LG Hamburg, Urteil vom 15.11.2024, Az. 324 O 507/23
§ 823 Abs. 1 BGB, § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG
Das LG Hamburg hatte einen Rechtsstreit zwischen zwei Streamern/Influencern zu entscheiden und untersagte in der Folge diverse Behautpungen und Bezeichnungen, darunter die Bezeichnung als „Nazi-Troll“. Auch unter Berücksichtigung des sehr weitgehenden verfassungsrechtlichen Schutzes, unter dem die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG stehe, gehe die Kammer im konkreten Kontext von der äußerungsrechtlichen Unzulässigkeit der Bezeichnung des Klägers als „Nazi-Troll“ aus. Zwar sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte die Äußerung nicht isoliert aufstelle, sondern sich mit dem Kläger in einer seit geraumer Zeit geführten Auseinandersetzung befinde. Zudem erörtere sie, warum sie die konkrete Bezeichnung für ihn gewählt habe. Dass sie lediglich den Kläger herabwürdigen wollte, könne nicht angenommen werden. Die Äußerung sei demnach zunächst weder als Formalbeleidigung noch als Schmähung einzuordnen. Jedoch streite die nunmehr vorzunehmende, verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch ihr Verbot andererseits für den Kläger. Dabei sei auch zu beachten, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen schütze, sondern gerade Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen dürfe; insoweit liege die Grenze zulässiger Meinungsäußerungen nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich sei. Weiterhin streite zugunsten der Beklagten, dass der Kläger als Streamer in seiner gewerblichen Betätigung, also in seiner Sozialsphäre, betroffen sei und er sich als eine so in der Öffentlichkeit auftretende Person auch Kritik aussetzen müsse. Dennoch sei auf Seiten des Klägers zu berücksichtigen, dass es sich bei der Bezeichnung als „Nazi-Troll“ grundsätzlich um eine Beleidigung im Sinne von § 185 StGB handele. Diese Äußerung sei geeignet, das Persönlichkeitsrecht des Klägers in erheblicher Weise zu beeinträchtigen. Gerade vor dem Hintergrund der schrecklichen Verbrechen der Nazi-Diktatur sei es sehr beeinträchtigend für den Kläger, mit den Nationalsozialisten in Verbindung gebracht zu werden. In der gebotenen Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Klägers und der Meinungsäußerungsfreiheit der Beklagten sei daher zu berücksichtigen, ob es Anknüpfungstatsachen gebe, aus denen sich eine Einstellung oder Überzeugung des Klägers ablesen lasse, die auf eine Übereinstimmung mit der Ideologie des Nationalsozialismus schließen lasse. Davon könne vorliegend unter Berücksichtigung des Vortrags der Beklagten nicht ausgegangen werden. Der Gegenstandswert wurde auf reichliche 90.000 EUR festgelegt. Zum Volltext der Entscheidung:
Landgericht Hamburg
Urteil
…
I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines von dem Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000 Euro, Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre),
zu unterlassen,
1. in Bezug auf den Kläger die nachfolgenden Äußerungen zu verbreiten und/oder öffentlich zugänglich zu machen und/oder verbreiten und/oder öffentlich zugänglich machen zu lassen,
„Der Grund warum ich mit ausgerechnet DIR nicht über Sexismus diskutieren will, ist weil du mir 2017 auf der Gamescom mit deinem Handy beim Streamen ins Dekolte gefilmt hast. Ich habe das Ruhen lassen, weil du super viel Hate wegen ähnlichen sexistischen Vorwürfen von anderen Frauen zu eben der Gamescom bekommen hast (…)“
wenn dies geschieht wie in einem X-Beitrag vom 17. August 2020 und als Anlage 8 ersichtlich; und/oder
„Inklusive diverser Vorwürfe, die gegen ihn im Raum stehen, zur Belästigung von irgendwelchen Influencerinnen, inklusive mir, auf der Gamescom in den vergangenen Jahren.“
wenn dies geschieht wie in einem Live-Stream auf der Plattform T. vom 30. Juni 2023 und aus Anlage 7 ersichtlich;
und/oder
„Ich wurde danach von anderen Menschen darauf angesprochen, dass ich in S. Stream zu sehen war und dass er schon den ganzen Tag auf der Messe mit Selfie Stick rumläuft und von oben herab ins Dekolte von Streamerinnen filmt, und dann so tut als wäre das „keine Absicht“ und dass man das auch bei mir gesehen hätte.“
wenn dies geschieht in einem X-Beitrag vom 4. Juli 2023 und als Anlage 9 ersichtlich.
2. in Bezug auf den Kläger zu behaupten/ und oder behaupten zu lassen und/ oder zu verbreiten und/ oder verbreiten zu lassen
„Als ich ihm im Laufe des Tages noch einmal begegnet bin, er immer noch mit Handy und Selfie-Stick unterwegs, habe ich sehr abfällig reagiert und ihm gesagt, dass er aufhören soll mich zu filmen. Er hat daraufhin mit dem Handy vor mir herumgefuchtelt und gemeint, Chat würde sich darüber freuen, wenn ich mehr zeigen würde und das wäre gut für die Clicks.“
wenn dies geschieht wie in einem X-Beitrag vom 4. Juli 2023 und als Anlage 9 ersichtlich.
3. in Bezug auf den Kläger zu äußern und/oder äußern zu lassen und/oder zu verbreiten und/oder zu lassen,
„[…] und deswegen nenne ich einen S. Nazi-Troll.“
wenn dies geschieht wie in einem Live-Stream auf der Plattform T. vom 30. Juni 2023 und aus Anlage 7 ersichtlich.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Von den Kosten des Verfahrens tragen der Kläger 1/6 und die Beklagte 5/6.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Für die Beklagte ohne Sicherheitsleistung. Der Kläger kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet. Für den Kläger hinsichtlich des Tenors zu 1. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 45.000 Euro und hinsichtlich des Tenors zu 2. und 3. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von jeweils 15.000 Euro und im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 90.000 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Randnummer1
Die Parteien sind Influencer bzw. Streamer und als solche im Internet präsent. Beim Streaming handelt es sich um die Übertragung von Inhalten über das Internet in Echtzeit („Streams“). Dabei können sich die Streamer live per Kamera und mit Ton, mithin audiovisuell, in das Internet übertragen und eigene Kanäle betreiben. Streamer nutzen einschlägige Plattformen, sogenannte Streaming-Dienste, wie z.B. eine Plattform namens T., um ihre Inhalte einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Streamer können ihre Inhalte live im Internet präsentieren und dabei mit den Zuschauern interagieren. Es ist zudem gängige Praxis, dass Streamer auf die von anderen Streamern generierten Inhalte reagieren, Stellung beziehen und so einen online stattfindenden Diskurs erschaffen. Dies wird in der Streamer-Szene als „Reacting“, entsprechende Videos werden als „Reacts“, bezeichnet.
Randnummer2
Der Kläger ist im Internet unter dem Pseudonym „ S1“ und die Beklagte unter dem Pseudonym „ S2“ bekannt.
Randnummer3
In einem Live-Stream von über sechs Stunden beschäftigte sich die Beklagte am 30.06.2023 unter anderem mit dem Kläger (Video der relevanten Mitschnitte als Anlage 10, Transkript als Anlage 7). Dabei thematisierte sie ein Gespräch zwischen dem Kläger und einem weiteren Streamer namens „ D.“ und wies darauf hin, dass es ihr nicht um den Inhalt des zwischen dem Kläger und „ D.“ geführten Gesprächs gehe, sondern darum, dass dieser überhaupt mit dem Kläger gesprochen habe. Dabei teilte sie unter anderem mit, dass der Kläger sie auf der Gamescom in den vergangenen Jahren belästigt habe. Zudem machte sie geltend, dass es weitere Vorwürfe von Belästigung zum Nachteil anderer Frauen durch den Kläger gebe. Unter anderem äußerte sich die Beklagte in dem Stream wie folgt:
Randnummer4
„Es geht ja nicht nur darum, was er in diesem Gespräch gesagt hat. Die Kritik, die wir an dieser Stelle haben, ist ja tatsächlich: Geh nicht mit S. in ein Gespräch. Die Kritik ist nicht: Was ist Inhalt des Gesprächs.
Randnummer5
Deshalb, an dieser Stelle lieber T., möchtest du dich jetzt darüber beschweren, dass wir kritisiert haben, dass dieses Gespräch stattgefunden hat?
Randnummer6
Oder möchtest du dich darüber beschweren, worum es in diesem Gespräch ging? Das sind nämlich zwei Paar Schuhe! Für uns in unserer Kritik ging es nämlich gar nicht primär um die Inhalte dieses Gesprächs. Es ging darum, dass das Gespräch stattgefunden hat. Und – dass das Gespräch stattgefunden hat, ist eine Kritik, die bereits vor dem Gespräch stattfindet. Und für diese Kritik ist der Inhalt des Gesprächs tatsächlich irrelevant.
Randnummer7
Dabei geht es tatsächlich um die Inhalte, die davor geteilt wurden.
Randnummer8
Die Inhalte wie z.B. der Re-Stream von „What is a Woman“ von W. – was schwer transfeindlich und frauenfeindlich ist und wofür S. unter anderem zwei Wochen bei T. gebannt wurde.
Randnummer9
Also da geht es nicht primär nur um die Dinge, die in diesem Gespräch gesagt wurden, sondern es ging um das Verhalten davor inklusive dem gesamten T1-Verlauf von S. und es ist echt nicht schwer, den nachzuschauen, in dem er ganz offen transfeindliche, queerfeindliche und frauenfeindliche Dinge sagt.
Randnummer10
Inklusive diverser Vorwürfe, die gegen ihn im Raum stehen, zur Belästigung von irgendwelchen Influencerinnen, inklusive mir, auf der Gamescom, in den vergangenen Jahren.“
Randnummer11
Bereits im Jahr 2020 hatte die Beklagte bei T1 geäußert, dass der Kläger ihr 2017 auf der Gamescom beim Streamen mit seinem Handy in das Dekolleté gefilmt habe und dass sie dies habe ruhen lassen, da der Kläger „super viel Hate“ wegen ähnlicher sexistischer Vorwürfe von anderen Frauen bekommen habe:
Randnummer12
Nachdem die Beklagte mit dem voranstehenden Tweet im Jahr 2020 die genannten Vorwürfe gegen den Kläger erhoben hatte, trafen die beiden damals noch von demselben Manager P. O. vertretenen Parteien eine Vereinbarung, dass man sich von nun an gegenseitig in Ruhe lassen wolle. Die Beklagte löschte sodann den Tweet vom 17.08.2020.
Randnummer13
Der Kläger veröffentlichte in Reaktion auf den Live-Stream der Beklagten vom 30.06.2023 via Y. am 04.07.2023 eine Stellungnahme (Video als Anlage K11), in dem auch die Begegnung der Parteien auf der Gamescom im Jahr 2017 zu sehen ist. Er macht geltend, dass der Videoaufzeichnung deutlich zu entnehmen sei, dass der Sachverhalt von den Schilderungen der Beklagten erheblich abweiche. Auf die Veröffentlichung des Videos des Klägers reagierte die Beklagte am 04.07.2023 mit dem nachfolgenden Tweet:
Randnummer14
Der Kläger wendet sich mit dieser Klage auch gegen die Bezeichnung seiner Person als „Nazi-Troll“, wie sie die Beklagte ebenfalls in dem Live-Stream vom 30.06.2023 tätigte (Ausschnitt dieses Videos als Anlage 12, Transkript als Anlage 7). Konkret äußerte sich die Beklagte wie folgt:
Randnummer15
„Ich halte tatsächlich S. nicht für einen vollausgewachsenen Nazi. Das traue ich ihm nicht zu. Ich halte ihn tatsächlich für einen Populisten und einen Troll, der einfach jede provokante Meinung, die es irgendwie gibt, übernimmt, einfach nur, um Aufmerksamkeit zu bekommen, egal um welchen Preis. Und dafür ist er bereit, menschenverachtende Dinge zu reproduzieren, auch dann, wenn er inhaltlich seinen eigenen Aussagen gar nicht folgen kann, nur damit Menschen sich darüber aufregen, weil dann Menschen auf seinen T.-Channel kommen und er mit seinem Casino-Deal noch ein bisschen reicher wird. Ich halte ihn einfach für einen unfassbar berechnenden Menschen, ohne eine eigene politische Meinung und Bildung, der alles dafür tun würde, um mehr Geld zu verdienen, um jeden Preis. Und deswegen nenne ich einen S. Nazi-Troll. Cool.“
Randnummer16
Der Kläger macht geltend, dass ihm wegen der dargestellten Äußerungen der Beklagten Unterlassungsansprüche zukämen. Die Äußerungen der Beklagten zum Geschehensablauf im Rahmen des Sachverhaltskomplexes Gamescom 2017 stellten keine zulässige Meinungsäußerung dar. Sie seien allesamt sachlich falsche Tatsachenbehauptungen und dienten dazu, das öffentliche Ansehen des Klägers bewusst herabzusetzen, diesen öffentlichkeitswirksam zu diffamieren und seine Person zu verunglimpfen.
Randnummer17
Der Kläger trägt vor, dass die Beklagte die Begegnung auf der Gamescom 2017 immer wieder so darstelle, als sei der Kläger umhergegangen und habe der Beklagten in den Ausschnitt gefilmt. Sie behaupte überdies, dass es ähnliche sexistische Vorwürfe anderer Frauen zu eben dieser Gamescom 2017 gegeben habe. Damit erwecke sie den Eindruck, der Kläger habe sexuelle Belästigungen begangen. Es gebe neben der Beklagten keine weiteren Frauen, die gegenüber dem Kläger Vorwürfe erhoben hätten. Es handele sich um eine Lüge, die einzig und allein den Zweck habe, den Kläger zu diffamieren, in der Öffentlichkeit als sexuellen Straftäter darstellen zu lassen und die Beklagte als die „Gute“ zu porträtieren. Dabei verfüge die Beklagte über eine erhebliche Anzahl an „Followern“.
Randnummer18
Die Beklagte habe bei ihrer Darstellung in Bezug auf die Ereignisse auf der Gamescom 2017 verschwiegen, dass der Kläger seinen Aufenthalt mit einem Selfie-Stick gestreamt habe. Dabei sei aber die Erwähnung des Selfie-Sticks mit Blick auf die zu beurteilende Sachlage eine wesentliche Information, welche die Beklagte zunächst vorenthalten habe. Dabei habe die Beklagte durch die Formulierungen den Eindruck erweckt, der Kläger habe mit ausgestrecktem Arm absichtlich in den Ausschnitt der Beklagten gefilmt, um seinen Zuschauern obszöne Inhalte zu präsentieren. Mithin habe sie so öffentlichkeitswirksam den Verdacht erzeugt, der Kläger habe sie sexuell, sexistisch oder anderweitig belästigt. Diese von der Beklagte dem Kläger unterstellte Handlung habe erwiesenermaßen nicht stattgefunden. Zwar habe der Kläger die Beklagte eine kurze Zeit lang von oben gefilmt. Dies sei aber ausschließlich der technischen Umsetzung der Aufzeichnung des Live-Streams mit einem Live-Stick geschuldet gewesen und ohne jedwede lüsterne Absicht des Klägers erfolgt. Nachdem die Beklagte den Kläger darauf hingewiesen habe, dass sie nicht von oben mittels eines Selfie-Sticks gefilmt werden wollte, sei er unstreitig ihrem Wunsch unverzüglich nachgekommen und habe die Positionierung seines Handys zum Zwecke des Filmens angepasst. Die Beklagte vermittele gegenüber dem Durchschnittsempfänger den unzutreffenden Eindruck, der Kläger habe sie tatsächlich in sexuell anstößiger Manier gefilmt. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass die Beklagte in dem Video vom 30.06.2023 nur noch von Belästigung spreche. Jedenfalls im Jahr 2020 habe die Beklagte öffentlichkeitswirksam den Vorwurf „ähnlicher sexistischer Vorwürfe“ anderer Frauen gegen den Kläger erhoben. Die Äußerungen der Beklagten aus dem Jahr 2020 stünden in einem untrennbaren Zusammenhang mit den jüngsten Äußerungen aus Juni 2023, schon da sie sich auf denselben Lebenssachverhalt bezögen.
Randnummer19
Soweit die Beklagte behaupte, gegenüber dem Kläger seien anlässlich der Gamescom 2017 ähnliche sexistische Vorwürfe von anderen Frauen geäußert worden, entbehre auch dies jeglicher tatsächlichen Grundlage und stelle eine unzulässige Tatsachenbehauptung dar. Bis heute habe keine einzige andere Frau dem Kläger gegenüber oder öffentlich vorgeworfen, von ihm im Rahmen der Gamescom 2017 oder einem anderen Kontext belästigt worden zu sein – schon gar nicht in sexueller oder sexistischer Hinsicht.
Randnummer20
Für die Bezeichnung des Klägers als Nazi-Troll gebe es keine Anknüpfungstatsachen. Er, der Kläger, vertrete keine rechten oder rechtsextremistischen Ansichten.
Randnummer21
Unwahr sei auch die in dem Tweet vom 04.07.2023 geäußerte Behauptung, dass andere Personen den Kläger dabei beobachtet hätten, wie er von oben herab in das Dekolleté von Streamerinnen gefilmt habe und dann so getan habe, als sei es keine Absicht. Tatsächlich gebe es diese „anderen Personen“, auf die die Beklagte Bezug nehmen wolle, nicht. Diese seien von der Beklagten vielmehr frei erfunden, um ihren haltlosen Anschuldigungen noch mehr Gewicht zu verleihen. Auch gebe es keine anderen Influencerinnen oder Streamerinnen, denen der Kläger angeblich ins Dekolleté gefilmt haben soll.
Randnummer22
Der Kläger sei der Beklagten auf der Gamescom nur einmal begegnet. Er habe die Beklagte nicht mehr gefilmt und auch nicht „mit dem Handy vor“ der Beklagten „herumgefuchtelt“. Er bestreite ausdrücklich, gegenüber der Beklagten oder gegenüber irgendeiner Person behauptet zu haben, dass der „Chat sich freuen würde“, wenn die Beklagte „mehr zeigen würde“ und dass das „gut für die Clicks“ sei.
Randnummer23
Insgesamt komme es nicht auf eine juristische Bewertung oder auf eine Unterscheidung der Begriffe sexistisch oder sexuell an, denn die Beklagte beschreibe einen Vorgang, der vonseiten eines Durchschnittsrezipienten als sexuelle Belästigung bzw. als sexuell intendierte Handlung eingeordnet werde.
Randnummer24
In Bezug auf den Vortrag der Beklagten betreffend den Film „What is a woman“ sei es zutreffend, dass der Kläger sich den Film angesehen habe. Unzutreffend sei indes, dass dieser transfeindlich oder frauenverachtend sei. Auch treffe es nicht zu, dass sich dessen Macher selbst als Faschist bezeichne. Unwahr sei auch, dass der Kläger wegen des Schauens des Films von T. gebannt worden sei.
Randnummer25
Der Kläger hat den ursprünglichen Klagantrag vom 01.11.2023 nach einem Hinweis der Kammer am 07.12.2023 konkretisiert und erweitert. Nach einem weiteren Hinweis der Kammer hat er mit Schriftsatz vom 12.01.2024, Bl. 76 ff. der Akte, sämtliche Klaganträge zurückgenommen und mit Ausnahme des Klagantrag zu 4) aus dem Schriftsatz vom 01.11.2023 neu gefasst. Mit einem weiteren Schriftsatz vom 28.08.2024, Bl. 206 ff. der Akte, hat er die Klaganträge ein weiteres Mal neu gefasst. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten der jeweiligen Antragsfassungen wird auf die aufgeführten Schriftsätze Bezug genommen.
Randnummer26
Der Kläger beantragt nun,
Randnummer27
Die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines von dem Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000 Euro, Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre), zu unterlassen,
Randnummer28
1. In Bezug auf den Kläger durch die Äußerungen:
Randnummer29
„Der Grund, warum ich mit ausgerechnet DIR nicht über Sexismus diskutieren will, ist weil du mir 2017 auf der Gamescom mit deinem Handy beim Streamen ins Dekolte gefilmt hast. Ich habe das Ruhen lassen, weil du super viel Hate wegen ähnlichen sexistischen Vorwürfen von anderen Frauen zu eben der Gamescom bekommen hast.“
Randnummer30
wenn dies geschieht wie in einem X-Beitrag vom 17. August 2020 und als Anlage 8 ersichtlich
Randnummer31
und
Randnummer32
„Inklusive diverser Vorwürfe, die gegen ihn im Raum stehen, zur Belästigung von irgendwelchen Influencerinnen, inklusive mir, auf der Gamescom, in den vergangenen Jahren.“
Randnummer33
wenn dies geschieht wie in einem Live-Stream auf der Plattform T. vom 30. Juni 2023 und aus Anlage 7 ersichtlich
Randnummer34
den Eindruck zu erwecken, der Kläger habe die Beklagte auf der Gamescom 2017 sexuell belästigt.
Randnummer35
2. In Bezug auf den Kläger durch die Äußerungen:
Randnummer36
„Der Grund warum ich mit ausgerechnet DIR nicht über Sexismus diskutieren will, ist weil du mir 2017 auf der Gamescom mit deinem Handy beim Streamen ins Dekolte gefilmt hast. Ich habe das Ruhen lassen, weil du super viel Hate wegen ähnlichen sexistischen Vorwürfen von anderen Frauen zu eben der Gamescom bekommen hast (…)“
Randnummer37
wenn dies geschieht wie in einem X-Beitrag vom 17. August 2020 und als Anlage 8 ersichtlich
Randnummer38
und
Randnummer39
„Inklusive diverser Vorwürfe, die gegen ihn im Raum stehen, zur Belästigung von irgendwelchen Influencerinnen, inklusive mir, auf der Gamescom, in den vergangenen Jahren.“
Randnummer40
wenn dies geschieht wie in einem Live-Stream auf der Plattform T. vom 30. Juni 2023 und aus Anlage 7 ersichtlich
Randnummer41
und
Randnummer42
„Ich wurde danach von anderen Menschen darauf angesprochen, dass ich in S. Stream zu sehen war und dass er schon den ganzen Tag auf der Messe mit Selfie Stick rumläuft und von oben herab ins Dekolte von Streamerinnen filmt, und dann so tut als wäre das „keine Absicht“ und dass man das auch bei mir gesehen hätte.“
Randnummer43
wenn dies geschieht in einem X-Beitrag vom 4. Juli 2023 und als Anlage 9 ersichtlich den Eindruck zu erwecken, der Kläger habe mehrere Frauen sexuell belästigt.
Randnummer44
Hilfsweise:
Randnummer45
In Bezug auf den Antragsteller die nachfolgenden Äußerungen zu verbreiten und/oder öffentlich zugänglich zu machen und/oder verbreiten und/oder öffentlich zugänglich machen zu lassen,
Randnummer46
„Der Grund warum ich mit ausgerechnet DIR nicht über Sexismus diskutieren will, ist weil du mir 2017 auf der Gamescom mit deinem Handy beim Streamen ins Dekolte gefilmt hast. Ich habe das Ruhen lassen, weil du super viel Hate wegen ähnlichen sexistischen Vorwürfen von anderen Frauen zu eben der Gamescom bekommen hast (…)“
Randnummer47
wenn dies geschieht wie in einem X-Beitrag vom 17. August 2020 und als Anlage 8 ersichtlich
Randnummer48
und/oder
Randnummer49
„Inklusive diverser Vorwürfe, die gegen ihn im Raum stehen, zur Belästigung von irgendwelchen Influencerinnen, inklusive mir, auf der Gamescom, in den vergangenen Jahren.“
Randnummer50
wenn dies geschieht wie in einem Live-Stream auf der Plattform T. vom 30. Juni 2023 und aus Anlage 7 ersichtlich
Randnummer51
und/oder
Randnummer52
„Ich wurde danach von anderen Menschen darauf angesprochen, dass ich in S. Stream zu sehen war und dass er schon den ganzen Tag auf der Messe mit Selfie Stick rumläuft und von oben herab ins Dekolte von Streamerinnen filmt, und dann so tut als wäre das „keine Absicht“ und dass man das auch bei mir gesehen hätte.“
Randnummer53
wenn dies geschieht in einem X-Beitrag vom 4. Juli 2023 und als Anlage 9 ersichtlich.
Randnummer54
3. In Bezug auf den Kläger zu behaupten/ und oder behaupten zu lassen und/ oder zu verbreiten und/ oder verbreiten zu lassen
Randnummer55
„Als ich ihm im Laufe des Tages noch einmal begegnet bin, er immer noch mit Handy und Selfie-Stick unterwegs, habe ich sehr abfällig reagiert und ihm gesagt, dass er aufhören soll mich zu filmen. Er hat daraufhin mit dem Handy vor mir herumgefuchtelt und gemeint, Chat würde sich darüber freuen, wenn ich mehr zeigen würde und das wäre gut für die Clicks.“
Randnummer56
wenn dies geschieht wie in einem X-Beitrag vom 4. Juli 2023 und als Anlage 9 ersichtlich.
Randnummer57
4. In Bezug auf den Kläger zu äußern und/oder äußern zu lassen und/oder zu verbreiten und/oder zu lassen,
Randnummer58
„[…] und deswegen nenne ich einen S. Nazi-Troll.“
Randnummer59
wenn dies geschieht wie in einem Live-Stream auf der Plattform T. vom 30. Juni 2023 und aus Anlage 7 ersichtlich.
Randnummer60
Die Beklagte beantragt,
Randnummer61
die Klage abzuweisen.
Randnummer62
In Bezug auf den Klagantrag zu 1) trägt die Beklagte vor, dass es zunächst der Kläger gewesen sei, der 2020 einen Post veröffentlicht habe, in dem er behaupte, dass die Beklagte ihm sexuelle Belästigung unterstelle. Sie, die Beklagte, habe mit ihrem T1-Beitrag aus dem Jahr 2020 lediglich auf diesen Post des Klägers reagiert. Bis zu diesem Zeitpunkt habe sie sich öffentlich nie zu sexistischen Vorwürfen geäußert gehabt. Da der Kläger mit seinem Post falsche Behauptungen über die Beklagte verbreitet habe, sei sie gezwungen gewesen, den falschen Anschuldigungen öffentlich entgegenzutreten und diese richtig zu stellen. Sie habe zudem nicht von sexuellen Übergriffen gesprochen, sondern von sexistischen. Entgegen der Behauptung des Klägers handele es sich dabei auch nicht um eine „lediglich geringfügige Änderung der Formulierung“. Die Bezeichnung „sexistisch“ ziele gerade nicht, wie vom Kläger behauptet, auf die Missachtung der sexuellen Integrität von Frauen ab, sondern bezeichne die Diskriminierung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts.
Randnummer63
Zudem sei es zutreffend, dass der Kläger der Beklagten in das Dekolleté gefilmt habe. Die Beklagte habe den Kläger auch darauf hingewiesen, dass die Aufnahmen von oben zu beenden seien, da sie sich unwohl fühle. So räume der Kläger auch ausdrücklich ein, Frauen in das Dekolleté gefilmt zu haben. Welche Absichten oder Motive dahintersteckten, sei unerheblich.
Randnummer64
Zu der Aufnahme-Situation auf der Gamescom liege auch die Schilderung eines Dritten vor. Dieser berichte, dass der Kläger auf der Gamescom 2017 einen Live-Stream auf T. gemacht habe und per Chat mit seinen Abonnenten interagiert habe. Dort habe ein Zuschauer den Kläger dazu aufgefordert, die Hände der Beklagten beim Filmen kräftig zu schütteln, damit deren „Brüste wackeln.“ Dieses Verhalten dürfe die Beklagte als sexistisch bewerten.
Randnummer65
Der Kläger falle zudem immer wieder mit Äußerungen und Tweets auf, die als frauenfeindlich bezeichnet werden können. Zudem habe er öffentlich Sympathien für Andrew Tate bekundet, bei dem es sich um einen Influencer handele, der gerade wegen Vergewaltigung und Menschenhandel vor Gericht stehe.
Randnummer66
In Bezug auf das streitgegenständliche Posting vom 17.08.2020 sei zu berücksichtigen, dass es eine außergerichtliche Klärung gegeben habe. Die Parteien hätten sich darauf verständigt, dass man sich von nun an gegenseitig in Ruhe lassen wolle und die Beklagte habe als Entgegenkommen den Post gelöscht. Dieser sei also nur wenige Tage online gewesen. Im November 2023 habe der Kläger einseitig entschieden, dass diese Vereinbarung für ihn nun keine Bindungswirkung mehr habe. Er könne sich aber von dieser nicht einseitig lösen. Zudem habe die Beklagte den streitgegenständlichen Post vom 17.08.2020, auf den sich die mit Schriftsatz vom 12.01.2024 gestellten Anträge zu 1) und 2) beziehen, bereits im Jahr 2020 entfernt. Es bestehe somit hinsichtlich dieser Anträge keine Wiederholungsgefahr, denn eine solche liege immer nur dann vor, wenn eine Wiederholung des (vermeintlich) rechtswidrigen Verhaltens nicht nur theoretisch möglich und/oder denkbar sei, sondern auch mit einer gewissen Ernsthaftigkeit erwartet werden könne und somit greifbar erscheine. Zudem sei hinsichtlich der Klaganträge, die sich auf den Post vom 17.08.2020 beziehen, Verwirkung eingetreten.
Randnummer67
Der Kläger habe die im Jahr 2020 getroffene Vereinbarung zuerst gebrochen, indem er im Februar 2023 negative Beiträge über die Beklagte veröffentlicht habe. Der Kläger habe sich ab Februar 2023 regelmäßig zur Beklagten negativ geäußert und deren Inhalte in seinen Beiträgen kommentiert, ohne dass er hierfür einen Anlass gehabt hätte. Sein einziges Interesse habe in der Diffamierung der Beklagten bestanden.
Randnummer68
Zutreffend sei auch, dass es auch Vorwürfe sexistischen Verhaltens weiterer Frauen gebe. Dies belegten zahlreiche Screenshots. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf die Darstellung in der Klagerwiderung, Bl. 104 ff. der Akte, Bezug genommen.
Randnummer69
In Bezug auf die zweite Äußerung aus dem Hilfsantrag zu dem Klagantrag zu 2) würden die von dem Kläger behaupteten Aussagen bestritten. Die Beklagte könne sich nach so langer Zeit nicht mehr an den genauen Wortlaut ihrer Aussagen in einem Live-Stream erinnern. Im Übrigen handele es sich aber um eine wahre Tatsachenbehauptung. Zunächst einmal sei anzumerken, dass die Beklagte in ihren Streams immer wieder gendere. Deswegen habe der Kläger die Aussagen der Beklagten bereits falsch wiedergegeben. Zwei weitere Influencer:innen, die von dem Kläger belästigt worden seien, seien „ T1“ und ihr Lebensgefährte „ S3“ (D. L.). Dieser habe den Kläger im Jahr 2018 bereits anwaltlich abmahnen lassen und der Kläger habe eine entsprechende Unterlassungsverpflichtungserklärung abgegeben.
Randnummer70
Dass es Belästigungsvorwürfe Dritter gegen den Kläger gegeben habe, werde an einem Chatverlauf der Beklagten mit dem früheren Manager des Klägers P. O. deutlich. Diesbezüglich wird auf die Darstellung auf Bl. 181 der Akte Bezug genommen.
Randnummer71
Unzutreffend sei auch die Ansicht des Klägers, dass die Äußerungen aus dem Live-Stream aus dem Juni 2023 in einem Zusammenhang mit dem T1-Beitrag aus dem Jahr 2020 zu sehen seien, weswegen auch diese (dort hat die Beklagte nur von „Belästigung“ gesprochen) als sexuelle Belästigung zu verstehen seien. Der Tweet aus dem Jahr 2020 sei nur wenige Tage abrufbar gewesen und es sei der Kläger selbst gewesen, der am 01.07.2023 die Äußerungen der Beklagten zu „Belästigung“ als sexuelle Belästigung eingeordnet habe (vgl. Anlage B2). Mithin sei es im Jahr 2023 der Kläger selbst gewesen, der den Vorwurf der sexuellen Belästigung ins Spiel gebracht habe.
Randnummer72
Hinsichtlich der dritten Äußerung aus dem Hilfsantrag zu dem Klagantrag zu 2) sei darauf hinzuweisen, dass die Beklagte nach dem Vorfall auf der Gamescom 2017 noch vor Ort von Dritten auf das Verhalten des Klägers angesprochen worden sei. Auch im Nachhinein sei die Beklagte sowohl in ihren Live-Streams als auch im echten Leben mehrfach auf den Vorfall angesprochen worden.
Randnummer73
Auch die von dem Klagantrag zu 3) erfasste Situation habe wie dort geschildert stattgefunden. Im Übrigen könne der Kläger diese Situation aufklären, da ihm das gesamte Videomaterial des Streams vorliege. Das habe er in der Vergangenheit mehrfach bestätigt. Dass der Kläger nur einzelne Ausschnitte und nicht den vollständigen Stream vorlege, lasse sich nur damit erklären, dass die Äußerungen der Beklagten allesamt zutreffend seien.
Randnummer74
Der Beklagten sei der genaue Wortlaut ihrer Äußerungen aus dem Jahr 2023 nicht mehr vollständig bekannt. Deswegen würden die von dem Kläger behaupteten Äußerungen aus dem Klagantrag zu 4) bestritten. Zudem handele es sich bei der Bezeichnung des Klägers als Nazi-Troll um eine zulässige Meinungsäußerung. Die Beklagte behaupte nicht, dass der Kläger ein Nazi sei. Bei dem Kläger handele es sich um einen reaktionären Influencer, der vermehrt durch Transfeindlichkeit, Misogynie und Provokationen öffentlich aufgefallen sei. Der Kläger werde auch in anderen Medien immer wieder als reaktionärer Streamer beschrieben. Auch der Streamer R. habe gegenüber dem Kläger bereits einen Nazi-Bezug hergestellt, nachdem dieser auf T1 eine „Kurze Frage an einige LGBTIA+ Supporter“ gestellt hatte. Der Kläger habe Folgendes gefragt:
Randnummer75
„Warum seid ihr so menschenfeindlich?
Randnummer76
Warum wollt ihr das Leid an Kinder?
Randnummer77
Warum unterstützt ihr den perversen sexuellgestörten widerlichen ekelerregenden Pedoscheiß?
Randnummer78
Warum wählt ihr die Seite der Verschwörungstheorien?
Randnummer79
Warum wollt ihr die Wahrheit nicht annehmen?
Randnummer80
Warum begebt ihr euch nicht freiwillig in psychologischer Behandlung?“
Randnummer81
Ähnlich wie „ R.“ habe auch die Beklagte das Verhalten des Klägers und insbesondere seine Verherrlichung des sehr umstrittenen Films „What is a Woman“ von M. W. im Nachhinein kritisiert, nachdem der Kläger den Film auf seinem Kanal restreamt, gezeigt und positiv kommentiert habe und u.a. dafür von der Plattform für mehrere Tage gesperrt worden sei. Der Regisseur M. W. bezeichne sich selbst als Faschist (dargestellt Bl. 187 der Akte).
Randnummer82
Die Beklagte habe in dem Stream sehr ausführlich erklärt, aus welchen Gründen sie den Kläger als Nazi-Troll bezeichne, nämlich, weil der Kläger auf der Plattform Inhalte von Nazis und/oder Faschisten geteilt und propagiert habe. Sie habe auch darauf hingewiesen, dass sie nicht wisse, ob der Kläger damit eigene Werte widerspiegele oder ob er dies nur tue, um zu „trollen“, also um zu provozieren und Aufmerksamkeit zu erregen. Der Kläger habe zudem damals Drohungen seiner Follower mit nationalsozialistischen Anspielungen („Euch sollte man vergasen“; „Untermensch“) gegenüber den Influencern „ T1“ und „ S3“ nicht von seinem Account entfernt. Dem Kläger obliege als Account-Inhaber eine Prüfpflicht. Dass der Kläger die Kommentare und Anfeindungen weder entfernt noch moderiert habe, spreche klar dafür, dass er die dortigen Ansichten inhaltlich teile und ihnen zustimme. Die Bezeichnung „Troll“ werde im Zusammenhang mit dem Internet als Bezeichnung für jemanden verwendet, der sich online auffällig verhalte bzw. andere dort störe oder belästige. 2023 sei der Kläger wegen „hasserfüllten Verhaltens“ für 14 Tage auf T. gesperrt gewesen.
Randnummer83
Die Beklagte beantragt weiterhin, dem Kläger die Kosten für die mit Schriftsatz vom 12.01.2024 zurückgenommenen Klaganträge aufzuerlegen.
Randnummer84
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze mitsamt Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30.08.2024 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Randnummer85
Die zulässige Klage hat nur in dem tenorierten Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
1.
Randnummer86
Soweit der Kläger mit dem nunmehr gestellten Klagantrag zu 1) die Untersagung des Eindrucks begehrt, dass er, der Kläger, die Beklagte auf der Gamescom 2017 sexuell belästigt habe, steht dem Kläger kein Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG wegen der Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu. Der von dem Kläger angegriffene Eindruck, der sich aus einem Beitrag der Beklagten vom 17.08.2020, Anlage 8, und aus einem weiteren Beitrag der Beklagten vom 30.06.2023, Transkript als Anlage 7, ergeben soll, entsteht nicht.
Randnummer87
Zwar können Tatsachen in einem Beitrag nicht nur offen, sondern auch verdeckt, also zwischen den Zeilen, behauptet werden. Indes ist unter Berücksichtigung von Art. 5 Abs. 1 GG Zurückhaltung bei der Annahme des Vorliegens einer verdeckten Tatsachenbehauptung geboten. Eine solche liegt nur dann vor, wenn der Äußernde durch das Zusammenspiel offener Äußerungen eine zusätzliche Sachaussage tätigt oder diese dem Leser als unabweisliche Schlussfolgerung nahelegt. Unter dem Blickpunkt des Art. 5 Abs. 1 GG kann nur im zweiten Fall die verdeckte Aussage einer offenen Behauptung gleichgestellt werden (vgl. BGH, NJW 2006, 601 Rn. 17). Dabei kann sich die Prüfung der Frage, ob eine zusätzliche Sachaussage in einem Beitrag verdeckt behauptet wird, nur auf den jeweils zu beurteilenden Beitrag beschränken. Es würde die Meinungs- und Äußerungsfreiheit der einzelnen Personen unverhältnismäßig einschränken, würde man, wie es der Kläger macht, eine verdeckte Tatsachenbehauptung annehmen, die sich aus mehreren Beiträgen einer Person ergeben soll, die zeitlich beinahe drei Jahre auseinanderliegen. Denn zur Vermeidung einer entsprechenden Haftung müsste eine sich äußernde Person immer im Kopf haben, was sie – auch noch Jahre zuvor – an anderer Stelle gesagt hat. Dies ist mit der grundgesetzlich garantierten Meinungs- und Äußerungsfreiheit unvereinbar. Das gilt vorliegend auch unter Berücksichtigung des Einwands des Klägers, dass bei Streamern zu berücksichtigen sei, dass diese sich jeweils in einer „Bubble“ befänden, was bedeute, dass immer dieselben Personen denselben Streamern folgten. Auch wenn Äußerungen zeitlich auseinanderlägen, würden diese nicht einzeln wahrgenommen, sondern in der Gesamtheit des Streits, wie er sich den Zuschauern über die Jahre präsentiere.
Randnummer88
Dies vermag indes an der äußerungsrechtlichen Beurteilung nichts zu ändern. Denn vorliegend geht es nicht darum, mit welchem etwaigen Vorwissen die Zuschauer die Äußerung der Beklagten vom 30.06.2023 wahrgenommen haben und ob ihnen der X-Beitrag der Beklagten aus dem Jahr 2020 dabei noch präsent war. Vorliegend geht es um die Frage, ob die Beklagte äußerungsrechtlich für eine verdeckte Äußerung haftbar gemacht werden kann, die sich aus zusammengesetzten Wort- bzw. Schriftbeiträgen der Beklagten ergeben soll, die sie im Abstand von etwa drei Jahren gesagt bzw. geschrieben hat. Dies ist, wie ausgeführt, unter Berücksichtigung der hohen Bedeutung der Meinungs- und Äußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG zu verneinen.
Randnummer89
Insoweit kommt es auch nicht mehr darauf an, dass der Beitrag vom 17.08.2020 im Zeitpunkt der Äußerung aus dem Live-Stream der Beklagten vom 30.06.2023 bereits mehrere Jahre nicht mehr abrufbar war.
2.
Randnummer90
Aus den oben genannten Gründen folgt, dass auch der Klagantrag zu 2) ohne Erfolg bleibt.
3.
Randnummer91
Die Klage hat indes hinsichtlich der Äußerungen aus dem zu dem Antrag zu 2) gestellten Hilfsantrag Erfolg.
a)
Randnummer92
Hinsichtlich der Äußerung „Der Grund warum ich mit ausgerechnet DIR nicht über Sexismus diskutieren will, ist weil du mir 2017 auf der Gamescom mit deinem Handy beim Streamen ins Dekolte gefilmt hast. Ich habe das Ruhen lassen, weil du super viel Hate wegen ähnlichen sexistischen Vorwürfen von anderen Frauen zu eben der Gamescom bekommen hast (…)“ kommt dem Kläger der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG zu.
Randnummer93
Für die Beurteilung der äußerungsrechtlichen Zulässigkeit der angegriffenen Passage, von der nur der unterstrichene Teil Gegenstand des von dem Kläger beantragten Unterlassungsantrags ist, ist zunächst deren Aussagegehalt zu ermitteln. Da es auf die Ermittlung des objektiven Sinns ankommt, ist das Verständnis, das ein unvoreingenommenes und verständiges Publikum der Passage zunächst ausgehend von dem Wortlaut, der allerdings den Sinn nicht abschließend festlegen kann, unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs und des sprachlichen Kontextes sowie der erkennbaren Begleitumstände, die den Sinn des Begriffs mitbestimmen, zumisst (vgl. BGH NJW 2008, 2110, 2112 – „Gen-Milch“). Maßgeblich für das Verständnis der Behauptung ist dabei weder die subjektive Sicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.10.2005 – 1 BvR 1696/98 – „IM Stolpe“, juris Rn. 31).
Randnummer94
Aus den unterstrichenen Passagen der vorstehenden Äußerung entnimmt der Leser des Beitrags der Beklagten vom 17.08.2020 das Verständnis, dass der Kläger auf der Gamescom im Jahr 2017 nicht nur der Beklagten in das Dekolleté gefilmt habe, sondern dass es auch damit vergleichbare Vorwürfe weiterer Frauen gebe, mit denen der Kläger auf der Gamescom im Jahr 2017 zusammengetroffen sein soll, und dass der Kläger deswegen „super viel Hate“ bekommen habe. Die Beklagte behauptet mit dieser Äußerung mithin, dass es weiterer Frauen gebe, die sich über ein irgendwie geartetes „sexistisches“ Verhalten des Klägers auf der genannten Messe beschwerten.
Randnummer95
Mit dem aufgezeigten Verständnis ist prozessual von dem Vorliegen einer unwahren Tatsachenbehauptung auszugehen, an deren weiterer Verbreitung kein die Schutzinteressen des Klägers überwiegendes Äußerungsinteresse der Beklagten besteht.
Randnummer96
Wegen der Eigenart des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (vgl. BGH, Urteil vom 29. November 2016 – VI ZR 382/15 -, GRUR 2017, 304 Rn. 15; BGHZ 209, 139 Rn. 30 – jameda.de II; jeweils mwN). Geht es wie vorliegend um Tatsachenbehauptungen, die, soweit sie Dritten zur Meinungsbildung dienen können, grundsätzlich vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG erfasst sind (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 2011 – VI ZR 26/11 – AfP 2012, 53 Rn. 14, „Die INKA Story“), hängt die Abwägung maßgeblich von ihrem Wahrheitsgehalt ab (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25.06.2009 – 1 BvR 134/03 – Rn. 62, juris). Wahre Tatsachenbehauptungen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind, unwahre hingegen nicht.
Randnummer97
Der Kläger hat in Abrede genommen, dass es neben der Beklagten noch andere Frauen gebe, die sich über ein Verhalten des Klägers auf der Gamescom im Jahr 2017 beschwert haben und dass er „super viel Hate“ wegen sexistischen Vorwürfen von anderen Frauen zu der Gamescom im Jahr 2017 bekommen habe. Die Beklagte ist für den Wahrheitsgehalt der von ihr behaupteten Vorwürfe darlegungs- und beweisbelastet. Dies folgt aus dem Umstand, dass es sich um Vorwürfe handelt, die sich für den Kläger als ehrabträglich darstellen. In einem solchen Fall wird die Beweislastregel des § 186 StGB in das Zivilrecht transformiert mit der Folge, dass der Beklagten die genannte Darlegungs- und Beweislast zukommt.
Randnummer98
Dieser hat die Beklagte vorliegend nicht genügt, sodass nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Kläger „super viel Hate wegen ähnlichen sexistischen Vorwürfen von anderen Frauen“ zu der Gamescom 2017 bekommen hat. Die Beklagte behauptet pauschal, dass Belästigungsvorwürfe Dritter gegen den Kläger im Raum gestanden haben und legt einen WhatsApp-Verlauf zwischen dem ehemaligen Manager des Klägers und der Beklagten vor. Indes behauptet sie nicht, und nur das ist hier entscheidend, dass es Vorwürfe von Dritten wegen eines entsprechenden Verhaltens des Klägers auf der Gamescom 2017 gegeben habe und dass sich der Nachrichtenverkehr mit dem Manager darauf beziehe. Dies gilt auch für den weiteren Vortrag der Beklagten in dem nachgelassenen Schriftsatz vom 20.09.2024. Zwar trägt die Beklagte neu vor, dass Herr O. im Jahr 2020 mitgeteilt habe, dass der Kläger durch den Vorwurf, der Beklagten ins Dekolleté gefilmt zu haben, „echt Probleme“ bekommen habe und dies mit der Aussage „Gab wohl sexuelle Belästigungsvorwürfe etc“ konkretisiert habe. Indes legt die Beklagte nicht dar, dass sich diese sexuellen Belästigungsvorwürfe auf ein Verhalten des Klägers auf der Gamescom 2017 bezogen haben sollen, sondern sie schlussfolgert nur, dass sich aus dieser Aussage von Herrn O. klar ergebe, dass es weitere Personen gegeben haben müsse, die ähnliche Vorwürfe erhoben haben. Unabhängig davon, dass in dieser Vermutung kein substantiierter Vortrag zu der von der Beklagten aufgestellten Tatsachenbehauptung zu sehen ist, ist bereits nicht erkennbar, dass sich die in Bezug genommenen und von Herrn O. genannten sexuellen Belästigungsvorwürfe auf ein Verhalten des Klägers auf der genannten Veranstaltung beziehen. Konkret legt die Beklagte keinen Sachverhalt dar, aus dem sich ergibt, dass der Kläger wegen seines Verhaltens auf der Gamescom 2017 „super viel Hate“ bekommen habe und dass es in Bezug auf diese Veranstaltung „sexistische Vorwürfe“ von anderen Frauen gebe. Dies gilt auch hinsichtlich der weiteren von der Beklagten in der Klagerwiderung dargestellten Vorwürfe anderer Frauen, da auch diese sich nicht auf die genannte Veranstaltung beziehen.
Randnummer99
Soweit die Beklagte geltend macht, dass sich das von ihr behauptete Verhalten des Klägers aus dem vollständigen Live-Stream des Klägers ergebe, den dieser von seinem Besuch auf der Gamescom 2017 gefertigt habe und der ihm weiterhin vorliege, war die Kammer nicht gehalten, dem Kläger die Vorlage dieses Live-Streams aufzugeben. Einen diesbezüglichen expliziten Beweisantrag hat die Beklagte nicht gestellt. Der insoweit an das Gericht gerichteten Anregung war nicht nachzukommen, da es aus der Sicht der Kammer keinen aufzuklärenden Sachverhalt gibt. Zwar kann das Gericht nach § 144 Abs. 1 S. 1 ZPO die Einnahme des Augenscheins anordnen. Es kann auch nach § 144 Abs. 1 S. 2 ZPO zu diesem Zweck einer Partei oder einem Dritten die Vorlegung eines in ihrem oder seinem Besitz befindlichen Gegenstandes aufgeben und hierfür eine Frist setzen. Indes steht ein entsprechendes Vorgehen im Ermessen des Gerichts. Wenn es, wie vorliegend, nur darum geht, dass die Inaugenscheinnahme von im Besitz des Gegners befindlichen Augenscheinsobjekten zu Beweiszwecken erfolgen soll, setzt die Anordnung aufgrund des im Zivilverfahren geltenden Beibringungsgrundsatzes einen entsprechenden Beweisantrag voraus (vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 21. Aufl. 2024, § 144 Rn. 1). Ein solcher Beweisantrag liegt, wie ausgeführt, nicht vor. Es liegt aber auch keine Situation vor, in der durch eine entsprechende Anordnung des Gerichts ein zwischen den Parteien unstreitiger Sachverhalt durch die Inaugenscheinnahme erhellt werden kann (vgl. Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 21. Aufl. 2024, § 144 Rn. 1). Vorliegend behauptet die Beklagte, dass es neben ihr weitere Frauen gebe, die sich über ein „sexistisches“ Verhalten des Klägers auf der Gamescom im Jahr 2017 beschwerten und dass der Kläger deswegen „super viel Hate“ bekommen habe. Der Kläger nimmt dies in Abrede. Der Sachverhalt ist mithin zwischen den Parteien streitig in dem Sinne, dass die Beklagte die von ihr aufgestellte Tatsachenbehauptung beweisen muss. In der sich so darstellenden Situation liegen die Voraussetzungen einer Anordnung der Vorlage des mutmaßlich in dem Besitz des Klägers befindlichen Videos des Live-Streams von seinem Besuch auf der Gamescom im Jahr 2017 nicht vor. Denn es geht nicht darum, eine zwischen den Parteien unstreitige Situation näher aufzuklären, sondern die Beklagte verfolgt mit ihrer an das Gericht gerichteten Anregung das Ziel, die Wahrheit der von ihr aufgestellten Tatsachenbehauptung durch die Inaugenscheinnahme des Videos beweisen zu können.
Randnummer100
Der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs steht vorliegend auch nicht entgegen, dass die Parteien sich im Jahr 2020 darauf verständigt hatten, einander von nun an gegenseitig in Ruhe zu lassen. Denn dass die Parteien auf bereits entstandene Ansprüche in diesem Zusammenhang verzichtet haben, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Auch von einer Verwirkung durch Zeitablauf kann nicht ausgegangen werden. Dies würde voraussetzen, dass bei der Beklagten aufgrund des Verhaltens des Klägers ein dahingehendes Vertrauen geschaffen wurde, dass dieser wegen des von ihr in dem Tweet vom 17.08.2020 erhobenen Vorwurfs, dass der Kläger super viel Hate wegen ähnlichen sexistischen Vorwürfen von anderen Frauen zu der Gamescom 2017 bekommen habe, keine weiteren rechtlichen Ansprüche geltend machen würde. Dafür sind indes allein die in die Zukunft gerichtete Übereinkunft, sich von nun an gegenseitig in Ruhe zu lassen und das Löschen des Posts durch die Beklagte nicht ausreichend.
b)
Randnummer101
Dem Kläger kommt auch hinsichtlich der Äußerung „Inklusive diverser Vorwürfe, die gegen ihn im Raum stehen, zur Belästigung von irgendwelchen Influencerinnen, inklusive mir, auf der Gamescom, in den vergangenen Jahren.“ ein Unterlassungsanspruch zu.
Randnummer102
Soweit die Beklagte in Abrede nimmt, sich wie in dem Transkript, Anlage 7, dargestellt geäußert zu haben, verfängt dieser Einwand nicht. Denn der Kläger hat den betreffenden Ausschnitt des Live-Streams der Beklagten vom 30.06.2023 als Anlage 10 zu den Akten gereicht. Aus diesem Mitschnitt des Live-Streams ergibt sich, dass die Beklagte die von dem Kläger angegriffene Äußerung so wie aus dem Transkript aus der Anlage 7 ersichtlich getätigt hat.
Randnummer103
Dieser Äußerung ist die Aussage zu entnehmen, dass es Vorwürfe gegen den Kläger wegen der Belästigung von Influencerinnen auf der Gamescom in den vergangenen Jahren gebe. Auch diesbezüglich ist prozessual von dem Vorliegen einer unwahren Tatsachenbehauptung auszugehen, sodass der geltend gemachte Unterlassungsanspruch des Klägers besteht.
Randnummer104
Der Kläger nimmt in Abrede, dass es Vorwürfe der Belästigung von Influencerinnen auf der Gamescom in den vergangenen Jahren gebe. Die wiederum für die Wahrheit der von ihr verbreiteten Tatsachenbehauptung darlegungs- und beweisbelastete Beklagte legt keinen Sachverhalt dar, aus dem sich die Wahrheit der von ihr aufgestellten Behauptung ergibt. Insbesondere folgt aus dem eingereichten Chat der Beklagten mit dem damaligen Manager des Klägers nicht, dass sich die dort erörterten „Belästigungsvorwürfe“ auf ein Verhalten des Klägers auf der Gamescom in den vergangenen Jahren beziehen.
Randnummer105
Soweit die Beklagte in dem nachgelassenen Schriftsatz vom 20.09.2023 vorträgt, dass der ehemalige Manager des Klägers der Beklagten im Jahr 2020 mitgeteilt habe, dass der Kläger durch den Vorwurf der Beklagten, ihr ins Dekolleté gefilmt zu haben, echt Probleme bekommen habe und dies, wie aus dem eingereichten Chat-Verlauf ersichtlich, mit „Gab wohl sexuelle belästigungsvorwürfe etc“ konkretisiert habe, ist dieser Vortrag auch an dieser Stelle nicht ausreichend substantiiert, um die Existenz von Vorwürfen der Belästigung von Influencerinnen auf der Gamescom in den vergangenen Jahren darzulegen. Denn es wird bereits nicht vorgetragen, dass die „Belästigungsvorwürfe“, welche der ehemalige Manager und der als Zeuge angebotene P. O. aufwirft, von diesem behauptet werden. Vielmehr berichtet er auch diese nur als von dritter Seite kommend. Darauf kommt es aber auch nicht an. Denn es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die genannten Belästigungsvorwürfe sich auf ein Verhalten des Klägers gegenüber Influencerinnen bezogen.
Randnummer106
Auch der Einwand der Beklagten, dass sie in dem Live-Stream vom 30.06.2023 nur ganz allgemein von Belästigungen auf der Gamescom in den letzten Jahren gesprochen habe und dass sie dabei unter anderem die Vorfälle aus dem Jahr 2022 gemeint habe wie sie in den Anlagen B4 und B5 wiedergegeben werden, verfängt nicht. Denn auch diese Vorwürfe bezogen sich nicht auf ein mutmaßliches Verhalten des Klägers gegenüber Influencerinnen, sondern auf ein Verhalten des Klägers gegenüber dem Streamer szymon (Anlage B4) bzw. auf eine Schlägerei des Klägers mit zwei weiteren männlichen Streamern (Anlage B5). Soweit die Beklagte sich darauf beruft, dass sie in ihrem Live-Stream von Influencer:innen gesprochen habe, sodass damit auch männliche Influencer gemeint gewesen seien, da sie grundsätzlich immer gendere, verfängt dies nicht. Denn dem Mitschnitt des eingereichten Live-Streams lässt sich eindeutig entnehmen, dass sich die Aussage der Beklagten nur auf weibliche Influencerinnen bezog. Ein Gendern des Begriffs ergibt sich aus diesem jedenfalls für den hier maßgeblichen Durchschnittszuschauer nicht.
c)
Randnummer107
Als prozessual unwahr zu behandeln ist auch die weitere streitgegenständliche Äußerung aus dem Hilfsantrag zu dem Klagantrag zu 2) „Ich wurde danach von anderen Menschen darauf angesprochen, dass ich in S. Stream zu sehen war und dass er schon den ganzen Tag auf der Messe mit Selfie Stick rumläuft und von oben herab ins Dekolte von Streamerinnen filmt, und dann so tut als wäre das „keine Absicht“ und dass man das auch bei mir gesehen hätte“, sodass dem Kläger auch diesbezüglich ein Unterlassungsanspruch zukommt. Der Kläger nimmt in Abrede, sich entsprechend verhalten und anderen Streamerinnen in das Dekolleté gefilmt zu haben und dann so getan zu haben, als sei das „keine Absicht.“ Er nimmt auch in Abrede, dass es andere Menschen gegeben habe, die die Beklagte auf ein entsprechendes Verhalten des Klägers angesprochen hätten.
Randnummer108
Die Beklagte ist auch für den Wahrheitsgehalt dieser Äußerung darlegungs- und beweisbelastet. Sie hat ihren Vortrag nicht weiter substantiiert, sondern nur mitgeteilt, dass sie auf der Gamescon 2017 noch vor Ort von Dritten auf das Verhalten des Klägers angesprochen worden sei. Auch im Nachhinein sei die Beklagte sowohl in ihren Live-Streams als auch im echten Leben mehrfach auf den Vorfall angesprochen worden. Dieser Vortrag bleibt indes vage. Insbesondere teilt die Beklagte nicht mit, wer sie auf ein entsprechendes Verhalten des Klägers angesprochen habe. Sie bietet zu dem Beweis der Wahrheit ihres Vortrags Parteivernehmung an. Der Kläger hat kein Einverständnis mit einer Parteivernehmung der Beklagten erklärt. Für eine Parteivernehmung von Amts wegen bestehen indes keine Anhaltspunkte. Eine Parteivernehmung von Amts wegen kommt nur in Betracht, wenn zuvor alle angebotenen Beweismittel ausgeschöpft worden sind und keinen vollständigen Beweis erbracht haben. Weiterhin muss die beweisbelastete Partei alle ihr zumutbaren Zeugenbeweise angetreten haben (vgl. BGH, NJW 2020, 776, beck-online). Es muss eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die streitige Tatsachenbehauptung sprechen (vgl. Schreiber, in: Münchener Kommentar zur ZPO. 6. Aufl. 2020, § 448 Rn. 3). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Insbesondere hat die Beklagte noch nicht alle ihr zumutbaren Zeugenbeweise angetreten. Denn es geht hier nicht um ein 4-Augen-Gespräch mit dem Kläger, sondern die Beklagte trägt vor, dass sie jeweils und mehrfach von anderen Personen auf das Verhalten des Klägers mit dem dargestellten Inhalt angesprochen worden sei. Sie führt aber nicht aus, wer diese Personen gewesen seien und bietet, obwohl dies naheliegend wäre, auch keinen Zeugenbeweis durch Dritte an. Die Voraussetzungen einer Parteivernehmung von Amts wegen liegen damit nicht vor.
4.
Randnummer109
Die Klage hat auch hinsichtlich des mit dem Klagantrag zu 3) geltend gemachten Anspruchs Erfolg. Die Beklagte behauptet, dass es auf der Gamescom im Jahr 2017 zu einem weiteren Zusammentreffen zwischen ihr und dem Kläger gekommen sei, bei dem der Kläger mit dem Handy vor ihr herumgefuchtelt und gemeint habe, Chat würde sich darüber freuen, wenn sie mehr zeigen würde und das sei gut für die Clicks. Der Kläger nimmt ein solches Verhalten in Abrede. Die wiederum aufgrund der Ehrabträglichkeit der Behauptung darlegungs- und beweisbelastete Beklagte legt neben der bloßen Behauptung des geschilderten Zusammentreffens keinen Sachverhalt dar, der für die Wahrheit der aufgestellten Tatsachenbehauptung spricht. Der Kläger hat kein Einverständnis mit der von der Beklagten angebotenen Parteivernehmung erklärt. Auch die oben dargestellten Voraussetzungen einer Parteivernehmung von Amts wegen liegen wiederum nicht vor. Es spricht keine Wahrscheinlichkeit für die streitgegenständliche Behauptung der Beklagten. Insbesondere hat sie diese nicht weiter konkretisiert, z.B. hinsichtlich des weiteren Zusammentreffens auf der Messe, hinsichtlich ihrer Reaktion etc. Zudem hat die Beklagte nicht alle zumutbaren Beweisantritte ausgeschöpft. Vorliegend hätte die Beklagte, wie bereits ausgeführt, einen dahingehenden Beweisantrag stellen können, dass sich die behauptete Szene auf dem Video befinde, das in den Händen des Klägers sei. Dies hat sie indes unterlassen.
Randnummer110
Ist prozessual von dem Vorliegen einer unwahren Tatsachenbehauptung auszugehen, besteht im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Klägers und der Meinungs- und Äußerungsfreiheit der Beklagten kein die Schutzinteressen des Klägers überwiegendes Interesse der Beklagten.
5.
Randnummer111
Mit Erfolg kann der Kläger auch die Unterlassung der Bezeichnung als „Nazi-Troll“ durch die Beklagte beanspruchen. In ihrem Live-Stream vom 30.06.2023 äußerte sich die Beklagte wie folgt:
Randnummer112
„Ich halte tatsächlich S. nicht für einen vollausgewachsenen Nazi. Das traue ich ihm nicht zu. Ich halte ihn tatsächlich für einen Populisten und einen Troll, der einfach jede provokante Meinung, die es irgendwie gibt, übernimmt, einfach nur, um Aufmerksamkeit zu bekommen, egal um welchen Preis. Und dafür ist er bereit, menschenverachtende Dinge zu reproduzieren, auch dann, wenn er inhaltlich seinen eigenen Aussagen gar nicht folgen kann, nur damit Menschen sich darüber aufregen, weil dann Menschen auf seinen T.-Channel kommen und er mit seinem Casino-Deal noch ein bisschen reicher wird. Ich halte ihn einfach für einen unfassbar berechnenden Menschen, ohne eine eigene politische Meinung und Bildung, der alles dafür tun wurde, um mehr Geld zu verdienen, um jeden Preis. Und deswegen nenne ich einen S. Nazi-Troll. Cool.“,
Randnummer113
Der Kläger kann die beantragte Unterlassung der Bezeichnung als Nazi-Troll fordern, da diese Bezeichnung sein allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzt. Es handelt sich um eine unter Berücksichtigung des konkreten Kontexts und des Handelns des Klägers rechtswidrige Meinungsäußerung der Beklagten.
Randnummer114
Maßgeblich für die Bewertung der Zulässigkeit einer Äußerung ist zunächst deren Einordnung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung. Eine Meinungsäußerung liegt vor, wenn eine Äußerung nicht dem Beweis zugänglich ist, sich insbesondere nicht mit dem Kriterium „wahr oder unwahr“ messen lässt, sondern vom Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet ist, also einen Vorgang oder Zustand an einem vom Kritiker gewählten Maßstab misst (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.06.1982 – 1 BvR 1376/79 – NJW 1983, 1415). Dagegen ist eine Äußerung als Tatsachenbehauptung anzusehen, wenn diese den Mitteln der Beweisführung zugänglich ist.
Randnummer115
Die von der Beklagten getätigte Bezeichnung des Klägers als Nazi-Troll stellt eine Meinungsäußerung dar.
Randnummer116
Meinungsäußerungen genießen einen sehr weiten Schutz. Bei wertenden Äußerungen treten die Belange des Persönlichkeitsschutzes gegenüber der Meinungsfreiheit grundsätzlich zurück, es sei denn, die in Frage stehende Äußerung stellt sich als Schmähkritik oder Formalbeleidigung dar oder enthält einen Angriff auf die Menschenwürde des Betroffenen. In anderen Fällen bedarf es einer abwägenden Prüfung im Einzelfall, ob die Vermutung für die Freiheit der Rede durch gegenläufige Belange des Persönlichkeitsschutzes überwunden wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.05.2006 – 1 BvR 49/00 u.a. -, NJW 2006, 3769 <3772> – „Babycaust“).
Randnummer117
Auch unter Berücksichtigung des sehr weitgehenden verfassungsrechtlichen Schutzes, unter dem die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG steht und dessen sich die Kammer sehr bewusst ist, geht die Kammer im konkreten Kontext von der äußerungsrechtlichen Unzulässigkeit der Bezeichnung des Klägers als „Nazi-Troll“ aus. Zwar ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte die Äußerung nicht isoliert aufstellt, sondern sich mit dem Kläger in einer seit geraumer Zeit geführten Auseinandersetzung befindet. Zudem erörtert sie, warum sie die konkrete Bezeichnung für ihn wählt. Dass sie lediglich den Kläger herabwürdigen wollte, kann nicht angenommen werden. Die Äußerung ist demnach weder als Formalbeleidigung noch als Schmähung einzuordnen.
Randnummer118
Jedoch streitet die nunmehr vorzunehmende Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch ihr Verbot andererseits (vgl. BVerfGE 99, 185 [196 f.] = NJW 1999, 1322; BVerfGE 114, 339 [348] = NJW 2006, 207) für den Kläger. Dabei war auch zu beachten, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen schützt, sondern gerade Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen darf; insoweit liegt die Grenze zulässiger Meinungsäußerungen nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.02.2017 – 1 BvR 2973/14 -, NJW 2017, 1460). Weiterhin streitet zugunsten der Beklagten, dass der Kläger als Streamer in seiner gewerblichen Betätigung, also in seiner Sozialsphäre, betroffen ist und er sich als eine so in der Öffentlichkeit auftretende Person auch Kritik aussetzen muss.
Randnummer119
Dennoch ist auf Seiten des Klägers zu berücksichtigen, dass es sich bei der Bezeichnung als „Nazi-Troll“ grundsätzlich um eine Beleidigung im Sinne von § 185 StGB handelt. Diese Äußerung ist geeignet, das Persönlichkeitsrecht des Klägers in erheblicher Weise zu beeinträchtigen. Gerade vor dem Hintergrund der schrecklichen Verbrechen der Nazi-Diktatur ist es sehr beeinträchtigend für den Kläger, mit den Nationalsozialisten in Verbindung gebracht zu werden. In der gebotenen Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Klägers und der Meinungsäußerungsfreiheit der Beklagten ist daher zu berücksichtigen, ob es Anknüpfungstatsachen gibt, aus denen sich eine Einstellung oder Überzeugung des Klägers ablesen lässt, die auf eine Übereinstimmung mit der Ideologie des Nationalsozialismus schließen lässt.
Randnummer120
Davon kann vorliegend unter Berücksichtigung des Vortrags der Beklagten nicht ausgegangen werden. Die Beklagte beruft sich darauf, dass der Kläger ein reaktionärer Streamer sei, der vermehrt durch Transfeindlichkeit, Misogynie und Provokationen öffentlich aufgefallen sei. So lehne es der Kläger beispielsweise ab, dass gleichgeschlechtliche Paare Kindern haben. Zudem lehne er das dritte Geschlecht ab. Dies ist unstreitig. Dass der Kläger sich zu irgendeinem Zeitpunkt ausländerfeindlich oder rassistisch verhalten habe, trägt die Beklagte nicht vor. Allein der Umstand, dass der Kläger zwei diesbezügliche Kommentare seiner Follower auf seinem Y.-Kanal erst auf Aufforderung entfernt haben soll (Anlage B1) vermag die Bezeichnung nicht zu rechtfertigen, denn daraus kann nicht auf eine entsprechende Gesinnung des Klägers geschlossen werden. Zudem legt auch die Beklagte nicht dar, dass der Kläger diese Äußerungen wissentlich hat stehen lassen, sie ihm also vor der Aufforderung zur Entfernung bekannt gewesen seien. Auch der Vortrag in der Klagerwiderung vom 06.03.2024, dass die Beklagte in dem streitgegenständlichen Stream sehr ausführlich erkläre, aus welchen Gründen sie den Kläger als „Nazi-Troll“ einordne, nämlich weil der Kläger Inhalte von Nazis und/oder Faschisten auf seinen Plattformen geteilt und propagiert habe, vermag Anknüpfungstatsachen für die Einordnung als „Nazi-Troll“ nicht zu begründen. Denn die Beklagte hat in dem konkreten Stream gerade nicht dargelegt, welche Inhalte von Nazis und/oder Faschisten der Kläger geteilt und propagiert habe. Soweit die Parteien darüber streiten, ob der Regisseur des Films „What is a Woman“ M. W., den der Kläger unstreitig auf seinem Kanal restreamt, gezeigt und positiv kommentiert hat, ein Faschist sei, kommt es darauf vorliegend nicht an. Denn bei der Einordnung als Faschist handelt es sich um eine Bewertung und die Beklagte legt kein Verhalten des M. W. dar, das für eine Einordnung als Faschist spricht.
Randnummer121
Dass die Beklagte die Bezeichnung des Klägers als „Nazi-Troll“ nicht aufgrund einer politischen Einstellung des Klägers oder aber aufgrund eines entsprechenden Verhaltens des Klägers gewählt hat, das sie mit dem streitgegenständlichen Wort bewerten will, legt die Beklagte selbst dar. Denn sie stellt den Kläger in dem angegriffenen Kontext als eine Person dar, die einfach provokante Meinungen übernehme, um Klicks zu produzieren, damit viele Personen auf seinen T.-Channel gingen und er so selbst noch ein bisschen reicher werde. Sie führt ausdrücklich aus: „Ich halte ihn einfach für einen unfassbar berechnenden Menschen, ohne eine eigene politische Meinung und Bildung, der alles dafür tun würde, um mehr Geld zu verdienen, um jeden Preis.“ Insoweit geht also auch die Beklagte davon aus, dass der Kläger keiner bestimmten politischen Richtung/Gesinnung nachhängt.
Randnummer122
Dies berücksichtigend ist davon auszugehen, dass es für die Bezeichnung des Klägers als „Nazi-Troll“ keine Anknüpfungstatsachen in dem Verhalten des Klägers gibt. Zwar erkennt der maßgebliche unvoreingenommene und verständige Durchschnittszuschauer, dass die Beklagte nicht zum Ausdruck bringen will, dass der Kläger einer rechtsradikalen Gesinnung nachhänge. Dies vermag indes unter Berücksichtigung des Umstands, dass keine tatsächlichen Anhaltspunkte die Verwendung des Wortes tragen, nichts daran zu ändern, dass der Kläger die von der Beklagten gewählte Bezeichnung in dem konkreten Kontext nicht hinzunehmen hat. Denn die Beklagte benutzt das sehr ehrbeeinträchtigende Wort „Nazi“, um ihr Missfallen und ihre Kritik an der Person des Klägers zum Ausdruck zu bringen. Dies indes unter Berücksichtigung des Verständnisses, das die Allgemeinheit dem Wort „Nazi“ beimisst, ohne entsprechende Anknüpfungspunkte, sodass trotz des Umstands, dass die Beklagte damit allgemein ein Verhalten des Klägers und dessen Person bewerten will, vorliegend die Schutzinteressen des Klägers das Äußerungsinteresse der Beklagten überwiegen.
Randnummer123
Der nachgelassene Schriftsatz der Beklagten vom 30.08.2024 und vom 20.09.2024 und die nicht nachgelassenen Schriftsätze des Klägers vom 11.10.2024 und vom 24.10.2024 und der Beklagten vom 22.10.2024 und vom 25.10.2024 gaben keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.
Randnummer124
Es wird klarstellend darauf hingewiesen, dass nur die in dem Tenor unterstrichenen Teile der Äußerungen von dem Verbot erfasst sind.
II.
Randnummer125
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92. Die Festsetzung des Streitwerts orientiert sich an §§ 3, 4 ZPO.
Randnummer126
Die Kammer hat pro angegriffener Äußerung einen Streitwert von 15.000 Euro festgesetzt.
Randnummer127
Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 12.01.2024 nach einem entsprechenden Hinweis der Kammer sämtliche Klaganträge zurückgenommen und neu gefasst hat, folgt daraus keine Kostenfolge des § 269 Abs. 1 ZPO. Denn die neu formulierten Anträge waren, abgesehen von ihrer Formulierung, identisch mit den bereits zuvor gestellten, sodass inhaltlich keine Rücknahme, sondern eine Neufassung aus Klarstellungsgründen vorliegt, die keine Kostentragung nach sich zieht. Dies gilt auch für den zurückgenommenen Klagantrag zu 4. aus dem Schriftsatz vom 01.11.2023, mit dem der Kläger die Verpflichtung der Beklagten begehrt hatte, sämtliche bereits verbreitete dahingehende Äußerungen zu entfernen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, um ihre Verbreitung zu stoppen. Denn dabei handelt es sich um eine sich bereits aus einer etwaig ausgesprochenen Unterlassungsverpflichtung ergebende Rechtsfolge, sodass dieser Antrag nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen war.
Randnummer128
Anlage 7
Randnummer129
Transkript der Äußerungen der Beklagten aus Live-Stream vom 30. Juni 2023
I.
Randnummer130
„S. hat in dem Gespräch keine krasse Meinung gehabt, aber auf T.. Und wenn du über S. redest, und wenn du über S. sprechen möchtest, und journalistische Arbeit tätigst, dann geht es ja auch um die Vorgeschichte davon, die ein Mensch macht.
Randnummer131
Es geht ja nicht nur darum, was er in diesem Gespräch gesagt hat. Die Kritik, die wir an dieser Stelle haben, ist ja tatsächlich: Geh nicht mit S. in ein Gespräch. Die Kritik ist nicht: Was ist Inhalt des Gesprächs.
Randnummer132
Deshalb, an dieser Stelle lieber T., möchtest du dich jetzt darüber beschweren, dass wir kritisiert haben, dass dieses Gespräch stattgefunden hat?
Randnummer133
Oder möchtest du dich darüber beschweren, worum es in diesem Gespräch ging? Das sind nämlich zwei Paar Schuhe! Für uns in unserer Kritik ging es nämlich gar nicht primär um die Inhalte dieses Gesprächs. Es ging darum, dass das Gespräch stattgefunden hat. Und – dass das Gespräch stattgefunden hat, ist eine Kritik, die bereits vor dem Gespräch stattfindet. Und für diese Kritik ist der Inhalt des Gesprächs tatsächlich irrelevant.
Randnummer134
Dabei geht es tatsächlich um die Inhalte, die davor geteilt wurden. Die Inhalte wie z.B. der Re-Stream von „What is a Woman“ von W. – was schwer transfeindlich und frauenfeindlich ist und wofür S. unter anderem zwei Wochen bei T. gebannt wurde.
Randnummer135
Also da geht es nicht primär nur um die Dinge, die in diesem Gespräch gesagt wurden, sondern es ging um das Verhalten davor inklusive dem gesamten T. – Verlauf von S. und es ist echt nicht schwer, den nachzuschauen, in dem er ganz offen transfeindliche, queerfeindliche und frauenfeindliche Dinge sagt.
Randnummer136
Inklusive diverser Vorwürfe, die gegen ihn im Raum stehen, zur Belästigung von irgendwelchen Influencerinnen, inklusive mir, auf der Gamescom, in den vergangenen Jahren.“
II.
Randnummer137
„Ich halte tatsächlich S. nicht für einen vollausgewachsenen Nazi. Das traue ich ihm nicht zu. Ich halte ihn tatsächlich für einen Populisten und einen Troll, der einfach jede provokante Meinung, die es irgendwie gibt, übernimmt, einfach nur, um Aufmerksamkeit zu bekommen, egal um welchen Preis. Und dafür ist er bereit, menschenverachtende Dinge zu reproduzieren, auch dann, wenn er inhaltlich seinen eigenen Aussagen gar nicht folgen kann, nur damit Menschen sich darüber aufregen, weil dann Menschen auf seinen T.-Channel kommen und er mit seinem Casino-Deal noch ein bisschen reicher wird. Ich halte ihn einfach für einen unfassbar berechnenden Menschen, ohne eine eigene politische Meinung und Bildung, der alles dafür tun würde, um mehr Geld zu verdienen, um jeden Preis. Und deswegen nenne ich einen S. Nazi-Troll. Cool.“
Randnummer138
– Sämtliche Hervorhebungen durch den Unterzeichner –
Randnummer139
Anlage 8
Randnummer140
T.-Beitrag der Beklagten vom 17. August 2020