LG Hamburg, Urteil vom 05.09.2003, Az. 324 O 224/03
§§ 1; 2 Abs. 1; 3 Abs. 1 Nr.1. UKIaG; §§ 307 ff.; 475 Abs. 1 BGB
Das LG Hamburg hat in einem älteren Urteil (Keine Rügepflicht des Verbrauchers bei offensichtlichen Mängeln) entschieden, dass ein Onlinehändler Verbraucher nicht dazu verpflichten kann, „offensichtliche“ Mängel sofort ihm gegenüber zu rügen. Unerheblich sei, dass die Aufforderung als Bitte formuliert gewesen sei. Es handele sich immer noch um eine vertragliche Vereinbarung. Zitat:
“ 1.
Die Klausel „Sollten gelieferte Artikel offensichtliche Material- oder Herstellungsfehler aufweisen, wozu auch Transportschäden gehören, so reklamieren Sie bitte solche Fehler sofort gegenüber uns oder dem Mitarbeiter von … der die Artikel anliefert“ verstößt gegen § 475 Abs. 1 BGB und mithin gegen eine verbraucherschützende zwingende Norm, die für Verbrauchsgüterkaufverträge gut. Sie ist damit zugleich gemäß § 307 Abs. 1 BGB wegen Verstoßes gegen zwingendes Recht unwirksam.
a)
Es bedarf zunächst keiner weiteren Ausführung, dass es sich bei der vorstehenden Klausel um eine Allgemeine Geschäftsbedingung gemäß § 305 Abs. 1 BGB handelt, die die Beklagte für ihre im Rahmen ihres „Internetshops“ mit ihren Kunden geschlossenen Verträge verwendet. Es bedarf ebenfalls keiner weiteren Ausführung, dass ein Großteil dieser Verträge als „Verbrauchsgüterkaufverträge“ gemäß § 474 BGB zu qualifizieren sind. Denn der ganz überwiegende Teil der Kunden wird bei der Beklagten, die insoweit als Unternehmer gemäß § 14 BGB fungiert, eine bewegliche Sache zu einem privaten Zweck kaufen, mithin Verbraucher gemäß § 13 BGB sein.
b)
Die Klausel stellt weiter eine Bestimmung dar, die – zu Lasten des Verbrauchers – von den §§ 433 bis 435, 437, 439 bis 443 abweicht, da sie – bei Zugrundelegung der kundenfeindlichsten Auslegung – die Regelung enthält, dass der Verbraucher offensichtliche Material- oder Herstellungsfehler von gelieferten Artikeln sofort rügen muss, anderenfalls seine Gewährleistungsansprüche verliert.
Zunächst handelt es sich bei der in Rede stehenden Klausel, obwohl diese als „Bitte“ formuliert ist, um eine der Inhaltskontrolle unterliegende Vertragsbedingung i.S.v. § 305 Abs. 1 BGB bzw. um eine vertragliche Vereinbarung i.S.v. § 475 Abs. 1 BGB, nämlich um eine Erklärung der Beklagten, die den. Vertragsinhalt regeln soll. Für die Unterscheidung von allgemeinen (verbindlichen) Vertragsbedingungen und (unverbindlichen) Bitten, Empfehlungen oder tatsächlichen Hinweisen ist auf den Empfängerhorizont abzustellen. Eine Vertragsbedingung i.S.v. § 305 Abs. 1 BGB liegt danach vor, wenn die Bitte/Empfehlung beim Empfänger den Eindruck hervorrufe, es solle damit der Tatbestand eines vertraglichen Rechtsverhältnisses bestimmt werden (vgl. zum Ganzen BGHZ 133, 184ff.). Ob hier – dies zugrunde gelegt – die in Rede stehende „Bitte“, offensichtliche Fehler sofort anzuzeigen, beim Verbraucher den zwingenden Eindruck hinterlässt, dass es sich dabei nicht nur um einen Wunsch der Beklagten, sondern um eine verbindliche Anordnung mit der Folge eines ansonsten drohenden Rechtsverlustes handelt, mag dahinstehen. Jedenfalls kann der Verbraucher die Klausel aber dahingehend verstehen, was nach der bei Verbandsklagen anzuwendenden Regel der kundenfeindlichsten Auslegung unklarer Regelungen in AGB (allg. Ansicht, vgl. z.B. BGH NJW 1994, 1062) ausreichend ist. Denn zwar ist die Klausel -für sich betrachtet – in der Tat unverbindlich formuliert. Sie ist indessen im Zusammenhang zu interpretieren. So befindet sich die Klausel unter der Rubrik „Gewährleistung“ und damit – das weiß auch der Verbraucher – in einem Bereich, wo keine „Wünsche“ ausgesprochen werden, sondern wo üblicherweise die Rechte und Pflichten im Falle eines Mangels der Sache geregelt sind. Zudem schließt sich an die Klausel der Satz an: „Für alle sonstigen während der gesetzlichen Gewährleistungsfrist auftretenden Mängel der Kaufsache gelten nach Ihrer Wahl die gesetzlichen Ansprüche auf Nacherfüllung, auf Mangelbeseitigung/Neulieferung sowie …“ Das Wort „sonstigen“ suggeriert dem Verbraucher aber, dass zwischen den zuerst genannten „offensichtlichen Fehlern“ und den „sonstigen Mängeln“ zu unterscheiden ist und zwar dahingehend, dass er lediglich für die sonstigen während der gesetzlichen Gewährleistungsfrist auftretenden Mängel die gesetzlichen Gewährleistungsansprüche haben soll, während er die „offensichtlichen“ Fehler eben unverzüglich rügen muss. Soweit sich die Beklagte darauf beruft, dass die Klausel aus Sicht des Verbrauchers schon deswegen keinen Regelungscharakter haben könne, weil sie keine Konsequenzen für den Fall einer nicht unverzüglichen Rüge benenne, so überzeugt dies nicht. Denn zwar lässt der Klausel Text den Verbraucher in der Tat im Unklaren über die Folgen einer verspäteten Rüge. Indessen wird der Verbraucher jedenfalls die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass eine nicht sofortige Mängelanzeige zum Verlust seiner Gewährleistungsansprüche führt. Warum sonst – wird er sich nämlich fragen – sollte sich eine entsprechende „Bitte“ bei den Regelungen zur Gewährleistung finden.
Dieses Verständnis der Klausel zugrunde gelegt, verstößt sie gegen § 475 Abs.1 BGB und damit zugleich gegen § 307 Abs., 1 BGB. Gemäß § 475 Abs. 1 BGB ist nämlich eine zu Lasten des Verbrauchers vor Mitteilung eines Mangels getroffene vertragliche Vereinbarung, die von den gesetzlichen Gewährleistungsvorschriften abweicht, unzulässig bzw. der Unternehmer kann sich auf eine solche Vereinbarung nicht berufen. § 475 Abs. 1 BGB bezieht sich mithin nach seinem eindeutigen Wortlaut auf alle vertraglichen Vereinbarungen, also sowohl auf individualvertragliche Regelungen als auch – erst recht – auf Allgemeine Geschäftsbedingungen, Es stellt auch eine zu Lasten des Verbrauchers getroffene Abweichung von den gesetzlichen Regelungen dar, wenn dem Verbraucher eine Rügepflicht, und sei dies auch nur bei offensichtlichen Mängeln, auferlegt wird. Denn eine solche Rügepflicht kennt das gesetzliche Gewährleistungsrecht der§§ 437 ff. BGB nicht. Im Gesetzgebungsverfahren über das „Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts“ wurde zwar die Einführung einer Rügefrist diskutiert, letztlich aber nicht umgesetzt (vgl. BT-Drs. 14/7052, S. 197).Soweit sich die Beklagte zur Begründung der Wirksamkeit der in Rede stehenden Klausel auf § 309 Nr. 8 b) ee) BGB sowie auf die dazugehörige Gesetzesbegründung beruft, die erkennen lasse, dass § 309 Nr. 8 b) ee) BGB gegenüber der Vorschrift des § 475 Abs. 1 BGB „dominant“ sei, so geht sie in mehrfacher Hinsicht fehl:
Zunächst steht einer solchen Sichtweise bereits der eindeutige Wortlaut des § 475 Abs. 1 BGB entgegen (s.o.). Des Weiteren kann aus einem Klauselverbot wie es § 309 Nr. 8 b) ee) BGB enthält, kein Erlaubnistatbestand gegenüber einer zwingenden Vorschrift wie § 475 Abs. 1 BGB abgeleitet werden. Dies lässt sich auch nicht etwa der Gesetzesbegründung bzw. dem Umstand entnehmen, dass das Klauselverbot des § 309 Nr. 8 b) ee) BGB trotz des durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts eingeführten § 475 Abs. 1 BGB aufrechterhalten geblieben ist. Vielmehr ist der Gesetzesbegründung gerade das Gegenteil zu entnehmen: So heißt es in der Gesetzesbegründung zum Einleitungssatz des § 309 BGB in der Fassung des Regierungsentwurfs, der noch die relevanten zwingenden Vorschriften des BGB, u.a. auch § 475 BGB aufführte, ausdrücklich, dass durch die Aufzählung deutlich gemacht werde, dass die genannten zwingenden Vorschriften der Inhaltskontrolle des § 309 BGB vorgingen, der Einleitungssatz sich daher als Klarstellung des Grundsatzes verstehe, dass die Inhaltskontrolle lediglich bei dispositivem Recht eingreifen könne (vgl. BT-Drs. 14/6040, S. 154f.). Zwar ist der Einleitungssatz auf Vorschlag des Rechtsausschusses des Bundestages später dahingehend geändert worden, dass die Aufzählung der zwingenden Normen durch die jetzt geltende Formulierung „Auch soweit eine Abweichung von den gesetzlichen Vorschriften zulässig ist, ist in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam … “ ersetzt worden. Dies hat indessen am Inhalt und damit auch an der darauf bezogenen oben zitierten Gesetzesbegründung nichts geändert; dementsprechend heißt es denn auch in der Beschlussempfehlung des Deutschen Bundestages zu der Änderung, dass die Aufzählung durch eine allgemeine Regelung habe ersetzt werden sollen, die „denselben Erkenntniswert“ habe (vgl. BT-Drs. 14/7052, S, 188), Der Gesetzgeber hat mithin sowohl durch den Wortlaut als auch durch die Gesetzesbegründung deutlich gemacht, dass die Vorschrift des § 475 Abs. 1 BGB den Klauselverboten des § 309 BGB vorgeht und nicht umgekehrt, Soweit die Beklagte demgegenüber einwendet, dass die Regelung des § 309 Nr. 8 b) ee) BGB schon deshalb „dominant“ sein müsse, weil sie ausdrücklich -wie es eingangs in § 309 Nr. 8b) BGB heiße – bei „Verträgen über Lieferungen neu hergestellter Sachen“ anwendbar sein solle und grundsätzlich auch nur bei der Verwendung von AGB gegenüber Verbrauchern zum Tragen käme, mithin ihrer Bedeutung beraubt wäre, wenn sie in ihrem Anwendungsbereich stets hinter § 475 Abs., 1 BGB zurücktreten, müsste, so ist diese Argumentation zwar gut nachvollziehbar, steht indessen dem oben ausgeführten Ergebnis nicht entgegen. Denn der Gesetzgeber hat diesen „Bedeutungsverlust“ durchaus gesehen, ihn indessen vor dem Hintergrund, dass die Klauselverbote Ausstrahlungswirkung auch auf den rein unternehmerischen Bereich haben und damit weiterhin von erheblicher Bedeutung sind, in Kauf genommen. So heißt es in der Gesetzesbegründung zu § 309 Nr. 8 b) BGB ausdrücklich: „Diese [gemeint sind die Klauselverbote des § 309 Nr. 8 b) BGB] erleiden […] in ihrem unmittelbaren Anwendungsbereich durch die Umsetzung der Richtlinie über den Verbrauchsgüterkauf und dem daraus folgenden Umstand, dass die Rechte wegen eines Mangels der Kaufsache zukünftig bei Verkäufen einer beweglichen Sache von einem Unternehmer an einen Verbraucher (Verbrauchsgüterkaufverträge gemäß § 474 RE) […] nicht mehr dispositiv sind, einen erheblichen Bedeutungsverlust […]. Trotz dieses Bedeutungsverlustes im unmittelbaren Anwendungsbereich bleiben die Regelungen des bisherigen § 11 Nr., 10 AGBGB bzw. § 309 Nr. 8 Buchstabe b RE auf Grund ihrer Ausstrahlungswirkung auf den mittelbaren Anwendungsbereich (Heranziehung der Rechtsgedanken zur Beurteilung von Klauseln im Unternehmensverkehr) von erheblicher Bedeutung. Da zudem weder die Schaffung einer besonderen Vorschrift für Bauverträge noch eigenständige Klauselverbote im Unternehmensverkehr sinnvoll erscheinen und auch die Fälle der Verwendung von Formularverträgen zwischen Verbrauchern geregelt werden müssen, belässt es der Entwurf in § 309 Nr. 8 Buchstabe b bei einer Vorschrift, die dem bisherigen Zuschnitt des § 11 Nr. 10 AGBG und auch dessen Regelungsgehalt im Wesentlichen entspricht] …].“ (BT-Drs. 14/6040; S. 157f.).
Schließlich würde die von der Beklagten vorgenommene Gesetzesinterpretation, wonach die Regelung einer Ausschlussfrist/Rügepflicht bei offensichtlichen Mängeln auch bei einem Verbrauchsgüterkauf zu Lasten des Verbrauchers möglich sein müsse, gegen zwingendes EU-Recht, nämlich gegen die dem Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts zugrundeliegende Verbrauchsgüterkaufrichtlinie 1999/44/EG und dort Artikel 5 Abs. 2 verstoßen, so dass sich schon aus diesem Grund die von der Beklagten vorgetragene Auslegung verbietet. Gemäß Artikel 5 Abs., 2 der genannten Richtlinie dürfen nämlich die Mitgliedstaaten zwar eine Ausschlussfrist für Mangelanzeigen von zwei Monaten vorsehen, dies indessen nur „nach dem Zeitpunkt, zu dem der Verbraucher die Vertragswidrigkeit festgestellt hat“. Die Möglichkeit der Regelung einer Ausschlussfrist steht danach unter der Bedingung, dass der Verbraucher positive Kenntnis von dem Mangel hat, da er ansonsten die Vertragswidrigkeit „nicht festgestellt“ haben kann. Eine solche positive Kenntnis ist indessen bei „offensichtlichen Mängeln“, wie in § 309 Nr. 8 b) ee) BGB und auch in der hier zu beurteilenden Klausel der Beklagten formuliert, keineswegs immer vorausgesetzt. Es kann nämlich durchaus sein, dass ein Mangel „offensichtlich“ ist, der Verbraucher diesen aber dennoch, z.B. grob fahrlässig, nicht erkennt. Trotzdem dürften ihm in einem solchen Fall nach Maßgabe der zwingenden Richtlinienvorgaben seine Gewährleistungsrechte nicht genommen werden.
[…]
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 709 Satz 1, 708 Nr. 11,711 ZPO.“