LG Hamburg: Verein pro Verbraucherschutz e.V. hat mit Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung Erfolg / Alkohol-Testkauf an Tankstellen durch Minderjährige nicht ordnungswidrig

veröffentlicht am 27. November 2010

Rechtsanwältin Katrin ReinhardtLG Hamburg, Urteil vom 02.09.2010, Az. 416 O 78/10
§§ 2 Abs. 1; 3 Abs. 1, 8 Abs. 1; 4 Nr. 11 UWG; § 9 Abs. 1 JuSchG

Das LG Hamburg hat auf Antrag des Vereins pro Verbraucherschutz e.V. – entgegen dem LG Hanau – eine einstweilige Verfügung erlassen, der zu Folge es einer Tankstelle verboten wurde, „im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken geschäftlichen Handelns das branntweinhaltige Getränk „W…“ (Whisky) an Jugendliche unter 18 Jahren abzugeben“. Es sei nicht zu beanstanden, so die Kammer, dass durch die Testkäufe Jugendliche Alkohol bekämen, zumal sie diesen nicht behalten dürften. Es sei auch nicht vom Gesetzeszweck des § 28 Abs. 1 Nr. 10, Abs. 4 JuSchG umfasst, wenn Testkäufe so organisiert werden, dass erworbene Produkte nicht behalten und konsumiert würden. Es handele sich nicht um eine Verletzung des geschützten Rechtsgutes. Zwar ist es auf legalem Wege nicht möglich, die – verabredete und damit vertraglich vereinbarte – Herausgabe des Getränks von Jugendlichen unmittelbar zu erzwingen. Ein solcher Fall, in welchem die Jugendlichen sich dem begleitenden Erwachsenen entzögen und den erworbenen Alkohol behielten und konsumierten, erscheine aber konstruiert und fernliegend. Er sei hier auch nicht relevant geworden. Die Entscheidung kann zwischenzeitlich mit Rechtsmitteln angegangen worden sein. Zum Volltext der von Rolf Schälike zur Verfügung gestellten Entscheidung:

Landgericht Hamburg

Urteil

1.
Die am 2.6.2010 ergangene einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg wird mit der Maßgabe bestätigt, dass dem Antragsgegner bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel verboten wird, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken geschäftlichen Handelns das branntweinhaltige Getränk „W…“ an Jugendliche unter 18 Jahren abzugeben.

2.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Antragsteller 1/5tel und der Antragsgegner 4/5tel zu tragen.

3.
Das Urteil ist für den Antragsgegner im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Dem Antragsteller bleibt nachgelassen, die Vollstreckung des Antragsgegners im Kostenpunkt durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Antragsgegner vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der in der vom Bundesamt für Justiz geführten Liste der qualifizierten Einrichtungen eingetragene Antragsteller, ein Verbraucherschutzverein, verlangt vom beklagten Tankstellenbetreiber die Unterlassung der Abgabe eines branntweinhaltigen Getränks, wobei die Parteien darüber streiten, ob einem vom Antragsteller beauftragten minderjährigen Testkäufer am 30.04.2010 in der J..-Tankstelle des Antragsgegners das Getränk „J..D..& C..“ mit einem Alkoholgehalt von 10% verkauft worden ist.

Der Antragsteller macht einen Unterlassungsanspruch aus §§ 8 Abs. 1, 2 Abs. 1, 3 Abs. 1, 4 Nr. 11 UWG i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 2 Jugendschutzgesetz geltend.

Das Gericht hat dem Antragsgegner mit Beschluss vom 02.06.2010 im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel verboten, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des geschäftlichen Handelns branntweinhaltige Getränke, die Branntwein nicht nur in geringfügiger Menge enthalten, an Jugendliche unter 18 Jahre abzugeben.

Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit seinem Widerspruch.

Der Antragsteller beantragt, wie erkannt.

Der Antragsgegner beantragt, die Einstweilige Verfügung aufzuheben und den auf ihren Erlass gerichteten Antrag zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, im Hinblick auf den Einsatz minderjähriger Testkäufer sei die Geltendmachung des Anspruchs rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 8 Abs. 4 UWG, zumal wenn man die vorrangig der Entstehung von Rechtsverfolgungskosten dienende Vorgehensweise des erst seit April 2010 in das Register beim Bund eingetragenen Antragstellers, dessen Vorsitzender einen sehr zweifelhaften Ruf genieße, berücksichtige. Es sei anerkannt, dass auf Testmaßnahmen gestützte Unterlassungsklagen rechtsmissbräuchlich sind, wenn der Tester mit verwerflichen Mitteln, insbesondere strafbaren oder sonst rechtswidrigen Handlungen vorgehe. Das Vorgehen des Antragstellers beinhalte die Begehung einer Ordnungswidrigkeit. Im Übrigen schule und kontrolliere er, der Antragsgegner, seine Mitarbeiter regelmäßig im Hinblick auf altersbeschränkte Produkte. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien eingereichten Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 31.08. 2010 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Das zulässige Begehren des Antragstellers ist in seiner jetzt konkretisierten Form, was eine teilweise (geringfügige) Rücknahme des Antrags auf Erlass einer  einstweiligen Verfügung darstellt, begründet.

I.
Der Kläger ist gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG i.V.m. mit der insoweit konstitutiven Eintragung in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG als klagebefugt und die Klage daher als zulässig anzusehen. An das Vorliegen begründeter Zweifel i.S. des § 4 Abs. 4 UKlaG sind strenge Anforderungen zu stellen sind, weil anderenfalls die effektive Durchsetzung der Ansprüche aus §§ 1, 2 UKlaG gefährdet wäre (vgl. BGH, WRP 2010, 1143, 1143 m.w.N. – Gallardo Spyder). Dass die Vorgehensweise des Antragstellers ein gewisses Unbehagen auslösen mag, reicht bei weitem nicht aus, um dem Antragsteller die Klagebefugnis zu versagen.

II.
Der vom Antragsteller geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist gemäß §§ 8 Abs. 1, 2 Abs. 1, 3 Abs. 1, 4 Nr. 11 UWG i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 2 JuSchuG begründet.

Der Verfügungsgrund wird vermutet (§ 12 Abs.2 UWG).

1.
Der Antragsteller hat mit Hilfe der von ihm eingereichten Anlagen (GL 3 – 6) glaubhaft gemacht, dass an der von ihm betriebenen Tankstelle einem vom Antragsteller beauftragten minderjährigen Testkäufer am 30.04.2010 das Getränk „J..D..& C..“, welches einen Alkoholgehalt von 10% aufweist, verkauft worden ist. Dabei kommt es entgegen der Ansicht des Kammergerichts in der vom Antragsgegner eingereichten Entscheidung (AG 2) nicht darauf an, ob der minderjährige Testkäufer auch minderjährig ausgesehen und gewirkt hat. Diese Auffassung ist mit dem Gesetzeswortlaut nicht vereinbar und würde im Übrigen auch zu einer nicht hinnehmbaren Rechtsunsicherheit führen, weil die Parteien sich dann regelmäßig darüber streiten würden, ob der minderjährige Testkäufer auch als solcher identifizierbar gewesen ist. Selbst wenn man die Auffassung des Kammergerichts teilen würde, so wäre es angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung Aufgabe des Schuldners nachzuweisen, dass der Minderjährige kein altersgerechtes Erscheinungsbild abgegeben hat.

Somit ist in der Tankstelle des Antragsgegners entgegen § 9 JuSchG, einer gesetzlichen Vorschrift i.S.d. § 4 Nr. 11 UWG, ein Lebensmittel, welches Branntweinin nicht nur geringfügiger Menge enthält, an einen Jugendlichen abgegeben worden. Soweit die Antragsgegnerin sich auf die Schulung und Kontrolle ihrer Mitarbeiter beruft, kann dies lediglich eine Rolle im Hinblick auf ihr – für den Unterlassungsanspruch nicht maßgebliches – Verschulden spielen.

2.
Der Anspruch ist auch nicht rechtsmissbräuchlich geltend gemacht gemäß § 8 Abs. 4 UWG.

a)
Zunächst ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller in überwiegendem Maße in finanziellem Eigeninteresse handelt. Weder die vom Antragsteller gewöhnlich geltend gemachte Kostenpauschale in Höhe von lediglich € 150,00 noch der Umstand der Ausschreibungen von Testkäuferstellen rechtfertigen eine solche Beurteilung. Auch der angeblich zweifelhafte Ruf des Vorsitzenden des Antragstellers reicht selbstverständlich nicht aus, um von einer Rechtsmissbräuchlichkeit des Vorgehens des Antragstellers auszugehen. Ansonsten würde man zu einer unzulässigen „Sippenhaft“ kommen. Dabei darf auch nicht außer Acht gelassen werden, dass es der Antragsgegner ist, der gegen zwingende gesetzliche Vorschriften verstößt.

b)
Eine Rechtsmissbräuchlichkeit ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Einsatzes minderjähriger Testkäufer gegeben.

aa)
Soweit der Antragsgegner geltend macht, dass erst durch die Testkäufe Jugendliche Alkohol bekämen, ist dies zwar vordergründig zutreffend, aber im Ergebnis „zu kurz gesprungen“. Denn der Testkauf soll aufs Ganze gesehen gerade Verstöße verhindern. Eine sittliche Verwerflichkeit folgt hieraus gerade nicht. Im Übrigen ist es ja auch nicht etwa so, dass der den Testkauf ausführende Jugendliche im Anschluss daran über den erworbenen Alkohol verfügen kann. Vielmehr muss er ihn sofort nach dem Testkauf an die vor der Tankstelle wartende erwachsene Begleitperson abgeben, so dass tatsächlich eine Verfügungsbefugnis nur für eine „logische Sekunde“ besteht. Es wäre außerdem lebensfremd anzunehmen, dass die minderjährigen Testkäufer erst durch den Testkauf eine „Anleitung“ zum Kauf alkoholischer Getränke erhielten. Der erfolgreiche Kauf an sich läuft nicht anders ab als etwa der Kauf alkoholfreier Getränke. Es könnte allenfalls daran gedacht werden, dass der jugendliche Testkäufer merkt, wie einfach es ist, minderjährig Alkohol zu erwerben, und er selber dies in der zukünftig dann sozusagen in Eigenregie macht. Diese Gefahr hält das Gericht allerdings für vernachlässigenswert, weil zum einen unter Jugendlichen ganz allgemein bekannt ist, dass es ohne Schwierigkeiten möglich ist, Alkohol an der „Tanke“ zu erwerben, und zum anderen gerade die minderjährigen Testkäufer im Rahmen ihrer Tätigkeit ganz eindrücklich damit konfrontiert werden, dass es verboten ist, Minderjährigen Alkohol an Tankstellen zu verkaufen.

bb)
Eine Rechtsmissbräuchlichkeit liegt hier auch nicht etwa unter dem Gesichtspunkt der Anstiftung zu einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit vor. Testmaßnahmen sind grundsätzlich zulässig. Sie sind aber unlauter i.S.d. § 4 Nr. 10 UWG und auf sie gerichtete Unterlassungsanträge rechtsmissbräuchlich, wenn der Tester mit verwerflichen Mitteln, insbesondere strafbaren oder sonst rechtswidrigen Handlungen auf einen Wettbewerbsverstoß hinwirkt (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, 28. Aufl., 2010, § 4 Rz. 10.162).

(1)
Ein Testkauf von Alkohol durch Minderjährige soll eine Ordnungswidrigkeit darstellen (vgl. Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, J 214 § 9 Rn. 7; LG Potsdam, Urt. v. 20.05.2010 – 2 O 160/10, AG 3), nämlich hier einen Verstoß der Organe des Antragstellers gegen §§ 9 Abs. 1 Nr.1, 28 Abs. 1 Nr. 10 i.V.m. Abs. 4 JuSchuG.

Zwar ist hier der Wettbewerbsverstoß grundsätzlich gerade erst die Ordnungswidrigkeit; die Anstiftung ist notwendiger Zwischenschritt und wird erst durch den Wettbewerbsverstoß als solchen zur „Anstiftungshandlung“. Strafbare Handlungen oder Ordnungswidrigkeiten von Testpersonen können aber nicht deshalb hingenommen werden, damit konkurrierende Unternehmen ihre wettbewerblichen Interessen besser verfolgen können. Öffentlich-rechtliche Vorschriften treten nicht deshalb zurück, damit ein Mitbewerber oder – wie hier – der Antragsteller als Verbraucherschutzverein die Gesetzestreue von Anbietern testen kann. Das Testinteresse gibt daher vom Grundsatz keinen Rechtfertigungsgrund für das Begehen einer Ordnungswidrigkeit (vgl. BGH, GRUR 1989, 113, 114 – Mietwagen-Testfahrt; NJW-RR 1990, 173 – Beförderungsauftrag).

Allerdings ist es vom Gesetzeszweck des § 28 Abs. 1 Nr. 10, Abs. 4 JuSchG nicht umfasst, wenn Testkäufe so organisiert werden, dass erworbene Produkte nicht behalten und konsumiert werden. Es handelt sich nicht um eine Verletzung des geschützten Rechtsgutes (vgl. OLG Oldenburg, NJW 1999, 2751, 2752). Zwar ist es auf legalem Wege nicht möglich, die – verabredete und damit vertraglich vereinbarte – Herausgabe des Getränks von Jugendlichen unmittelbar zu erzwingen. Ein solcher Fall, in welchem der Jugendliche sich dem ihn begleitenden Erwachsenen entzieht und den erworbenen Alkohol behält und konsumiert, erscheint aber konstruiert und fernliegend. Er ist hier auch nicht relevant geworden.

(2)
Bei der Feststellung einer Rechtsmissbräuchlichkeit in diesen Konstellationen ist überdies immer zu fragen, ob der Getestete nicht ohnehin zu der Tat bereit war (KöhlerBornkamm, a.a.O. mit Verweis auf BGH, GRUR 1989, 113, 114 – Mietwagen- Testfahrt; NJW-RR 1990, 173 – Beförderungsauftrag).

Dies ist hier der Fall. Nach Auffassung des Gerichts ist der Verkäufer, der in einer Situation wie vorliegend das Alter des Käufers nicht generell kontrolliert, wenn auch nur der geringste Anlass zum Zweifel an dessen Volljährigkeit besteht, ohnehin zur Begehung einer Ordnungswidrigkeit bereit. Dies ist – in Anlehnung an die freiwillige Selbstverpflichtung der Tankstellenverbände durch das „Nationale Aktionsprogramm“ – dann der Fall, wenn ein Käufer, der eindeutig auch von seiner „Rückansicht“ her (vgl. GL 6) einen jugendlichen Eindruck macht, nicht kontrolliert wird.

(3)
Der Antragsgegnerin ist auch nicht darin zu folgen, dass die Überwachung der Einhaltung bußgeldbewehrter Vorschriften allein den Ordnungsbehörden obliege. Soweit es sich – wie hier – auch um Marktverhaltensregelungen handelt, sind nach dem deutschen Wettbewerbsrecht eben auch Mitbewerber bzw. klagebefugte Vereine dazu berufen, die Einhaltung der betreffenden Normen zu überwachen. Im Übrigen darf auch nicht verkannt werden, dass die Ordnungsbehörden mit der Vornahme der erforderlichen Kontrollen allein schon aus personellen und sachlichen Gründen völlig mit der Durchführung der entsprechenden Kontrollen überfordert sind.

Dem Vorsitzenden, der selber eine minderjährige Tochter hat, ist nur zu bekannt, dass viele Jugendliche, die abends „auf die Piste gehen“, sich mit dem zum „Vorglühen“ notwendigen Stoff ohne jegliche Probleme an Tankstellen eindecken. Unter diesen Umständen ist bei einer Interessenabwägung, welche ebenfalls im Rahmen des Missbrauchseinwandes eine Rolle spielt, der rechtlichen Anerkennung der Tätigkeit des Klägers bei weitem der Vorzug zu geben vor der Jugendliche wirklich gefährdenden Tätigkeit des Antragsgegners bzw. der bei ihm angestellten Verkäufer. Dass – wie offensichtlich seitens der Rechtsprechung in Berlin – gegen die Person des Vorsitzenden des Klägers Vorbehalte bestehen mögen, kann daran bei Beantwortung der Frage, ob der Kläger klagebefugt ist, nichts ändern.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 269 Abs. 3, 91 Abs. 1 ZPO.

I