LG Hamburg: Zur Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Rechtsverstößen auf YouTube

veröffentlicht am 6. April 2010

LG Hamburg, Urteil vom 05.12.2008, Az. 324 O 198/08
LG Hamburg, Urteil vom 05.03.2010, Az. 324 O 565/08
§ 32 ZPO,
Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB

Das LG Hamburg hat seine bereits 2008 verkündete Rechtsauffassung erneuert, dass ein deutsches Gericht bei Online-Rechtsverstößen auf der Videoplattform YouTube zuständig ist, da die Veröffentlichung der Videos auch auf der englischsprachigen Mutterseite der Plattform bestimmungsgemäß in Deutschland zugänglich gemacht werde. Erst vor kurzem hatte der BGH entschieden, dass deutsche Gerichte für Rechtsverstöße in einer US-amerikanischen Zeitung zuständig seien, wenn es sich um ein populäres und international verbreitetes Blatt handele. Streitgegenständlich war ein gegen den ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden gerichtetes Video offensichtlich rechtsradikalen Hintergrunds.

Die internationale Zuständigkeit ergebe sich aus § 32 ZPO. Die deutschen Gerichtsstandsvorschriften seien  grundsätzlich doppelfunktional, sie legten auch den Umfang der deutschen internationalen Zuständigkeit fest (Zöller-Geimer, ZPO, 27. Aufl. IZPR Rn 37).

Die in derselben Vorschrift geregelte örtliche Zuständigkeit werde bei Verletzungen des Persönlichkeitsrechts durch massenmedial verbreitete Äußerungen gem. § 32 ZPO für jeden Ort der bestimmungsgemäßen Verbreitung der jeweiligen Publikation gegeben (sog. fliegender Gerichtsstand der Presse). Dabei komme es für die Frage der „bestimmungsgemäßen Verbreitung“ nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, NJW 1977, 1590, 1591) nicht darauf an, ob der Anspruchsgegner den jeweiligen Ort nach seiner Intention auch wirklich erreichen wolle; ausreichend sei vielmehr, wenn er mit der Verbreitung an diesem Ort nur habe rechnen müssen. Gleiches müsse aufgrund der Doppelfunktionalität der Vorschrift des § 32 ZPO auch für die Frage der internationalen Zuständigkeit gelten.

Für die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte komme es nach Ansicht des Landgerichts Düsseldorf bei Online-Veröffentlichungen darauf an, ob die Website, gegen die der Verletzte vorgehen wolle, in Deutschland bestimmungsgemäß abrufbar sei, was nur dann der Fall sei, wenn sie einen über die bloße Abrufbarkeit der Website hinausgehenden Inlandsbezug aufweise (vgl. LG Düsseldorf Urteil vom 19.01.2008, 12 O 393/02 zitiert nach Juris, Juris Abs. 39, wo es um eine in New York verlegt Tageszeitung gegangen sei; [s. hierzu nunmehr auch BGH, Urteil vom 02.03.2010, Az. VI ZR 23/09]).

Es könne hier offen bleiben, ob ein solcher Inlandsbezug zu fordern sei. Dieser sei vorliegend jedenfalls gegeben. Bereits das Internetangebot der Seite www.y….com habe sich bestimmungsgemäß auch an Nutzer in Deutschland gerichtet. Zwar habe die Antragsgegnerin bis zum 08.11.2007 lediglich ein englischsprachiges Internetangebot vorgehalten. Allerdings habe es sich dabei (anders als in dem vom Landgericht Düsseldorf aaO entschiedenen Fall) nicht um ein Angebot gehalten, das sich speziell an US-Bürger gerichtet habe.

Bereits die Seite www.y….com ermögliche unstreitig das Einstellen und Abrufen von Videos weltweit. Es hätten unstreitig nicht nur Videos in englischer Sprache und mit englischen Titeln eingestellt werden können, sondern auch in anderen Sprachen. So sei es möglich gewesen, deutschsprachige Videos mit deutschsprachigen Titeln (wie etwa auch dem Titel des streitgegenständlichen Videos) einzustellen. Lediglich die Benutzerführung der Internetseite sei in englischer Sprache gehalten. Dies spreche aber nicht notwendigerweise gegen eine bestimmungsgemäße Verbreitung in Deutschland, da Englischkenntnisse auch in der Bundesrepublik Deutschland weit verbreitet seien und diese auch nicht so vertieft sein müssten, dass ein englischsprachiges Video verstanden werde, sondern lediglich insoweit, um deutschsprachige Videos aufzufinden und aufzurufen. Das Konzept der Antragsgegnerin sei damit bereits mit dem Angebot unter www.y….com nicht auf englischsprachige Filme beschränkt. Darüber hinaus sei die top-level-domain „.com“ keinem Land zugeordnet. Der Ländercode für die USA wäre „.us“. „Com“ stehe für „commercial“, nicht (jedenfalls nicht mehr) für ein bestimmtes Land. Eine solche Homepage spreche in besonderer Weise ein weltweites Publikum an, da sie gerade nicht auf lokale oder auch nur landesspezifische Inhalte schließen lasse, was auch dem Inhalt der Seite www.y….com entspreche, auf der Videos aus der ganzen Welt eingestellt und abgerufen werden könnten.

Hinzu komme im vorliegenden Fall, dass sich bereits aus den von der Antragstellerin eingereichten Anlagen unbestritten eine intensive Nutzung bereits des Angebots www.y….com auch in Deutschland ergebe. Das spiegele sich insbesondere auch in der Auseinandersetzung deutscher Fernseh- und Printmedien wieder, die sich mit dem Problem von „Nazi-Inhalten“ bei Y…. zum Teil bereits deutlich vor Einführung der deutschsprachigen Version auseinandergesetzt hätten. So werde etwa in einem Beitrag des SWR vom 27.08. 2007 diverse deutsche Texte aus dem Angebot www.y….com mit nationalsozialistischem Hintergrund zitiert. In dem Beitrag heiße es unter anderem: „2005 wurde Y…. gegründet. Heute ist es eines der gefragtesten Internetangebote überhaupt. Vor allem für Jungendliche ein Massenmedium„. Und an anderer Stelle: „Dieselbe Erfahrung machte Jugendschutz.net, die zentrale Einrichtung der Bundesländer für den Jugendschutz im Internet. Die Beschwerdestelle hat Y…. seit Monaten im Visier. In mehr als hundert Fällen hat Jugendschutz.net wegen indizierter Hassvideos abgemahnt.“ Auch werde in diesem Beitrag der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Herr W. damit zitiert, dass es dringend an der Zeit sei, dass der zuständige Staatsanwalt Ermittlungen aufnehme. Firma G. habe dem S… geschrieben: „Ebenso kooperiert Y…. mit den Staatlichen Stellen, wie zum Beispiel den polizeilichen Ermittlungsbehörden (…)„. Auch Berichterstattung von „Zeitung S. Online“, die sich mit dieser Problematik beschäftige, stamme aus dem August 2008.

Wenn bereits ein sehr spezieller Bereich der Nutzung des Angebots der Antragstellerin unter www.y….com in Deutschland (Nutzung für nationalsozialistische Inhalte) für eine nicht unerhebliche politische und mediale Debatte in Deutschland sorge, liege zu dieser Zeit insgesamt jedenfalls eine Nutzung des Angebots der Antragsgegnerin in Deutschland vor, die nicht mehr als zufällig, ungewollt oder sporadisch bezeichnet werden könne und die auch der Antragstellerin selbst nicht verborgen geblieben sein könne (und angesichts des Gesprächs mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland vom 20.10.2007 zu gerade dieser Problematik auch nicht verborgen geblieben sei). Sie habe damit mit einer Verbreitung ihres Angebots in Deutschland rechnen müssen, nachdem dies in einem Maße bereits erfolgt sei, das politische und mediale Debatten ausgelöst habe.

Das Landgericht Hamburg sei auch gem. § 32 ZPO örtlich zuständig, da die bestimmungsgemäße Verbreitung des Internetangebots www.y….com in ganz Deutschland auch eine Verbreitung in Hamburg einschließe. Gemäß Art. 40 Abs. 1 S. 2 EGBGB sei wegen der bestimmungsgemäßen Abrufbarkeit des angegriffenen Videos in Deutschland deutsches Recht anwendbar.

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