LG Hannover: Kontosperre gegen Händler seitens Amazon ist wettbewerbs- und kartellrechtswidrig

veröffentlicht am 24. August 2022

LG Hannover, Beschluss vom 22.07.2021, Az. 25 O 221/21
Art. 7 Nr. 1 EuG VVO, Artikel 4 EU-VO 2019/1051, § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB, § 33 Abs. 1 Alt. 2 GWB, § 3 UWG, § 3a UWG, § 12 Abs. 2 UWG

Das LG Hannover hat in diesem Fall eine einstweilige Verfügung gegen Amazon erlassen, mittels derer es Amazon untersagt wurde, das Amazon-Konto des betroffenen Händlers (Antragstellers) zu sperren und dessen Lagerbestand in den Logistikzentren zu vernichten. Die letztere Verfügung gegen die Amazon-Kontosperre begründete das LG Hannover damit, dass der Händler nicht zur Stellung eines Remissionsauftrages in der Lage sei. Er habe derzeit keinen Zugriff zu dem Verkäuferkonto, weil dieses noch gesperrt sei und auf einen per E-Mail gestellten Antrag habe er seitens Amazons keine Reaktion erhalten. Beachtlich ist, dass die Hannoveraner Kammer einen kartellrechtlichen Unterlassungsanspruch als gegeben ansah und den Gegenstandswert auf 100.000 EUR festsetzte. Zum Volltext der Entscheidung:


Landgericht Hannover

Beschluss

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren

hat das Landgericht Hannover – 5. Kammer für Handelssachen – durch … gemäß § 937 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung am 22.07.2021 beschlossen:

Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, das bei ihr geführte …-Konto der Antragstellerin …, Verkäufer-ID …- zu entsperren und ihr die Nutzung des Kontos wieder zu ermöglichen, bis über die Rechtmäßigkeit der Sperrung des Kontos rechtskräftig entschieden oder eine vergleichbare abschließende Regelung getroffen wurde.

Der Antragsgegnerin wird untersagt, die in ihren Logistikzentren eingelagerten Waren der Antragstellerin zu vernichten bevor eine rechtskräftige oder anderweitig verbindliche Regelung über die Sperrung des o.g. Kontos erfolgt ist.

Für jeden Fall der Zuwiderhandlung wird der Antragsgegnerin ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollstrecken an ihrem Geschäftsführer, angedroht.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Der Streitwert wird unter Berücksichtigung des geschätzten Interesses der Antragstellerin an der Durchsetzung der gestellten Anträge auf bis zu 100.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Hannover ergibt sich aus Artikel 7 Nr. 1 EuG VVO. Die Frage, ob die Antragstellerin weiterhin vertraglich berechtigt ist, Waren über die Verkaufsplattform der Antragsgegnerin zu vertreiben, lässt sich nicht losgelöst von den vertraglichen Regelungen des Vertriebsvertrages beurteilen. Da die Antragstellerin vom Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aus den Vertrag mit der Antragsgegnerin mit Sitz in … geschlossen hat und diese – nicht nur – Dienstleistungen in … , sondern vor allem Logistik und Warenversendung in der Bundesrepublik beinhaltet, ist Erfüllungsort im Sinne der Verordnung auch die Bundesrepublik Deutschland.

Die Antragstellerin hat einen im Wege der einstweiligen Verfügung gemäß § 935 ZPO durchsetzbaren Anspruch auf Rückgängigmachung der Deaktivierung ihres Verkäuferkontos gem. §§ 33 Abs. 1 Alternative 2, 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB, §§ 3, 3a, 12 Abs. 2 UWG in Verbindung mit dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertriebsvertrag (Landgericht München I, Urteil vom 12.05.2021, Z 37 O 32/21, Seite 13 ff.). Die Antragstellerin hat insoweit insbesondere glaubhaft gemacht, dass die Antragsgegnerin den in Artikel 4 VO (EU) 2019/1051 geregelten Anforderungen an einer Einschränkung, Aussetzung oder Beendigung einer Geschäftsbeziehung seitens eines Online-Vermittlungsdienstes im Sinne von Artikel 1 Abs. 2, 2 Nr. 2 der VO nicht Genüge getan hat. Die Antragsgegnerin hat ihre Verpflichtung zur Begründung der Sperrung des Händlerkontos durch die nur pauschale Angabe, es seien Verstöße gegen die Nutzungsbedingungen seitens der Antragstellerin erfolgt, nicht erfüllt.

II.

Einer Zurückweisung des als Hauptantrages bezeichneten Antrags vom 28.06.2021 zu Ziffer 1 (Blatt 2 d.A.) bedurfte es nicht, da dieser nur Spiegelbild des nunmehr als Hilfsantrag bezeichneten Antrags aus dem Schriftsatz vom 17.07.2021 ist. Darüber hinaus trifft im einstweiligen Verfügungsverfahren das Gericht gemäß § 938 ZPO die Maßnahmen, die nach seinem Ermessen erforderlich sind.

III.
Auch der Antrag vom 17.07.2021 (Blatt 36 Rück d.A.) auf Untersagung der Entsorgung der in den Logistikzentren der Antragsgegnerin gelagerten Waren ist begründet. Die Antragstellerin kann gemäß den o.g. genannten Vorschriften auch die Untersagung der Warenvernichtung verlangen.

Die Antragsgegnerin hat mit E-Mail vom 01.07.2021 (Anlage AS19) angekündigt, ggfs. nach Ablauf von 30 Tagen den Lagerbestand der Antragstellerin in den Logistikzentren der Antragsgegnerin in 30 Tagen zu entsorgen, sofern kein Remissionsauftrag gestellt wird. Ferner wird in der Mail sowie in den Anweisungen zur Vermeidung der Entsorgung von nicht verkaufbarem Lagerbestand (Anlage AS20) darauf hingewiesen, in welcher Form unter Nutzung des Verkäuferkontos Remissionsaufträge erteilt werden können.

Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass sie nicht zur Stellung eines Remissionsauftrages in der Lage ist. Sie hat derzeit keinen Zugriff zu dem Verkäuferkonto, weil dieses derzeit noch gesperrt ist und auf ihren per Mail gestellten Antrag hat sie keine Reaktion erhalten. Daher droht ihr eine kurzfristige Vernichtung der Ware. Damit wird sie durch den unter Ziff. 1. genannten Verstoß gegen § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB zugleich daran gehindert, ihre Waren zurückzufordern.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Der Streitwert ist unter Berücksichtigung des gem. § 3 ZPO geschätzten Interesses der Antragstellerin an den gestellten Anträgen auf jeweils 100.000,00 € für den Antrag zur Entsperrung des Kontos und den Antrag auf Untersagung der Vernichtung der Lagerware festgesetzt worden.

I