OLG Bamberg: Zum Rechtsmissbrauch bei Forderung einer überhöhten Vertragsstrafe / Öko-Verordnung

veröffentlicht am 26. September 2022

OLG Bamberg, Beschluss vom 01.02.2021, Az. 3 W 4/21
§ 3 UWG , § 3a UWG , § 8c Abs. 2 Nr. 3 und 4 UWG , § 13a Abs. 3 UWG, § 51 Abs. 2 GKG 
Art. 28 Abs. 1 lit. b EU-VO Nr. 834/2007

Das OLG Bamberg hat entschieden, dass ein rechtsmissbräuchliches Verhalten gem. § 8c Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 UWG auch dann nicht vorliegt, wenn der Abmahnende bei drei Verstößen gegen die sog. Öko-Verordnung eine Vertragsstrafe in Höhe von 10.000 EUR pro Wiederholungsfall fordert und die zu erstattenden außergerichtlichen Kosten für die wettbewerbsrechtliche Abmahnung auf der Basis eines Geschäftswerts in Höhe von 100.000 EUR geltend macht. Im Ergebnis wurde der Gegenstandswert allerdings für überhöht erachtet und auf 30.000 EUR reduziert. Zum Volltext der Entscheidung:

Oberlandesgericht Bamberg

Beschluss

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts Würzburg vom 17.12.2020, Az. 1 HK O 2375/20, aufgehoben.
 
2. Der Antragsgegnerin wird es unter Androhung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgelds von bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall bis zu 2 Jahren, zu vollstrecken an ihrem Geschäftsführer, untersagt,
 
a) landwirtschaftliche Erzeugnisse, die zur Verwendung als Lebensmittel bestimmt sind, im Internet als ökologische/biologische Erzeugnisse unter der Bezeichnung „bio“, etwa wie in Anlage AST 4 anzubieten oder in den Verkehr zu bringen, ohne hierfür dem Kontrollsystem nach Art. 27 VO(EG) Nr. 834/2007 unterstellt zu sein und/oder
 
b) landwirtschaftliche Erzeugnisse, die zur Verwendung als Lebensmittel bestimmt sind, mit dem in Art. 25 Abs. 1, 3 VO(EG) Nr. 834/2007 genannten Gemeinschaftslogo oder einem nationalen oder privaten Logo nach 25 Abs. 2 VO(EG) Nr. 834/2007, wie in Anlage AST 4 S. 2 bis 4, anzubieten oder in den Verkehr zu bringen, ohne hierfür dem Kontrollsystem nach Art. 27 VO(EG) Nr. 834/2007 unterstellt zu sein.
 
3. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
 
4. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 30.0000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

1. Die Antragstellerin hat folgenden Sachverhalt glaubhaft gemacht:

Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Gebiet des Vertriebs von Werbemitteln. Die Antragstellerin beschäftigt laut ihrer eigenen Darstellung rund 100 Mitarbeiter, die Antragsgegnerin bei einem Jahresumsatz von 1,3 Mio. € sechs Mitarbeiter.

Die Antragsgegnerin bietet im Internet verschiedene Artikel mit der Bezeichnung „Bio“ bzw. „Öko“ an, unter anderem „Bio Kräuter Triple“, „Bio-Bärchen“ und „Bio Chia-Riegel“. Hierbei handelt es sich um landwirtschaftliche Erzeugnisse, die zur Verwendung als Lebensmittel bestimmt sind (Anlage A4). Jeder Unternehmer, der solche Erzeugnisse in den Verkehr bringt, ist verpflichtet, sich eines dafür eingerichteten Kontrollsystems zu unterwerfen, bevor er solche Erzeugnisse auf den Markt bringt. Dies ist bei der Antragsgegnerin jedoch nicht der Fall.

Mit Schreiben ihres anwaltlichen Vertreters vom 03.12.2020 forderte die Antragstellerin die Antragsgegnerin zur Abgabe einer Unterlassungserklärung bei Zahlung einer Vertragsstrafe von 10.000,00 € und Erstattung der Kosten der anwaltlichen Tätigkeit in Höhe einer 1,3 Gebühr auf der Basis eines Gegenstandswerts von 100.000,00 € auf (Anlage A6). Dies lehnte die Antragsgegnerin ab.

2. Am 17.12.2020 beantragte die Antragstellerin beim Landgericht Würzburg den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Antragsgegner mit dem Ziel, die tenorierte Unterlassungsverfügung zu erlassen.

3. Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 17.12.2020 den Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Antragstellerin rechtsmissbräuchlich vorgehe. Sie lege einen überhöhten Gegenstandswert zugrunde. Angemessen seien statt 100.000,00 € nur 45.000,00 €. Auch die geforderte Vertragsstrafe sei überhöht, weil hier nicht mehr als 5.000,00 € hätten verlangt werden dürfen.

4. Der hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde der Antragstellerin hat das Landgericht mit Beschluss vom 14.01.2021 nicht abgeholfen.

II.

Die nach §§ 936, 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch sonst zulässige (§ 569 ZPO) Beschwerde hat in der Sache Erfolg und führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung.

1. Der Verfügungsantrag ist zulässig, insbesondere nicht rechtsmissbräuchlich.

Ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen ist nur dann anzunehmen, wenn die vollständige Betrachtung der gesamten Umstände ergibt, dass der Anspruchsberechtigte mit der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt und diese als die eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen. Dies hat sich auch nach der Einführung der Vorschrift des § 8c UWG nicht geändert (BGH GRUR 2019, 966 Rn. 21; BGH GRUR 2016, 961 Rn. 15; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Feddersen, 39. Aufl. 2021, UWG § 8c Rn. 11f.).

Die für die Annahme eines derartigen Rechtsmissbrauchs erforderliche sorgfältige Prüfung und Abwägung der maßgeblichen Einzelumstände (BGH GRUR 2019, 199 Rn. 29) hat das Landgericht jedoch nicht durchgeführt. Die Entscheidung des Landgerichts lässt überdies eine zureichende Auseinandersetzung mit den in § 8c Abs. 2 Nr. 3, Nr. 4 UWG Tatbeständen vermissen. Hierbei hätte es festgestellt, dass die von ihm angeführten Umstände (Ansetzung eines Gegenstandswerts und einer Vertragsstrafe, die nach dem Dafürhalten des Landgerichts mehr als Doppelte über dem Angemessenen liegen) vorliegend nicht geeignet sind, einen Rechtsmissbrauch zu indizieren.

a) Soweit das Landgericht einen Rechtsmissbrauch der Antragstellerin auf einen überhöhten Gegenstandswert stützt, hat es zwar insoweit zutreffend ausgeführt, dass bereits vor der Einführung des § 8c Abs. 2 Nr. 3 UWG anerkannt war, dass die Angabe eines überhöhten Gegenstandswerts ein Indiz für einen Rechtsmissbrauch sein kann. Da die Festsetzung des Streitwerts jedoch gem. § 51 Abs. 2 UWG im Ermessen steht, kann ein Indiz für einen Rechtsmissbrauch allenfalls angenommen werden, wenn der Gegenstandswert selbst bei vollständiger Ausschöpfung des ohnehin weiten Ermessensspielraums als nicht mehr sachgerecht einzuordnen ist. Abgesehen davon führt die unangemessen hohe Ansetzung allein regelmäßig nicht zur Annahme eines Rechtsmissbrauchs (BGH GRUR 2019, 966 Rn. 47).

Nach dieser Maßgabe ist zwar grundsätzlich nichts gegen die Annahme des Landgerichts einzuwenden, dass vorliegend ein Streitwert von 15.000,00 € für jeden Verstoß und daher insgesamt 45.000,00 € als Hauptsachestreitwert angemessen erscheinen. Dem Senat, der sein Ermessen bei der Streitwertbemessung grundsätzlich eher zurückhaltend ausübt, ist jedoch auch die divergierende Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte bekannt. Gerade bei Unterlassungsverfügungen bei dem Inverkehrbringen nicht genügend gekennzeichneter Lebensmittel werden teilweise erheblich höhere Streitwerte angenommen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 30.06.2016 – I-15 U 8/15; OLG Koblenz, Urteil vom 26.09.2018 – 9 U 521/18). Aus diesem Grund kann aus dem hier von der Antragstellerin angenommenen Gesamtstreitwert von 100.000,00 € nicht auf einen Rechtsmissbrauch geschlossen werden.

b) Auch in Zusammenschau mit der in der verlangten Unterlassungserklärung enthaltene Vertragsstrafe von 10.000,00 € vermag der Senat keinen Rechtsmissbrauch zu erkennen.

Nach der Vorschrift des § 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG ist ein Rechtsmissbrauch „im Zweifel“ anzunehmen, wenn „offensichtlich“ eine überhöhte Vertragsstrafe gefordert wird. Die vom Landgericht zur Begründung des Rechtsmissbrauchs herangezogene Erwägung, dass nach der Rechtsprechung des OLG Brandenburg (Urteil vom 26.06.2020, 6 U 119/19) für die Höhe der Vertragsstrafe „allenfalls ein Betrag von 5.000,00 € angemessen sein dürfte“, erfüllt noch nicht einmal ansatzweise die Voraussetzungen. Aus dem zitierten Urteil, das einen nicht vergleichbaren Sachverhalt betraf (einmalige Telefaxwerbung), ist dies nicht zu entnehmen. Das Landgericht trägt daneben nicht dem Umstand Rechnung, dass die Bestimmung einer Vertragsstrafe mit vielen Unsicherheiten einhergeht, weshalb nur eindeutige und erkennbare Fälle von der Vorschrift des § 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG erfasst sind (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Feddersen, 39. Aufl. 2021, UWG § 8c Rn. 20). Vorliegend kann der Senat nicht feststellen, dass die Antragstellerin mit ihrem Vertragsstrafeverlangen die in § 13a Abs. 1 UWG niedergelegten Kriterien in einer Art und Weise überspannt hätte, dass von einer offensichtlichen Überhöhung auszugehen wäre. Dagegen spricht der vom Landgericht selbst bei der Bestimmung des Streitwerts zutreffend herangezogenen Umstand, wonach die unerlaubte Verwendung des Begriffs „bio“ die wirtschaftlichen Belange des Mitbewerbers und damit auch die der Antragstellerin wesentlich beeinträchtigen. Daneben besteht, wie das Landgericht ebenfalls richtig ausführt, an der Einhaltung der entsprechenden gesetzlichen Verpflichtungen zum Schutze der Verbraucher ein Allgemeininteresse. Diese Umstände verbieten die Anwendung der in Vorschrift des § 13a Abs. 3 UWG niedergelegte Bagatellgrenze, sondern lassen die verlangte Vertragsstrafe von 10.000,00 € jedenfalls nicht als „offensichtlich überhöht“ erscheinen.

c) Sind also die vom Landgericht herangezogenen Umstände schon für sich genommen nicht geeignet, die Annahme eines Rechtsmissbrauchs zu begründen, rechtfertigt eine Gesamtbetrachtung der Umstände die Annahme nicht, dass die Antragstellerin mit dem Unterlassungsanspruch überwiegend sachfremde Ziele verfolgt. Dies ist schon angesichts der Größe des Geschäftsbetriebs der Antragstellerin fernliegend. Dem stehen weiter die bereits vorstehend genannten Interessen der Antragstellerin als Mitbewerberin und der Allgemeinheit an der Unterlassung entgegen. Dass diese Ziele vorliegend nicht primär verfolgt werden, sondern die eigene Einnahmeerzielung über eine Kostenbelastung der Antragsgegnerin durch einen überhöhten Gegenstandswert bzw. eine überhöhte Vertragsstrafe im Vordergrund steht, kann der Senat mit der vom Landgericht gegebenen Begründung nicht nachvollziehen.

2. Nachdem die Antragstellerin glaubhaft gemacht hat, dass die Antragsgegnerin gegen die Marktverhaltensregel aus Art. 28 Abs. 1 VO (EG) Nr. 834/2007) verstoßen hat, besteht ein Anspruch auf Unterlassung aus §§ 3, 8 Abs. 1 UWG (BGH GRUR 2018, 745).

Nach Art. 28 Abs. 1 Buchst. b VO Nr. 834/2007 ist jeder Unternehmer vor dem Inverkehrbringen von jeglichen Erzeugnissen als ökologisch/biologische Erzeugnisse oder als Umstellungserzeugnisse verpflichtet, sein Unternehmen dem Kontrollsystem nach Art. 27 VO Nr. 834/2007 zu unterstellen. Dem ist die Antragsgegnerin unstreitig nicht nachgekommen.

Die Dringlichkeit wird gem. 12 Abs. 1 UWG wird vermutet.

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin war daher die beantragte einstweilige Verfügung zu erlassen.

3. Die Androhung von Ordnungsmitteln beruht auf § 890 ZPO.

III.
Die Nebenentscheidungen zu den Kosten und zur Wertfestsetzung beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 3 ZPO, 51 Abs. 2, Abs. 4 GKG.

I