LG Köln, Urteil vom 14.02.2024, Az. 84 O 132/23
§ 8c Abs. 1 und 2 UWG, § 242 BGB
Das LG Köln hat entschieden, dass es nicht rechtsmissbräuchlich ist, wenn ein abgemahnter Händler die Abmahnung zum Anlass nimmt, seinerseits den Internetauftritt des Abmahners zu überprüfen und sodann zwei Gegenabmahnungen ausspricht (sog. Retourkutsche). Insoweit verwies die Kammer auf die Entscheidung BGH, Urteil vom 21.01.2021, Az. I ZR 17/18, Rn. 44 – Berechtigte Gegenabmahnung). Auch der Umstand, dass der Kläger zwei getrennte Prozesse gegen die Beklagte angestrengt habe, vermöge den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs nicht zu begründen. Der Beklagten sei zwar zuzugeben, dass dfer Kläger seine Klage hätte erweitern können statt zum anderen Sachverhalt eine neue Klage zu erheben. Dies falle jedoch zum einen nicht unter § 8c Abs. 2 Nr. 7 UWG, da hier mehrere Zuwiderhandlungen im Raum stünden. Zum anderen sei es nicht zu beanstanden, in jedem Fall aber nicht rechtsmissbräuchlich, unterschiedliche Streitgegenstände in separaten Klageverfahren zu verfolgen. Zum Volltext der Entscheidung:
Landgericht Köln
Urteil
…
A.
I. Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen,
1. ein angebotenes Marken-Lebensmittel mit einem Zugabeartikel zu versehen, der mit einer eigenen Marke der Beklagte gekennzeichnet ist („C.. Erfrischungstuch“), und in den Verkaufsangeboten wahrheitswidrig den Eindruck zu erwecken, das jeweilige Lebensmittel trage die Marke des Zugabeartikels („C..“), wie insgesamt geschehen nach Anlage K 5 des Urteils;
und/oder
2. vorverpackte Lebensmittel zum Verkauf anzubieten, ohne dass eine
a) vollständige Zutatenliste nebst Angabe der Zutatenmenge
und/oder
b) eine Nährwertdeklaration
vor Abschluss des Kaufvertrages verfügbar ist und auf dem Trägermaterial des Fernabsatzgeschäfts erscheint oder durch andere geeignete Mittel, die eindeutig angegeben werden, bereitgestellt wird, wie insgesamt geschehen nach Anlage K 5 des Urteils.
II. Der Beklagten wird für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung gegen die in Ziffer I. 1. und 2. a) und b) genannten Unterlassungspflichten ein Ordnungsgeld bis zu € 250.000,00 (ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Wochen) oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollstrecken am Geschäftsführer der Beklagten, angedroht.
III. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang und für welchen Zeitraum die Beklagte die in Ziffer I. 1. genannten Handlungen begangen hat, und zwar aufgeschlüsselt nach Gegenstand der Verkaufsangebote, nach Zeitpunkt und Menge der verkauften Artikel sowie nach Verkaufspreisen.
IV. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger jeden Schaden zu ersetzen, der diesem durch die Verletzungshandlungen nach Ziffer I. 1. entstanden ist oder noch entstehen wird.
V. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.501,18 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.10.2023 zu bezahlen Zug um Zug gegen Erteilung einer dem Umsatzsteuergesetz entsprechenden Rechnung.
Hinsichtlich des weitergehenden Antrags wird die Klage abgewiesen.
B.
I. Der Beklagten wird untersagt, im Internet vorverpackte Lebensmittel zum Verkauf anzubieten, ohne dass der vollständige Name bzw. die vollständige Firma des Lebensmittelunternehmers, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel vermarktet wird, oder, wenn dieser Unternehmer nicht in der EU niedergelassen ist, der Importeur, der das Lebensmittel in die EU einführt, dem Verbraucher vor Abschluss des Kaufvertrags bereitgestellt werden, wenn dies geschieht wie aus Anlage K 3 des Urteils ersichtlich (rote Umrahmung zur Verdeutlichung).
II. Der Beklagten wird für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung gegen die in Ziffer I. genannte Unterlassungspflicht ein Ordnungsgeld bis zu € 250.000,00 (ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Wochen) oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollstrecken am Geschäftsführer der Beklagten, angedroht.
C.
Die Beklagte trägt Kosten des Rechtsstreits.
D.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Diese beträgt hinsichtlich der
– Unterlassung zu Ziffer A. I. 1.: 20.000,00 €
– Unterlassung zu Ziffer A. I. 2. und B. I.: 5.000,00 €
– Auskunft: 3.000,00 €
– im Übrigen: 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
1Tatbestand:
2Der Kläger vertreibt unter anderem unter Link entf. zahlreiche Produkte aus dem Lebensmittelbereich, insbesondere Würzsaucen, Nudeln, Snacks und Naschwaren im weitesten Sinne. Darüber hinaus betreibt er den Webshop Link entf., auf dem er ebenfalls die vorgenannten Waren verkauft.
3Die Beklagte bietet ebenfalls unter Link entf. Saucen, Nudeln, Snacks und Naschwaren an.
4Die Beklagte mahnte den Kläger am 27.07.2023 wegen fehlender LMIV-Informationen bei L. ab (Anlage K 2 Akte 84 O 165/23).
5Als Reaktion überprüfte der Kläger seinerseits den Internetauftritt der Beklagten auf Link entf..
6Dort bot die Beklagte das Produkt „E.“ an, wobei die Angabe des primär verantwortlichen Lebensmittelunternehmers fehlte (Anlage K 3 Akte 84 O 165/23). Hierzu hieß es im Angebot:
7„Bilddarstellung wurde entfernt“
8Einen Hersteller „E“ gibt es nicht. Hierbei handelt es sich um die Marke der betreffenden Sauce.
9Mit Anwaltsschreiben vom 02.08.2023 (Anlage K 4 Akte 84 O 165/23) ließ der Kläger die Beklagte abmahnen und zur Abgabe einer nicht strafbewehrten Unterlassungserklärung auffordern, die von der Beklagten mit Schreiben vom 14.08.2023 (Anlage K 5 Akte 84 O 165/23) verweigert wurde.
10Dieser Sachverhalt ist Gegenstand des verbundenen Rechtsstreits 84 O 165/23 (vormals 31 O 234/23).
11Mit einem weiteren Schreiben vom 02.08.2023 (Anlage B 2 Akte 84 O 132/23) ließ der Kläger die Abmahnung der Beklagten vom 27.07.2023 beantworten und bot eine sog. „notice-and-take-down“ Vereinbarung an. Eine Einigung zwischen den Parteien kam jedoch nicht zustande.
12Die Beklagte erwirkte am 23.08.2023 gegen den Kläger vor dem Landgericht Düsseldorf (34 O 48/23) eine einstweilige Verfügung, die es dem Kläger untersagte, im Fernabsatz Lebensmittel anzubieten, ohne über den Lebensmittelunternehmer und eine Nährwertdeklaration zu informieren (Anlage K 7 Akte 84 O 165/23).
13Darüber hinaus stellte der Kläger fest, dass die Beklagte – wie in Anlage K 5 Akte 84 O 132/23 wiedergegeben – Spaghetti in unterschiedlichen Gebinden anbot, wobei die Beklagte diese Angebote jeweils mit einem „Billigartikel“ versah, konkret mit einem „C.. Erfrischungstuch“. Neben der Abbildung der Spaghetti und unterhalb der Überschrift hieß es jeweils zur Marke: „C..“ In den allgemeinen Produktinformationen hieß es:
14„Bilddarstellung wurde entfernt“
15In der Artikelbeschreibung hieß es zudem:
16„Bilddarstellung wurde entfernt“
17Die Marke der Teigwaren lautete jedoch nicht „C..“.
18Darüber hinaus fehlten bei diesen Angeboten nach Anlage K 5 Akte 84 O 132/23 das Zutatenverzeichnis und die Nährwertangaben.
19Mit Anwaltsschreiben vom 07.09.2023 (Anlage K 8 Akte 84 O 132/23) ließ der Kläger die Beklagte abmahnen und – nur hinsichtlich Tenor zu Ziffer A. I. 1. – zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auffordern, die von der Beklagten mit Anwaltsschreiben vom 15.09.2023 (Anlage K 9 Akte 84 O 132/23) verweigert wurde.
20Dieser Sachverhalt ist Gegenstand des führenden Rechtsstreits 84 O 132/23.
21Der Kläger sieht in dem Angebot der Beklagten über die Spaghetti (Anlage K 5 Akte 84 O 132/23) eine unlautere Behinderung nach §§ 3, 4 Nr. 4 UWG. Nach den Richtlinien zur ASIN-Erstellung von L. (Anlage K 6 Akte 84 O 132/23) laufe der Kläger, möchte er das identische Produkt „J….“ im Gebinde ohne das nutzlose Erfrischungstuch unter einer neuen ASIN anbieten, Gefahr, von seiner Verkaufstätigkeit auf Link entf. ausgeschlossen zu werden. Hierzu führt er weiter aus. Darüber hinaus liege auch eine wettbewerbswidrige Irreführung vor, wenn unterhalb der Produktbezeichnung in dem dafür vorgesehenen Feld „Marke“ eine Bezeichnung eingetragen werde („C..“), die mit der Marke des Hauptprodukts nichts zu tun habe.
22Die fehlende Information zum Zutatenverzeichnis und zur Nährwertdeklaration verletze §§ 3, 5a Abs. 1, 5b Abs. 4 UWG sowie §§ 3, 3a UWG i.V.m. Art. 14 Abs. 1, 9 Abs. 1 lit. b), lit. c) und lit. l) 14 LMIV.
23Gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. h) LMIV sei der Name oder die Firma und die Anschrift des Lebensmittelunternehmers nach Art. 8 Abs. 1 LMIV anzugeben, also desjenigen, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel vermarktet werde, oder, wenn dieses Unternehmen nicht in der EU niedergelassen sei, der Name oder die Firma des Importeurs. Insoweit folge der Unterlassungsanspruch aus §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, 3, 3a UWG i.V.m. Art. 9 Abs. 1 lit. h), Art. 14 LMIV bzw. aus §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, 3, 5a 1, 5b Abs. 4 UWG.
24Der Kläger beantragt,
25wie erkannt.
26Die Beklagte beantragt,
27 die Klage abzuweisen.
28Sie stellt eine unlautere Behinderung und eine Irreführung in Abrede. Darüber hinaus sei das Vorgehen des Klägers insgesamt rechtsmissbräuchlich. Hierzu führt sie im Einzelnen aus.
29Der Rechtsmissbrauch ergebe sich insbesondere auch aus folgendem Sachverhalt:
30Der Geschäftsführer der Beklagten, Herr H. R., habe Kontakt zu anderen Wettbewerbern, unter anderem zu Herrn F. M.. Dieser verkaufe bei L. Lebensmittel unter dem Verkäufernamen „T.“. Der Geschäftsführer der Beklagten habe Herrn M. am 03.11.2023 in X. in G. getroffen. Dort habe Herr M. dem Geschäftsführer der Beklagten berichtet, dass er von einem ihm bekannten Mitbewerber kontaktiert worden sei, der wiederum vom Kläger angesprochen worden sei. Dieser Herrn M. bekannte Mitbewerber sei vom Kläger dahingehend kontaktiert worden, dass es Auseinandersetzungen zwischen dem Kläger und der Beklagten geben würde und dass man etwas gegen die Beklagte unternehmen müsse. Details habe Herr M. bei diesem Gespräch noch nicht genannt.
31Es habe dann am 09.11.2023 ein weiteres Telefonat zwischen Herrn R. und Herrn M. gegeben. Der Geschäftsführer der Beklagten habe bei Herrn M. genauer nachgefragt, um was es dem Kläger bei dieser Kontaktaufnahme gegenüber dem Mitbewerber, der dann Herrn M. kontaktiert habe, gegangen sei. Herr M. habe dem Geschäftsführer der Beklagten geschildert, dass Herr D. im Vorfeld diesen Mitbewerber kontaktiert habe und ihm berichtet habe, dass die Beklagte vorsätzlich zunächst Änderungen am L.-Listung vorgenommen habe und anschließend eine Abmahnung bezüglich dieser Artikel an den Kläger ausgesprochen habe. Selbstverständlich habe die Beklagte keine U. des Klägers verändert. Der Mitbewerber habe Herrn M. dann berichtet, dass der Kläger ihm gegenüber geäußert habe, dass man sich dieses Vorgehen nicht gefallen lassen dürfe, man solle nun gemeinsam gegen Z. vorgehen und ebenso Änderungen an bestehenden Listings vornehmen. Herr M. sei in diesem Zusammenhang davon ausgegangen, dass der Kläger den Kontakt auch zu ihm habe suchen wollen, um diesen Plan durchführen zu können, da auch Herr M. an einigen U. Schreibrechte besitze. Einen anderen Grund für die Kontaktaufnahme habe sich Herr M. nicht vorstellen können. Nach Kenntnis von Herrn M. aus dem Gespräch mit seinem Mitbewerber sei es wohl so gewesen, dass Herr D. nach der Abmahnung der Beklagten aufgebracht gewesen sei, er habe gegenüber dem Mitbewerber, der zu Herrn M. Kontakt aufgenommen habe, geäußert, dass jetzt Krieg sei.
32Beweis: Parteivernahme des Geschäftsführers der Beklagten, Herrn H. R.
33Mutmaßlich sei die U., die Gegenstand der Abmahnung gewesen sei, auf Veranlassung des Klägers durch einen L.-Verkäufer mit Schreibrechten abgeändert worden. Diese mutmaßlich auf Veranlassung des Klägers abgeänderte U. sei dann durch den Kläger und seinen Prozessbevollmächtigten zielgerichtet genutzt worden, um die Beklagte im Zusammenhang mit der Aussprache einer Gegenabmahnung zum Einlenken zu bewegen.
34Der Kläger tritt dem entgegen.
35Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.
36Entscheidungsgründe:
37Die (verbundenen) Klagen haben Erfolg.
38I. Der Kläger handelt bei der Geltendmachung seiner Ansprüche nicht rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 8c UWG.
391) Ein derartiger Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn der Anspruchsberechtigte mit der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt und diese als die eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv des Verfahrens erscheint (vgl. BGH GRUR 2000, 1089, 1090 – Missbräuchliche Mehrfachverfolgung; BGH GRUR 2012, 286 Tz. 13 – Falsche Suchrubrik; BGH GRUR 2015, 694 Tz. 16 – Bezugsquellen für Bachblüten; OLG Köln, Urteil vom 21.08.2015 – 6 U 41/15 – S. 6; Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 40. Auflage 2022, § 8c Rn.11).
40Die Annahme eines derartigen Rechtsmissbrauchs erfordert eine sorgfältige Prüfung und Abwägung der maßgeblichen Einzelumstände, wobei vor allem auf das Verhalten des Gläubigers bei der Verfolgung dieses und anderer Verstöße abzustellen ist. Wenn nach dieser Prüfung der Schluss gerechtfertigt ist, dass der klagende Gläubiger neben dem Interesse an einer Untersagung des Wettbewerbsverstoßes die Absicht verfolgt, durch die Rechtsverfolgung vorwiegend Gebühren zu erzielen und/oder den Schuldner beispielsweise durch eine – der Sache nach unnötige – Belastung mit Kosten und Gebühren zu schädigen und ihn dadurch im Wettbewerb zu behindern, ist sein Verhalten als rechtsmissbräuchlich zu bewerten (BGHZ 144, 165 = GRUR 2000, 1089, 1091 – Missbräuchliche Mehrfachverfolgung). Dabei setzt die Annahme eines Rechtsmissbrauchs nicht voraus, dass die Rechtsverfolgung ohne jedes wettbewerbsrechtliche Interesse betrieben wird. Ein Fehlen oder vollständiges Zurücktreten wettbewerbsrechtlicher Absichten hinter die vom Gesetzgeber missbilligte Ziele ist nicht zu verlangen (BGH, GRUR 2001, 82 – Neu in Bielefeld I; GRUR 2012, 286 Tz. 13 – Falsche Suchrubrik).
41Neben dem im Gesetz ausdrücklich genannten Fällen stellt sich die Rechtsverfolgung auch dann als missbräuchlich dar, wenn sie maßgeblich von der Absicht getragen ist, den Verletzer im Wettbewerb zu behindern (KG, GRUR-RR 2010, 22, 23 – JACKPOT!; OLG Saarbrücken, GRUR-RR 2011, 20 – Behinderungsabsicht; vgl. auch BGH, GRUR 2006, 243 Tz. 19 – MEGA SALE). Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn es dem Anspruchsberechtigten zwar nicht ausschließlich, aber doch überwiegend darum geht, den Verletzer mit möglichst hohen Prozesskosten und Risiken zu belasten und seine personellen und finanziellen Kräfte zu binden (BGH, GRUR 2001, 82, 83 – Neu in Bielefeld) oder wenn durch das Vorgehen in erster Linie ein Druckmittel z.B. im Hinblick auf Vergleichsverhandlungen geschaffen werden soll (OLG Hamm, Urt. v. 8. 11. 2012 – 4 U 86/12 – juris Tz. 27 f.; Fritzsche, MünchKomm-UWG, 2. Aufl. 2014, § 8 Rn. 471).
42Darüber hinaus stellt das novellierte UWG mit dem neu gefassten § 8c UWG in dessen Abs. 2 Nrn. 1–7 nunmehr typische, für einen Rechtsmissbrauch sprechende tatsächliche und rechtliche Umstände/Indizien auf, die von dem Anspruchsberechtigten zu widerlegen sind. Sodann ist zu prüfen, ob der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs nach einer Gesamtwürdigung aller Einzelfallumstände zutrifft oder von dem Anspruchsberechtigten entkräftet ist.
432) Unter Berücksichtigung und Abwägung der maßgeblichen Einzelumstände stellt sich das Verhalten des Klägers nicht als rechtsmissbräuchlich dar.
44Der Umstand, dass der Kläger die Abmahnung der Beklagten vom 27.07.2023 zum Anlass genommen hat, seinerseits den Internetauftritt der Beklagten zu überprüfen und sodann zwei Gegenabmahnungen ausgesprochen hat (sog. Retourkutsche), ist für sich genommen nicht zu beanstanden (BGH WRP, 2021, 746 Rn. 44 – Berechtigte Gegenabmahnung).
45Mit den beiden Abmahnungen hat der Kläger entgegen dem Vortrag der Beklagten auch Nichts gefordert, was nicht zulässigerweise gefordert werden kann. In der Abmahnung vom 07.09.2023 begehrt der Kläger die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung nur hinsichtlich des angegriffenen Aspektes der unlauteren Behinderung/Irreführung zu Tenor A. I. 1., nicht aber hinsichtlich des gerügten Verstoßes gegen gesetzliche Informationspflichten. Die Abmahnkosten werden ebenfalls nur hinsichtlich des Aspektes der unlauteren Behinderung/Irreführung zu Tenor A. I. 1. geltend gemacht, nicht aber hinsichtlich des gerügten Verstoßes gegen gesetzliche Informationspflichten. Mit der Abmahnung vom 02.08.2023 wird lediglich die Abgabe einer einfachen (nicht strafbewehrten) Unterlassungserklärung begehrt. Auch werden keine Abmahnkosten geltend gemacht, da ein Verstoß gegen gesetzliche Informationspflichten Gegenstand der Abmahnung war.
46Das weitere Schreiben des Klägers vom 02.08.2023 (Anlage B 2 Akte 84 O 132/23), mit dem der Kläger einen außergerichtlichen Lösungsvorschlag unterbreitet hat, vermag den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs ebenfalls nicht zu begründen. Der BGH hat hierzu in seinem o.g. Urteil in Rn. 45 ausgeführt:
47„Gegen den Schluss auf ein im Sinne von § 8 Abs. 4 Satz 1 UWG aF (§ 8c Abs. 1 und 2 UWG) missbräuchliches Verhalten des Klägers spricht schließlich dessen in dem Schreiben vom 21. Januar 2015 gemachter Vorschlag, die Parteien sollten die wechselseitig gerügten Verstöße einstellen und bei von ihnen in der Zukunft festgestellten Verstößen versuchen, diese ohne kostenauslösende Abmahnungen abzustellen. Dieser Vorschlag zielte als pragmatische Lösung darauf ab, künftig ein beiderseits wettbewerbskonformes Verhalten zu erreichen, ohne dass die Parteien dabei darauf verzichteten, Ansprüche im Falle des Nichtzustandekommens einer Einigung doch noch gerichtlich geltend zu machen.“
48Der Umstand, dass der Kläger zwei getrennte Prozesse gegen die Beklagte angestrengt hat, vermag den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs ebenfalls nicht zu begründen. Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass der Kläger seine Klage zu 31 O 234/23 (jetzt 84 O 165/23, verbunden mit 84 O 132/23) – hätte erweitern können statt zum Sachverhalt, der Gegenstand des Rechtsstreits 84 O 132/23 ist, eine neue Klage zu erheben. Dies fällt jedoch zum einen nicht unter § 8c Abs. 2 Nr. 7 UWG, da hier mehrere Zuwiderhandlungen im Raum stehen. Zum anderen ist es nicht zu beanstanden, in jedem Fall aber nicht rechtsmissbräuchlich, unterschiedliche Streitgegenstände in separaten Klageverfahren zu verfolgen.
49Da keiner der o.g. Umstände für sich genommen rechtsmissbräuchlich ist, vermag auch eine Gesamtschau aller o.g. Umstände den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs nicht zu begründen.
503) Dem (bestrittenen) Vortrag der Beklagten, der Kläger habe Dritte dazu angestiftet, von der Beklagten genutzte U.-Angebote abzuändern, war nicht nachzugehen.
51Würde dieser Vortrag zutreffen, wäre dies selbstverständlich rechtsmissbräuchlich.
52Die Beklagte hat ihren Vortrag aber nicht in zulässiger Weise unter Beweis gestellt. Zeugenbeweis, z.B. durch Benennung des Zeugen M., hat die Beklagte nicht angetreten, sondern lediglich Parteivernehmung ihres Geschäftsführers. Da die Beklagte für den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs beweispflichtig ist, könnte der Geschäftsführer der Beklagten gemäß § 447 ZPO nur mit Einverständnis des Klägers als Partei vernommen werden. Eine Vernehmung vom Amts wegen nach § 448 ZPO kommt nicht in Betracht, da vorliegend kein „nicht ausreichendes Beweisergebnis“ im Raum steht. Darüber hinaus wäre es der Beklagten ja möglich gewesen, den Zeugen M. auch entgegen dessen Willen als Zeugen zu benennen. Insoweit mag § 448 ZPO nicht über den fehlenden, aber möglichen, Beweisantritt hinweg zu helfen.
53II. Tenor zu A. I. 1.
54Es kann dahinstehen, ob insoweit der Tatbestand der unlauteren Behinderung nach §§ 3, 4 Nr. 4 UWG erfüllt ist.
55Der Unterlassungsanspruch folgt jedenfalls aus §§ 3, 5 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 1, § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 UWG. Die angegriffene Werbung der Beklagten stellt eine irreführende geschäftliche Handlung im Sinne der o.g. Normen dar.
56Eine geschäftliche Handlung ist gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 1 UWG irreführend, wenn sie zur Täuschung geeignete Angaben über wesentliche Merkmale der Ware oder Dienstleistung enthält. Für die Beurteilung, ob eine geschäftliche Handlung irreführend ist, kommt es darauf an, welchen Gesamteindruck sie bei den maßgeblichen Verkehrskreisen hervorruft. Sie ist irreführend, wenn das Verständnis, das sie bei den angesprochenen Verkehrskreisen erweckt, mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht übereinstimmt (vgl. BGH, Urteil vom 05.02.2015 – I ZR 136/13, GRUR 2015, 906 – TIP der Woche, mwN).
57Die Frage, ob eine Angabe irreführend ist, richtet sich nach dem Verständnis des situationsadäquat aufmerksamen, durchschnittlich informierten und verständigen Mitglied des angesprochenen Verkehrskreises (BGH, Urteil vom 02.10.2003 – I ZR 150/01, BGHZ 156, 250 – Marktführerschaft; Urteil vom 07.07.2005 – I ZR 253/02, GRUR 2005, 877 – Werbung mit Testergebnis). Dabei muss sich die Irreführungsgefahr nicht bei der Gesamtheit des Verkehrs realisieren. Ausreichende, aber zugleich notwendige Voraussetzung ist vielmehr der Eintritt der Gefahr der Irreführung bei einem erheblichen Teil des von der Werbeaussage angesprochenen Verkehrskreises. Das ist im Wege einer Prognoseentscheidung anhand der normativ zu bewertenden Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. BGH, Urteil vom 08.03.2012 – I ZR 202/10, GRUR 2012, 1053 – Marktführer Sport, mwN).
58Adressaten der streitgegenständlichen Werbung sind (potentielle) Erwerber von Lebensmitteln und somit die Verbraucher im Allgemeinen. Zu diesen Verkehrskreisen gehört auch der zur Entscheidung berufene Kammervorsitzende, so dass dieser die Verkehrsauffassung selbst beurteilen kann (vgl. BGH, GRUR 2012, 1053 – Marktführer Sport).
59Die Aufmerksamkeit, die ein Verbraucher der Situation entgegen bringt, ist nicht stets die Gleiche. Vielmehr unterscheidet sie sich dadurch, ob der Verbraucher lediglich eine Entscheidung für den täglichen Bedarf trifft, oder ob die Entscheidung größeres wirtschaftliches Gewicht hat und daher die Werbung mit größerer Aufmerksamkeit betrachtet wird (vgl. Bornkamm/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, § 5 UWG, Rn. 1.79 mwN).
60Nach diesen Grundsätzen ist die Werbung der Beklagten irreführend, da unterhalb der Produktbezeichnung in dem dafür vorgesehenen Feld „Marke“ eine Bezeichnung eingetragen ist („C..“), die nicht die Marke des Hauptprodukts ist.
61Der angesprochene Verkehr fasst eine solche Angabe regelmäßig als ein auf den Hersteller des Produktes hinweisendes Kennzeichen, mithin eine Marke oder ein sonstiges unternehmensbezogenes Zeichen, auf. Für einen Hinweis auf den Verkäufer des Produkts hält der Verkehr die in Rede stehende Angabe schon deshalb nicht, weil dieser in den hier in Rede stehenden Angeboten grundsätzlich an anderer Stelle ausdrücklich als solcher benannt ist. Der Verkehr versteht „C.“ auch nicht als bloßen Hinweis darauf, dass die Ware unmittelbar oder auch nur mittelbar aus den Beständen der Beklagten stammt. Der hierdurch hervorgerufene Eindruck ist falsch. Denn die Beklagte ist unstreitig nicht Hersteller der angebotenen Ware, sondern handelt lediglich mit dieser.
62III. Tenor zu A. I. 2.
63Die – unstreitig – fehlende Information zum Zutatenverzeichnis und zur Nährwertdeklaration ist nach §§ 3, 5a Abs. 1, 5b Abs. 4 UWG i.V.m. Art. 14 Abs. 1, 9 Abs. 1 lit. b), lit. c) und lit. l), 14 LMIV wettbewerbswidrig.
64Von einer Manipulation des Angebotes auf Veranlassung des Klägers kann nicht ausgegangen werden. Insoweit ist die Beklagte beweisfällig geblieben.
65IV. Tenor zu A. III. und IV.
66Die geltend gemachten Ansprüche auf Auskunft und Feststellung der Schadensersatzpflicht sind aus § 9 UWG i.V.m. § 242 BGB begründet.
67Die Beklagte hat fahrlässig und damit schuldhaft gehandelt. Sie hätte bei gehöriger Prüfung die Wettbewerbswidrigkeit ihres Handelns erkennen können und müssen.
68Dass dem Kläger durch das wettbewerbswidrige Handeln der Beklagten ein Schaden entstanden ist, erscheint nicht ausgeschlossen.
69V. Tenor zu A. IV.
70Da die Abmahnung des Klägers berechtigt war, hat die Beklagte auch die Abmahnkosten zu erstatten, § 13 Abs. 3 UWG.
71Deren Höhe ist unstreitig.
72Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288, 291 BGB.
73Der Kläger ist jedoch verpflichtet, der Beklagten eine dem Umsatzsteuergesetz entsprechende Rechnung vorzulegen (BFH, Az. XI R 27/14 und Az. XI R 1/17).
74VI. Tenor zu B. I.
75Der Unterlassungsanspruch folgt aus bzw. aus §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, 3, 5a Abs. 1, 5b Abs. 4 UWG i.V.m. Art. 9 Abs. 1 lit. h), Art. 14 LMIV.
76Gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. h) LMIV ist der Name oder die Firma und die Anschrift des Lebensmittelunternehmers nach Art. 8 Abs. 1 LMIV anzugeben, also desjenigen, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel vermarktet wird, oder, wenn dieses Unternehmen nicht in der EU niedergelassen ist, der Name oder die Firma des Importeurs.
77Gemäß Art. 14 Abs. 1 lit. h) LMIV müssen diese Angaben auch im Fernabsatz auf dem jeweiligen Trägermaterial erscheinen, vorliegend also im Angebot selbst. Mängel in Bezug auf diese Angaben begründen, einen Verstoß gegen §§ 5a Abs. 1, 5b Abs. 4 UWG.
78Unstreitig fehlte bei dem Angebot der Beklagten „E.“ (Anlage K 3 84 O 165/23) die Angabe des primär verantwortlichen Lebensmittelunternehmers.
79Von einer Manipulation des Angebotes auf Veranlassung des Klägers kann nicht ausgegangen werden. Insoweit ist die Beklagte beweisfällig geblieben.
80VII. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 709 ZPO.
81Streitwert: 48.000,00 €