OLG Dresden: Zur Wiederholungsgefahr bei Löschung von Posts in sozialen Netzwerken

veröffentlicht am 23. November 2021

OLG Dresden, Beschluss vom 18.10.2021, Az. 4 U 1407/21
§ 3 ZPO, § 522 Abs. 2 ZPO

Das OLG Dresden hat entschieden, dass es an der für einen Unterlassungsanspruch erforderlichen Wiederholungsgefahr fehlt, wenn der der Post eines Nutzers in einem sozialen Netzwerk automatisch gelöscht und auf dessen Beschwerde unmittelbar wieder eingestellt wird. Anders verhalte es sich, wenn der Netzanbieter die Löschung zunächst verteidige oder durch sein Verhalten zu erkennen gebe, sie nach wie vor für berechtigt zu halten (kein Proforma-Hinweis „Vorgang wurde noch einmal geprüft“ ohne tatsächliche Prüfung). Der Senat bestätigt damit seine Rechtsprechung (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 04.10.2021, Az. 4 W 625/21). Zum Volltext der Entscheidung:


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Oberlandesgericht Dresden

Beschluss

In dem Rechtsstreit

wegen Unterlassung

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden durch … ohne mündliche Verhandlung am 18.10.2021 beschlossen:

1. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

3. Dieser Beschluss und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

4. Der Gegenstandswert wird auf 1.200,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Berufung des Klägers war nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch – einstimmig gefassten – Beschluss zurückzuweisen. Sie bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.

Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.

Zur Begründung wird auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 05.10.2021 verwiesen. Die Ausführungen des Klägers im Schriftsatz vom 05.10.2021 rechtfertigen keine andere Entscheidung.

1.
Wie der Senat bereits im Hinweisbeschluss vom 05.10.2021 ausgeführt hat, fehlt es an einem Verfügungsanspruch, weil die Wiederholungsgefahr durch das Verhalten der Beklagten widerlegt ist. Ein rechtswidriger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen begründet eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen der – auch für einen vertraglichen Unterlassungsanspruch erforderlichen – Wiederholungsgefahr. Diese Vermutung kann entkräftet werden, wobei daran strenge Anforderungen zu stellen sind. Die Widerlegung der tatsächlichen Vermutung für das Vorliegen der Wiederholungsgefahr kann ausnahmsweise etwa dann angenommen werden, wenn der Eingriff durch eine einmalige Sondersituation veranlasst war (vgl. BGH, Urteil vom 27.04.2021, Az. VI ZR 166/19). Eine solche Sondersituation liegt vor. Denn die Beklagte verwendet eine algorithmusgesteuerte Software, um bestimmte Beiträge ihrer Nutzer, die gegen ihre Standards verstoßen, auszufiltern. Diese Praxis ist im Hinblick auf die hohe Anzahl von Nutzern nicht zu beanstanden. Insbesondere ist es nicht zwingend geboten, Nutzer bereits vor der Löschung eines Posts anzuhören (vgl. BGH, Urteil vom 29.07.2021, Az. III ZR 179/20). Wird ein solches Verfahren eingesetzt, lässt eine automatisierte Löschung für sich genommen noch keinen Rückschluss auf ein zukünftiges Verhalten der Beklagten zu (vgl. Senat, Beschluss vom 04.10.2021, Az. 4 W 625/21 – noch nicht veröffentlicht). Die Vermutung knüpft an ein Verhalten des Störers in der Vergangenheit an, das auf die objektive Besorgnis schließen lässt, dass es in der Zukunft zu weiteren gleichartigen Störungen kommen wird (vgl. Senat, a.a.O.). Hiervon kann in einer Situation, in der die erstmalige Überprüfung der durch den Algorithmus eingeleiteten Löschung unmittelbar zur Wiederherstellung eines Posts führt, nicht ausgegangen werden, weil die Beklagte hierdurch zu erkennen gibt, dass die Löschung auf einem Fehler im Algorithmus beruht und die Wiederherstellung die tatsächliche Vermutung begründet, dass der Beitrag zukünftig von Löschungsalgorithmen nicht mehr erfasst wird (vgl. Senat, a.a.O.).

Daran ändert unter den hier gegebenen Umständen des Einzelfalles auch die Mitteilung der Beklagten nichts, die dem Kläger am Tage der Löschung (18.04.2021) um 18.58 Uhr Folgendes mitgeteilt hat:

„Wir haben bestätigt, dass dein Beitrag nicht unseren Gemeinschaftsstandards entspricht. Wir haben deinen Beitrag noch einmal geprüft, und er entspricht nicht unseren Gemeinschaftsstandards. Wenn du mit der Entscheidung von XXX nicht einverstanden bist, kannst du bei OversightBoard Einspruch einlegen…“

Diese Mitteilung erfolgte am Tag der Einstellung des Beitrages und dessen Löschung – am 18.4.2021. Trotz der Formulierung, dass der Beitrag „noch einmal“ geprüft wurde, die grundsätzlich auf eine inhaltliche Kontrolle der algorithmusbasierten Löschung durch einen Menschen hindeutet, war vorliegend für den Kläger aber schon aus dem zeitlichen Verlauf (Verlinkung des zugrundeliegenden Artikels durch den Kläger am 18.4.2021 „am Nachmittag“ – Anlage Js 2; automatisierte Sperrung, Widerspruch und automatisierte Meldung sodann bis 18:58 Uhr am selben Tag) klar erkennbar, dass eine solche inhaltliche Prüfung des Posts, in deren Verlauf die Beklagte sich mit der zuvor erfolgten Löschung identifiziert hätte, nicht stattgefunden haben konnte, es sich bei der o. a. Meldung vielmehr entgegen ihrem Wortlaut um nicht mehr als eine automatisierte Eingangsbestätigung handelte. Letzteres wird auch durch den Verweis auf die Einspruchsmöglichkeit beim „OversightBoard“ deutlich. Eine solche Prüfung hat der Kläger auch bereits am Folgetag über seinen Prozessbevollmächtigten veranlasst, der noch am gleichen Tag (19.04.2021) eine Abmahnung an die Beklagte per E-Mail versandte mit einer Frist bis zum 22.04.2021. Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob eine solche Prüffrist ausreichend war und welche Konsequenzen eine Überschreitung auf die Wiederholungsgefahr gehabt hätte. Unstreitig ist hier nämlich der Post bereits am 21.04.2021 und damit vor dem erst am 22.04.2021 gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wiederhergestellt worden. Im Verlauf des Verfahrens hat die Beklagte zu keinem Zeitpunkt einen Verstoß gegen ihre Gemeinschaftsstandards behauptet. Angesichts dessen ist es auch unerheblich, dass die Beklagte insoweit von einer „Selbstkontrolle“ spricht; es kommt auch nicht darauf an, ob sie im erstinstanzlichen Verfahren den Eindruck zu erwecken versucht hat, die automatisierte Löschung von Nutzerbeiträgen werde ggf. auch anlasslos überprüft und rückgängig gemacht. Eine solche anlasslose Selbstkontrolle ist hier jedenfalls nicht erfolgt, vielmehrerfolgte die Wiedereinstellung des Posts erst auf die Beschwerde des anwaltlich verbundenen Klägers vom 19.04.2021.

Die Wiederholungsgefahr ist auch nicht deshalb zu bejahen, weil die Beklagte denselben Post bei einer Vielzahl von anderen Nutzern gelöscht hat. Wie bereits ausgeführt, ist auf das Verhalten der Beklagten im konkreten Fall abzustellen. Es kann hierbei offen bleiben, ob die Beklagte ihren Algorithmus neu programmiert oder nur im Einzelfall eines jeden Nutzers eine Änderung vornimmt. Entscheidend ist, ob die Gefahr besteht, dass der gleiche Beitrag des Klägers erneut gelöscht wird. Entgegen der Auffassung des Klägers geht es nicht um eine weitgehende Freizeichnung der Beklagten von ihrer Verantwortung und eine fehlende Haftung für ihre Fehler. Die Beklagte kann sich ihrer Verantwortung durch den Einsatz einer algorithmusgesteuerten künstlichen Intelligenz grundsätzlich nicht entziehen. Es geht aber weder um Schadensersatz noch um die Beseitigung einer gegenwärtig noch anhaltendenStörung des Nutzungsvertrages, sondern um die Unterlassung eines künftig zu befürchtenden Verhaltens und damit um die Wiederholungsgefahr.

2.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713
ZPO.

Die Streitwertfestsetzung folgt § 3 ZPO. Den Gegenstandswert für den Antrag, die Löschung des Beitrages und die Sperrung des Nutzerkontos wegen dieses Beitrags zu lassen bemisst der Senat auf mit 1.200,00 EUR (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 27.05.2021 – III ZR 351/20 – juris).

I