LG Köln, Urteil vom 09.08.2011, Az. 5 O 69/11
§ 839 BGB, § 256 ZPO, Art. 34 GG
Das LG Köln hat entschieden, dass eine ohne nennenswerten Anlass verzögerte Erteilung des Fachanwaltstitels (hier: Vorlage von Dokumenten in elektronischer statt ausgedruckter Form) zu einer Schadensersatzpflicht der betreffenden Rechtsanwaltskammer dem Grunde nach führt. Die Entscheidungsgründe des Landgerichts im Volltext:
„Aus den Gründen:
Der vom Kläger bestrittene Rechtsweg zum Zivilgericht ist zulässig (§§ 17 a GVG). Das Landgericht Köln ist sachlich (§ 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG) und auch örtlich zuständig. Die Feststellungsklage ist zulässig.
Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse liegt vor. Dabei hängt bei reinen Vermögensschäden – wie im vorliegenden Fall – bereits die Zulässigkeit der Feststellungsklage von der Wahrscheinlichkeit eines auf die Verletzungshandlung zurückzuführenden Schadenseintritts ab. Die bloße Möglichkeit eines Schadenseintritts reicht indes für ein Feststellungsinteresse nicht aus. Dies wärenur dann der Fall, wenn es um die Verletzung eines absoluten Rechts ginge (BGH, NJW 2006, 830). In der Anwaltschaft nimmt die Spezialisierung von Fachanwälten zu. Dies entspricht allgemeiner Gerichtserfahrung. Dass bei Fachanwälten für Medizinrecht eine Steigerung des Umsatzes und des Verdienstes eintritt, ergibt sich beispielhaft aus dem Bericht „Fachanwälte sind glücklicher und verdienen mehr“ im Anwaltsblatt 2010, Seiten 495, 496. Der Bericht stützt sich auf eine Studie der Direktoren des Soldan Instituts für Anwaltmanagement, Prof. Dr. Hommerich und Dr. Kilian. Die Studie basiert auf einer ausführlichen statistischen Befragung von Fachanwälten, sie wurde auf dem 61. Deutschen Anwaltstag vorgestellt.
Dass gerade der Kläger durch die Verleihung des Fachanwaltstitels Medizinrecht keine Verdienststeigerung erfahren sollte, ist nicht ersichtlich. Aus dem vorgenannten Bericht ergibt sich nämlich, dass sich die Befürchtung, dass der Anwalt mit dem Titelzusatz auf dem Briefkopf nur noch als Spezialist wahrgenommen wird und keine Fälle aus anderen Rechtsgebieten erhalte, nicht bestätigt hat. Dies trifft auch auf den Kläger, der als Einzelanwalt tätig ist, zu. Soweit die Beklagte darauf verweist, der Kläger habe bereits früher eine Vielzahl medizinrechtlicher Fälle bearbeitet, was zeige, dass ihn medizinrechtliche Mandate gerade auch vor der Verleihung des Fachanwaltstitels erreicht hätten, bedeutet dies nicht, dass eine Steigerung der medizinrechtlichen Mandate nicht eintreten werde. Vielmehr ist die Verleihung des Fachanwaltstitels Medizinrecht gerade werbewirksam, wodurch eine Verdienststeigerung erreicht werden kann. Damit ist ein entgangener Gewinn für den Kläger wahrscheinlich.
Der Feststellungsantrag des Klägers ist auch begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz entsprechend dem von ihm gestellten Antrag gemäß § 839 BGB in Verbindungmit Artikel 34 GG gegenüber der Beklagten zu. Eine Amtspflichtverletzung liegt vor. Über den Antrag des Klägers vom 28.4.2010, der am 29.4.2010 bei der Beklagten einging, ist ohne zureichenden Grund nicht innerhalb von 3 Monaten entschieden worden (vgl. § 32 Abs. 2 FAO n. F.; Anwaltsgerichtshof Stuttgart, AGH 25/2008, Beschluss vom 7.8.2008).
Ob ein zureichender Grund für die Überschreitung der 3-Monats-Frist besteht, ist dabei im konkreten Einzelfall anhand der ihn kennzeichnenden tatsächlichen Umstände zu entscheiden, wobei sowohl das Interesse des Betroffenen an einer möglichst raschen Entscheidung, als auch der Umfang und die Schwierigkeit der Angelegenheit und das Interesse an einer ausreichend vorbereiteten sachgerechten Entscheidung zu berücksichtigen sind (Anwaltsgerichthof Stuttgart, aaO).
Im vorliegenden Fall hat der Anwaltsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen – 1 AGH 85/10 – mit Urteil vom 2.5.2011, für die Kammer bindend, im Einzelnen überzeugend ausgeführt, dass zureichende Gründe für die Überschreitung der 3-Monats-Frist von der Beklagten weder dargetan noch anderweitig ersichtlich waren.
So hat etwa der Berichterstatter des Vorprüfungsausschusses von der Einzahlung der Anwaltsgebühr am 06.05.2010 bis zu seiner ersten Reaktion am 03.8.2010 bereits fast 3 Monate verstreichen lassen, bis er überhaupt in die Bearbeitung des Antrags eingetreten ist. Gründe hierfür hat die Beklagte nicht genannt. Der Vorprüfungsausschuss der Beklagten und die Beklagte hätten auch die vom Kläger gelieferten Arbeitsproben in CD-Form nicht zurückweisen dürfen. Sie hätten die Vorlage von Arbeitsproben in Papierform nicht verlangen dürfen.
Danach hätte der Antrag des Klägers bis zum 05.08.2010 positiv beschieden werden müssen. Dass dies nicht erfolgt ist, ist auch schuldhaft – fahrlässig – gewesen.
Es ist wahrscheinlich, dass dem Kläger durch die sogenannte Pflichtverletzung ein Schaden entsteht. Auf die obigen Ausführungen wird verwiesen.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die nicht nachgelassenen Schriftsätze des Klägers vom 19.06.2011 und 08.07.2011 sowie der Beklagten vom 27.06.2011 geben keine Veranlassung zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.
Streitwert: 14.400,00 EUR (80 % von 18.000,00 EUR)“