OLG Frankfurt a.M.: Kostenerstattung für auswärtigen Rechtsanwalt auch bei Sozietätsniederlassung am Prozessgericht

veröffentlicht am 20. Mai 2020

OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 24.03.2020, Az. 18 W 32/20
§ 91 Abs. 2 S. 1 ZPO, § 103 ZPO, § 104 ZPO, § 572 Abs. 1 S. 1 ZPO

Das OLG Frankfurt a.M. hat entschieden, dass der Kostengläubiger gemäß § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO auch die Erstattung der Reisekosten seines Prozessbevollmächtigten als Anwalt seines Vertrauens verlangen kann, wenn dieser Mitglied einer überörtlichen Partnerschaftsgesellschaft ist, die auch über eine Niederlassung am Ort des Prozessgerichts verfügt, solange die Niederlassungen selbständig organisiert sind. Allerdings soll es nach Ansicht des Senats anders aussehen, wenn der Rechtsanwalt am Gerichtsort eine Zweigstelle seiner Kanzlei betreibt, weil sowohl Hauptsitz als auch Zweigstelle zum Betrieb derselben Kanzlei gehören. Ein wesentlicher Grund für die Beauftragung des Rechtsanwalts – mag er auch an einem anderen Ort ansässig sein – seineben der räumlichen Nähe für persönliche Beratungen auch und gerade das besondere Vertrauensverhältnis zu diesem. Zu den Mitgliedern der Sozietätsniederlassung bei dem Prozessgericht bestünde zwar formal ein Mandats-, aber typischerweise kein Vertrauensverhältnis. Zum Volltext der Entscheidung:


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Oberlandesgericht Frankfurt a.M.

Beschluss

Die Beschwerdesache wird zur erneuten Entscheidung darüber, ob der sofortigen Beschwerde der Klägerin vom 06.11.2019 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 21.10.2019 abzuhelfen ist, an das Landgericht Frankfurt am Main zurückgegeben.

Gründe

1.
Die Sache ist zur erneuten Entscheidung über die Abhilfe an das Landgericht zurückzugeben, weil das Verfahren zur Entscheidung über die Abhilfe gemäß § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden ist.

Bei der Entscheidung, ob der sofortigen Beschwerde im Umfange der Anfechtung abzuhelfen ist, hätte das Landgericht auch prüfen müssen, ob der gemeinsame Kostenfestsetzungsantrag der Beklagten vom 15.10.2019 zulässig ist. Diese Zulässigkeitsprüfung hat das Landgericht jedoch unterlassen, was sich daraus ergibt, dass es weder in den Gründen des angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschlusses noch in denen des Nichtabhilfebeschlusses vom 04.03.2020 Ausführungen zur Zulässigkeit des Festsetzungsantrages gemacht hat. Eine Auseinandersetzung mit dieser Frage wäre indes erforderlich gewesen, weil Kostenfestsetzungsanträge wie der vorliegende nach ständiger Rechtsprechung des Senats unzulässig sind (vgl. Beschl. v. 05.03.2012 – 18 W 48/12; Beschl. v. 16.12.2013 – 18 W 168/13; Beschl. v. 09.03.2015 – 18 W 236/14; Beschl. v. 30.06.2017 – 18 W 111/17).

a)
Die Beklagten haben als Streitgenossen einen gemeinsamen Kostenfestsetzungsantrag gestellt, der nicht erkennen lässt, zugunsten welches Antragstellers welcher Erstattungsbetrag verlangt wird. Auch wenn ein einheitlicher Festsetzungsantrag nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist, so muss daraus doch zumindest deutlich werden, in welchen Beteiligungsverhältnissen oder – bei gleicher Beteiligung am Rechtsstreit – in welcher Gläubigerstellung die Streitgenossen die Festsetzung begehren (BeckOK-ZPO/Jaspersen, 35. Ed., § 103 Rn. 31). Dabei mag bei gleicher Beteiligung am Rechtsstreit im Verhältnis zum Prozessgegner oftmals eine Teilgläubigerschaft naheliegen, die nach der Auslegungsregel des § 420 BGB die Streitgenossen dann im Zweifel auch zu gleichen Anteilen berechtigt (vgl. BGH, NJW 2013, 2826 f.; BeckOK-BGB/Gehrlein, 53. Ed., § 420 Rn. 3; MüKo-ZPO/Schulz, 5. Aufl., § 100 Rn. 29). Zwingend ist dies jedoch nicht. Denn bei Stellung eines gemeinsamen Kostenfestsetzungsantrages kann – unbeschadet der Fälle einer Bruchteils- oder Gesamthandsgemeinschaft nach § 432 BGB – auch die Geltendmachung des Kostenerstattungsanspruchs als Gesamtgläubiger gemäß § 428 BGB gewollt sein (zur entsprechenden Auslegung eines hierauf ergangenen Kostenfestsetzungsbeschlusses BGH, Rpfleger 1985, 321 = BeckRS 1985, 31078544; OLG Hamm, NZM 2006, 632, 633). Dies ist auch deshalb von Bedeutung, weil ein solcher Antrag zur Ablehnung der Festsetzung führen müsste, sofern die maßgebliche Kostengrundentscheidung nicht ausnahmsweise eine Gesamtgläubigerschaft der Streitgenossen vorsieht (vgl. Senat a.a.O.).

Das Landgericht hätte daher schon bei der Entscheidung über den Festsetzungsantrag der Beklagten, spätestens aber bei der Entscheidung über die Abhilfe die Unzulässigkeit des Antrags erkennen und die Parteien gemäß § 139 Abs. 3 ZPO hierauf aufmerksam machen müssen, um den Beklagten Gelegenheit zur Einreichung eines zulässigen Festsetzungsantrages zu geben. Dies hat nunmehr im erneut durchzuführenden Verfahren zur Entscheidung über die Abhilfe zu geschehen.

b)
Im Rahmen der erneuten Abhilfeprüfung wird allerdings zu berücksichtigen sein, dass sich diese – wie auch die Zugrundelegung eines neuen Festsetzungsantrages – allein auf die in Streit stehenden Positionen der Reisekosten sowie des Tage- und Abwesenheitsgeldes nach den Nrn. 7004, 7005 VV RVG erstrecken kann. Denn nur insoweit hat die Klägerin den Kostenfestsetzungsbeschluss angefochten, der im Übrigen in Rechtskraft erwachsen und damit einer Abänderung nicht mehr zugänglich ist.

c)
Sollten die Beklagten auf den zu erteilenden Hinweis einen zulässigen Festsetzungsantrag stellen, wird weiter zu bedenken sein, dass insoweit eine Verzinsung der noch festzusetzenden Beträge gemäß § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO auch erst mit Eingang eines zulässigen Kostenfestsetzungsantrages in Betracht kommt.

2.
In der Sache weist der Senat für den Fortgang des weiteren Verfahrens darauf hin, dass die Festsetzung der Reisekosten sowie des Tage- und Abwesenheitsgeldes grundsätzlich nicht zu beanstanden ist.

a)
Der Kostengläubiger kann gemäß § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO auch dann die Erstattung der Reisekosten seines Prozessbevollmächtigten verlangen, wenn dieser seinen Sitz am dritten Ort hat und zugleich Mitglied einer überörtlichen Sozietät ist, die auch über eine Niederlassung am Ort des Prozessgerichts verfügt (vgl. BVerwG, NJW 2017, 3542, 3543; ferner Senat, Beschl. v. 13.08.2015 – 18 W 140/15 zu einer Partei mit Sitz im Ausland).

Zwar ist es ein wesentliches Argument für die Erstattungsfähigkeit der Reisekosten des Rechtsanwalts, dass der Auftraggeber oftmals auf eine räumliche Nähe für ein persönliches Beratungsgespräch achten wird (vgl. BeckOK-ZPO/Jaspersen, § 91 Rn. 170 m.w.N.). Diese Nähe ist bei der Beauftragung eines Rechtsanwalts am dritten – und hier weit von dem eigenen Sitz entfernt liegenden – Ort (Hamburg-Berlin) freilich ebenso wenig gegeben wie bei der Inanspruchnahme eines Rechtsanwaltes aus der Niederlassung am Ort des Prozessgerichts (Frankfurt am Main). Gleichwohl muss sich der Auftraggeber bei Verzicht auf räumliche Nähe zu seinem Bevollmächtigten nicht darauf verweisen lassen, er habe genauso gut einen Bevollmächtigten aus der Niederlassung am Ort des Prozessgerichts wählen können und aus Gründen der Kostenschonung wählen müssen. Denn ein wesentlicher Grund für die Beauftragung des Rechtsanwalts – mag er auch an einem dritten Ort ansässig sein – ist neben der räumlichen Nähe für persönliche Beratungen auch und gerade das besondere Vertrauensverhältnis (vgl. BGH, NJW 2008, 2122, 2124; NJW-RR 2012, 695, 696; Senat, Beschl. v. 28.05.2015 – 18 W 107/15; Beschl. v. 30.07.2015 – 18 W 136/15; MüKo-ZPO/Schulz, § 91 Rn. 75).

Dieses Vertrauensverhältnis, das auf Aktenkenntnis oder auf langjähriger Beratung und erfolgreicher Zusammenarbeit gründen kann, ist als ein rechtlich anzuerkennender Vorteil aus der Sicht des Mandanten zu berücksichtigen (BGH, NJW 2008, 2122, 2124; NJW-RR 2012, 695, 696, jew. unter Hinw. auf BVerfGE 103, 1, 16). Zwar darf auch dieses besondere Vertrauensverhältnis nicht dazu führen, dass der Kostengläubiger jedwede Mehrkosten für die Inanspruchnahme seines „Hausanwaltes“ auf den Gegner abwälzt (vgl. MüKo-ZPO/Schulz, § 91 Rn. 70). In den Grenzen der notwendigen (fiktiven) Reisekosten des Prozessbevollmächtigten am Sitz der Partei bleiben sie aber erstattungsfähig, auch wenn sich der Sitz des Prozessbevollmächtigten am dritten Ort befindet (vgl. BGH, NJW-RR 2007, 1561, 1562; NJW-RR 2012, 695, 696; BeckOK-ZPO/Jaspersen, § 91 Rn. 173; Musielak/Voit/Flockenhaus, ZPO, 16. Aufl., § 91 Rn. 18). Von diesem Grundsatz abzuweichen besteht selbst dann keine Veranlassung, wenn die überörtliche Sozietät des Rechtsanwalts zugleich am Ort des Prozessgerichts vertreten ist. Denn zu deren Mitgliedern wird zwar formal ein Mandats-, aber typischerweise kein Vertrauensverhältnis bestehen (BGH, NJW 2008, 2122, 2124; Senat, Beschl. v. 13.03.2014 – 18 W 12/14; Beschl. v. 30.07.2015 – 18 W 136/15; Beschl. v. 03.09.2015 – 18 W 40/15; MüKo-ZPO/Schulz, § 91 Rn. 74).

Dabei findet auch keine Überprüfung statt, ob und inwieweit das Vertrauensverhältnis zum Prozessbevollmächtigten im Einzelfall gegeben war (BGH, NJW-RR 2012, 695, 696; Senat, Beschl. v. 13.03.2014 – 18 W 12/14; Beschl. v. 28.05.2015 – 18 W 107/15; Beschl. v. 03.09.2015 – 18 W 40/15). Gleiches gilt für die Frage, welcher der in Betracht kommenden Rechtsanwälte am besten in die Materie eingearbeitet war, die Schriftsätze gezeichnet oder tatsächlich den Termin wahrgenommen hatte (zum Letztgenannten BGH, NJW 2008, 2122, 2124; MüKo-ZPO/Schulz, § 91 Rn. 74). Denn dies liefe auf eine Einzelfallkontrolle hinaus, die dem auf Vereinfachung angelegten Kostenrecht grundsätzlich fremd ist. Der Gerechtigkeitsgewinn, der bei einer übermäßig differenzierenden Betrachtung zu erzielen ist, steht in keinem Verhältnis zu den sich einstellenden Nachteilen, wenn in nahezu jedem Einzelfall darüber gestritten werden könnte, ob die Kosten einer bestimmten Rechtsverfolgungs- oder Rechtsverteidigungsmaßnahme zu erstatten sind oder nicht (vgl. BGH, NJW 2003, 901, 902; NJW 2008, 2122, 2124; NJW-RR 2012, 695, 696; Senat, Beschl. v. 03.09.2015 – 18 W 40/15; Beschl. v. 20.06.2016 – 18 W 107/16; Beschl. v. 28.10.2019 – 18 W 180/19).

b)
Zu keiner anderen Beurteilung führt der Umstand, dass eine der drei Beklagten ihren Sitz unmittelbar am Ort des Prozessgerichts hat. Bei isolierter, auf die Beklagte zu 3) ausgerichteter Betrachtung wäre die Erstattungsfähigkeit von Reisekosten zwar abzulehnen. Anders ist es jedoch in der Gesamtschau aller Beklagter, weil die Einigung auf einen Prozessbevollmächtigten am dritten Ort günstiger war, als wenn die Beklagten zu 1) und 2) sowie die Beklagte zu 3) jeweils getrennt voneinander Prozessbevollmächtigte mandatiert hätten. Der Umstand, dass die Klägerin zugleich die am Gerichtsort ansässige Beklagte zu 3) mitverklagt hatte, führte nicht dazu, dass die Beklagten zu 1) und 2) ihrerseits gehalten gewesen wären, sich ebendort einen Prozessbevollmächtigten suchen zu müssen. Insoweit kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden.

c)
Schließlich ist die Kostenerstattung nicht deswegen zu versagen, weil es sich – wie die Klägerin meint – um keine Geschäftsreise gehandelt habe. Zwar ist eine erstattungsfähige Geschäftsreise im Sinne der Vorbemerkung 7 Abs. 2 VV RVG zu verneinen, sofern der Rechtsanwalt am Gerichtsort eine Zweigstelle seiner Kanzlei betreibt, weil sowohl Hauptsitz als auch Zweigstelle zum Betrieb derselben Kanzlei gehören (vgl. OLG Dresden, NJW 2011, 869; OLG Koblenz, NJW-RR 2015, 1408; Saenger/Gierl, ZPO, 8. Aufl., § 91 Rn. 47; Zöller/Herget, ZPO, 33. Aufl., § 91 Rn. 13.79). Diese Erwägungen greifen aber dann nicht, wenn es sich – wie hier – um eine überörtliche Partnerschaftsgesellschaft handelt, die an den jeweiligen Standorten eigenständige Niederlassungen betreibt (BVerwG, NJW 2017, 3542, 3543; Schneider, NJW-Spezial 2018, 91). Dabei ist es ohne Belang, ob sich die Sozietät in ihren Internetauftritten als „geschlossene Einheit“ präsentiert, solange die Niederlassungen selbständig organisiert sind.

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