OLG Düsseldorf, Urteil vom 24.05.2024, Az. 2 U 67/23
§ 140b PatG
Die Entscheidung wurde hier besprochen (OLG Düsseldorf: Bei Patentverletzung wird Auskunft in elektronischer Form geschuldet / 2024). Zum Volltext der Entscheidung:
Oberlandesgericht Düsseldorf
Urteil
…
I.
Die Berufung der Beklagten gegen das am 13. Juni 2023 verkündete Urteil der 4c Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass
– im Tenor zu I. 1. des landgerichtlichen Urteils einleitend nach dem Wort „Kinderreisesitzbasen“ die Formulierung „und/oder Kinderreisesitze mit Kinderreisesitzbasen“ gestrichen wird;
– es im Tenor zu I. 2. des landgerichtlichen Urteils einleitend statt „der Klägerin jeweils unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten, elektronischen und durchsuchbaren Verzeichnisses Auskunft zu erteilen“ heißt: „der Klägerin in elektronischer Form Auskunft zu erteilen“;
– es im Tenor zu I. 3. des landgerichtlichen Urteils einleitend statt „der Klägerin jeweils unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten (in elektronisch durchsuchbarer Tabellenform) Rechnung zu legen“ heißt: „der Klägerin in elektronischer Form Rechnung zu legen“;
– der Tenor zu I. 4. des landgerichtlichen Urteils wie folgt gefasst wird:
nur die Beklagte zu 1.: die unter Ziff. I.1. bezeichneten Kinderreisesitzbasen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder in ihrem Eigentum befinden, zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten zu 1. – Kosten herauszugeben.
II.
Auf die Anschlussberufung der Beklagten wird das vorgenannte Urteil – unter Zurückweisung der weitergehenden Anschlussberufung – teilweise dahingehend abgeändert, dass der Tenor zu I. 5. wie folgt gefasst wird:
die unter Ziff. I.1. bezeichneten, seit dem 11. Juni 2014 (mit Ausnahme der Zeit vom 1. Mai 2021 bis zum 28. März 2022) in der Bundesrepublik Deutschland in den Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern schriftlich unter Hinweis auf den gerichtlich (Urteil des LG Düsseldorf vom 13. Juni 2023) festgestellten Zustand der Kinderreisesitzbasis und mit der verbindlichen Zusage zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten, sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen,
wobei die Beklagten der Klägerin den Rückruf durch die Vorlage eines Musters ihrer Rückrufschreiben sowie einer Liste mit den Empfängern der Rückrufschreiben oder durch Kopien sämtlicher versendeter Rückrufschreiben nachzuweisen hat.
III.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagten 95 % und die Klägerin 5 % zu tragen.
IV.
Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar.
Den Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 525.000,00 EUR abzuwenden, falls nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten wegen ihrer Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages abzuwenden, falls nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
V.
Die Revision wird nicht zugelassen.
VI.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 525.000,00 EUR festgesetzt, wovon auf die Berufung der Beklagten 500.000,00 EUR und auf die Anschlussberufung der Klägerin 25.000,00 EUR entfallen.
Gründe :
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I.
3
Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten und in englischer Verfahrenssprache veröffentlichten europäischen Patents …..307 (nachfolgend: Klagepatent, Anlage KR 1 [B2-Schrift]; deutsche Übersetzung Anlage KR 1a), das die Bezeichnung „A.“ („A.“) trägt. Aus diesem Schutzrecht nimmt sie die Beklagten auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung, Vernichtung und Rückruf der als patentverletzend angegriffenen Gegenstände sowie Feststellung ihrer Verpflichtung zum Schadensersatz in Anspruch.
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Die dem Klagepatent zugrunde liegende Anmeldung wurde am 27.04.2005 unter Inanspruchnahme einer US-Priorität vom 30.04.2004 eingereicht. Der Hinweis auf die Erteilung des Klagepatents wurde am 11.06.2014 im Patentblatt bekannt gemacht. Das Klagepatent steht in Kraft.
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Der deutsche Teil des Klagepatents war am 30.04.2021 wegen Nichtzahlung der17. Jahresgebühr zwischenzeitlich erloschen. Auf einen Antrag vom 16.03.2022 wurde die Klägerin mit Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 23.03.2022 gemäß § 123 PatG in den vorigen Stand wiedereingesetzt mit der Wirkung, dass die Zahlung der 17. Jahresgebühr mit Verspätungszuschlag als rechtzeitig erfolgt galt. Dieser Beschluss wurden den patentanwaltlichen Vertretern der Klägerin am 28.03.2022 zugestellt.
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Auf einen Einspruch der Beklagte zu 1. (Anlage KR 6) hat die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamtes das Klagepatent in eingeschränktem Umfang aufrechterhalten. Gegen diese Entscheidung haben sowohl die Klägerin als auch die Beklagte zu 1. Beschwerde eingelegt, wobei die Klägerin ihre Beschwerde im Termin zur mündlichen Verhandlung über die Beschwerde zurückgenommen hat. Durch Entscheidung vom 08.07.2021(Anlage KR 3) hat die Technische Beschwerdekammer die Beschwerde der Beklagten zu 1. zurückgewiesen
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Der im Einspruchsverfahren aufrechterhaltene Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache wie folgt:
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„An infant travel seat base (12) comprising:
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a frame (14) dimensioned to rest upon a vehicle seat (32) and defining front (13) and a rear (15) portions and a center line; an adjustment assembly (38) that is coupled to the frame (14) and includes a locking assembly (42), the adjustment assembly (38) is positioned at a selected one of the front (13) and rear (15) portions of the frame (14); a tether (64) including a free end (74) which is releasably secured in the locking assembly (42) of the adjustment assembly (38), and at least one securing end (68, 70) adapted to be secured to an anchor (36) mounted within the vehicle so that movement of the tether (64) through the locking assembly (42) adjusts the position of the securing end (68, 70) with respect to the frame (14); characterised in that the tether (64) is Y-shaped and the opposed divergent ends of the Y each include a securing end (68, 70) of the tether (64) and the central leg end of the Y is the free end (74).“
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Die veröffentlichte deutsche Übersetzung dieses Patentanspruchs lautet wie folgt:
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„Kinderreisesitzbasis (12), umfassend:
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einen Rahmen (14), der dazu dimensioniert ist, auf einem Fahrzeugsitz (32) aufzuliegen, und der vorderseitige (13) und rückwärtige (15) Abschnitte und eine
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Mittellinie definiert, eine Einstellanordnung (38), die mit dem Rahmen (14) gekoppelt ist und die eine Blockieranordnung (42) umfasst, wobei die Einstellanordnung (38) an einem von den vorderseitigen (13) und rückwärtigen (15) Abschnitten des Rahmens (14) positioniert ist, einen Haltegurt (64), der ein freies Ende (74), das lösbar in der Blockieranordnung (42) der Einstellanordnung (38) gesichert ist, und wenigstens ein Sicherungsende (68, 70) umfasst, das dazu ausgelegt ist, an einer in dem Fahrzeug installierten Verankerung (36) gesichert zu werden, so dass eine Bewegung des Haltegurts (64) durch die Blockieranordnung (42) die Position des Sicherungsendes (68, 70) in Bezug auf den Rahmen (14) einstellt, dadurch gekennzeichnet, dass der Haltegurt (64) Y-förmig ist und die gegenüberliegenden divergierenden Enden des Y jeweils ein Sicherungsende (68, 70) des Haltegurts (64) umfassen und das mittlere Schenkelende des Y das freie Ende (74) ist.“
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Die nachfolgend wiedergegebene Figur 1 stammt aus der Klagepatentschrift. Sie stellt nach deren Angaben (Abs. [0008]) eine Explosionszeichnung eines erfindungsgemäßen Kinderreisesitzes und einer Basisanordnung dar.
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Die konzernverbundenen Beklagten stellen u.a. Auto-Kindersitze her, darunter Kinderreisesitze mit den Typenbezeichnungen „X1“ sowie „X2“ (angegriffene Ausführungsformen). Der Kindersitz „X1“ wird von der in Großbritannien geschäftsansässigen Beklagten zu 2. hergestellt, die diesen nach Deutschland an die Beklagte zu 1. liefert. Die Beklagte zu 1. vertreibt diesen Kindersitz über den von ihr betriebenen Internetshop www.b….de. genauso wie den von ihr in Deutschland hergestellten Kindersitz „X2“. Beide angegriffenen Ausführungsformen sind zudem über den von der Beklagten zu 2. betriebenen Internetshop www.b1… von Deutschland aus bestellbar. Dort wird auch eine Händlersuche bereitgestellt, bei der auf entsprechende Eingabe des Ortes verschiedene Händler in Deutschland als unmittelbare Bezugsquelle für beide angegriffenen Ausführungsformen angezeigt werden. Auf der Internetseite der Beklagten zu 2. lassen sich weiterhin in deutscher und englischer Sprache Gebrauchsanleitungen für die angegriffenen Ausführungsformen mit der Datumsangabe „11.06.2015“ (für „X1“) bzw. „28.08.2014“ (für „X2“) herunterladen, in denen neben der Beklagten zu 1. auch die Beklagte zu 2. als Unternehmen für etwaige Rückfragen angegeben wird.
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Die nachfolgend wiedergegebenen Abbildungen, die dem Anlagenkonvolut KR 2.1 der Klägerin entnommen sind, zeigen das Sitzteil der angegriffenen Ausführungsform „X1“ im auseinandergebauten und zum Teil im zerlegten Zustand.
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Die nachstehend ferner eingeblendeten Abbildungen, die dem von der Klägerin überreichten Anlagenkonvolut KR 2.2 entnommen sind, zeigen – zum Teil in zerlegter Form – die angegriffene Ausführungsform „X2“.
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Die Klägerin sieht im Angebot und Vertrieb der angegriffenen Ausführungsformen eine wortsinngemäße, hilfsweise äquivalente, Verletzung des Klagepatents. Sie hat erstinstanzlich insbesondere geltend gemacht, dass sich die Lehre des Klagepatents nicht auf die Basis eines Babyliegesitzes beschränke und dass der Haltegurt der Basis nicht exakt Y-förmig ausgestaltet sein müsse. Bei den angegriffenen Ausführungsformen sei die Gurtführung – trotz Umlenkung – Y-förmig. Für den Zeitraum des zwischenzeitlichen Erlöschens des Klagepatents bestünden zwar keine Schadensersatzansprüche, jedoch stehe ihr ein bereicherungsrechtlicher Ausgleichsanspruch zu.
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Die Beklagten, die Klageabweisung beantragt haben, haben eine Verletzung des Klagepatents in Abrede gestellt. Sie haben geltend gemacht, dass sich die Lehre des Klagepatents auf die Basis eines hiervon zu entscheidenden Babyliegesitzes beschränke und keine Kindersitze mit integrierter Basis umfasse. Zudem sei der Haltegurt bei den angegriffenen Ausführungsformen nicht Y-förmig, sondern in der Gestalt eines Dreizacks ausgestaltet. Im Übrigen stünde ihnen ein Weiterbenutzungsrecht zu, da sie sich im Zeitraum des zwischenzeitlich erloschenen Klagepatents in Kenntnis dieses Erlöschens bewusst dafür entschieden hätten, den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform wiederaufzunehmen bzw. fortzuführen.
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Durch Urteil vom 13.06.2023 hat das Landgericht der Klage überwiegend entsprochen, wobei es in der Sache wie folgt erkannt hat:
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„I.
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Die Beklagten werden verurteilt,
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1.
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es jeweils bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,-, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall bis zu 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft jeweils an einem der Geschäftsführer der Beklagten zu vollziehen ist, zu unterlassen, Kinderreisesitzbasen und/oder Kinderreisesitze mit Kinderreisesitzbasen in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen (dies nur für die Beklagte zu 1)) und/oder anzubieten und/oder in Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen,
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wobei die jeweilige Kinderreisesitzbasis Folgendes umfasst:
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einen Rahmen, der dazu dimensioniert ist, auf einem Fahrzeugsitz aufzuliegen, und der vordere und hintere Abschnitt und eine Mittellinie definiert, eine Einstellanordnung, die mit dem Rahmen gekoppelt ist und die eine Blockieranordnung umfasst, wobei die Einstellanordnung an einem von den vorderen und hinteren Abschnitten des Rahmens positioniert ist, einen Haltegurt, der ein freies Ende, das lösbar in der Blockieranordnung der Einstellanordnung gesichert ist, und wenigstens ein Sicherungsende umfasst, das dazu ausgelegt ist, an einer in dem Fahrzeug angebrachten Verankerung gesichert zu werden, so dass eine Bewegung des Haltegurts durch die Blockieranordnung die Position des Sicherungsendes in Bezug auf den Rahmen einstellt, wobei der Haltegurt Y-förmig ist und die gegenüberliegenden divergierenden Enden des Y jeweils ein Sicherungsende des Haltegurts umfassen und das Ende des mittleren Schenkels des Y das freie Ende ist;
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2.
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der Klägerin jeweils unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten, elektronischen und durchsuchbaren Verzeichnisses Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziff. I. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 11. Juni 2014 mit Ausnahme des Zeitraums vom 1. Mai 2021 bis zum 27. März 2022 begangen haben, wobei die Auskunft folgende Angaben zu beinhalten hat:
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a) die Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
38
b) die Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die Erzeugnisse bestimmt waren,
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c) der Menge der ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betroffenen Erzeugnisse gezahlt wurden, wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen;
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- 41
3.
42
der Klägerin jeweils unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten Verzeichnisses (in elektronischer, durchsuchbarer Tabellenform) Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziff. I.1. bezeichneten Handlungen seit dem 11. Juli 2014 mit Ausnahme des Zeitraums vom 1. Mai 2021 bis zum 27. März 2022 begangen haben, und zwar unter Angabe
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a) der Herstellungsmengen und Herstellungszeiten der Beklagten zu 1),
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b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, Lieferzeiten, Lieferpreisen und Typenbezeichnungen, sowie der Namen und Anschriften der Abnehmer,
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c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen, sowie der Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
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d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern (einschließlich betreffender Internetseiten unter Angabe deren Domains und Aufrufzeiten und -zahlen), deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
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e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
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wobei es den Beklagten jeweils vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der Angebotsempfänger und der nicht gewerblichen Abnehmer statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die jeweilige Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage hin mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder ein bestimmter Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;
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4.
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die unter Ziff. I.1. bezeichneten Kinderreisesitzbasen (auch als lösbarer oder unlösbarer Teil eines Kinderreisesitzes), die sich in der Bundesrepublik Deutschland im jeweiligen unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder im jeweiligen Eigentum der Beklagten befinden, zu vernichten und diese Vernichtung der Klägerin nachzuweisen oder nach Wahl der jeweiligen Beklagten an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der jeweiligen Beklagten herauszugeben;
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- 53
5. die unter Ziff. I.1. bezeichneten, seit dem 11. Juni 2014 (mit Ausnahme der Zeit vom 01. Mai 2021 bis zum 28. März 2022) in der Bundesrepublik Deutschland in den Verkehr gebrachten Erzeugnisse gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis darauf, dass mit dem hiesigen Urteil der patentrechtsverletzende Zustand in Bezug auf die Kinderreisesitzbasis festgestellt wurde, und mit der verbindlichen Zusage schriftlich zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten, sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen und die Erzeugnisse wieder an sich zu nehmen.
54
II.
55
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der der Klägerin durch die unter Ziffer I. 1. bezeichneten, in der Zeit vom 11. Juli 2014 bis zum 30. April 2021 und seit dem 28. März 2022 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
56
II.
57
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
58
III.
59
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten.“
60
Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt:
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Das Klagepatent verstehe unter einer Kinderreisesitzbasis sowohl eine Basis, auf der ein Babysitz befestigt werde, als auch die Basis/Sitzfläche eines Kinderreisesitzes. Kern der technischen Lehre des Klagepatents sei die Ausgestaltung und Befestigung der Basis in dem Fahrzeug. Mit der konkreten Ausgestaltung des auf der Basis anzubringenden Kinderreisesitzes beschäftige sich das Klagepatent nicht. Die in Abs. [0006] der Klagepatentbeschreibung genannten Dokumente, die das Klagepatent als Kinderreisesitz nach dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1 ansehe, zeigten die Befestigung von Kinderreisesitzen in einem Fahrzeug und keine Basis mit einem hiervon zu unterscheidenden Babyliegesitz. Zwar zeige die zeichnerische Darstellung einer bevorzugten Ausführungsform des Klagepatents eine von einem Babyliegesitz zu unterscheidende Basis. Dieses Ausführungsbeispiel könne die technische Lehre des Klagepatents aber nicht beschränken. Der Fachmann erkenne, dass es nicht auf die Ausgestaltung der Basis als eigenständiges Bauteil ankomme, sondern nur auf deren sichere Befestigung im Fahrzeug. Es sei auch nicht feststellbar, dass der vom Patentanspruch 1 angesprochene „infant traveller seat“ vom Fachmann allein als Babyliegesitz verstanden werde. Die von den Beklagten zur Untermauerung ihrer diesbezüglichen Auffassung zur Akte gereichten Anlagen KLG 1 und KLG 2 beschäftigten sich schon nicht mit der Befestigung des Kindersitzes bzw. seiner Basis in dem Fahrzeug, sondern mit der Sicherung des Kindes, womit sich das Klagepatent nicht befasse.
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Bei der vom Patentanspruch 1 geforderten Y-Form des Haltegurts stelle das Ende des mittleren Schenks das freie Ende und die gegenüberliegenden divergierenden Enden jeweils ein Sicherungsende dar. Die Erfindung des Klagepatents ermögliche damit, durch ein Ziehen am freien Ende die Basis bzw. den gesamten Sitz zu fixieren. Hierfür sei es nicht notwendig, dass der Haltegurt über seinen gesamten Verlauf strengY-förmig ausgestaltet sei. Eine einem Y angenäherte Ausgestaltung genüge, was die Figur 11 des Klagepatents zeige, die durch eine Umlenkung der Sicherungsenden deutlich von einer Y-Form abweiche.
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Hiervon ausgehend machten die angegriffenen Ausführungsformen von der technischen Lehre des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch. Ein Weiterbenutzungsrecht stehe den Beklagten nicht zu, da diese den Gegenstand des Klagepatents schon vor dem zwischenzeitlichen Erlöschen in Benutzung genommen hätten. Aus der Verletzung des Klagepatents ergäben sich die zuerkannten Ansprüche. Für den Zeitraum des zwischenzeitlichen Erlöschens des Klagepatents könne die Klägerin allerdings keinen bereicherungsrechtlichen Ausgleich verlangen. Zwar sei das erloschene Patent durch die Wiedereinsetzung rückwirkend wieder in Kraft getreten. Allerdings gehe die Rückwirkung nicht so weit, dass die Benutzungshandlungen im Erlöschenszeitraum als rechtswidrig anzusehen seien, sodass kein Raum für eine Benutzungsentschädigung verbleibe.
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Wegen weiterer Einzelheiten der Begründung wird auf das Urteil des Landgerichts Bezug genommen.
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Gegen dieses Urteil haben die Beklagten Berufung und die Klägerin Anschlussberufung eingelegt.
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Mit ihrer Berufung verfolgen die Beklagten ihr vor dem Landgericht weitestgehend erfolglos gebliebenes Klageabweisungsbegehren weiter. Unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens machen sie u.a. geltend:
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Das Landgericht habe die Lehre des Klagepatents auf eine gänzlich andere Vorrichtung – nämlich einen Kinderreisesitz ohne komplementärer Basis, aber mit im Rahmen integrierten Haltegurten – übertragen. Die hierin liegende unzulässige Erweiterung lasse sich schon daran erkennen, dass das Landgericht im Tenor – trotz der angeblichen wortlautgemäßen Verletzung – über den Anspruchswortlaut hinaus die Wörter „und/oder Kinderreisesitze mit Kindersitzbasen“ und „auch als lösbarer oder unlösbarer Teil eines Kinderreisesitzes“ hinzufügen habe müssen. Es entspreche sowohl dem Verständnis der Allgemeinheit als auch der Fachleute, dass der Begriff „infant travel seat base“ für eine separat ausgebildete Basis, die zur Befestigung im Fahrzeug diene und ggf. einen komplementär ausgestalteten Babyliegesitz aufnehme, stehe. Keinesfalls würden von diesem Begriff einstückig ausgeformte Kinderreisesitze („booster“-Sitze für ältere Kinder) erfasst.
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Der Begriff „infant“ bezeichne schon dem allgemeinen englischen Sprachgebrauch nach ein Baby oder Neugeborenes. Dieses Verständnis habe auch der europäische Verordnungsgeber, der unter einem „infant carrier“ durchgängig einen „Babyliegesitz“ verstehe, wobei die Begriffe „infant carrier“ und „infant car seat“ austauschbar seien.
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Dass die Lehre des Klagepatent allein eine separate Basis betreffe, die zur Befestigung im Fahrzeug diene und ggf. einen Babyliegesitz trage, zeige bereits der Wortlaut der Ansprüche 1 bis 8, der deutlich zwischen Basis und Babyliegesitz unterscheide. Weiterhin werde im Klagepatent für sämtliche Ausführungsformen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich bei der Basis um einen separaten, aber komplementären Bestandteil eines „A.s“ handele. Dieses Verständnis sei bereits allen Gegenständen der ursprünglichen Anmeldung gemein gewesen. Das Merkmal einer komplementären Basis bzw. der Zweiteiligkeit des dahinterstehenden Systems gehöre zum gattungsbildenden Anwendungsbereich und sei der geschützten Lösung immanent. Dies ergebe sich gerade auch aus dem Stand der Technik, da das Klagepatent demgegenüber nicht nur – wie vom Landgericht verkürzend angenommen – den Bedienkomfort erhöhen, sondern auch ein besonders sichere und feste Verbindung ermöglichen und eine etwaige Störung bei der Verbindung der Basis mit dem komplementären Sitz durch eine verdeckte Führung der Haltegurte verhindern wolle. Eine solche Störung setze sinnnotwendig eine eigenständige Basis mit einem entsprechenden Sitz voraus. Soweit das Landgericht auf Abs. [0006] verweise, könne ein solcher nachträglich in die Patentschrift aufgenommener Hinweis schon grundsätzlich nicht zu einem anderen Verständnis der im Patent verwendeten Begriffe führen. Gleiches gelte für die nur auf dem Deckblatt der Patentschrift aufgelisteten Dokumente. Nachträgliche Zusätze könnten den Gegenstand der ursprünglichen Anmeldung und der anschließenden Erteilung nicht verändern, weshalb sie nicht zur Auslegung heranzuziehen seien. Im Übrigen sei der Verweis gemäß Abs. [0006] für jeden Leser erkennbar unzutreffend, da keines der genannten Dokumente sämtliche Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1 offenbare. Soweit sich das Landgericht auf die (unverbindliche) Meinung der Technischen Beschwerdekammer berufe, biete allein der „lapidare“ Hinweis der Beschwerdekammer darauf, dass es zwischen den Parteien des Einspruchsbeschwerdeverfahrens unstreitig gewesen sei, dass die D1 neuheitsschädlich sei, keinen Anlass für eine Erstreckung des Schutzumfangs des Klagepatents auf einen gänzlich anderen Gegenstand. Weder die Äußerungen der Beschwerdekammer noch die der Beklagten zu 1. als Einsprechender seien bei der Auslegung des Klagepatentes in irgendeiner Weise zu berücksichtigen.
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Das die Y-förmige Anordnung betreffende Merkmal habe das Landgericht dermaßen weit ausgelegt, dass es jede x-beliebige Form umfasse, solange diese nur an ein Y angenähert sei. Die Y-förmige Anordnung des Haltegurts werde durch die Ausführungsbeispiele gemäß den Figuren 3, 11 und 42 näher beschrieben, die zwei unmittelbar nach dem Verbindungspunkt in verschiedene Richtungen auseinanderstrebende Enden aufwiesen. Soweit das Landgericht unter Berufung auf die Darstellung in Figur 11 annehme, dass der Haltegurt nicht über seinen gesamten Verlauf strengY-förmig ausgestaltet sein müsse, sei es offen, wie eine konkrete Ausgestaltung auszusehen habe. Eine gänzliche Aufgabe des Erfordernisses von auseinanderstrebenden Enden könne der Darstellung in Figur 11 jedenfalls nicht entnommen werden. Die vom Landgericht in Bezug genommenen Ausführungen der Technischen Beschwerdekammer zu den Entgegenhaltungen D2 und D3 seien nicht berücksichtigungsfähig, wobei sich aus diesen ohnehin nur ergeben könne, dass die Klägerin auf den Schutz für eine T-förmige Gestaltung verzichtet habe. Soweit das Landgericht – im Rahmen einer Kontrollüberlegung – ausführe, dass seine Auslegung der Y-Form nicht dem zu lösenden technischen Problem zuwiderlaufe, so verkürze es die Aufgabe des Klagepatents unzulässig auf den Aspekt des erhöhten Bedienkomforts und lasse den Aspekt der festen Verbindung der Basis mit dem Fahrzeugsitz als den wesentlichen Bestandteil des objektiven technischen Problems außen vor. Diese feste Verbindung werde gerade mit dem direkten Kraftfluss der Y-Form des Haltegurts bewirkt.
71
Hiervon ausgehend entsprächen die angegriffenen Ausführungsformen nicht der Lehre des Klagepatents. Sie stellten schon keine Basis in Gestalt eines separaten komplementären Bauteils zur Aufnahme eines Babyliegesitzes dar, sondern vollständige Sitze, die an ihrem Sitzteil selbst über sämtliche Mittel zur Befestigung an der Verankerung des Fahrzeuges verfügten, und als „booster seats“ für den Transport älterer Kinder in Fahrrichtung gedacht seien. Weiterhin lasse sich selbst unter Zugrundelegung der weiten Auslegung des Landgerichts bei der Führung des Haltegurts keine an ein Y angenäherte Ausgestaltung erkennen. Diese erinnere eher an einen Dreizack mit einem doppelten mittleren Zinken. Selbst in dem von der Klägerin als entscheidend betrachteten „Kernbereich“ vom zentralen mittleren Schenkel bis zu den Umlenkdomen könne mangels auseinanderstrebender Schenkel kein Y erkannt werden; dieser Teilabschnitt erinnere vielmehr eher an eine Stimmgabel. Die als Anlage KLG 23 vorgelegte Bilderserie belege, dass die beiden Schenkel parallel zueinander oder sogar aufeinander zu verliefen und auch unter Zug nicht auseinanderstrebten.
72
Die Beklagten beantragen,
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das landgerichtliche Urteil teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
74
Die Klägerin beantragt,
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die Berufung mit zurückzuweisen mit der Maßgabe, dass
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– im Tenor zu I. 1. (Unterlassung) des landgerichtlichen Urteils einleitend nach dem Wort „Kinderreisesitzbasen“ die Formulierung „und/oder Kinderreisesitzen mit Kinderreisesitzbasen“ gestrichen wird, so dass es dort heißt: „… zu unterlassen, Kinderreisesitzbasen in der Bundesrepublik Deutschland herzustellen (dies nur für die Beklagte zu 1.) und/oder anzubieten und/oder in Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen;
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– es im Tenor zu I. 2. (Auskunft) des landgerichtlichen Urteils einleitend statt „der Klägerin jeweils unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten, elektronischen und durchsuchbaren Verzeichnisses“ heißt: „der Klägerin in elektronischer Form“ Auskunft zu erteilen;
78
– es im Tenor zu I. 3. (Rechnungslegung) des landgerichtlichen Urteils einleitend statt „der Klägerin jeweils unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten, elektronischen und durchsuchbaren Verzeichnisses“ heißt: „der Klägerin in elektronischer Form“ Rechnung zu legen;
79
– der Tenor zu I. 4. (Vernichtung) wie folgt gefasst werden soll: nur die Beklagte zu 1.: die unter Ziff. I.1. bezeichneten Kinderreisesitzbasen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder in ihrem Eigentum befinden, zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf ihre – der Beklagten zu 1. – Kosten herauszugeben,
80
sowie auf ihre Anschlussberufung
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das Urteil des Landgerichts abzuändern und die Beklagten zusätzlich zu der dort bereits erfolgten Verurteilung zu verurteilen,
82
a) ihr, der Klägerin, gemäß Ziffer I.2. des Urteilstenors Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziffer I.1. des Urteilstenors bezeichneten Handlungen auch im Zeitraum vom 01.05.2021 bis zum 27.03.2022 begangen haben, wobei die Auskunft die zu Ziffer I.2. des Urteilstenors bezeichneten Angaben zu beinhalten hat,
83
b) ihr, der Klägerin, gemäß Ziffer I.3. des Urteilstenors Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziffer I.1. des Urteilstenors bezeichneten Handlungen auch im Zeitraum vom 01.05.2021 bis zum 27.03.2022 begangen haben, wobei die Rechnungslegung die zu Ziffer I.3. a) bis e) des Urteilstenores, bezeichneten Angaben zu beinhalten hat und den Beklagten der in Ziff. I.3. des Urteilstenors eingeräumte Wirtschaftsprüfervorbehalt auch insofern eingeräumt wird,
84
c) ihr, der Klägerin, den Rückruf durch die Vorlage eines Musters ihrer Rückrufschreiben sowie einer Liste mit den Empfängern der Rückrufschreiben oder durch Kopien sämtlicher versendeter Rückrufschreiben nachzuweisen,
85
sowie zusätzlich festzustellen,
86
d) dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin den Wert für diejenigen Gebrauchsvorteile zu ersetzen, die die Beklagten durch die unter Ziffer I.1. des Urteilstenors bezeichneten, in der Zeit vom 01.05.2021 bis zum 27.03.2022 begangenen Handlungen auf Kosten der Klägerin erlangt haben.
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Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil als zutreffend, soweit das Landgericht der Klage stattgegeben hat, und tritt den Ausführungen der Beklagten unter Wiederholung und Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vortrags im Einzelnen entgegen, wobei sie u.a. geltend macht:
88
Dass die Auslegung des Begriffs „infant travel seat base“ seitens der Beklagten nicht richtig sei, belege schon Abs. [0006] der Klagepatentbeschreibung, da in der dort erwähnten Entgegenhaltung D1 eine einstückig ausgebildete technische Lösung, die nicht lediglich „Babyliegesitze“ umfasse, offenbart sei. Im Hinblick auf den Begriff „infant“ sei bereits die Annahme der Beklagten, dass dieser im „allgemeinen englischen Sprachgebrauch“ (allein) für ein Baby oder Neugeborenes verwendet werde und nicht auch größere (Klein-)Kinder umfasse, unzutreffend. Ein „Verständnis der Fachwelt“, wie es die Beklagten konstruieren wollten, habe zu keinem Zeitpunkt existiert. Maßgeblich sei, dass die in Abs. [0006] der Klagepatentbeschreibung ausdrücklich in Bezug genommenen Druckschriften Kinderreisesitze im Sinne des Oberbegriffs des Anspruchs 1 des Klagepatents beschrieben. Das von den Beklagten beschriebene zweiteilige Babyreisesystem stelle der maßgebliche Patentanspruch nicht unter Schutz. Kern des Klagepatents sei eine sichere und dabei gleichzeitig einfache Befestigung der Kinderreisesitzbasis im Fahrzeug, wofür es nach der Lehre des Klagepatents irrelevant sei, ob die zu befestigende Kinderreisesitzbasis als integrierter oder separater Bestandteil ausgestaltet sei. Die Beklagten interpretierten das landgerichtliche Urteil falsch, wenn sie behaupteten, dass das Landgericht das Klagepatent unzulässig auf Kindersitze ohne Basis erweitert habe. Das Landgericht habe allein auch eine integrierte Basis genügen lassen. Dies sei von Anfang an das Verständnis des Klagepatents gewesen und nicht erst durch den nachträglich eingefügten Hinweis in Abs. [0006] herbeigeführt worden. Der dort angeführte Stand der Technik sei bereits Grundlage der Prüfung der Schutzfähigkeit des Klagepatents gewesen und vom Prüfer als „closest prior art“ in Bezug auf den Patentanspruch 1 identifiziert worden. Die D1 offenbare – auch nach Auffassung der Beklagten im Einspruchsverfahren – alle Merkmale des Oberbegriffs von Anspruch 1. Im Hinblick auf die Y-Form lasse das Landgericht keineswegs „jede x-beliebige“ Form genügen. Vielmehr sehe es allein keine streng Y-förmige Ausgestaltung über den gesamten Verlauf des Haltegurts als erforderlich an, sondern lasse auch eine an ein „Y“ angenäherte Ausgestaltung zu. Figur 11 verdeutliche, dass der Haltegurt umgelenkt werden dürfe und es unschädlich sei, wenn die beiden Schenkel des Haltegurts in einem Teilabschnitt parallel verliefen. Das Verständnis des Landgerichts stimme zudem mit dem der Auffassung der Technischen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes überein.
89
Vor diesem Hintergrund sei das Landgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die angegriffenen Ausführungsformen wortsinngemäß von der unter Schutz gestellten technische Lehre des Klagepatents Gebrauch machten. Insbesondere entspreche die Gurtführung bei den angegriffenen Ausführungsformen ihrem Verlauf nach einem Y, wie er auch in Figur 11 zu erkennen sei. Bei den angegriffenen Ausführungsformen strebten die Enden nach dem vernähten Verbindungsstück erst auseinander, bevor sie umklappten und nach oben zu den Umlenkdomen verliefen, die weiter beabstandet seien als das horizontale Verbindungsstück zwischen den divergierenden Enden breit sei. Damit werde das erforderliche Y geformt. Einen durchgehend divergierenden Verlauf der beiden gegenüberliegenden Schenkel verlange das Klagepatent nicht.
90
Hinsichtlich der Art und Weise der Auskunftserteilung und Rechnungslegung habe das Landgericht die Beklagten so verurteilt, wie von ihr – der Klägerin – in erster Instanz beantragt. Soweit das Landgericht in den Entscheidungsgründen ausführe, dass kein Anspruch bestehe, dass die Beklagten die bei ihnen vorhandenen Dokumente in eine elektronische Form überführten, sei dies zwar unzutreffend, ändere aber nichts am Tenor, der die Beklagten zur Vorlage in elektronischer Form verpflichte. Sofern der Senat dieser Beurteilung nicht beitrete, sei ihr diesbezüglicher Vortrag als Anschlussberufung zu werten.
91
Mit ihrer (unbedingten) Anschlussberufung verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter, soweit das Landgericht diesem nicht entsprochen hat, wobei sie zur Begründung ausführt: Zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes habe sie Anspruch auf Vorlage einer Liste mit den Empfängern des Rückrufschreibens der Beklagten sowie eines Musters dieses Schreibens. Entgegen der Ansicht des Landgerichts stehe für den Zeitraum während des zwischenzeitlichen Erlöschens des Klagepatents auch ein Bereicherungsanspruch zu. Die vom Landgericht angeführte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stehe dem nicht entgegen. Anders als ein Schadensersatzanspruch, der verschuldensabhängig sei, sei der Bereicherungsanspruch verschuldensunabhängig und setze keine Rechtswidrigkeit, sondern lediglich das (auch nachträgliche) Fehlen eines Rechtsgrundes voraus.
92
Die Beklagten beantragen,
93
die Anschlussberufung zurückzuweisen.
94
Sie treten den Ausführungen der Klägerin entgegen und machen geltend: Für die Zeit vom 01.05.2021 bis 27.03.2022 stünden der Klägerin keine (Bereicherungs-)Ansprüche zu. Zwar führe die erfolgte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dazu, dass die versäumte Handlung als rechtzeitig vorgenommen gelte. Diese Rückwirkungsfiktion führe indes nicht dazu, dass Benutzungshandlungen, die in der Zeit zwischen dem Erlöschen und dem Wiederinkrafttreten des Patents erfolgt seien, als rechtswidrig anzusehen wären. Weiterhin habe die Klägerin keinen Anspruch auf eine Auskunftserteilung und Rechnungslegung in elektronischer Form. Zu Recht habe das Landgericht in den Entscheidungsgründen darauf hingewiesen, dass es hierfür keine Anspruchsgrundlage gebe. Daher handele es bei dem gegenteiligen Tenor um eine offenbare Unrichtigkeit i.S.v. § 319 ZPO, weshalb nicht nachvollziehbar sei, warum das Landgericht diese nicht berichtigt habe. Die Vorlage einer Liste mit den Empfängern des Rückrufschreibens sowie eines Musters des Rückrufschreibens könne die Klägerin mangels Anspruchsgrundlage ebenfalls nicht verlangen.
95
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten nebst Anlagen Bezug genommen.
96
II.
97
Die zulässige Berufung der Beklagten ist im Wesentlichen unbegründet. Die angegriffenen Ausführungsformen machen von der technischen Lehre des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch, weshalb das Landgericht die Beklagten zutreffend zur Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung, zum Rückruf und – die Beklagte zu 1. – zur Vernichtung der patentverletzenden Gegenstände verurteilt sowie die Verpflichtung der Beklagten zum Schadensersatz festgestellt hat.
98
Auf die zulässige Anschlussberufung der Klägerin ist im Rahmen der Verurteilung der Beklagten zum Rückruf (Tenor zu I. 5.) ergänzend auszusprechen, dass die Beklagten der Klägerin den Rückruf durch die Vorlage eines Musters ihrer Rückrufschreiben sowie einer Liste mit den Empfängern der Rückrufschreiben oder durch Kopien sämtlicher versendeter Rückrufschreiben nachzuweisen haben. Vorsorglich hat der Senat den Ausspruch zu I. 5. des landgerichtlichen Urteils insoweit insgesamt neu gefasst. Die weitergehende Anschlussberufung der Klägerin erweist sich allerdings als unbegründet.
99
A.
100
Das Klagepatent betrifft eine Kinderreisesitzbasis („infant travel seat base“).
101
Die Klagepatentschrift führt in ihrer Einleitung aus, dass aus dem Stand der Technik Kinderreisesysteme bekannt sind, die einen Kinderreisesitz und eine komplementäre Basisanordnung umfassen (Anlage KR 1, Abs. [0002]; die nachfolgenden Bezugnahmen betreffen jeweils die deutsche Übersetzung der Klagepatentschrift). Allerdings sei es bei vielen Kinderreisesystemen für den Benutzer oft schwierig, ein in sich geschlossenes Rückhaltesystem, das von der Basisanordnung getragen wird, so zu bedienen, dass eine sichere Verbindung zwischen dem Rückhaltesystem und einer im Fahrzeug angebrachten Verankerung hergestellt werde (Abs. [0003]). So sei das Rückhaltesystem beispielsweise nur von einer Seite der Basisanordnung aus zugänglich oder es müsse eine ungünstige Position eingenommen werden, um das Rückhaltesystem bedienen zu können. Darüber hinaus könnten die Sicherungsgurte des Rückhaltesystems die Basisanordnung unübersichtlich machen und den Eingriff zwischen einem Kinderreisesitz und der Basisanordnung beeinträchtigen, was ein potenzielles Sicherheitsrisiko darstelle. Daher bestehe ein Bedarf nach einem benutzerfreundlicheren, in sich geschlossenen Rückhaltesystem für die Basisanordnung, das eine feste Verbindung zwischen der Basis und der in einem Fahrzeug montierten Verankerung herstelle, und bei dem die Sicherungsgurte verdeckt oder derart versetzt seien, dass sie die Anbringung eines Kinderreisesitzes an der Basisanordnung nicht beeinträchtigten (Abs. [0003]). Im Übrigen sieht das Klagepatent einen Verbesserungsbedarf im Bereich des Eingriffs („engagement“) zwischen Basis und Kinderreisesitz (vgl. Abs. [0002]), der Niveauregulierung (vgl. Abs. [0004]) und des verstellbaren Tragegriffs bei Kinderreisesitzen (vgl. Abs. [0005]).
102
Ein konkretes zu lösendes Problem wird in der Beschreibung des Klagepatents im Anschluss an die Darstellung des Standes der Technik nicht ausdrücklich formuliert. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestimmt sich das von einer Schutzrechtslehre gelöste Problem danach, was die Erfindung objektiv leistet (vgl. BGH, GRUR 2010, 602 Rn. 27 – Gelenkanordnung; GRUR 2011, 607 Rn. 12 – Kosmetisches Sonnenschutzmittel III; GRUR 2012, 1130 Rn. 9 – Leflunomid; GRUR 2012, 1123 Rn. 22 – Palettenbehälter III; GRUR 2015, 352 Rn. 11 – Quetiapin; GRUR 2018, 390 Rn. 32 – Wärmeenergieverwaltung). Dies ist wiederum durch Auslegung des Patentanspruchs unter Heranziehung von Beschreibung und Zeichnungen zu entwickeln. Aus der Funktion der einzelnen Merkmale im Kontext des Patentanspruchs ist abzuleiten, welches technische Problem diese Merkmale für sich und in ihrer Gesamtheit tatsächlich lösen. Hiervon ausgehend ergibt sich vorliegend, wie der Fachmann insbesondere den Merkmalsgruppen 1, 4 und 5 des Patentanspruchs 1 sowie den einleitend in der Klagepatentbeschreibung am Stand der Technik kritisierten Nachteilen und dem dort geschilderten Bedarf entnimmt, als das dem Klagepatent zugrunde liegende Problem, eine verbesserte Kinderreisesitzbasis mit einem benutzerfreundlichen „Rückhaltesystem“ („restraint system“) bereitzustellen, das eine feste Verbindung zwischen der Basis und der in einem Fahrzeug montierten Verankerung ermöglicht.
103
Zur Lösung dieser Problemstellung schlägt Patentanspruch 1 die Kombination der folgenden Merkmale vor:
104
1. Eine Kinderreisesitzbasis („infant travel seat base“; 12) umfassend:
105
a) einen Rahmen (14),
106
b) eine Einstellanordnung (38) und
107
c) einen Haltegurt (64).
108
2. Der Rahmen (14)
109
a) ist dazu dimensioniert, auf einem Fahrzeugsitz (32) aufzuliegen und
110
b) definiert vordere (13) und hintere (15) Abschnitte und eine Mittellinie.
111
3. Die Einstellanordnung (38)
112
a) ist mit dem Rahmen (14) gekoppelt,
113
b) umfasst eine Blockieranordnung (42),
114
c) ist an einem von den vorderen (13) und hinteren (15) Abschnitten des Rahmens (14) positioniert.
115
4. Der Haltegurt (64) umfasst
116
a) ein freies Ende (74), das lösbar in der Blockieranordnung (42) der Einstellanordnung (38) gesichert ist, und
117
b) wenigstens ein Sicherungsende (68, 70), das dazu ausgelegt ist, an einer in dem Fahrzeug angebrachten Verankerung (36) gesichert zu werden,
118
c) so dass eine Bewegung des Haltegurts (64) durch die Blockieranordnung (42) die Position des Sicherungsendes (68, 70) in Bezug auf den Rahmen (14) einstellt.
119
5. Der Haltegurt (64) ist Y-förmig, wobei
120
a) die gegenüberliegenden divergierenden Enden des Y jeweils ein Sicherungsende (68, 70) des Haltegurts (64) umfassen und
121
b) das Ende des mittleren Schenkels des Y das freie Ende (74) ist.
122
Im Hinblick auf den Streit der Parteien bedürfen die Merkmale 1 und 5 der vorstehend wiedergegebenen Merkmalsgliederung näherer Erläuterung.
123
1.
124
Das Klagepatent beansprucht gemäß Merkmal 1 Schutz für eine „infant travel seat base“, welche maßgebliche englische Bezeichnung bzw. Formulierung sich mit „Kinderreisesitzbasis“ ins Deutsche übersetzen lässt. Gegenstand ist hiernach kein Kinderreisesystem („A.“), das aus einem Kinderreisesitz („infant travel seat“) und einer komplementären Basisanordnung („base assembly“) bzw. Basis („base“) besteht, sondern eine Kinderreisesitzbasis.
125
a)
126
Bei der beanspruchten Kinderreisesitzbasis muss es sich nicht zwingend um eine „eigenständige“ (separate) Vorrichtung handeln, die mit einem komplementären Kinderreisesitz so gekoppelt werden kann, dass sie diesen trägt und von dem Kinderreisesitz durch den Benutzer wieder getrennt (gelöst) werden kann. Vielmehr kann es sich auch um die Basis eines Kinderreisesitzes handeln, die zusammen mit weiteren Bestandteilen als Sitz- bzw. Unterteil den Kinderreisesitz bildet (nachfolgend auch: integrierte Basis).
127
aa)
128
Aus dem Begriff „Kinderreisesitzbasis“ („infant travel seat base“) als solchen folgt zunächst nur, dass es sich bei dem beanspruchten Gegenstand um die Basis eines Kinderreisesitzes bzw. die Basis für einen Kinderreisesitz handelt, so dass es sich bei dem beanspruchten Gegenstand auch um eine integrierte Basis handeln kann. Von einer mit einem Kinderreisesitz reversibel koppelbaren Basis oder einer Basis für einen komplementären (eigenständigen) Kinderreisesitz ist in Patentanspruch 1 nicht die Rede.
129
Zwar mögen die einleitenden Ausführungen in der Klagepatentschrift (Abs. [0001] bis [0003]) den Eindruck erwecken, dass es sich bei der Basis um eine eigenständige Vorrichtung handelt, auf die ein komplementärer Kindersitz angebracht werden kann. Diese Erläuterungen beziehen sich allerdings auf ein Kinderreisesystem, das aus den Komponenten „Kinderreisesitz“ und „Basis“ besteht. Zwar zeigen auch die Ausführungsbeispiele des Klagepatents ausschließlich Basisanordnungen in Gestalt von gesonderten Bauteilen, welche mit einem komplementären Kinderreisesitz gekoppelt werden können. Hieraus zieht der Durchschnittsfachmann jedoch nicht den Schluss, dass es sich bei der beanspruchten Kinderreisesitzbasis zwingend um eine eigenständige (gesonderte) Vorrichtung handeln muss.
130
Zum einen handelt es sich bei den figürlich dargestellten und in der zugehörigen Patentbeschreibung beschriebenen Ausführungsformen nur um „bevorzugte“ Ausführungsbeispiele (Abs. [0008], [0010], [0011]), wobei Ausführungsbeispiele ohnehin grundsätzlich nur der Beschreibung von Möglichkeiten der Verwirklichung des Erfindungsgedankens dienen. Sie erlauben daher regelmäßig keine einschränkende Auslegung eines die Erfindung allgemein kennzeichnenden Patentanspruchs (BGHZ 160, 204, 210 = GRUR 2004, 1023 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung; BGH, GRUR 2007, 778 Rn. 14, 21 – Ziehmaschinenzugeinheit; GRUR 2008, 779 Rn. 34 – Mehrgangnabe; GRUR 2016, 1031 Rn. 23 – Wärmetauscher; GRUR 2017, 152 Rn. 21 – Zungenbett). Ausführungsbeispiele umreißen damit regelmäßig nur eine mögliche Teilmenge der vom Anspruchswortlaut des Hauptanspruchs erfassten Konstruktionen, weshalb sie prinzipiell nur den Schluss zulassen, dass dasjenige, was im Ausführungsbeispiel gezeigt ist, unter den Hauptanspruch fällt; ihnen kommt jedoch keine die technische Lehre des Hauptanspruchs einengende Bedeutung zu (vgl. Senat, Urt. v. 13.08.2020 – I-2 U 10/19, GRUR-RS 2020, 44647 Rn. 62 – Zündkerze, m.w.N.).
131
Zum anderen berücksichtigt der Fachmann bei der Auslegung des Merkmals 1 bzw. des Begriffs „Kinderreisesitzbasis“, dass das Klagepatent in seiner einleitenden Beschreibung zum Stand der Technik auch solche Kinderreisesitze ausdrücklich als gattungsgemäß bezeichnet, bei denen die Basis keine eigenständige Vorrichtung bzw. kein gesondertes Bauteil darstellt. Denn die Klagepatentschrift gibt einleitend in Abs. [0006] an, dass die EP …..184A (D1; Anlage KR 11), die US …..208 (Anlage KR 10) und die US …..286A (D2; Anlage KR 4) Kinderreisesitze nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1 beschreiben. Die erstgenannte Druckschrift (D1) betrifft dabei einen Kindersitz, der auf einem Fahrzeugsitz platziert und an diesem befestigt wird. Wie die nachfolgend eingeblendeten Figuren 1 und 2 der D1 unschwer erkennen lassen, verfügt der aus dieser Druckschrift bekannte Kindersitz über ein Unter- bzw. Sitzteil (Basis), das mit den übrigen Bestandteilen des Kindersitzes verbundenen ist, und bei dem es sich damit um ein integriertes Bauteil handelt:
132
133
Eine anderweitige Basis, bei der es sich um ein – gegenüber dem Kindersitz – separates Bauteil handelt, das mit einem (eigenständigen) Kindersitz gekoppelt und vom Benutzer wieder von diesem getrennt werden kann, ist in der D1 nicht offenbart.
134
Dem ausdrücklichen Hinweis in der einleitenden Patentbeschreibung auf die einen Kinderreise- bzw. Kindersitz betreffende D1 entnimmt der Fachmann, dass es sich auch bei einer integrierten Basis um eine Kinderreisesitzbasis im Sinne des Klagepatents handelt. Anhaltspunkte für das Verständnis eines Merkmals können sich anerkanntermaßen aus dem Stand der Technik ergeben, den die Patentschrift erwähnt. Das gilt auch hier, zumal die Klagepatentschrift ausdrücklich darauf hinweist, dass die D1 einen Gegenstand nach dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1 beschreibt. Zwar spricht die Patentschrift davon, dass die in Abs. [0006] erwähnten Druckschriften einen „Kinderreisesitz“ nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1 beschreiben („infant travel seats according to the preamble of claim 1“). Tatsächlich ist Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Klagepatents aber (nur) eine Kinderreisesitzbasis. Daraus zieht der Fachmann allerdings nicht etwa den Schluss, dass die betreffende Beschreibungsstelle nicht zur Auslegung des Patentanspruchs 1 herangezogen werden kann. Da sich diese Textstelle explizit auf den Anspruch 1 bezieht, versteht der Fachmann diese Beschreibungsstelle vielmehr dahin, dass die D1 nach den Angaben des Klagepatents einen Kindersitz mit einer (integrierten) Kinderreisesitzbasis gemäß dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1 offenbart.
135
bb)
136
Davon, dass die patentgemäße Kinderreisesitzbasis auch integraler Bestandteil eines Kindersitzes sein kann, nämlich dessen Sitzteil, ist ersichtlich auch die Technische Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes in ihrer das Klagepatent betreffenden Beschwerdeentscheidung (Anlage KR 3) ausgegangen. Denn sie hat in dieser festgestellt, dass die Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1 des Klagepatents aus der soeben angesprochenen D1 bekannt sind, wovon ausweislich der Gründe ihrer Entscheidung im Einspruchsbeschwerdeverfahren sowohl die Beklagte zu 1. als auch die Klägerin ausgegangen sind (Anlage KR 3, S. 7 Ziff. 1.1.1). An die Beurteilung der Technischen Beschwerdekammer ist der Senat zwar nicht gebunden. Denn die Entscheidungsgründe einer das Klagepatent aufrechterhaltenen Einspruchsentscheidung oder eines aufrechterhaltenden Nichtigkeitsurteils binden den Verletzungsrichter nicht, sondern sie dienen ihm lediglich als – wertvolle – Auslegungshilfe (vgl. Senat, Urt. v. 09.12.2021 – I-2 U 9/21, GRUR-RS 2021, 39586 Rn. 59 – Halterahmen III, m.w.N.; Urt. v. 29.02.2024 – I- 2 U 6/20; Urt. v. 04.04.2024 – I-2 U 72/23). Die vorliegende Stellungnahme der Technischen Beschwerdekammer ist jedoch als (gewichtige) sachverständige Äußerung zu würdigen (vgl. BGH, GRUR 1996, 757, 759 – Zahnkranzfräse; GRUR 1998, 895 – Regenbecken; GRUR 2010, 950 Rn. 14 – Walzenformgebungsmaschine). Diese bestätigt das gefundene Auslegungsergebnis.
137
cc)Kinderreisesitze ohne eine eigenständige (gesonderte) Basis zeigen im Übrigen auch die auf dem Deckblatt der Klagepatentschrift erwähnte EP …..500 A2 (Anlage KR 12) und die dort ferner genannte WO …..050 (Anlage KR 13), denen die nachfolgend ferner eingeblendeten Figuren (links Fig. 7 der EP …..500 A2, rechts Fig. 1 der WO …..050) entnommen sind.
138
139
Diese beiden Druckschriften hat das Landgericht zu Recht ebenfalls bei der Auslegung des Klagepatents berücksichtigt. Relevant sind zwar in erster Linie diejenigen Schriften, die in der Patentbeschreibung gewürdigt sind. Daneben kann aber auch solcher Stand der Technik zur Auslegung herangezogen werden, der lediglich auf dem Deckblatt der Patentschrift als im Prüfungsverfahren berücksichtigte Entgegenhaltung verzeichnet ist (vgl. Senat, Urt. v. 01.02.2018 – I-2 U 33/15, GRUR-RS 2018, 11286 Rn. 85; Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 16. Aufl., Kap. A Rn. 81).
140
dd)Ohne Erfolg machen die Beklagten geltend, dass Abs. [0006] und die dortige Benennung von relevantem Stand der Technik als „Kinderreisesitze nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1“ auf einen Verweis auf vom Prüfer zwischenzeitlich aufgefundene Dokumente zurückgehe. Dieser Einwand ist irrelevant und vermag an der Relevanz dieser Beschreibungsstelle und des dort erwähnten Standes der Technik für die Auslegung des Klagepatents nichts zu ändern. Abs. [0006], der bereits in der veröffentlichten B1-Schrift enthalten war, ist Teil der allgemeinen Patentbeschreibung und damit bei der Auslegung des erteilten Patentanspruchs 1 zu berücksichtigen. Der in der Patentschrift erwähnte Stand der Technik ist von Hause aus ein zentrales Auslegungsmittel für das Verständnis dessen, was Inhalt der erfolgten Patenterteilung sein soll (Kühnen, a.a.O., Kap. A Rn. 81). Darauf, ob der erteilte Patentanspruch 1 ohne die in Rede stehende Beschreibungsstelle anders zu interpretieren wäre, kommt es für die Auslegung dieses Anspruchs nicht an. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf ein Patentanspruch nicht – zur Vermeidung einer unzulässigen Erweiterung – nach Maßgabe des ursprünglich Offenbarten ausgelegt werden, ihm also nicht deshalb ein bestimmter Sinngehalt beigelegt werden darf, weil sein Gegenstand andernfalls gegenüber den Ursprungsunterlagen unzulässig erweitert wäre (BGH, GRUR 2012, 1124 Rn. 28 – Polymerschaum I; GRUR 2015, 875 Rn. 17 – Rotorelemente). Grundlage der Auslegung ist vielmehr allein die Patentschrift (BGH, GRUR 2004, 47 – blasenfreie Gummibahn I; GRUR 2012, 1124 Rn. 28 – Polymerschaum; OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.10.2021, I-2 U 5/21, GRUR-RS 2021, 34296 Rn. 94 – Laufsohle; Urt. v. 25.08.2022 – I-2 U 31/18, GRUR-RS 2022, 21391 Rn. 53 – Faserstrangherstellung; Urt. 30.12.2022 – I-15 U 59/21, GRUR-RS 2022, 37839 Rn. 105 – Waffenverschlusssystem II; Urt. v. 23.11.2023 – I-15 U 85/22, GRUR-RS 2023, 36056 Rn. 88 = GRUR-RR 2024, 61 – Rollwagen).
141
ee)
142
Aus der einleitenden Würdigung des Standes der Technik in der Klagepatentschrift lässt sich nicht herleiten, dass integrierte Kinderreisesitzbasen nicht unter den Patentanspruch fallen.
143
Die Klagepatentschrift führt in ihrer Einleitung aus, dass es bei vielen bekannten Kinderreisesystemen für den Benutzer oft schwierig ist, ein in sich geschlossenes Rückhaltesystem, das von der Basisanordnung getragen wird, so zu bedienen, dass eine sichere Verbindung zwischen dem Rückhaltesystem und einer im Fahrzeug angebrachten Verankerung hergestellt wird. So könne es beispielsweise erforderlich sein, dass für einen Benutzer das Rückhaltesystem nur von einer Seite der Basisanordnung aus zugänglich sei oder er im Fahrzeug eine ungünstige Position einnehmen müsse, um das Rückhaltesystem zu bedienen (Abs. [0003]). Derartige Bedienprobleme können selbstverständlich auch bei einem Kindersitz mit integriertem Basisteil bestehen. Ebenso können auch bei einem solchen Gegenstand die Sicherungsgurte des Rückhaltesystems die Sitzbasis des Kindersitzes unübersichtlich machen (Abs. [0003]).
144
Soweit nach den Angaben der Klagepatentschrift ein Bedarf nach einem benutzerfreundlicheren, in sich geschlossenen Rückhaltesystem für die Basisanordnung besteht, welches eine feste Verbindung zwischen der Basis und der in einem Fahrzeug montierten Verankerung herstellt (Abs. [0003]), trifft dies auch für eine integrierte Sitzbasis zu, die Bestandteil eines Kinderreisesitzes ist.
145
Zwar gibt die Klagepatentschrift auch an, dass die Sicherungsgurte des Rückhaltesystems den Eingriff zwischen einem Kinderreisesitz und der Basisanordnung beeinträchtigen können, was ein potenzielles Sicherheitsrisiko darstellt (Abs. [0003]). Sie sieht deshalb auch einen Bedarf für ein Basisanordnung-Rückhaltesystem, bei dem die Sicherungsgurte verdeckt oder derart versetzt sind, dass sie die Anbringung eines Kinderreisesitzes an der Basisanordnung nicht beeinträchtigen (Abs. [0003]). Daraus folgert der Fachmann entgegen der Auffassung der Beklagten jedoch nicht, dass es sich bei der beanspruchten Kinderreisesitzbasis zwingend um eine eigenständige Vorrichtung bzw. separate Komponente handeln muss. Zum einen ist es auch bei einer Basis als Bestandteil eines Kinderreisesitzes (integrierte Basis) von Vorteil, wenn die Gurte des Rückhaltesystems verdeckt sind. Zum anderen erkennt der Fachmann, dass sich die Ausführungen in Abs. [0003] speziell auf Kinderreisesysteme beziehen, bei denen die Anordnung der Sicherungsgurte des Rückhaltesystems die Anbringung des Kinderreisesitzes an der Basisanordnung beeinträchtigen kann. Die patentgemäße Kinderreisesitzbasis muss jedoch nach dem Anspruchswortlaut nicht für ein Kinderreisesystem bestimmt sein. Darüber hinaus geht es dem Klagepatent aus Sicht des Durchschnittsfachmanns entscheidend darum, eine Kinderreisesitzbasis zur Verfügung zu stellen, welche eine feste Verbindung zwischen der Basis und einer im Fahrzeug montierten Verankerung ermöglicht (vgl. Abs. [0001], [0003], [0012]). Auch die Technische Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes hat – ausgehend von der D1 als nächstliegenden Stand der Technik – in ihrer Entscheidung vom 08.07.2021 als das zu lösende technische Problem die Erhöhung der Stabilität der Sitzbasis bei der Befestigung auf dem Fahrzeugsitz gesehen („the objective technical problem to be solved may be seen as ‚how to increase the stability of the seat base when mounted on the vehicle seat’“, vgl. Anlage KR 3, S. 11 Ziff. 2.2). Hierfür ist es ohne Belang, ob es sich bei der Basis um eine gesonderte (separate) Basis oder um eine integrierte Basis handelt. Maßnahmen zu einer verdeckten Anordnung des Haltegurts lehrt der Patentanspruch 1 hingegen nicht. Da der Patentanspruch selbst die für die Erzielung eines solchen Vorteils erforderlichen Mittel gerade nicht nennt, lässt sich daraus auch keine Aufgabe ableiten, die nach der beanspruchten Lehre zwingend erfüllt sein müsste (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 08.12.2021 – 6 U 123/19, GRUR-RS 2021, 51803 Rn. 70 – Spracherkennungsvorrichtung).
146
b)
147
Bei der beanspruchten Kinderreisesitzbasis („infant travel seat base“) muss es sich auch nicht zwingend um eine Basis für „Babyliegesitze“ bzw. für Sitze für Neugeborene handeln.
148
aa)
149
Wie die Klägerin u.a. durch Vorlage diverser Screenshots von Suchergebnissen zu dem englischen Wort „infant“ aus Online-Wörterbüchern und aus den Online-Übersetzungsprogrammen dargetan und belegt hat, ist unter einem „infant“ keineswegs nur ein Baby oder Neugeborenes bzw. Säugling zu verstehen, sondern umfasst der Begriff „infant“ z.B. auch „Kleinkinder“ bzw. „Kinder im Kindergartenalter“.
150
Die von den Beklagten in Bezug genommenen Dokumente gemäß den Anlagen KLG 1 bis KLG 8 sind nicht auslegungsrelevant, da sie in der Klagepatentschrift nicht erwähnt werden. Das gilt insbesondere auch für die Regularien gemäß den Anlagen KLG 1 und KLG 2. Das Klagepatent nimmt auf diese Dokumente nicht Bezug, weshalb sie bei der Auslegung des Patentanspruchs 1 nicht zu berücksichtigen sind (vgl. hierzu auch BGH, Urt. v. 18.10.2022 – X ZR 36/2, GRUR 2023, 325 Rn. 21 – Gesperre).
151
Außerdem tragen die Beklagten selbst vor, dass das Klagepatent den Begriff „restraint system“ („Rückhaltesystem“) für die Halterung/Befestigung der Basis am Fahrzeug benutzt und nicht im Sinne der Definition eines „child restraint systems“ („Kinder-Rückhaltesystems“) gemäß den Anlagen KLG 1 und KLG 2 verwendet. Demgemäß kann es auch nicht auf die dortige Unterteilung von Rückhalteeinrichtungen für Kinder („child restraints“) in fünf Gewichtsklassen ankommen. Erst recht kann nicht allein die Klasse 0 als für das Klagepatent relevant angesehen werden. Schließlich verwendet die Anlage KLG 1 die Formulierung „infant travel seat base“ auch gar nicht, sondern den Begriff „infant carrier“ bzw. – unter Ziff. 2.4.3. – „infant car seats“ (Anlage KLG 2: „Babyliegesitz“). Aus dieser von den Beklagten in Bezug genommenen Unterlage kann daher bereits aus diesem Grunde kein zwingender Rückschluss darauf gezogen werden, was die Fachwelt allgemein unter dem Begriff „infant travel seat base“ versteht.
152
bb)
153
Selbst wenn der Fachmann aber unter einer „infant travel seat base“ üblicherweise eine Basis zur Befestigung eines „infant carrier“ („Babyliegesitz“) verstehen sollte, gibt dies keinen Anlass zu einer anderweitigen Auslegung des Klagepatents.
154
(1)
155
Bei der Auslegung eines patentgemäßen Begriffs kommt es nicht auf das allgemeine Sprachverständnis auf dem jeweiligen technischen Gebiet an (vgl. z.B. OLG Düsseldorf, Urt. v. 17.08.2023 – I-15 U 39/22, GRUR-RS 2023, 42708 Rn. 75 – Unterbauleiste, m.w.N.). Es stellt vielmehr einen festen Grundsatz der Patentauslegung dar, dass jede Patentschrift ihr eigenes Lexikon für die in ihr gebrauchten Begrifflichkeiten darstellt und deswegen nur unter Heranziehung der Beschreibung und Zeichnungen Aufschluss darüber gewonnen werden kann, was der Anspruch mit einer bestimmten Formulierung meint (vgl. z.B. Senat, Urt. v. 08.04.2021 – I– 2 U 13/20, GRUR-RS 2021, 8206 Rn. 65 – Halterahmen II). Das Auslegungsgebot gilt dabei generell und somit auch für Begriffe, die von der Formulierung her scheinbar eindeutig sind (BGH, GRUR 2015, 875 Rn. 16 – Rotorelemente, m.w.N.; GRUR 2021, 942 Rn. 21 – Anhängerkupplung II). In Anbetracht der lexikalischen Bedeutung jeder Patentschrift verbietet es sich, die Merkmale eines Patentanspruchs anhand der Definition in Fachbüchern oder nach dem allgemeinen Sprachverständnis auszulegen; vielmehr müssen sie aus der Patentschrift selbst heraus verstanden werden (BGH, GRUR 1999, 909 – Spannschraube; GRUR 2005, 754 – werkstoffeinstückig; Senat, 27.10.2011 – I-2 U 3/11, GRUR-RS 2011, 26945 Rn. 16 – Wärmedämmelement). Handelt es sich bei dem in Rede stehenden Begriff um einen Begriff oder Ausdruck, der in dem betreffenden Fachgebiet gebräuchlich und mit einem bestimmten Inhalt versehen ist, darf deshalb nicht unbesehen dieser nach dem allgemeinen oder üblichen fachlichen Sprachgebrauch gegebene Inhalt zugrunde gelegt werden. Es ist vielmehr stets die Möglichkeit in Rechnung zu stellen, dass das Patent den Ausdruck gerade nicht in diesem geläufigen, sondern in einem davon abweichenden (z.B. weitergehenden) Sinne verwendet.
156
Das Gesagte bedeutet zwar nicht, dass bei der Auslegung eines Patents unter keinen Umständen der übliche Sprachgebrauch und Begriffsinhalt in Betracht gezogen werden darf. Vielfach wird dies – im Gegenteil – angezeigt sein, weil bei der Abfassung einer Patentschrift Begriffe in der Regel mit ihrem auf dem betroffenen Fachgebiet üblichen Inhalt gebraucht zu werden pflegen (vgl. BGH, GRUR 2016, 169 Rn. 17 – Luftkappensystem; OLG Düsseldorf, Urt. v. 17.08.2023 – I-15 U 39/22, GRUR-RS 2023, 42708 Rn. 75 – Unterbauleiste, m.w.N.). Stets ist aber zu prüfen, ob im Einzelfall Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich der Anmelder dieses üblichen Sprachgebrauchs ausnahmsweise nicht bedient hat und deshalb das Merkmal im Zusammenhang mit der Erfindung in einem anderen Sinne zu verstehen ist. Ist dies der Fall, ist der sich aus der Beschreibung ergebende, vom allgemeinen technischen Sprachgebrauch abweichende Begriffsinhalt maßgeblich (BGH, GRUR 1999, 909, 912 – Spannschraube; GRUR 2005, 754 – werkstoffeinstückig; GRUR 2015, 868 Rn. 26 – Polymerschaum II; GRUR 2015, 972 Rn 22 – Kreuzgestänge; GRUR 2016, 1031 Rn. 13 – Wärmetauscher; GRUR 2015, 1095 Rn. 13 – Bitdatenreduktion). Ein eigenes Begriffsverständnis kommt hierbei insbesondere dann in Betracht, wenn der Beschreibungstext (z.B. durch eine Legaldefinition) explizit deutlich macht, dass ein bestimmter Begriff des Patentanspruchs in einem ganz bestimmten, sich vom Üblichen unterscheidenden Sinne verstanden wird, sondern auch dann, wenn sich ein solches Verständnis aus der grundsätzlich gebotenen funktionsorientierten Auslegung ergibt (OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.10.2011 – I-2 U 3/11, GRUR-RS 2011, 26945 Rn. 16 – Wärmedämmelement; Urt. v. 14.01.2016 – I-2 U 77/14, GRUR-RS 2016, 03043 Rn. 44 – Kontrollsystem; Urt. v. 17.08.2023 – I-15 U 39/22, GRUR-RS 2023, 42708 Rn. 75 – Unterbauleiste). So ist es beispielsweise verfehlt, für die Deutung des Patentanspruchs an einem hergebrachten Begriffsverständnis zu haften, wenn dieses zu einer Differenzierung zwischen vom Anspruch erfassten und außerhalb des Patentanspruchs liegenden Ausführungsformen führt, die angesichts des technischen Inhalts der Erfindung unangebracht ist (OLG Düsseldorf, Urt. v. 14.01.2016 – I-2 U 77/14, GRUR-RS 2016, 03043 Rn. 44 – Kontrollsystem; Urt. v. 17.08.2023 – I-15 U 39/22, GRUR-RS 2023, 42708 Rn. 75 – Unterbauleiste).
157
(2)
158
Im Streitfall ergibt sich aus der Beschreibungsstelle in Abs. [0006] nicht nur, dass unter die Bezeichnung „infant travel seat base“ nicht allein separate Sitzbasen fallen, sondern auch, dass es sich bei der patentgemäßen Basis nicht notwendigerweise um eine Basis für Babyliegesitze bzw. für Sitze für Neugeborene handeln muss. So zeigt bereits die dort erwähnte EP …..184 A (D1; Anlage KR 11) einen Kindersitz, der augenscheinlich für ältere Kinder als Neugeborene oder Babys ausgelegt ist und der in Fahrtrichtung in ein Fahrzeug eingebaut wird. Gleiches gilt z.B. für die auf dem Deckblatt der Klagepatentschrift erwähnte EP …..500 A2 (Anlage KR 12). Eine „infant travel seat base“ im Sinne des Klagepatents kann damit auch die Basis (das Sitzteil) eines solchen Kindersitzes sein.
159
cc)
160
Für das Anliegen des Klagepatents, eine verbesserte Kinderreisesitzbasis mit einem Rückhaltesystem bereitzustellen, das eine feste Verbindung zwischen der Basis und der in einem Fahrzeug montierten Verankerung ermöglicht (Abs. [0003], ist es zudem ohne Belang, ob die Sitzbasis für Babys oder ältere Kinder ausgelegt ist.
161
2.
162
Die unter Schutz gestellte Kinderreisesitzbasis weist einen Haltegurt auf (Merkmal 1 c)), der in den Merkmalsgruppen 4 und 5 näher beschrieben ist.
163
a)
164
Der Haltegurt umfasst hiernach ein freies Ende und wenigstens ein Sicherungsende (Merkmale 4 a) und b)). Das freie Ende des Haltegurts ist lösbar in der Blockieranordnung einer Einstellanordnung (Merkmale 1 b), und 3 b)) gesichert (Merkmal 4 b)). Ferner ist gemäß Merkmal 4 b) das wenigstens eine Sicherungsende dazu ausgelegt, an einer in dem Fahrzeug angebrachten Verankerung gesichert zu werden, so dass eine Bewegung des Haltegurts durch die Blockieranordnung die Position des Sicherungsendes in Bezug auf den Rahmen der Kinderreisesitzbasis einstellt (Merkmal 4 c)). Merkmal 5 gibt sodann vor, dass der Haltegurt Y-förmig („Y-shaped“) ausgeführt ist, wobei sich aus den weiteren Merkmalen der Merkmalsgruppe 5 ergibt, dass die gegenüberliegenden divergierenden Enden des Y jeweils ein Sicherungsende des Haltegurts umfassen (Merkmal 5 a)) und das Ende des mittleren Schenkels des Y das freie Ende ist (Merkmal 5 b)). Die Merkmalsgruppe 5 gibt damit nicht nur eine bestimmte Ausgestaltung des Haltegurts vor. Sie legt darüber hinaus auch die Anzahl an Gurtenden fest, nämlich genau zwei jeweils ein Sicherungsende umfassende gegenüberliegende divergierende Enden und ein freies Ende. Insgesamt weist der Haltegurt somit drei Enden auf.
165
b)
166
Was die vom Patentanspruch geforderte Y-förmige Ausführung des Haltegurts anbelangt, muss der Haltegurt – wovon das Landgericht mit Recht ausgegangen ist – nicht über seinen gesamten Verlauf Y-förmig ausgestaltet sein. Er muss ferner auch keine strenge Y-Form aufweisen.
167
aa)Der Begriff „Y-förmig“ wird in der Patentschrift nicht ausdrücklich definiert.
168
Allgemein zeichnet sich eine Y-Form dadurch aus, dass es einen mittleren Schenkel gibt sowie – daran anschließend – zwei weitere Schenkel, die sich gegenüberliegen und voneinander wegbewegen. Dies sind die Bestandteile des im Patentanspruch und in der Klagepatentbeschreibung im Zusammenhang mit dem Merkmal „Y-förmig“ durchgängig verwendeten Großbuchstabens „Y“ des (modernen) lateinischen Alphabets. Diese Bestandteile einer Y-Form findet der Fachmann auch in der Merkmalsgruppe 5 wieder, wenn dort zwei gegenüberliegende divergierende Enden (Merkmal 5 a)) und ein mittlerer Schenkel (Merkmal 5 b)) genannt werden. Außerdem ergibt sich aus dieser Merkmalsgruppe, dass das Ende des mittleren Schenkels das freie Ende ist, während die gegenüberliegenden divergierenden Enden jeweils ein Sicherungsende des Haltegurts umfassen (Merkmal 5 a)).
169
bb)An diesem Punkt bleibt der Fachmann allerdings nicht stehen. Selbst dann, wenn der Wortlaut des Patentanspruchs nach dem allgemeinen Sprachgebrauch oder dem Fachverständnis eindeutig zu sein scheint, ist stets eine Auslegung des Patentanspruchs geboten, in der es den technischen Sinngehalt des Patentanspruchs zu ermitteln gilt. Aus der Patentbeschreibung und den Zeichnungen, die gemäß Art. 69 Abs. 1 S. 2 EPÜ zur Auslegung heranzuziehen sind, kann sich ergeben, dass die Patentschrift Begriffe eigenständig definiert und insoweit ein eigenes Lexikon darstellt (BGH, GRUR 1999, 909, 912 – Spannschraube; GRUR 2015, 875 Rn. 16 – Rotorelemente; GRUR 2016, 361 Rn. 14 – Fugenband; GRUR 2021, 942 Rn. 22 – Anhängerkupplung II; OLG Düsseldorf, Urt. v. 04.04.2024 – I-2 U 72/23, GRUR-RS 2024, 7750 Rn. 58 – Spanabhebendes Werkzeug).
170
In der Klagepatentbeschreibung finden sich zwar keine weitergehenden Erläuterungen zu der vom Patentanspruch geforderten Y-Form. Der Beschreibung kann der Fachmann nur entnehmen, dass diese die in der Merkmalsgruppe 5 enthaltenen Bestandteile eines Y in Gestalt von einem mittleren Schenkel sowie zwei gegenüberliegenden divergierenden Enden durchgehend verwendet, wenn es den Y-förmigen Haltegurt anspricht (vgl. Abs. [0002], [0016], [0018 f.], [0039]). Wirft der Fachmann allerdings einen Blick auf die zur Auslegung des Patentanspruchs ebenfalls heranzuziehenden Zeichnungen des Klagepatents, kann er den Figuren 3, 11 und 42 entnehmen, dass der Verlauf des im Patentanspruch als Y-förmig beschriebenen Haltegurts nicht strengY-förmig sein muss.
171
Aus den vorgenannten Figuren ergibt sich zweifelsfrei, dass der Haltegurt nicht über seinen gesamten Verlauf der Form eines Y folgen muss. Insbesondere müssen die gegenüberliegenden divergierenden Enden, die jeweils ein Sicherungsende umfassen, nicht in gerader Linie und stetig weiter divergierend im Sinne einer strengen V-Form zu den Verankerungen am Fahrzeug geführt werden, wie es das Erfordernis einer Y-Form zunächst nahelegen könnte. Vielmehr verdeutlichen die Figuren dem Fachmann, dass die Y-förmige Ausgestaltung nicht durchgehend über die gesamte Länge des Haltegurts aufrechthalten werden muss.
172
Letzteres geht bereits aus Figur 3 hervor, die nach der Patentbeschreibung die Draufsicht einer Basisanordnung (12) mit einer ersten Ausführung des Rückhaltesystems (34) zeigt, das eine Einstellanordnung (38) gemäß Merkmalsgruppe 3 beinhaltet (Abs. [0008], [0012]). Dieses Rückhaltesystems umfasst gemäß Abs. [0016] einen Haltegurt in Form eines Y-förmigen Gurts mit divergierenden Enden (68, 70). Es ist zu erkennen, dass die – in der nachstehend eingeblendeten Figur zur besseren Veranschaulichung kolorierten – beiden gegenüberliegenden divergierenden Enden des Haltegurts, die jeweils ein Sicherungsende (68, 70) umfassen, sich im Inneren des Rahmens (14) aufgabeln.
173
174
Dabei kann allein im Bereich der Aufgabelung des Haltegurts überhaupt eine Y-Form erkannt werden, während der gesamte Verlauf des Haltegurtseher an ein geschwungenes W erinnert. Denn nach der Aufgabelung werden die beiden Enden im rechten Winkel zur Ausgansposition zu den seitlichen – aus dem Rahmen herausführenden – Schlitzen (80, 82) geführt, die zwischen der oberen (16) und hinteren (20) Basisabdeckung ausgebildet sind (vgl. Abs. [0016] a.E.), um anschließend in einem Bogen zu am Fahrzeug angebrachten Verankerungen (36) (zurück)geleitet zu werden.
175
Der Fachmann entnimmt dieser Darstellung, dass der Haltegurt nicht über seinen gesamten Verlauf Y-förmig ausgeführt sein muss, sondern dass die gegenüberliegenden divergierenden Enden des Haltegurts auf ihrem Weg zu den Fahrzeugverankerungen Richtungsänderungen erfahren können.
176
Dass derartige Umlenkungen unschädlich sind, wird dem Fachmann auch durch die nachfolgend – mit hinzugefügter Kolorierung – wiedergegebene Figur 11 unmittelbar und eindeutig vor Augen geführt. Diese Figur stellt nach der Klagepatentbeschreibung eine Teilquerschnittsansicht einer Haltegurtanordnung dar (Abs. [0008]), die u.a. eine – bereits in Figur 3 – gezeigte Einstellanordnung (38) umfasst (vgl. Abs. [0012]). Sie zeigt, dass die beiden Sicherungsenden (68, 70) nach ihrer Aufgabelung hinter der – durch ein (mit einem Kreuz versehenen) Rechteck veranschaulichten – Vernähung nicht ausschließlich in der Form eines Y weitergeführt werden, sondern mehrere Umlenkungen erfahren, wie aus dem Verlauf des Sicherungsendes mit der Bezugsziffer 68 ersichtlich ist.
177
178
Auch das in dieser Zeichnung figürlich dargestellte Ausführungsbeispiel verdeutlicht dem Fachmann, dass der Haltegurt weder über seinen gesamten Verlauf noch über einen längeren Verlauf eine Y-Form wahren muss.
179
Nichts anders ergibt sich schließlich aus Figur 42, die eine Teilquerschnittsansicht eines weiteren Basisanordnung-Rückhaltesystems darstellt (Abs. [0008], wobei die Besonderheit dieses Ausführungsbeispiels darin liegt, dass der Haltegurt im Bereich eines mittleren Abschnitts (105) auf einer federgespannten Spule (97) aufgerollt und damit ein Durchhängen verringert wird (vgl. Abs. [0021], [0023]). Auch dieser Figur lässt sich nicht entnehmen, dass der Haltegurt über seinen gesamten Verlauf oder zumindest über einen längeren Abschnitt eine Y-Form aufweisen muss.
180
Die oben wiedergegebene Figur 3 der Klagepatentschrift lässt – wie ausgeführt – zwar im Bereich der Aufgabelung eine Y-förmige Ausgestaltung erkennen. Der Fachmann folgert hieraus jedoch nicht, dass der Haltegurt damit zumindest in einem „Kernbereich“ zwingend eine exakte Y-Form aufweisen muss. Dagegen spricht schon, dass bei dem in Figur 11 gezeigten Ausführungsbeispiel die divergierenden Enden des Haltegurts, bevor dieser – etwa ab der mit dem Bezugszeichen 68 gekennzeichneten Stelle – in seinem weiteren Verlauf eine deutliche Umlenkung erfährt, teilweise parallel verlaufen. Lediglich im unmittelbaren Bereich der Aufgabelung lässt sich hier einetypische Y-Form ausmachen.
181
182
c)Außerdem wird der Fachmann das Merkmal 5 bzw. den Begriff „Y-förmig“ funktionsorientiert auslegen. Grundsätzlich ist nämlich eine funktionsorientierte Auslegung geboten (vgl. nur OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.09.2019 – I-15 U 36/15, GRUR-RS 2019, 44914 Rn. 44 – Türbandscharnier); Merkmale und Begriffe des Patentanspruchs sind regelmäßig so zu deuten sind, wie dies angesichts der ihnen nach dem offenbarten Erfindungsgedanken zugedachten technischen Funktion angemessen ist (vgl. BGH, GRUR 1999, 909 – Spannschraube; BGH, GRUR 2009, 655 – Trägerplatte). Das gilt auch hier, weil eine Auslegung des Patentanspruchs dahin, dass der Haltegurt eine strenge Y-Form haben muss, dem technischen Gehalt der patentierten Erfindung nicht gerecht werden würde. Es ist indes verfehlt, für die Deutung des Patentanspruchs an einem Begriffsverständnis zu haften, wenn dieses zu einer Differenzierung zwischen vom Anspruch erfassten und außerhalb des Patentanspruchs liegenden Ausführungsformen führt, die angesichts des technischen Inhalts der Erfindung unangebracht ist (vgl. BGH, GRUR 2016, 169 – Luftkappensystem).
183
aa)
184
Was mit der in den Merkmalsgruppen 4 und 5 beschriebenen Ausgestaltung erreicht werden soll, ergibt sich für den Fachmann bereits aus den Anspruchsmerkmalen: Der Benutzer kann zur Fixierung der Kinderreisesitzbasis an einem Fahrzeugsitz an dem freien Ende des Haltegurts ziehen und bewirkt dadurch eine Bewegung des Haltegurts in Richtung des freien Gurtendes. Dadurch erfolgt eine Kraftübertragung von dem mittleren Schenkel, also dem freien Ende des Gurts, in Richtung der beiden divergierenden Enden. Da die beiden divergierenden Enden jeweils ein Sicherungsende umfassen, wird durch die in der Merkmalsgruppe 5 beschriebene Y-förmige Ausführung des Haltegurts erreicht, dass die Bewegung des Haltgurts am mittleren Schenkel des nach außen auf die Sicherungsenden übertragen wird, wodurch diese eine Kraft erfahren, die in Richtung des freien Endes des Haltegurts wirkt. Aufgrund dieser auf die Sicherungsenden geleiteten Kraft und der Sperrwirkung der Blockieranordnung kann die Position der Sicherungsenden in Bezug auf den Rahmen der Kinderreisesitzbasis eingestellt werden. Konkret werden die Sicherungsenden und der Rahmen aufeinander zubewegt, wodurch schlussendlich eine Fixierung der Kinderreisesitzbasis an einem Fahrzeugsitz erfolgt.
185
Das lösbar in einer Blockieranordnung der Einstellanordnung gesicherte freie Ende des Haltegurts soll es damit dem Benutzer ermöglichen, die Basis mit den im Fahrzeug angebrachten Verankerungen fest zu verzurren. Durch die Y-förmige Ausgestaltung des Haltegurts wird hierbei gewährleistet, mit dem Zug an nur einem Ende, nämlich dem freien Ende, eine Verzurrung mit beiden Fahrzeugverankerungen zu erreichen, da sich die durch das Ziehen am freien Ende entstehende Zugkraft auf die beiden gegenüberliegenden Schenkel aufteilt und diese strafft, was das Klagepatent beispielsweise in Abs. [0019] wie folgt beschreibt:
186
“Wird der freiliegende Abschnitt 74 des Endes 72 des mittleren Schenkels des Y-förmigen Gurtes 66 nach oben gezogen, bewegt sich der innere Abschnitt 76 des Endes 72 des mittleren Schenkels des Y-förmigen Gurtes durch die Einstellanordnung 38 nach oben, wodurch eine größere Länge des freiliegenden Abschnitts 74 des mittleren Schenkelendes 72 entsteht und die freiliegende Länge der beiden divergierenden Enden 68, 70 des Y-förmigen Gurtes 66 verringert wird.“
187
Diese Funktion erfordert weder, dass der gesamte Verlauf des Haltegurts einerY-Form folgen muss, noch dass zwingend eine strenge Y-Form eingehalten werden muss. Denn die vom Klagepatent angestrebte (benutzerfreundliche) feste Verzurrung der Kinderreisesitzbasis mit den Fahrzeugverankerungen wird schon immer dann erreicht, wenn durch Zug am freien Ende beide Sicherungsenden bewegt werden können. Hierfür bedarf es – wie der Fachmann unschwer erkennt – nicht notwendig der Einhaltung einer exakten Y-Form. Insbesondere ist kein bestimmter Winkel zwischen den beiden gegenüberliegenden divergierenden Enden erforderlich. Wesentlich ist vielmehr, dass sich ein mittlerer Schenkel in zwei gegenüberliegende, sich von dem mittleren Schenkel jeweils wegbewegende Schenkel derart aufspaltet, dass eine Bewegung des Haltegurts nach außen auf die beiden Sicherungsenden übertragen werden kann. Dadurch wird ermöglicht, dass ein Benutzer nur an einem Ende des Haltegurts, nämlich dem freien Ende ziehen muss, um den Kindersitz gleichzeitig an beidem im Fahrzeug angebrachten Verankerungen zu befestigen.
188
Aus der Klagepatentschrift ergeben sich demgemäß keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass nur eine strenge Y-Form des Haltegurts und ein damit verbundener – wie es die Beklagten ausdrücken – „direkter Kraftfluss“ zur festen Verzurrung geeignet ist. Insbesondere stellt die Klagepatentschrift keine Überlegungen zu einem nachteiligen Einfluss von Umlenkungen und/oder zu einer nicht exakten Einhaltung der Y-Form auf den Kraftfluss an. Den Figuren der Klagepatentschrift kann der Fachmann vielmehr entnehmen, dass sowohl Umlenkungen im Verlauf des Haltegurts als auch ein teils paralleler Verlauf unschädlich sind.
189
Der Fachmann interpretiert die den Haltegurt betreffende Vorgabe „Y-förmig“ hiervon ausgehend nicht dahingehend, dass zwingend eine strenge Y-Form eingehalten werden muss. Er wird hierunter vielmehr eine an den Großbuchstaben Y angelehnte Ausgestaltung verstehen, bei der sich ein mittlerer Schenkel in zwei gegenüberliegende Schenkel aufspaltet, die sich von dem mittleren Schenkel jeweils nach außen wegbewegen.
190
Dass der Klagepatentanspruch in Bezug auf die gegenüberliegenden Enden des Y nicht nur von gegenüberliegenden, sondern von gegenüberliegenden „divergierenden“ Enden des Y spricht (Merkmal 5 a)), veranlasst den Fachmann aus den vorstehenden Gründen zu keinem engeren Anspruchsverständnis. Das gilt umso mehr, als der Schwerpunkt der Merkmale 5 a) und 5 b) der Merkmalsgruppe 5 auf der Beschaffenheit der jeweiligen Enden der drei Schenkel liegt. Gemäß Merkmal 5 b) ist das Ende des mittleren Schenkels das freie Ende und gemäß Merkmal 5 a) umfassen die gegenüberliegenden divergierenden Enden des Y jeweils ein Sicherungsende des Haltegurts. Merkmal 5 a) spricht von „divergierenden Enden“, nicht aber von divergierenden Schenkeln.
191
d)Dieses Auslegungsergebnis wird durch vorliegende Stellungnahme der Technischen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes gestützt.
192
Die fachkundige Beschwerdekammer hat angenommen, dass die Entgegenhaltungen D2 (US …..286 A1; Anlage KR 4) und D3 (US …..470 A1; Anlage KR 5) die Lehre des Klagepatents nicht neuheitsschädlich vorwegnehmen, da bei diesen der mittlere Strang des Haltegurts jeweils nicht dafür ausgelegt ist, die divergierenden Enden des Y einzustellen. An der Offenbarung einer Y-Form des Haltegurts in diesen Entgegenhaltungen hatte die Technische Beschwerdekammer indes keine Zweifel, obwohl der Haltegurt in beiden Entgegenhaltungen augenscheinlich T-förmig ausgestaltet ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die vom Landgericht wiedergegebenen Passagen aus der Entscheidung des Technischen Beschwerdekammer (Anlage KR 3, dort Ziff. 2.4.1 bzw. 2.5.1) und die im angefochtenen Urteil zur Veranschaulichung wiedergegebenen Zeichnungen Bezug genommen (vgl. S. 23 ff. LGU).
193
An die Beurteilung der Technischen Beschwerdekammer ist der Senat – wie bereits ausgeführt – zwar nicht gebunden. Die Einschätzung der Technischen Beschwerdekammer ist jedoch als (gewichtige) sachverständige Äußerung zu berücksichtigen. Sie stützt das hier gefundene Auslegungsergebnis.
194
e)
195
Soweit die Beklagten darauf verweisen, dass die Klägerin im Einspruchsverfahren in ihrer Eingabe vom 29.08.2017 selbst die Auffassung vertreten habe, dass der T-förmig ausgestaltete Haltegurt der D2 nicht Y-förmig und eine weite Auslegung nicht zulässig sei (vgl. Anlage KLG 12, Ziff. 3.1.2, S. 5), führt dies zu keinem anderen Ergebnis.
196
aa)
197
Äußerungen des Anmelders im Erteilungsverfahren können zwar als Indiz dafür heranzuziehen sein, wie der Fachmann den Gegenstand des Patents versteht (BGH, NJW 1997, 3377, 3380 – Weichvorrichtung II; GRUR 2016, 921 Rn. 39 – Pemetrexed; BGH, Urt. v. 17.12.2020 – X ZR 15/19, GRUR-RS 2020, 42976 Rn. 26 – L-Aminosäureproduktion; OLG Düsseldorf, Urt. v. 05.03.2015 – I-2 U 16/14, GRUR-RS 2015, 05649 – Antifolat; Urt. v. 01.02.2018 – I-2 U 33/15, GRUR-RS 2018, 11286 Rn. 86 – Polysiliziumschicht; GRUR-RR 2020, 137 Rn. 123 ff. – Bakterienkultivierung; Urt. v. 17.08.2023 – I-15 U 39/22, GRUR-RS 2023, 42708 Rn. 87 – Unterbauleiste; GRUR-RR 2023, 101 Rn. 60 – elektrohydraulisches Pressgerät). Entsprechendes gilt für Äußerungen des Patentinhabers im Rechtsbestandsverfahren (Senat, Urt. v. 09.12.2021 – I-2 U 9/21, GRUR-RS 2021, 39586 Rn. 62). Vorliegend kann der von den Beklagten angeführten Stellungnahme der Klägerin jedoch schon deshalb keine maßgebliche indizielle Bedeutung für das fachmännische Verständnis des Merkmals 5 beigemessen werden, weil mit der Entscheidung der fachkundigen Technischen Beschwerdekammer eine (gewichtige) gegenteilige sachverständige Äußerung vorliegt.
198
bb)Die Klägerin muss sich, worauf im Hinblick auf die diesbezüglichen Diskussionen der Parteien vorsorglich hinzuweisen ist, an ihren Äußerungen im Einspruchsverfahren auch nicht festhalten lassen. Weitreichendere Bedeutung haben Äußerungen des Patentinhabers im Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren nur in einer Sonderkonstellation, nämlich dann, wenn der Patentinhaber im Rechtsbestandsverfahren erklärt, für eine bestimmte Ausführungsform keinen Patentschutz zu begehren, im Verletzungsstreitverfahren aber gleichwohl gegenüber einem am Rechtsbestandsverfahren Beteiligten Ansprüche aus dem Patent wegen dieser Ausführungsform geltend macht, wenn seine Erklärung Grundlage für die Aufrechterhaltung des Patents oder dessen Fassung war und wenn der in Anspruch Genommene auf die Redlichkeit und Zuverlässigkeit des Patentinhabers vertrauen durfte (BGH, NJW 1997, 3377, 3379 f. – Weichvorrichtung II; GRUR 2021, 462 Rn. 44 – Fensterflügel; OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.11.2021 – I-15 U 25/20, GRUR-RS 2021, 37635 Rn. 62 – Sanitäre Einsetzeinheit). Unter derartigen Umständen stellt die spätere Erhebung einer Verletzungsklage gegen denjenigen, der am Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren beteiligt war, wegen einer von der schutzbereichsbeschränkenden Erklärung erfassten Ausführungsform ein treuwidriges Verhalten (§ 242 BGB) dar. Ein derartiger Ausnahmesachverhalt liegt hier jedoch nicht vor. Zum einen stellt nicht jede Äußerung des Patentinhabers zum Stand der Technik, der dem Klagepatent entgegengesetzt wird, eine schutzbereichsbeschränkende Erklärung dar. Vielfach und in aller Regel wird es sich bloß um eine Meinungsäußerung handeln, die keinen Einwand aus Treu und Glauben hervorbringen kann (vgl. BGH, NJW 1997, 3377, 3378 – Weichvorrichtung II; Senat, Urt. v. 11.11.2021 – I-15 U 25/20; Senat, Urt. v. 18.09.2014 – I-2 U 2/14, BeckRS 2014, 21941 Rn. 86; Urt. v. 11.11.2021 – I-15 U 25/20, GRUR-RS 2021, 37635 Rn. 62 – Sanitäre Einsetzeinheit). Erforderlich ist vielmehr eine Erklärung, die nach den gesamten Umständen für den Adressaten den hinreichenden Willen des Patentinhabers erkennen lässt, die Reichweite seines Patents in Bezug auf eine bestimmte Ausführungsform abzugrenzen (OLG Düsseldorf, BeckRS 2014, 21941 Rn. 86; Urt. v. 20.12.2017 – I-2 U 39/16, BeckRS 2017, 137480 Rn. 80; Urt. v. 11.11.2021 – I-15 U 25/20). Dass es sich bei der von ihnen in Bezug genommenen Äußerung der Klägerin um eine solche Erklärung handelt, zeigen die Beklagten nicht auf. Zum anderen, und dies ist letztlich entscheidend, hat sich die Technische Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes der von der Klägerin geäußerten Ansicht gerade nicht angeschlossen, weshalb die fragliche Erklärung nicht Grundlage für die Aufrechterhaltung des Klagepatents war.
199
B.
200
Zu Recht ist das Landgericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die angegriffenen Ausführungsformen der unter Schutz gestellten technischen Lehre des Klagepatents wortsinngemäß entsprechen.
201
1.
202
Bei den angegriffenen Ausführungsformen handelt es sich jeweils um eine Kinderreisesitzbasis im Sinne des Klagepatents (Merkmal 1). Ausgehend von der oben dargelegten Auslegung des Begriffs der Kinderreisesitzbasis ist ohne Belang, dass es sich bei den angegriffenen Ausführungsformen nicht um separate, mit einem Kinderreisesitz reversibel koppelbare Gegenstände handelt, sondern die angegriffenen Kinderreisesitze eine eingebaute Basis aufweisen. Auch bei einer solchen integrierten Basis handelt es sich um eine Kinderreisesitzbasis im Sinne des Merkmals 1. Gleichermaßen ist es unschädlich, dass es sich bei den angegriffenen Ausführungsformen um keine Babyliegesitze handelt.
203
2.
204
Die angegriffenen Ausführungsformen entsprechen auch wortsinngemäß den Vorgaben der Merkmalsgruppe 5. Ihr Haltegurtsystem ist Y-förmig im Sinne des Klagepatents ausgebildet.
205
a)
206
Bei den angegriffenen Ausführungsformen gabelt sich der von der Vorderseite des Sitzes kommende Haltegurt innerhalb der Basis in zwei gegenüberliegende Enden auf, die an ihrem Ende jeweils ein Sicherungsende umfassen, das zur Befestigung an einer Fahrzeugverankerung vorgesehen ist.
207
Wie die im angefochtenen Urteil wiedergegebenen Abbildungen (S. 27 LGU) sowie die nachfolgend eingeblendeten Abbildungen zeigen, weist der Haltegurt bis zu den ersten Umlenkelementen eine an den Großbuchstaben Y angelehnte – in den nachstehenden Abbildungen rot visualisierte – Ausgestaltung auf, bei der sich ein mittlerer Schenkel in zwei gegenüberliegende Schenkel aufspaltet, die sich nach außen von dem mittleren Schenkel wegbewegen.
208
X1: X2:
209
210
Diese Ausgestaltung ermöglicht eine Kraftaufspaltung von dem Einzelstrang (mittlerer Schenkel) seitlich nach außen auf die beiden gegenüberliegenden Gurtstränge, die jeweils ein Sicherungsende des Haltegurts umfassen.
211
Dass es sich bei dieser Ausgestaltung um keine exakte Y-Form handelt, weil die beiden gegenüberliegenden Gurtstränge nach der Aufgabelung des Haltegurts zunächst nicht weiter auseinanderstreben, sondern parallel oder ggf. sogar – bei der Ausführungsform „X2“ – leicht zusammenlaufend zu den ersten Umlenkelementen geführt werden, ist unschädlich, weil das Klagepatent keine strenge Y-Form verlangt. Insbesondere handelt es sich bei den gegenüberliegenden Gurtsträngen des Haltegurts gleichwohl um „gegenüberliegende divergierende“ Enden, weil es sich bei diesen um unterschiedliche, gegenüberliegende Enden handelt, die sich an den mittleren Schenkel anschließen und von diesem jeweils nach außen wegbewegen, wodurch eine Kraftaufspaltung im vorbeschriebenen Sinne ermöglicht wird. Ebenso führt es nicht aus der Lehre des Klagepatents heraus, dass die beiden gegenüberliegenden Gurtstränge auf ihrem Weg zu den im Fahrzeug angebrachten Verankerungen Richtungsänderungen in Gestalt von Umlenkungen erfahren, da der Haltegurt nach der Lehre des Klagepatents nicht über seinen gesamten Verlauf der Form eines Y folgen muss.
212
b)Jedenfalls verwirklichen die angegriffenen Ausführungsformen das Merkmal 5 aber deshalb, weil ihr Haltegurt im Bereich der Aufgabelung des Haltegurts eine typische Y-Form aufweist, welche in den nachfolgend wiedergegebenen Abbildungen rot visualisiert ist.
213
X1: X2:
214
215
Wollte man der oben dargetanen Auslegung des Merkmals 5 bzw. des Begriffs„Y-förmig“ nicht folgen, entnimmt der Fachmann den Figuren 3 und 11 der Klagepatentschrift jedenfalls, dass eine typische Y-Form nur im unmittelbaren Bereich der Aufgabelung des Haltegurts erforderlich ist. Zumindest in diesem Bereich hat auch bei den angegriffenen Ausführungsformen der Haltegurt eine Y-Form. Denn er weist einen mittleren Schenkel auf, an den sich zwei Schenkel anschließen, die sich nicht nur gegenüberliegen, sondern augenscheinlich auch voneinander wegbewegen, so dass es sich bei diesen Schenkeln auch um gegenüberliegende „divergierende“ Enden handelt. Dass die beiden gegenüberliegenden Gurtstränge nach dem Bereich der Y-förmigen Aufgabelung nicht weiter auseinanderstreben („divergieren“), sondern parallel oder ggf. sogar leicht zusammenlaufend zum ersten Umlenkpunkt geführt werden, führt nicht aus der Lehre des Klagepatents heraus, weil das Klagepatent keine durchgängig als Y ausgestaltete Haltegurtführung verlangt.
216
c)Entsprechen die angegriffenen Ausführungsformen bereits deshalb den Vorgaben der Merkmalsgruppe 5 kann dahinstehen, ob sich bei diesen die Gurtführung (zumindest) unter Zug nach der Aufgabelung in Richtung des ersten Umlenkpunktes aufweitet und dadurch ein „strenge“ Y-Form entsteht.
217
3.
218
Dass die angegriffenen Ausführungsformen die weiteren Merkmale des Patentanspruchs 1 verwirklichen, steht auch in der Berufungsinstanz zwischen den Parteien – zu Recht – außer Streit und bedarf daher keiner weiteren Darlegungen.
219
C.
220
Wie das Landgericht unangegriffen und auch zutreffend festgestellt hat, steht den Beklagten ein Weiterbenutzungsrecht nach § 123 Abs. 5 PatG nicht zu.
221
D.
222
Dass die Beklagten im Hinblick auf die vorstehend dargelegte Schutzrechtsverletzung bzw. -benutzung zur Unterlassung, zur Auskunftserteilung, zum Rückruf und (die Beklagte zu 1.) zu Vernichtung der patentverletzenden Gegenstände und, weil sie das Klagepatent schuldhaft verletzt haben, auch zum Schadenersatz verpflichtet sind und der Klägerin, um ihr die Berechnung ihrer Schadensersatzansprüche zu ermöglichen, über den Umfang ihrer Verletzungshandlungen Rechnung zu legen haben, hat das Landgericht im angefochtenen Urteil grundsätzlich zutreffend dargelegt. Auf diese Ausführungen wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen, allerdings mit folgenden Ergänzungen und Maßgaben:
223
1.
224
Im Tenor zu I. 1. des landgerichtlichen Urteils hat der Senat entsprechend dem zweitinstanzlichen Antrag der Klägerin vorsorglich nach dem Wort „Kinderreisesitzbasen“ die (überflüssige) Formulierung „und/oder Kinderreisesitzen mit Kinderreisesitzbasen“, welche möglicherweise den Eindruck erwecken könnte, bei den streitgegenständlichen, mit einer integrierten Kinderreisesitzbasis ausgestatteten Kinderreisesitzen handele es sich nicht um die einzigen im vorliegenden Rechtsstreit angegriffenen Ausführungsformen, gestrichen.
225
Macht der Kläger – wie hier – eine wortsinngemäße Patentverletzung geltend, ist es nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats (Urt. v. 15.05.2014 – I-2 U 74/13, BeckRS 2014, 14360; Urt. v. 08.12.2016 – I-2 U 6/13, GRUR-RS 2016, 111011 Rn. 35 – Lichtemittierende Vorrichtung; Urt. v. 20.01.2017 – I-2 U 41/12, BeckRS 2017, 102029 Rn. 40; Urt. v.19.12.2019 – 2 U 62/16, GRUR-RS 2019, 38883 Rn. 51 – Befestigungszwischenstück; Urt. v. 13.08.2020 – I-2 U 10/19, GRUR-RS 2020, 44647 Rn. 93 – Zündkerze) grundsätzlich statthaft, den Klageantrag nach dem Wortlaut des verletzten Patentanspruchs zu formulieren. Anders als bei der Geltendmachung einer äquivalenten Patentverletzung ist es in einem solchen Fall in der Regel nicht erforderlich, den Klageantrag – und die Urteilsformel – über den Anspruchswortlaut hinaus an die angegriffene Ausführungsform anzupassen, indem konkret diejenigen konstruktiven oder räumlich-körperlichen Mittel bezeichnet werden, mit denen bei der angegriffenen Ausführungsform das bzw. die streitige(n) Anspruchsmerkmal(e) verwirklicht wird/werden. Denn die Orientierung am Anspruchswortlaut bietet Gewähr dafür, dass der Urteilstenor nur diejenigen Details enthält, die für die erfindungsgemäße Lehre von Bedeutung sind, und sie verhindert zuverlässig, dass solche Gestaltungsmerkmale Eingang in den Urteilstenor finden, die außerhalb der Erfindungsmerkmale stehen und deswegen den Verbotstenor ungerechtfertigt einschränken würden. Bei einer etwaigen Zwangsvollstreckung kann der dem Anspruchswortlaut folgende Tenor anhand der Entscheidungsgründe ausgelegt werden, was sicherstellt, dass der Titel nicht auf Ausführungsformen erstreckt wird, die nicht im Kern des gerichtlichen Verbotes liegen, weil über sie nach den Begründungserwägungen des Urteils sachlich bereits mitentschieden ist. Seit Jahrzehnten ist von den Düsseldorfer Patentverletzungsgerichten in exakt dieser Weise verfahren worden, ohne dass es je zu irgendwelchen Unzuträglichkeiten gekommen wäre oder der Bundesgerichtshof selbst in der Vergangenheit an der geschilderten Vorgehensweise Anstoß genommen hätte. Es besteht deshalb kein Grund, die in der Praxis bewährte Form der Antragsformulierung aufzugeben.
226
Hiervon ausgehend bedarf der Klageantrag der Klägerin auch im Streitfall keiner weiteren Konkretisierung. Aus den Entscheidungsgründen dieses Urteils sowie des angefochtenen Urteils ergibt sich klar und eindeutig, dass es sich bei den hier angegriffenen Ausführungsformen jeweils um einen Kinderreisesitz mit einer integrierten Kinderreisesitzbasis in Gestalt eines Sitzteils handelt, welches Bauteil eine Kinderreisesitzbasis im Sinne des Klagepatents darstellt.
227
Entsprechendes gilt, wie bereits an dieser Stelle angemerkt werden kann, hinsichtlich des ebenfalls gestrichenen Klammerzusatzes „auch als lösbarer oder unlösbarer Teil eines Kinderreisesitzes“ im Tenor zu I. 4., den es ebenfalls nicht bedarf. Bei den hier angegriffenen Ausführungsformen handelt es sich um Kindersitze mit einer integrierten Kinderreisesitzbasis. Diese Kinderreisesitzbasis ist zu vernichten. Soweit mit dem betreffenden Zusatz im ursprünglichen Klageantrag zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass nicht nur die in den angegriffenen Kinderreisesitzen eingebauten Kinderreisesitzbasen zu vernichten sind, sondern ggf. auch eine bei der Beklagten zu 1. isoliert als einzubauendes Bauteil vorliegende Kinderreisesitzbasis, die bereits alle Merkmale des Patentanspruchs 1 verwirklicht, ist dies selbstverständlich.
228
2.Soweit das Landgericht die im Ausland geschäftsansässige Beklagte zu 2. antragsgemäß auch zur Vernichtung der angegriffenen Kinderreisesitzbasen verurteilt hat, hat die Klägerin ihre Klage im Verhandlungstermin vor dem Senat mit Zustimmung der Beklagten zu 2. zurückgenommen (Bl. 640 eA-OLG), weshalb der entsprechende Ausspruch betreffend die Beklagte zu 2. entfällt.
229
3.
230
Zu Recht hat das Landgericht auch die Beklagte zu 2. zum Rückruf der in Verkehr gebrachten, patentverletzenden Erzeugnisse verurteilt. Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte zu 2. ein im Ausland ansässiges Unternehmen ist und nicht dargetan ist, dass die Beklagte zu 2. im Inland selbst Eigentum und/oder Besitz an Exemplaren der angegriffenen Ausführungsformen hat. Denn auch ein im Ausland ansässiger Verletzer unterliegt einem Rückrufanspruch aus § 140 Abs. 3 PatG (BGH, GRUR 2017, 785 Rn. 33 – Abdichtsystem; Senat, Urt. v. 19.12.2019 – 2 U 62/16, GRUR-RS 2019, 38883 Rn. 169 – Befestigungszwischenstück; OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.07.2018 – I-15 U 43/15, GRUR-RS 2018, 22632 Rn. 102 – Beheizbarer Boden; BeckOK PatR/Fricke, 31. Ed. 15.01.2024, PatG § 140a Rn. 44 m.w.N.).
231
4.Mit den Urteilsaussprüchen zu I. 2. und 3. hat das Landgericht die Beklagten jeweils antragsgemäß zur Auskunftserteilung und Rechnungslegung verurteilt.
232
a)
233
Nach dem eindeutigen landgerichtlichen Urteilstenor haben die Auskunftserteilung und Rechnungslegung in elektronischer Form zu erfolgen.
234
Zwar heißt es in den Entscheidungsgründen des landgerichtlichen Urteils unter II. 3.:
235
„Nach der etablierten Rechtsprechung der Düsseldorfer Kammern (vgl. …) kann die Klägerin – nach ihrer Wahl – Auskunft und Rechnungslegung nur dann auch in elektronischer Form, d.h. neben der grundsätzlich schriftlich geschuldeten Form, verlangen, soweit die entsprechenden Belege bei den Beklagten auch bereits elektronisch vorliegen. Die Klägerin hat demzufolge keinen Anspruch darauf, dass die Beklagten die bei ihnen vorhandenen Dokumente in eine elektronische Form überführen.“
236
Nach dieser Begründung soll die Klägerin keinen Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung in elektronischer Form haben und sollen die Beklagten nur Auskunft und Rechnungslegung in schriftlicher Form schulden. Zwischen dem Urteilstenor und den Entscheidungsgründen besteht damit ein offensichtlicher Widerspruch.
237
Bei dieser Sachlage erweist sich die Aussage des Tenors hier als maßgeblich. Denn bei einem Widerspruch zwischen Urteilstenor und Entscheidungsgründen ist grundsätzlich der Tenor maßgebend (BGH, NJW-RR 2011, 779 Rn. 36; Beschl. v. 19.04.2018 – V ZB 260/17, BeckRS 2018, 10100 Rn. 2; Musielak/Voit/Musielak/Wolff, 21. Aufl. 2024, ZPO § 313 Rn. 13; MüKoZPO/Musielak, 6. Aufl. 2020, ZPO § 313 Rn. 19; Zöller/Feskorn, 35. Aufl. 2024, § 313 Rn. 8; BeckOK ZPO/Elzer, 52. Ed. 01.03.2024, ZPO § 313 Rn. 134; vgl. auch BGH NJW 1997, 3447, 3448 und NJW 2003, 140, 141, für den Fall, dass die Entscheidungsgründe in sich widersprüchlich sind und einzelne Teile mit der Urteilsformel übereinstimmen). Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht daher den Berichtigungsantrag der Beklagten durch Beschluss vom 21.03.2024 (Anlage KLG 24) zurückgewiesen.
238
b)Die Klägerin kann auch Auskunft und Rechnungslegung in elektronischer Form beanspruchen.
239
Angesichts der weitgehenden Digitalisierung der Geschäftswelt kann der Gläubiger des Auskunfts- und Rechnungslegungsanspruchs regelmäßig vom Schuldner desselben verlangen, die Auskunft und Rechnungslegung in elektronisch auswertbarer Form zu erhalten. Als elektronisch auswertbare Form ist hierbei eine Form zu verstehen, bei der die Daten von einem Computer unmittelbar ausgewertet werden können – also beispielsweise Microsoft Excel. Nicht genügend ist dagegen die Übermittlung von digitalisierten Fotos oder Scans schriftlicher Dokumente (außer im Rahmen der Belegvorlage; vgl. Senat, Urt. v. 25.06.2020 – I-2 U 54/19; Urt. v. 13.08.2020 – I- 2 U 52/19, GRUR-RS 2020, 49189 Rn. 95 – WC-Sitzgelenk II; Urt. v. 13.08.2020 – I-2 U 10/19, GRUR-RS 2020, 44647 Rn. 105 – Zündkerze; BeckOK PatR/Fricke, 31. Ed. 15.1.2024, PatG § 140b Rn. 26 m.w.N.). Es entspricht den heutigen Gepflogenheiten im Geschäftsverkehr, dass die entsprechenden Daten beim Schuldner bereits digital verfügbar sind. Dementsprechend ist es ihm regelmäßig möglich und zumutbar, dem Gläubiger dasjenige elektronische Element zu überlassen, das ohnehin die Basis einer Auskunftserteilung und Rechnungslegung in Papierform bildet. Der Schuldner wird hierdurch offensichtlich nicht belastet und dem Gläubiger wird die Verwertung der Auskünfte zum Zwecke der weiteren Rechtsverfolgung entscheidend erleichtert. Liegen die entsprechenden Daten dem Schuldner ausnahmsweise nur in analoger Form vor, ist es ihm ein Leichtes, dies im Verletzungsprozess einzuwenden und seinen Einwand mit entsprechendem Sachvortrag zu untermauern. Unterbleibt dies, wie hier, besteht regelmäßig kein Grund, dem Gläubiger einen Anspruch auf Auskunftserteilung und Rechnungslegung in elektronischer Form zu versagen (Senat, Urt. v. 13.08.2020 – I-2 U 10/19, GRUR-RS 2020, 44647 Rn. 105 – Zündkerze; BeckOK PatR/Fricke, 31. Ed. 15.1.2024, PatG § 140b Rn. 26 m.w.N.; Kühnen, a.a.O., Kap. D Rn. 1000).
240
5.
241
Soweit im Übrigen die teilweise modifizierten Urteilsaussprüche von den ursprünglichen Klageanträgen bzw. den auf diesen beruhenden Urteilsaussprüchen des Landgerichts abweichen, erfolgt dies – entsprechend den Berufungsanträgen der Klägerin – zur Anpassung an die übliche Tenorierungspraxis des Senats. Wesentliche inhaltliche Änderungen sind hiermit nicht verbunden. So ist es insbesondere selbstverständlich, dass die Auskunftserteilung und Rechnungslegung unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses erfolgen muss, weshalb dies keiner besonderen Erwähnung im Urteilstenor bedarf (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.11.2021 – I-15 U 25/20, GRUR-RS 2021, 37635 Rn. 113 – Sanitäre Einsetzeinheit).
242
E.
243
Auf die zulässige Anschlussberufung der Klägerin war im Rahmen der Verurteilung der Beklagten zum Rückruf nach Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. § 140a Abs. 3 PatG (Tenor zu I. 5. des landgerichtlichen Urteils) auch auszusprechen, dass die Beklagten der Klägerin den Rückruf durch die Vorlage eines Musters ihrer Rückrufschreiben sowie einer Liste mit den Empfängern der Rückrufschreiben oder durch Kopien sämtlicher versendeter Rückrufschreiben nachzuweisen haben.
244
Soweit die Klägerin mit ihrer Anschlussberufung Bereicherungsansprüche für die Zeit vom 01.05.2021 bis 27.03.2022 (Zeitraum des zwischenzeitlichen Erlöschens des Klagepatents) weiterverfolgt, ist die Anschlussberufung hingegen unbegründet. Gleiches gilt, soweit die Klägerin die Beklagten für diesen Zeitraum weiterhin auf Auskunftserteilung und Rechnungslegung in Anspruch nimmt.
245
1.Zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes hat der Patentinhaber entgegen der Auffassung des Landgerichts Anspruch darauf, dass der Verletzer ihm den erfolgten Rückruf durch die Vorlage eines Musters seiner Rückrufschreiben sowie einer Liste mit den Adressaten des Rückrufschreibens oder durch Kopien sämtlicher versendeter Schreiben nachweist (Senat, GRUR 2022, 79 Rn. 7 – Rückrufvollstreckung I; Beschl. v. 24.09.2021 – I-2 W 19/21, GRUR-RS 2021, 28722 Rn. 7 – Rückrufvollstreckung II; OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.11.2021 – I-15 U 25/20, GRUR-RS 2021, 37635 Rn. 120 – Sanitäre Einsetzeinheit; BeckOK PatR/Fricke, 31. Ed. 15.01.2024, PatG § 140a Rn. 48.5; Kühnen, a.a.O., Kap. D Rn. 1106 u. 1120). Dessen bedarf es auch dann, wenn der Patentinhaber dank des ihm zuerkannten Auskunftsanspruchs nach § 140b PatG bereits eigene Kontrollmöglichkeiten besitzt, die er durch (ggf. stichprobenartige) Rückfrage bei den ihm benannten Abnehmern nutzen kann, um sich Gewissheit darüber zu verschaffen, ob der Verletzer die Verletzungsware tatsächlich aus den Vertriebswegen zurückgerufen hat (OLG Düsseldorf, GRUR 2022, 79 Rn. 7 – Rückrufvollstreckung I). Ob Muster und Liste bzw. Kopien aller versendeter Schreiben inhärenter Bestandteil der Rückrufpflicht und daher auch ohne entsprechende ausdrückliche Tenorierung im Urteil geschuldet sind, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Selbst wenn dies der Fall ist, ist eine entsprechende (ausdrückliche) Tenorierung zur Vermeidung jeglichen Streits über die entsprechende Verpflichtung des Verletzers sinnvoll und zweckmäßig (OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.11.2021 – I-15 U 25/20, GRUR-RS 2021, 37635 Rn. 120 – Sanitäre Einsetzeinheit; BeckOK PatR/Fricke, 31. Ed. 15.01.2024, PatG § 140a Rn. 48.5).
246
An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die Ausführungen der Beklagten geben zu einer anderweitigen Beurteilung keinen Anlass. Sie lassen insbesondere außer Acht, dass der von den Beklagten geschuldete Rückruf schriftlich zu erfolgen hat. Auch wenn § 140a PatG keine Vorgaben zu einer bestimmten Form des Rückrufs enthält und der Verletzer die im Einzelfall angemessene Rückrufhandlung grundsätzlich selbst bestimmen darf, hat der Rückruf regelmäßig schriftlich zu erfolgen, weil in aller Regel nur ein schriftlich formuliertes Rückrufschreiben dem Adressaten die Ernsthaftigkeit und Nachdrücklichkeit des Rückrufverlangens hinreichend deutlich vor Augen führt (Senat, Beschl. v. 27.08.2020 – I-2 W 16/20; BeckOK PatR/Fricke, 31. Ed. 15.01.2024, PatG § 140a Rn. 48.4). Das gilt auch im Streitfall.
247
2.Bereicherungsansprüche nach §§ 812 ff. BGB stehen der Klägerin wegen in der die Zeit zwischen dem Erlöschen und dem Wiederinkrafttreten des Klagepatents begangener Benutzungshandlungen nicht zu. Insoweit hat das Landgericht die Klage zu Recht abgewiesen.
248
a)
249
Der Senat nimmt insoweit zunächst vollinhaltlich Bezug auf die Ausführungen des Landgerichts unter II. 2. b), welche das Landgericht der Entscheidung „Schneeschieber“ des Senats (Urt. v. 21.03.2013 – I-2 U 92/11; GRUR-RR 2014, 1, 3) entnommen hat.
250
Danach wird durch die Wiedereinsetzung die versäumte und nachgeholte Handlung als rechtzeitig vorgenommen fingiert (BGH, GRUR 1995, 333, 334 – Aluminium-Trihydroxid; Benkard/Schacht, 12. Aufl. 2023, § 123 PatG Rn. 198; BeckOK PatR/Hofmeister, 31. Ed. 15.10.2023, PatG § 123 Rn. 40; vgl. auch BGH, GRUR 1963, 519, 522 – Klebemax; BGHZ 121, 194 = GRUR 1993, 460, 464 – Wandabstreifer). Der durch die Fristversäumung eingetretene Rechtsnachteil wird rückwirkend beseitigt (BGHZ 8, 284, 285 = NJW 1953, 423; BGHZ 98, 325 = NJW 1987, 327; Benkard/Schacht, a.a.O., § 123 Rn. 198). Eine in Folge nicht fristgemäß gezahlte Jahresgebühr verfallene Patentanmeldung lebt demgemäß durch die Wiedereinsetzung rückwirkend wieder auf (BGHZ 121, 194 = GRUR 1993, 460, 464 – Wandabstreifer; Benkard/Schacht, a.a.O., § 123 Rn. 198; BeckOK PatR/Hofmeister, 31. Ed. 15.10.2023, PatG § 123 Rn. 40) und ein aus demselben Grund erloschenes Patent tritt rückwirkend wieder in Kraft tritt (BGH, GRUR 1956, 265 – Rheinmetall-Borsig I; Benkard/Schacht, a.a.O., § 123 Rn. 198; BeckOK PatR/Hofmeister, 31. Ed. 15.10.2023, PatG § 123 Rn. 40). Der Wiedereinsetzung, mit der ein erloschenes Patent wieder in Kraft tritt, kommt allerdings keine Rückwirkung in dem Sinne zu, dass Benutzungshandlungen, die in der Zeit zwischen dem Erlöschen und dem Wiederinkrafttreten des Patents erfolgt sind, als rechtswidrig anzusehen wären (BGH, GRUR 1956, 265 – Rheinmetall-Borsig I; vgl. auch BGH, GRUR 1963, 519, 522 – Klebemax). Benutzungshandlungen, die in der Zeit zwischen dem Erlöschen und dem Wiederinkrafttreten vorgenommen wurden, bleiben vielmehr rechtmäßig (BeckOK PatR/Hofmeister, 31. Ed. 15.10.2023, PatG § 123 Rn. 41). Es entspricht deshalb gefestigter Rechtsprechung, dass Schadensersatzansprüche wegen Patentverletzung für den von der Wiedereinsetzung erfassten Zeitraum ausscheiden (BGH, GRUR 1956, 265, 268 – Rheinmetall-Borsig I; GRUR 1963, 519, 522 – Klebemax; BGHZ 121, 194 = GRUR 1993, 460, 464 – Wandabstreifer; vgl. auch Benkard/Schacht, a.a.O., § 123 Rn. 200; BeckOK PatR/Hofmeister, 31. Ed. 15.10.2023, PatG § 123 Rn. 41; Mes, 5. Aufl. 2020, PatG § 123 Rn. 68). Der Bundesgerichtshof (BGHZ 121, 194 = GRUR 1993, 460 – Wandabstreifer) hat auf dieser Grundlage ferner entschieden, dass der Patentanmelder im Fall der Wiedereinsetzung für Benutzungshandlungen in dem Zeitraum, in dem die Patentanmeldung wegen Nichtzahlung der Jahresgebühren verfallen war, keine Benutzungsentschädigung verlangen kann (vgl. auch Benkard/Schacht, a.a.O., § 123 Rn. 200; BeckOK PatR/Hofmeister, 31. Ed. 15.10.2023, PatG § 123 Rn. 42). Zur Begründung hat er u.a. ausgeführt, dass sich mit der Annahme, die Patentanmeldung sei infolge der Fristversäumung nur scheinbar verfallen, die Wiedereinsetzung offenbare, dass sie in Wahrheit in Kraft geblieben sei und mit der weiteren Erwägung, nach der vom Gesetzgeber getroffenen Güterzuordnung solle der Anmelder einen angemessenen Ausgleich dafür erhalten, dass er durch die Offenlegung eine technische Lehre der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und dadurch deren Benutzung durch Dritte ermöglicht habe, zwar ein Entschädigungsanspruch auch für den von der Wiedereinsetzung erfassten Zeitraum begründen ließe. Dies würde jedoch zu einem Wertungswiderspruch führen, weil der Inhaber eines erteilten Patents insoweit schlechter stände als der Anmelder einer lediglich offengelegten Patentanmeldung. Es sei deshalb angemessen, im Fall der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand den Entschädigungsanspruch des Anmelders einer offengelegten, wegen Nichtzahlung der Jahresgebühren verfallenen Patentanmeldung für den von der Wiedereinsetzung erfassten Zeitraum auszuschließen. Dieser Ausschluss des Entschädigungsanspruchs begegne auch unter dem Blickwinkel der Billigkeit keinen Bedenken, weil der Anmelder durch eine in seine Rechtssphäre fallende Handlung, nämlich die Versäumung der Zahlung der Jahresgebühren, gegenüber Dritten den Rechtsschein erzeugt habe, die mit der offengelegten Anmeldung offenbarte Lehre sei gemeinfrei geworden (BGHZ 121, 194 = GRUR 1993, 460, 464 – Wandabstreifer).
251
Nach diesen vom Bundesgerichtshof zur Wiedereinsetzung entwickelten Rechtsgrundsätzen wird eine ursprünglich rechtmäßige Benutzungshandlung damit nicht nachträglich zu einer rechtswidrigen Benutzungshandlung und die Benutzung einer offengelegten, aber verfallenen Patentanmeldung wird nicht nachträglich entschädigungspflichtig (BGH, GRUR 1956, 265 – Rheinmetall-Borsig I; BGHZ 121, 194 = GRUR 1993, 460 – Wandabstreifer; vgl. ferner Senat, GRUR-RR 2014, 1, 3 – Schneeschieber).
252
b)
253
Hiervon ausgehend scheiden bei einem rückwirkend wieder in Kraft getretenen Patent auch Bereicherungsansprüche nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB wegen in der Zeit zwischen dem Erlöschen und dem Wiederinkrafttreten des Klagepatents begangener Benutzungshandlungen aus.
254
Rechtlicher Anknüpfungspunkt für einen hier allein in Betracht kommenden Bereicherungsanspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB ist die Verletzung einer Rechtsposition, die nach der Rechtsordnung dem Berechtigten zu dessen ausschließlicher Verfügung und Verwertung zugewiesen ist. Der erlangte Vermögensvorteil muss dem Zuweisungsgehalt der verletzten Rechtsposition widersprechen. Der Zuweisungsgehalt der geschützten Rechtsposition entspricht einem Verbotsanspruch des Rechtsinhabers, in dessen Macht es steht, die Nutzung des Rechtsguts einem sonst ausgeschlossenen Dritten zur wirtschaftlichen Verwertung zu überlassen. Der Eingriffskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB unterliegt danach jeder vermögensrechtliche Vorteil, den der Erwerber nur unter Verletzung einer geschützten Rechtsposition und der alleinigen Verwertungsbefugnis des Rechtsinhabers erlangen konnte (BGH, GRUR 1990, 221, 222 – Forschungskosten, m.w.N.; GRUR 2012, 417 Rn. 40 – gewinn.de; NJW 2013, 781 Rn. 23).
255
Soweit auf der Grundlage dieser sog. Zuweisungstheorie in der Literatur (v. Maltzahn, GRUR 1993, 464) vereinzelt ein Bereicherungsanspruch des Patentinhabers nach § 812 BGB wegen in der Zeit zwischen dem Erlöschen und dem Wiederinkrafttreten eines Patents vorgenommener Benutzungshandlungen für möglich erachtet wird, vermag der Senat dem nicht zu folgen (so auch BeckOK PatR/Hofmeister, 31. Ed. 15.10.2023, PatG § 123 Rn. 41.1).
256
Im Falle der Benutzung eines fremden Patents setzt die Anwendung des Bereicherungsrechts nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Rechtswidrigkeit der Benutzungshandlung voraus (BGHZ 68, 90, 99 = GRUR 1977, 250 – Kunststoffhohlprofil I; BGH, GRUR 1979, 48, 50 – Straßendecke; vgl. ferner BeckOK PatR/Hofmeister, 31. Ed. 15.10.2023, PatG § 123 Rn. 41.1; Staudinger/Lorenz (2007) Vorbem. zu §§ 812 ff, Rn. 65; BeckOK PatR/Pitz, 31. Ed. 15.01.2024, PatG § 139 Rn. 91). Im Regelfall bedeutet die widerrechtliche Nutzung eines Patents, dass diese auch entgegen seines Zuweisungsgehalts genutzt wurde (vgl. auch Staudinger/Lorenz (2007) Vorbem. zu §§ 812 ff, Rn. 65). In diesem Fall liegt die Verletzung einer Rechtsposition vor, die nach der Rechtsordnung dem Berechtigten zu dessen ausschließlicher Verfügung und Verwertung zugewiesen ist. In Bezug auf den hier in Rede stehenden Zeitraum fehlt es jedoch an einer rechtswidrigen Benutzungshandlung, weil Benutzungshandlungen in der Zwischenzeit zwischen dem Erlöschen des Patents und seinem Wiederinkrafttreten infolge Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht als widerrechtlich angesehen können.
257
Zwar kann bei der Beantwortung der Frage, ob ein Widerspruch zur rechtlichen Güterzuordnung anzunehmen ist, im Einzelfall nicht immer allein auf die Widerrechtlichkeit abgestellt werden (vgl. Grüneberg/Sprau, BGB, 82. Aufl. 2023, § 812 Rn. 44). Unter Umständen kann auch ein rechtmäßiger Eingriff einen Vorgang darstellen, der dem vermögensrechtlichen Zuweisungsgehalt widerspricht, wenn mit der Eingriffserlaubnis keine sachliche Zuweisung verbunden ist (vgl. BGH, GRUR 2010, 817 Rn. 36 – Steuervorrichtung; BeckOK BGB/Wendehorst, 69. Ed. 01.02.2024, BGB § 812 Rn. 123). Solches kann hier aber nicht angenommen werden. Vielmehr sprechen die sich aus der oben wiedergegebenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergebenden Wertungen auch gegen einen Bereicherungsanspruch des Patentinhabers nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB. Bei normativer Betrachtung fehlt es hinsichtlich des in Rede stehenden Zeitraums an der Verletzung einer Rechtsposition des Patentinhabers, die ihm nach der Rechtsordnung zu seiner ausschließlichen Verfügung und Verwertung zugewiesen ist. Der Ausschluss eines Bereicherungsanspruchs begegnet auch unter dem Blickwinkel der Billigkeit keinen Bedenken, weil der Patentinhaber durch eine in seine Rechtssphäre fallende Handlung, nämlich die Versäumung der Zahlung der Jahresgebühr, gegenüber Dritten den Rechtsschein erzeugt habe, die durch das Patent geschützte technische Lehre sei gemeinfrei geworden. An diesem von ihm selbst erzeugten Rechtsschein muss er sich festhalten lassen.
258
3.Mangels eines Bereicherungsanspruchs steht der Klägerin für den von der Wiedereinsetzung erfassten Zeitraum auch kein der Bezifferung eines solchen Anspruchs dienender Rechnungslegungsanspruch nach § 242 BGB zu. Ebenso besteht für diesen Zeitraum kein (selbständiger) Auskunftsanspruch nach § 140b Abs. 1 PatG, weil es an einer rechtswidrigen Patentbenutzung fehlt (vgl. BeckOK PatR/Fricke, 31. Ed. 15.01.2024, PatG § 140b Rn. 2).
259
III.
260
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 97 Abs. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO.
261
Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 108 ZPO.
262
Für eine Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung, weil die in § 543 ZPO aufgestellten Voraussetzungen dafür ersichtlich nicht gegeben sind. Es handelt sich um eine reine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung, mit der der Bundesgerichtshof auch nicht im Interesse einer Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung befasst werden muss (§ 543 Abs. 2 ZPO).