LG Saarbrücken, Beschluss des 23.04.2009, Az. 2 Qs 9/09
§§ 100a, 100g StPO; §§ 106 Abs. 1, 108 Nr. 7 UrhG
Das LG Saarbrücken hat entschieden, dass der Server eines Filesharers, den dieser zum erstmaligen Upload von urheberrechtlich geschützten Werken ins Internet nutzt, beschlagnahmt werden darf. Was war passiert? Mit Schreiben vom 22.08.2008 stellte die GVU – Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen e.V. – Strafantrag gegen die für den Upload / das Bereitstellen von Filmdateien über Webseedserver mit der IP … Verantwortlichen wegen unerlaubter Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke sowie unerlaubten Eingriffs in verwandte Schutzrechte. Durch einen Mitarbeiter der GVU, den Zeugen R., war festgestellt worden, dass über den genannten Webseedserver Filmdateien in einer Tauschbörse im Internet zur Verfügung gestellt worden waren. Als sogenannter „Provider“ wurde die Firma O. GmbH aus S. festgestellt.
Die Ermittlungsbehörden nahmen daraufhin mit der Firma O. Kontakt auf und baten um Übermittlung der Bestandsdaten zu der genannten IP-Adresse. Die Firma O. erteilte mit Fax vom 12.02.2009 die beantragte Auskunft, so dass der Beschuldigte namentlich ermittelt werden konnte. Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken beantragte daraufhin mit Verfügung vom 10.03.2009 den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses bezüglich der Geschäftsräume der Firma O. GmbH. Ziel der Durchsuchung war die Sicherstellung der Festplatte mit dem den Beschuldigten betreffenden Verbindungsdatenbestand. Das AG Saarbrücken lehnte mit Beschluss vom 01.04.2009 den Erlass des Durchsuchungsbeschlusses ab. Zur Begründung verwies das Gericht auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.03.2008, Az. 1 BvR 256/08 (NStZ 2008, 290 ff.). Danach dürfe auf Verkehrsdaten i. S. v. § 113 a TKG nur unter den Voraussetzungen des § 100 g StPO bei Vorliegen einer Katalogtat nach § 100 a StPO zugegriffen werden. Die beantragte Durchsuchung und die Sicherstellung der Daten seien eine Umgehung der einschränkenden Voraussetzungen des § 100 g StPO. Gegen diesen Beschluss legte die Staatsanwaltschaft Saarbrücken erfolgreich Beschwerde ein.
Rechtsgrundlage der hier beantragten Durchsuchung, so das LG Saarbrücken, sei § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO. Nach dem von der GVU ermittelten Sachverhalt bestehe ein hinreichender Verdacht, dass der Beschuldigte sich gemäß § 106 Abs. 1 UrhG wegen unerlaubter Verwertung urheberrechtlich geschützte Werke bzw. gemäß § 108 Nr. 7 UrhG wegen unerlaubten Eingriffes in verwandte Schutzrechte strafbar gemacht habe. Auch in Anbetracht des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der bei Durchsuchungen besonders beachtet werden müsse, bestünden keine Bedenken im Hinblick auf die beantragte Maßnahme (vgl. hierzu Meyer-Goßner, StPO, 51. Auflage, § 102 Rdnr. 15 m.w.N.). Insbesondere stehe die beantragte Durchsuchung in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der konkreten Straftat und zur Stärke des Tatverdachts. Ferner sei zu vermuten, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln, namentlich der Festplatte mit Daten zur Server-IP … (Verbindungs-, Nutzer- und sonstige Daten des Beschuldigten) führen werde (§§ 103, 105 StPO).
Bedenken an der Rechtmäßigkeit einer auf die Sicherstellung der Festplatte gerichteten Durchsuchung könnten allein angesichts der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.03. 2008 (Az. 1 BvR 256/08) bestehen. Mit dieser Entscheidung habe das Gericht in einem einstweiligen Anordnungsverfahren den Vollzug von § 113 b Satz 1 Nr. 1 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) teilweise ausgesetzt. Darüber hinaus erfasse die einstweilige Anordnung die Abrufermächtigung nach § 100 g Abs. 1 Nr. 2 StPO mit der Folge, dass in diesen Fällen die Übermittlung und Nutzung von bevorrateten Verkehrsdaten einstweilen auszusetzen sei. Von einer Aussetzung des Vollzugs der Pflicht zur Datenspeicherung gemäß § 113 a TKG habe das Gericht allerdings abgesehen.
Für die Befugnis zur Erhebung von Telekommunikations-Verkehrsdaten habe die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die folgenden Konsequenzen: Wenn die Strafverfolgungsbehörde nach § 100 g Abs. 1 StPO bei dem verpflichteten Anbieter nach § 113 a TKG gespeicherte Daten abrufe, habe der Anbieter die verlangten Daten zu erheben. Sei Gegenstand des Ermittlungsverfahrens eine Katalogtat i. S. v. § 100 a Abs. 2 StPO, seien die Daten an die ersuchende Behörde zu übermitteln. In den übrigen Fällen seien die Daten lediglich zu speichern, deren Übermittlung an die Strafverfolgungsbehörde sei bis zur endgültigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Hauptsache zurückzustellen.
Die Kammer sei indes zu der Überzeugung gelangt, dass diese höchstrichterliche Rechtsprechung entgegen der Auffassung des Amtsgerichts auf den hier zu entscheidenden Sachverhalt nicht übertragbar sei. Der auf den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses gerichtete Antrag der Staatsanwaltschaft sei mit einem Antrag auf unmittelbare Erhebung von Telekommunikations-Verkehrsdaten nicht vergleichbar, da bei einer Durchsuchung in der Regel datenschutzrechtliche Belange von Unbeteiligten nicht berührt würden.
Die Begriffe der Verkehrs- und Bestandsdaten wären in § 3 TKG gesetzlich definiert.
Nach § 3 Nr. 3 TKG seien Bestandsdaten Daten eines Teilnehmers, die für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung, Änderung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses über Telekommunikationsdienste erhoben würden. § 3 Nr. 30 TKG definiere Verkehrsdaten als Daten, die bei der Erbringung eines Telekommunikationsdienstes erhoben, verarbeitet oder genutzt würden.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.03.2008 und die dort genannten Vorschriften bezögen sich ausschließlich auf Verkehrsdaten und deren Speicherung. Da es sich bei der IP-Adresse und den hierzu gespeicherten Daten (Name des Beschuldigten, Kundenkennung, Anschrift, Bankverbindung und Vertragslaufzeit) um Bestandsdaten handele, sei zunächst die Auskunft der O. GmbH vom 12.02.2009 an die Ermittlungsbehörde als Grundlage für weitere Maßnahmen rechtlich zulässig. Die Erhebung dieser Daten basiere auf § 95 Abs. 1 TKG, die Erteilung entsprechender Auskünfte an die Strafverfolgungsbehörden richte sich nach § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG. Einer richterlichen Anordnung nach Maßgabe des § 100 g StPO bedürfe es weder für die Erhebung noch für die Übermittlung der Bestandsdaten.
Der Antrag auf Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses ist hingegen auf die Sicherstellung der Festplatte mit dem den Beschuldigten betreffenden Datenbestand und damit unzweifelhaft auch auf die Erlangung von Verkehrsdaten gerichtet. Soweit das Amtsgericht hier eine Parallele zwischen der beantragten Durchsuchung und einer unmittelbaren Übermittlung von Verkehrsdaten durch den Provider sieht, folgt die Kammer dem nicht. Denn weil nur die Festplatte zu dem vom Beschuldigten angemieteten Webseedserver sichergestellt werden soll, erscheint es nach Überzeugung der Kammer ausgeschlossen, dass in Daten von unbeteiligten Personen eingegriffen wird. Gerade dies war aber für das Bundesverfassungsgericht in der oben genannten Entscheidung für den Erlass der einstweiligen Anordnung ausschlaggebend.
So habe das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Folgenabwägung folgendes dargelegt:
„… Ein Abruf der bevorrateten Telekommunikations-Verkehrsdaten im Einzelfall kann für den Betroffenen gewichtige Nachteile bewirken, die sich zumindest in weitem Umfang durch eine spätere Nichtigerklärung der Vorschriften über die Datenbevorratung und den Datenabruf nicht mehr beheben ließen.
Die sechs Monate andauernde Möglichkeit des Zugriffs auf sämtliche durch eine Inanspruchnahme von Telekommunikationsdiensten entstandenen Verkehrsdaten bedeutet eine erhebliche Gefährdung des in Art. 10 Abs. 1 GG verankerten Persönlichkeitsschutzes. Dass ein umfassender Datenbestand ohne konkreten Anlass bevorratet wird, prägt auch das Gewicht der dadurch ermöglichten Verkehrsdatenabrufe. Von der Datenbevorratung ist annähernd jeder Bürger bei jeder Nutzung von Telekommunikationsanlagen betroffen, so dass eine Vielzahl von sensiblen Informationen über praktisch jedermann für staatliche Zugriffe verfügbar ist. Damit besteht für alle am Telekommunikationsverkehr Beteiligten das Risiko, dass im Rahmen konkreter behördlicher Ermittlungen über einen längeren Zeitraum hinweg Verkehrsdaten abgerufen werden. …
In dem Verkehrsdatenabruf selbst liegt ein schwerwiegender und nicht mehr rückgängig zu machender Eingriff in das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG. Ein solcher Datenabruf ermöglicht es, weitreichende Erkenntnisse über das Kommunikationsverhalten und die sozialen Kontakte des Betroffenen zu erlangen, gegebenenfalls sogar begrenzte Rückschlüsse auf die Gesprächsinhalte zu ziehen. Zudem weist ein Verkehrsdatenabruf eine erhebliche Streubreite auf, da er neben der Zielperson des Auskunftsersuchens notwendigerweise deren Kommunikationspartner erfasst, also vielfach Personen, die in keiner Beziehung zu dem Tatvorwurf stehen und den Eingriff durch ihr Verhalten nicht veranlasst haben. …„
Diese Argumente des Bundesverfassungsgerichts griffen in Fällen der vorliegenden Art gerade nicht. Die Festplatte, die sichergestellt werden solle, enthalte allein aus der Verbreitung der Filmdateien resultierende Daten. Die Erkenntnisse, die die Strafverfolgungsbehörde aus den dort gespeicherten Daten ziehen könne, seien auf diese Aktivitäten begrenzt. Die Kammer sehe deshalb keinen Grund, der den beantragten Durchsuchungsbeschluss als rechtswidrig erscheinen lassen könnte.