LG Offenburg: Die Auskunft für IP-Adressen bedarf keiner richterlichen Anordnung nach § 100 g, h StPO

veröffentlicht am 26. Oktober 2009

LG Offenburg, Beschluss vom 17.4.2008, Az. 3 Qs 83/07
§§ 100 g, 162 StPO, § 113 TKG

Das LG Offenburg hat  in diesem Beschluss unter ausführlicher Analyse der Gesetzeshistorie darauf hingewiesen, dass IP-Adressen als Bestandsdaten zu werten sind und der Antrag der Staatsanwaltschaft Offenburg auf Anordnung der Auskunftserteilung jedenfalls seit dem 01.01.2008 auf die §§ 161, 163 StPO i.V.m. § 113 TKG zu stützen sei, da ein Fall der richterlichen Anordnung nach § 100 g, 100 h StPO a. F. bzw. § 100 g StPO n. F. (erforderlich bei der Ermittlung von Verkehrsdaten) nicht gegeben sei. Mithin sei eine Verhältnismäßigkeitsprüfung eines solchen Antrags durch das Gericht statthaft.

Landgericht Offenburg

Beschluss

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Amtsgerichts Offenburg vom 20.07.2007 wird als unbegründet mit der Maßgabe verworfen, dass der Antrag auf Anordnung der Auskunftserteilung gem. §§ 100 g, 162 StPO als unzulässig abgelehnt wird.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.

Mit Verfügung vom 25.06.2007 beantragte die Staatsanwaltschaft gem. §§ 100 g, Abs. 1 und 2, 100 h, 162 StPO in der damals geltenden Fassung die Auskunftserteilung über den Anschlussinhaber, dem am 28.12.2006 um 17:20 Uhr und 15 Sekunden MEZ die (dynamische) IP 84.162.166.76 zugewiesen war, durch die … und das … Das Amtsgericht Offenburg lehnte diesen Antrag mit Beschluss vom 20.07.2007 ab. Es nahm darin an, dass es sich bei den begehrten Daten zwar um Verkehrsdaten und nicht um Bestandsdaten gem. § 113 TKG handele, sodass die begehrte Auskunft rechtlich den §§ 100 g und h StPO a. F. unterfalle. Es lehnte aber die begehrte Auskunftserteilung wegen angenommener Unverhältnismäßigkeit ab. Wegen der näheren Begründung wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.

Hiergegen legte die Staatsanwaltschaft Offenburg mit Verfügung vom 01.08.2007 Beschwerde ein, mit welcher sie Argumente für die Verhältnismäßigkeit der begehrten Maßnahme darlegte.

Mit Verfügung vom 02.08.2007 half das Amtsgericht Offenburg der Beschwerde der Staatsanwaltschaft nicht ab und legte sie zur Entscheidung der Beschwerdekammer vor.

Die Staatsanwaltschaft begründete die Beschwerde ergänzend unter dem 08.08.2007. Hierin wird ausgeführt, dass es sich bei den gesuchten Daten um Bestandsdaten gem. § 113 TKG handele. Auch wenn von einer Anwendbarkeit der §§ 100 g und h StPO ausgegangen werde, sei die begehrte Maßnahme nicht unverhältnismäßig. Auch die Anzeigeerstatter haben über ihre Rechtsanwälte unter dem 16.08.2007 diese Standpunkte vertreten.

II.
Es kann dahinstehen, wie die Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Amtsgerichts Offenburg zu beurteilten war. Die Beschwerdekammer ist gem. § 309 Abs. 2 StPO gehalten, die Entscheidung nach der jetzt geltenden Rechtslage zu treffen. Hiernach hat der Gesetzgeber mit dem am 01.01.2008 in Kraft getretenen Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen vom 21.12.2007 inzwischen klar gestellt, dass er die hier umstrittenen Daten als Bestanddaten gem. § 113 TKG einordnet. Diese gesetzgeberische Entscheidung ist von der Judikative hinzunehmen.

1.
Nach der bis zum 01.01.2008 geltenden Rechtslage war umstritten, ob die Auskunft über den Inhaber einer dynamischen IP – Adresse auf ein Auskunftsersuchen nach den §§ 161, 163 StPO i.V.m. § 113 TKG gestützt werden kann oder nur nach Maßgabe der §§ 100 g, 100 h StPO zu erlangen ist. Entscheidend hierfür war die Frage, ob die vom Provider begehrten Informationen als Bestands- oder Verkehrsdaten angesehen wurden. Gem. § 3 Nr. 3 TKG, konkretisiert durch § 111 Abs. 1 TKG, sind Bestandsdaten solche Daten eines Teilnehmers, die für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung, Änderung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses über Telekommunikationsdienste erhoben werden. Verkehrsdaten, über die Auskunft nur nach den Vorschriften der StPO zu erlangen ist, sind dagegen nach der Legaldefinition des § 3 Nr. 30 TKG solche Daten, die bei der Erbringung eines Telekommunikationsdienstes erhoben, verarbeitet oder genutzt werden.

Eine dynamische IP-Adresse kann einer Person nur im Zusammenhang mit den Daten der konkreten Internetkommunikation, insoweit also der Verkehrsdaten dieser Kommunikation, zugeordnet werden. Daher war streitig, ob der konkrete Kommunikationsvorgang von der Zuordnung zu den Namen usw. eines Teilnehmers (vgl. § 3 Nr. 3 TKG i.V.m. § 111 Abs. 1 TKG) getrennt werden kann oder ob der einheitliche Vorgang als grundrechtsrelevant im Sinne von Artikel 10 GG angesehen werden muss, deswegen unter §§ 3 Nr. 20, 88, 96 TKG zu subsumieren und nur gem. § 100 g, h StPO zu ermitteln ist.

Die Bundesregierung war dabei immer schon der Auffassung, dass es sich bei den hinter dynamischen IP – Adressen stehenden Daten um Bestandsdaten handelt (vgl. nur die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 01.10.2001, Bundestags- Drucksache 14/7008, Seite 7, zu § 100 g Abs. 3 StPO). Die Rechtsaufassung der Bundesregierung ist allerdings kein Auslegungskriterium für Gesetze, solange sie nicht durch eine Abstimmung im Parlament zum Willen des Gesetzgebers wird. Die gesetzlich bis zum 01.01.2008 nicht geregelte Frage wurde daher von der Rechtssprechung unterschiedlich beantwortet.

2.
Mit dem Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen vom 21.12.2007, in Kraft getreten am 01.01.2008, hat der Gesetzgeber diese Frage nunmehr geregelt. Er hat sie zu Gunsten der Auffassung entschieden, dass es sich bei den umstrittenen Daten um Bestandsdaten gem. § 3 Nr. 3 TKG handelt.

a)
Ausdrücklich ist dies allerdings auch der jetzt geltenden Fassung des TKG oder der StPO nicht zu entnehmen. Vielmehr wurde diesbezüglich lediglich in den zweiten Halbsatz von § 113 b Satz 1 TKG die Worte eingefügt „mit Ausnahme einer Auskunftserteilung nach § 113″. Der Wortlaut lässt somit nach wie vor die Rechtslage offen, welche Daten zu den Bestandsdaten nach §§ 95, 111, 3 Nr. 3 TKG gehören.

b)
Dennoch ergibt vorliegend die Gesetzesauslegung mit den anerkannten Auslegungsmethoden, dass die oben genannte Rechtsfrage hierdurch entschieden werden sollte. Aus der Gesetzesbegründung und der Entwicklung des Gesetzesentwurfes wird nämlich deutlich, dass diese Worte ausschließlich deswegen eingefügt wurden, um die oben genannte Streitfrage zu regeln. So heißt es in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses vom 07.11.2007, Bundestags-Drucksache 16/6979; S. 70:

„Ausgehend vom Vorschlag Nr. 20 b des Bundesrates (….) wird mit der Ergänzung in § 113 b Satz 1 Halbsatz 2 TKG – E geregelt, dass die nach § 113 a gespeicherten Daten, wie etwa eine (dynamische) IP – Adresse (Unterstreichung durch die Kammer) auch für eine Auskunftserteilung über Bestandsdaten nach § 113 TKG verwendet werden dürfen. Damit wird in der Sache zugleich auch dem Anliegen in Vorschlag Nr. 18 des Bundesrates Rechnung getragen und eine ausdrückliche gesetzliche Regelung geschaffen, die klarstellt, dass Auskünfte insbesondere über den Namen und die Anschrift eines mittels dynamischer IP – Adresse und Uhrzeit individualisierten Anschlussinhabers im manuellen Auskunftsverfahren nach § 113 TKG zu erteilen ist – und zwar gerade auch dann, wenn diese Auskunft vom Diensteanbieter nur unter Rückgriff auf (…) gespeicherte Verkehrsdaten möglich ist.“

Da das Gesetz mit dieser Ergänzung sodann vom Bundestag beschlossen wurde, ist dieser Sinn der in § 113 b Satz 1 Halbsatz 2 TKG eingefügten Worte Wille des Gesetzgebers geworden und somit für die Rechtsauslegung zu berücksichtigen, auch wenn der Wortlaut selbst den beabsichtigten Regelungsgehalt nicht eindeutig wiedergibt.

3.
Somit ist jedenfalls seit dem 01.01.2008 die von der Staatsanwaltschaft begehrte Auskunft über ein unmittelbares Auskunftsersuchen der Staatsanwaltschaften bei den Providern nach den §§ 161, 163 StPO i.V.m. § 113 TKG zu stützen. Ein Fall der richterlichen Anordnung nach § 100 g, 100 h StPO a. F. bzw. § 100 g StPO n. F., in Kraft seit 01.01.2008 liegt somit nicht vor.

III.

Das Amtsgericht Offenburg hat somit im Ergebnis zutreffend den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erhebung der Verbindungsdaten zurückgewiesen.

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft war daher mit der Kostenfolge des § 473 StPO zu verwerfen.

I