OLG Frankfurt a.M.: Facebook-Konto kann nicht per einstweiliger Verfügung freigeschaltet werden

veröffentlicht am 19. April 2023

OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 27.03.2023, Az. 17 W 8/23
§ 940 ZPO

Das OLG Frankfurt a.M. hat entschieden, dass ein nach einem Hackerangriff gesperrtes Facebook-Konto, nicht per einstweiliger Verfügung freigeschaltet werden kann. Der Verfügungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Verfügung müsse besonders begründet werden und werde nicht indiziert. Statt einer einstweiligen Verfügung auf Freischaltung des Kontos könne es auch ausreichen, wenn Facebook die Löschung des Kontos untersagt werde. Die Entscheidung ist nicht anfechtbar. Zum Volltext der Entscheidung:

Oberlandesgericht Frankfurt a.M.

Beschluss

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.

Der Gebührenstreitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich mit der sofortigen Beschwerde gegen die teilweise Zurückweisung ihrer im einstweiligen Verfügungsverfahren vor dem Landgericht Hanau gestellten Anträge, mit denen sie, jeweils strafbewehrt, im Hauptantrag die Wiederherstellung unter Einräumung der Nutzungsmöglichkeit ihres von der Antragsgegnerin am 25. Januar 2023 gesperrten und deaktivierten Plattform1-Kontos oder (primär) hilfsweise die Unterlassung der Deaktivierung und Sperrung dieses Kontos erreichen will.

Hierzu hat die Antragstellerin unterstützt durch ihre eidesstattliche Versicherung behauptet, sie gehe davon aus, dass sich Dritte mittels eines „Hackerangriffs“ wahrscheinlich unbefugten Zugriff auf ihr Plattform1-Konto verschafft hätten. Sie habe sich dann nach der Benachrichtigung der Antragsgegnerin am 25. Januar 2023 in ihr Konto eingewählt und gesehen, dass dort fünfzehn Beiträge gegen die Gemeinschaftsstandards verstoßen haben sollen. Die von der Antragsgegnerin grundsätzlich eröffneten Möglichkeiten zur Erläuterung und Abhilfe habe sie – ohne Erfolg – frequentiert.

Die Antragstellerin hat auf die regelmäßige Nutzung ihres Plattform1-Kontos, das mit ihrem Plattform2-Konto verknüpft sei, verwiesen. Dies stelle eine für sie im privaten Gebrauch wesentliches Kommunikationsmittel dar, das sie schon seit 2009 nutze und mittels dessen sie auch auf Bilder zugreifen und sich in den Gruppen austauschen könne.

Das Landgericht hat mit der angefochtenen Entscheidung dem Hilfsantrag zu 3 der Antragsschrift stattgegeben, wonach es der Antragsgegnerin strafbewehrt verboten hat, das gesperrte und deaktivierte Plattform1-Konto der Antragstellerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens unwiederbringlich zu löschen.

Das Landgericht hat den Verfügungsanspruch der Antragstellerin bejaht und mit Blick auf den Haupt- und den Hilfsantrag zu 1 ein Eilbedürfnis und damit einen Verfügungsgrund verneint, weil insoweit die Voraussetzungen für eine Leistungs-, Erfüllungsverfügung nicht vorlägen.

Hiergegen wendet sich die sofortige Beschwerde, mit der die Antragstellerin darauf verweist, ihr sei mit dem Löschungsverbot angesichts ihrer bevorzugten Nutzung des Kontos zum Zwecke der gesellschaftlichen Kommunikation bis zum Abschluss des Hauptverfahrens nicht gedient.

Das Landgericht hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen. Die Antragsgegnerin ist in das Verfahren mit Ausnahme ihrer formalen Stellung als Antragsgegnerin nicht eingebunden.

II.
Die sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Landgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit Blick auf den Hauptantrag und den Hilfsantrag zu 1 zu Recht zurückgewiesen, weil es an den Voraussetzungen der besonderen Dringlichkeit einer Regelungsverfügung mangelt.

Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob es in Bezug auf den Hilfsantrag zu 1 bereits am Rechtschutzbedürfnis wegen des jedenfalls inhaltsähnlichen Hauptverfügungsantrags fehlt.

Die sachlich/örtliche Zuständigkeit des Landgerichts und des Senats sind in Übereinstimmung mit dem Landgericht gegeben. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird mit Blick darauf als auch wegen der auch hier vereinbarungsgemäß maßgeblichen Anwendbarkeit deutschen Rechts auf BGH, Urteil vom 27. Januar 2022 – III ZR 4/21 -, Rn. 16, 22, juris und OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 30. Juni 2022 – 16 U 229/20 -, Rn. 44 und 46, juris verwiesen.

Ob schließlich in Bezug auf die vorbezeichneten Anträge der Antragstellerin ein Verfügungsanspruch zur Seite steht (vgl. zum Anspruchsgrund BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – III ZR 179/20 -, Rn. 27, juris), kann ebenso offen bleiben wie die (Un-)Maßgeblichkeit der hier zugrundeliegenden AGB (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – III ZR 179/20 -, Rn. 51ff, juris).

Gemäß § 940 ZPO sind einstweilige Verfügungen auch zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, sofern diese Regelung, insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder {…} aus anderen Gründen nötig erscheint.

Der zwischen den Verfahrensparteien geschlossene Nutzungsvertag ist ein Dauerschuldverhältnis.

Der Verfügungsgrund ist in der verfahrensgegenständlichen Konstellation jedoch deshalb nicht gegeben, weil die darlegungsbelastete Verfügungsklägerin keine hinreichenden Gründe für eine Dringlichkeit der Angelegenheit vorgetragen hat.

Diese wäre beispielsweise beim drohenden Eintritt eines irreparablen Zustands zu bejahen. Dagegen fehlt die Dringlichkeit, wenn für den Antragsteller im Falle seiner Verweisung auf das Hauptsacheverfahren keine Nachteile ersichtlich werden oder wenn die Antragstellerin keines vorläufigen Rechtsschutzes durch eine einstweilige Verfügung – die das Ziel hat, einen möglichen Anspruch vorläufig „in der Waage zu halten“ und der Gefahr vorzubeugen, dass durch die tatsächlichen Umstände die Durchsetzung eines solchen Anspruchs im Wege einer Klage zur Hauptsache vereitelt oder wesentlich erschwert würde – nicht bedarf, weil sie ihre Rechte einstweilen selbst gewahrt hat (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 7. Oktober 2022 – 3 U 2178/22 -, Rn. 16, juris).

Die – vorliegend – auf Erfüllung gerichtete Leistungsverfügung setzt neben dem Bestehen des geltend gemachten Anspruchs ein dringendes Bedürfnis für die begehrte Eilmaßnahme voraus. Der Gläubiger muss auf die sofortige Erfüllung seines Anspruchs dringend angewiesen sein, was darzulegen und glaubhaft zu machen ist. Entwickelt wurde die Leistungsverfügung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG bei Bestehen einer dringenden Not-/Zwangslage sowie im Falle einer Existenzgefährdung des Gläubigers. Sie ist auch zulässig, wenn die geschuldete Handlung so kurzfristig zu erbringen ist, dass die Erwirkung eines Vollstreckungstitels im ordentlichen Verfahren nicht möglich ist und die Verweisung des Gläubigers auf die Erhebung einer Klage zur Hauptsache praktisch einer Rechtsverweigerung gleichkäme (vgl. OLG München, Beschluss vom 12. Dezember 2018 – 18 W 1873/18 -, Rn. 25, juris, mwN).

Gemessen daran fehlt es vorliegend an einem Verfügungsgrund.

Die Antragstellerin ist mittels des von dem Landgericht veranlassten Verbots der Kontolöschung durch die Antragsgegnerin hinreichend gegen den Verlust der von ihr benötigten und über ihr Konto abrufbaren Dateien gesichert. Dass die Antragstellerin seit dem 25. Januar 2023 und ggf. bis zum Abschluss des Rechtsstreits zur Hauptsache, in dem die Aufhebung der Kontosperre und der Deaktivierung begehrt werden kann, auf die aktive (und wohl auch passive) Nutzung des Plattform1-Kontos verzichten müsste, wäre von ihr hinzunehmen. Im Gegensatz zu den von der Antragstellerin bemühten Entscheidungen zum Verfügungsgrund bei einer Kontosperre geht es vorliegend nicht um den Verlust einer fünfstelligen Zahl von Followern wie in der von der Antragstellerin vorgelegten (nicht veröffentlichten) Entscheidung des OLG Köln oder gar um die Einschränkung der bei der drittbezogenen Grundrechtsabwägung maßgeblich in Betracht zu ziehenden politischen Betätigungsfreiheit (vgl. hierzu BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 22. Mai 2019 – 1 BvR 42/19 -, Rn. 18, juris; Hanseatisches Oberlandegericht Hamburg, Beschluss vom 29. Juni 2022 – 15 W 32/22 -, Rn. 69ff., juris). Die Antragstellerin beruft sich ausschließlich auf ihre private Kontaktpflege und die damit einhergehende Kommunikation. Dass sie vorübergehend diese Kontakte – und sei es eingeschränkt – nicht über anderen soziale Medien bedienen kann, hält der Senat für fernliegend. Vorliegend steht weiterhin im Raum, dass das Plattform1-Konto von Dritten unberechtigt genutzt worden sein soll. Dass eine weitergehende derartige Nutzung im Falle der Aktivierung des Kontos bereits im Verlauf des einstweiligen Verfügungsverfahrens verhindert wird, ist nicht dargelegt. Dies gilt umso mehr, als die Antragstellerin darauf verweist, (auch) auf dem PC zuhause sei ein Trojaner gefunden worden. Ungeachtet dessen schaltete die Antragsgegnerin mittlerweile gemäß den Darlegungen in der Beschwerderechtfertigung nach Übermittlung der Beschlussverfügung des Landgerichts in dieser Sache den Plattform1-Account und das Plattform2-Konto der Antragstellerin frei. Der Inhalt der fünfzehn Beiträge, die von der Antragsgegnerin zum Anlass genommen worden sein sollen, das Konto zu sperren, wird zudem nicht zur Kenntnis gebracht. Soweit das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg (vgl. aaO, Rn. 71) meint, in derartigen Fällen stehe keine „zusätzliche Leistungsposition“ der Antragsgegnerin im Raum, vermag der Senat sich dem vorliegend nicht auszuschließen, weil die Geltendmachung vertraglicher Ansprüche, seien sie auf Erfüllung oder Rechtsgestaltung gerichtet, immer mit einer Leistungsposition verknüpft sind. Bei der Abwägung des Interesses der Antragsgegnerin an der Sperrung des Kontos ist ferner die Gefahr der Sanktionierung verbotener Inhalte gemäß § 4 NetzDG zu berücksichtigen sowie jedenfalls grundsätzlich nicht ausschließbare Ansprüche (vgl. hierzu OLG Frankfurt, Urteil vom 30. Juni 2022 – 16 U 229/20 -, Rn. 127ff., juris) des Nutzers und Vertragspartners für den Fall einer Fortführung des Kontos bei nicht ausschließbarem Verdacht des unberechtigten Zugriffs Dritter.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Senat hat den Gebührenstreitwert für das Beschwerdeverfahren auf 10.000,00 € festgesetzt, weil die Antragstellerin sich gegen die Zurückweisung ihrer Anträge auf Aufhebung der Sperrung des Plattform1-Kontos wendet. Zwischen den Anträgen im Übrigen besteht wirtschaftliche Identität. Der Senat hat bei der Bemessung des Gebührenstreitwerts gemäß §§ 47 Abs. 2, 48 GKG bedacht, dass vorliegend keine vorübergehende Sperre vorliegt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2020 – III ZR 76/20 -, Rn. 15, juris).

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