV, sowohl nach ihrem Wortlaut, Sinn und Zweck und ebenfalls im Zusammenspiel mit Art. 124 UMV. Die Frage, ob Art. 125 Abs. 5 UMV in einem Fall wie hier greift, ist auch nicht umstritten. Die Klägerin konnte insoweit keine einzige Fundstelle benennen, die Zweifel an dem hier dargestellten Ergebnis geweckt hätte.
5. Der Streitwert wird auf 250.000,- € festgesetzt (§ 3 ZPO).