OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 31.05.2024, Az. 16 W 14/14
§ 1004 Abs. 1 S. 2 BGB, § 823 Abs. 1 BGB, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 19 Abs. 3 GG
Das OLG Frankfurt a.M. hat entschieden, dass eine Verletzung des Unternehmenspersönlichkeitsrechts ausscheidet, wenn der herabsetzende medienwirksame Vorwurf betrügerischer Machenschaften substanzarm bleibt, also nicht mit substantiellen Tatsachenbehauptungen einhergeht. Allerdings dürfe die Herabsetzung nicht willkürlich aus der Luft gegriffen sein. Im vorliegenden Fall war eine mediale Berichterstattung vorausgegangen. Zum Volltext der Entscheidung:
Oberlandesgericht Frankfurt am Main
Urteil
…
Die sofortige Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Landgerichts Frankfurt a.M. vom 9.1.2024 – 2-03 O 594/23 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Antragsteller zu tragen.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 20.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Mit ihrer sofortigen Beschwerde wenden sich die Antragsteller gegen die Zurückweisung ihres Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen eine an Aktionäre der Antragstellerin zu 1) gerichteten E-Mail des Antragsgegners vom 7.8.2023.
1. Die Antragstellerin zu 1) ist ein zur „X Group“ gehörendes internationales Erdöl- und Erdgasexplorations- und produktionsunternehmen mit Tätigkeitsschwerpunkt in Land3, das bis zum 26.7.2023 als „X Land1 AG“ firmierte. Der Antragsteller zu 2) ist ihr CEO. Über beide in der Land1 ansässige Antragsteller wurde in der Vergangenheit mit dem Vorwurf betrügerischer Machenschaften mehrfach im Magazin „Kassensturz“ des Land1er Radios und Fernsehens durch dessen Redakteur A berichtet. Gegen beide führen die Antragsteller mehrere Gerichtsverfahren, in deren Zuge sie teilweise auch obsiegten und, im Februar 2023, Unterlassungsverfügungen erwirkt haben.
Am 7.8.2023 versandte der Antragsgegner – nach Vermutung der Antragsteller in Zusammenwirken mit dem unterlassungspflichtigen A – eine an eine Vielzahl auch deutscher Aktionäre der Antragstellerin zu 1) gerichtete E-Mail (Anl. LHR 2, Bl. 26 dA) mit folgendem Inhalt:
„Guten Abend liebe Geschädigte der X
Ein Aktionär berichtet mir, dass B an der GV eine Stunde lang nur Lügen verbreitet hat und das Land1er Fernsehen, Herr A und Handlager wie ich an der Misere schuld seien.
Die Namensänderung der X und der Umtausch in Aktien der Land2er C sind alles Täuschungsmanöver und faule Tricks von B. C zum Beispiel ist bis heute nicht im Handelsregister eingetragen. Also, die Firma existiert gar nicht. B ist ein begnadeter Lügner und Betrüger. Die Betrügereien gegen weiter. Die Mehrheit der Aktionäre glauben immer noch an B.
Herzliche Grüsse
Consulting Association
D“
2. Das Landgericht hat den Antrag, dem Antragsgegner unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel die Veröffentlichung der vorstehend unterstrichenen Äußerungen zu verbieten (Bl. 8 dA), durch Beschluss vom 9.1.2024 (Bl. 593 dA) mangels Verfügungsanspruchs zurückgewiesen.
a) Soweit die ohnehin relativ substanzarme E-Mail mit dem wiedergegebenen Bericht eines Aktionärs eine durch den Antragsgegner zu Eigen gemachte Meinungsäußerung eines Dritten enthalte, fehle es ihr angesichts der vorausgegangen Berichterstattung nicht nur des Land1er Fernsehens, sondern auch anderer Medien über unzutreffend angegebene Unternehmenswerte, die private Verwendung von Unternehmensgeldern, ein durch die BAFin ausgesprochenes Vermarktungsverbot, den Vorwurf betrügerischer Machenschaften einschließlich der Bezeichnung der Antragstellerin als „Scheinfirma“ nicht an einem Sachbezug, sondern beruhe sie auf einem Mindestbestand an Anknüpfungstatsachen.
b) Soweit überhaupt ehrenrührig, stünden die wertenden Komponenten gegenüber den in der E-Mail enthaltenen Tatsachen im Vordergrund, und sei insbesondere die Behauptung, dass eine Firma „C“ nicht existiere, auch nach dem Vortrag der Antragsteller wahr. Danach handele es sich bei dem Namenszusatz „C“ um eine in der Finanz- und Investmentbranche gängige Begrifflichkeit für ein Mutterunternehmen oder eine Holdinggesellschaft eines Konzerns, der vorliegend als Arbeitsname für eine neu gegründete Gesellschaft der „X Group“ – die „Y“ (Y Plc) – verwendet worden sei. Die Aktionäre seien im Rahmen der Generalversammlung am 13.7.2023 über den Stand des Aktientausches mit der neu gegründeten „Y“ der „X Group“ informiert worden. Dem Aktientausch liege ein ausgehandeltes Steuerruling zugrunde. Nach diesem Verständnis könne der Durchschnittsaktionär die Aussage des Antragsgegners richtig einordnen und sei eine Beeinträchtigung des (Unternehmens-) Persönlichkeitsrechts der Antragsteller nicht anzunehmen.
3. Gegen diesen Beschluss – ihren Prozessbevollmächtigten zugestellt am 11.1.2024 (Bl. 630 dA) – haben die Antragsteller am 22.1.2024 sofortige Beschwerde eingelegt (Bl. 631 dA), mit der sie ihr Untersagungsbegehren uneingeschränkt weiterverfolgen und hierfür allgemein auf ihre Antragsschrift und ihre weiteren Stellungnahmen im erstinstanzlichen Verfahren verweisen. Um die Angelegenheit nicht weiter aufzublähen, sei lediglich die fehlerhafte Auslegung der E-Mail durch das Landgericht zu erörtern, wonach die unterbliebene Eintragung der Firma „C“ ins Handelsregister nicht unwahr sei. Nach dem Wortlaut seiner E-Mail habe der Antragsgegner geäußert, dass das Unternehmen „X“ in „C“ umbenannt worden sei. Tatsächlich gehörten hingegen sowohl die Antragstellerin zu 1) wie die neu gegründete und am 2.8.2023 ins Handelsregister eingetragene Gesellschaft „Y Plc (Y)“ zur „X Group“, und sei die „Y“ lediglich vor ihrer Gründung und Eintragung mit dem Arbeitsnamen „C“ bezeichnet worden. Der Vorwurf, „X“ sei in eine nicht existente Firma überführt worden, sei damit wahrheitswidrig.
II.
Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde bleibt in der Sache mangels Bestehens – hier allein denkbarer – Verfügungsansprüche der Antragstellerin zu 1) aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG oder aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 824 BGB bzw. des Antragstellers zu 2) aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG ohne Erfolg.
Zu Recht hat das Landgericht die angegriffene E-Mail als Meinungsäußerung eingestuft, also als Äußerung, die durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt ist. Als solche unterliegen Meinungsäußerungen dem Schutz der Meinungsfreiheit auch dann, wenn sie sich – wie hier – untrennbar mit Tatsachenbehauptungen vermengen, also mit Äußerungen, die der Überprüfung mit Mitteln des Beweises zugänglich sind (vgl. zuletzt BVerfG, Beschl. v. 11.4.2024 – 1 BvR 2290/23 -, Rn. 32). Ihre Schutzwürdigkeit hängt dann maßgeblich vom Wahrheitsgehalt der enthaltenen Tatsachenbehauptung ab bzw., bei ungeklärtem Wahrheitsgehalt, von der Beobachtung etwaiger dem Äußernden obliegender Sorgfaltspflichten, wobei für die Presse grundsätzlich höhere Anforderungen gelten als für Privatleute (vgl. BVerfG, Beschl. v. 9.11.2022 – 1 BvR 523/21 -, Rn. 17; BGH, Urt. v. 20.6.2023 – VI ZR 262/21 -, Rn. 23).
1. Soweit die Antragsteller die Wahrheit der in der angegriffenen E-Mail enthaltenen Tatsachenbehauptungen überhaupt angreifen, geschieht dies zunächst lediglich pauschal in der Weise, dass sie sie als „unwahr“ bzw. „unzutreffend“ bezeichnen (Bl. 16 f. dA). Ist damit schon nicht klar, welche in der E-Mail enthaltenen Äußerungen genau überhaupt unwahr sein sollen, legen die Antragsteller unwahre Tatsachenbehauptungen aber auch nicht dar, wenn sie dem Antragsteller vorhalten, er habe zu Unrecht den Antragsteller zu 2) des Lügens bezichtigt (Bl. 17 dA) bzw. behauptet, dass sich die Antragstellerin zu 1) in einer „Misere“ befinde (Bl. 19 dA). Der Bewertung der Unternehmenslage der Antragstellerin zu 1) als „Misere“ geht bereits mit keiner konkreten Tatsachenbehauptung einher – erst recht keiner solchen, mit der eine Verantwortlichkeit der Antragsteller für diese „Misere“ behauptet würde. Aber auch das angebliche Verbreiten von Lügen durch den Antragsteller zu 2) verstehen die Adressaten nicht in einem wörtlichen Sinne als Behauptung des Antragsgegners, sämtliche Tatsachenäußerungen des Antragstellers zu 2) auf der fraglichen Generalversammlung seien ausnahmslos unwahr gewesen, sondern im Gesamtkontext der E-Mail lediglich als zugespitzte, scharf formulierte Meinungsäußerung des Antragsgegners, dass man dem Antragsteller zu 2) ebenso wie der Antragstellerin zu 1) aufgrund ihnen vorzuhaltender betrügerischer Machenschaften keinen Glauben schenken dürfe.
2. Dieser gegenüber dem Adressaten erkennbar geäußerte Vorwurf betrügerischer Machenschaften ist zwar in Bezug auf beide Antragsteller ehrenrührig und in seiner Berechtigung zudem offen. Soweit die angegriffene E-Mail ihn nicht mit substantiellen Tatsachenbehauptungen verbindet, erschöpft er sich allerdings auch insoweit in einer herabsetzenden Meinungsäußerung. Für deren Schutzwürdigkeit macht es zwar auch dann einen Unterschied, ob es sich um eine auf Tatsachen fußende Schlussfolgerung aus dem unternehmerischen Verhalten der Antragsteller handelt oder um eine willkürlich aus der Luft gegriffene Wertung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 9.11.2022 – 1 BvR 523/21 -, Rn. 28, mit Verweis auf EGMR, Axel Springer AG v. Deutschland, Urt. v. 10.7.2014, Nr. 48311/10, § 63 f.). Zu Recht hat das Landgericht insoweit jedoch die vorausgegangene mediale Berichterstattung als hinlängliche Anknüpfungstatsachen betrachtet, ohne dass die Antragsteller die dort abgehandelten Vorwürfe im Einzelnen angegriffen oder auch nur die Verletzung von Sorgfaltspflichten bei Zueigenmachen dieser Vorwürfe durch den Antragsgegner dargetan hätten. Selbst die Presse aber trifft insbesondere keine generelle Obliegenheit, sich von dem Inhalt einer wiedergegebenen Äußerung zu distanzieren (vgl. BVerfG, Beschl. v. 9.11.2022 – 1 BvR 523/21 -, Rn. 18; v. 25.6.2009 – 1 BvR 134/03 -, Rn. 69; EGMR, Thoma v. Luxembourg, Urteil vom 29.3.2001, Nr. 38432/97, § 64).
3. Indem sich die Antragsteller gegen die Einordnung des Aktienumtauschs als „Täuschungsmanöver und faule[n] Trick“ als unzutreffend verwahren, gilt nichts Anderes. Auch hierbei handelt es sich um eine zugespitzte Meinungsäußerung, ohne dass deren gegenständlicher Kern – der Umtausch von Aktien als solcher – von den Antragstellern überhaupt in Zweifel gezogen würde.
4. Im Ergebnis nicht anders zu entscheiden ist aber auch, soweit die E-Mail des Antragsgegners die „Namensänderung der X“ als „Täuschungsmanöver und faulen[n] Trick“ verurteilt und behauptet, die Firma „C“ sei bis heute nicht im Handelsregister eingetragen, existiere also gar nicht.
a) Dass Letzteres – wörtlich betrachtet – tatsächlich der Fall ist, ziehen die Antragsteller schon nicht in Zweifel, sondern legen nachvollziehbar dar, dass es eine eigenständige Firma mit (nur) diesem Namen gar nicht gebe, sondern der Begriff „C“ lediglich als „Arbeitsname“ für die in Gründung befindliche und schließlich auch – vor der hier angegriffenen E-Mail – ins Handelsregister eingetragene Firma „Y Plc“ verwendet worden sei.
b) Wären die Antragsteller für Rufbeeinträchtigungen, die für die Firma „X“ von einer unwahr manipulativen Umfirmierung ausgehen könnten, in jeweils eigener Person schon gar nicht aktivlegitimiert, ist der angegriffenen E-Mail aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung aber auch gar keine Behauptung dieses Inhalts zu entnehmen. Insoweit hat das Landgericht für den Verständnishorizont der Adressaten, bei denen es sich nach eigener Aussage der Antragstellerin zu 1) um ihre Aktionäre handelt, vielmehr zu Recht deren spezifischen Kenntnisstand der Unternehmensverhältnisse zugrunde gelegt, und es deshalb als fernliegend ausgeschlossen, diese seien – überhaupt und dies zudem aufgrund der angegriffenen E-Mail als „Täuschungsmanöver und faule[r] Trick“ der Antragsteller – von einer Umfirmierung eines Unternehmens ausgegangen, zu dessen Gruppe auch das Unternehmen zählt, dessen Aktien sie halten. War den Adressaten gegenüber somit eine unwahre Tatsachenbehauptung auszuschließen, verblieb vielmehr auch insoweit lediglich eine zugespitzte Meinungsäußerung, die in der Sache nicht eine Umfirmierung der Antragstellerin zu 1) zum Gegenstand hatte, sondern den Umstand, dass eine neue Gesellschaft überhaupt – aus Sicht des Antragsgegners als „Täuschungsmanöver und faule[r] Trick“ – gegründet wurde.
5. Soweit bei dieser Sachlage überhaupt in eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Antragsgegners aus Art. 5 Abs. 1 GG einerseits und dem Unternehmenspersönlichkeitsrecht der Antragstellerin zu 1) aus Art. 2 Abs. 1 GG bzw. dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Antragstellers zu 2) aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG andererseits einzutreten war, stellen die Antragsteller schließlich nicht in Abrede, dass die in der E-Mail erhobenen Vorwürfe mit einem hohen Informationsinteresse für ihre Adressaten einhergehen. Dann aber ist mit Rücksicht auf die vorstehenden Ausführungen nicht ersichtlich, weshalb die Meinungsfreiheit des Antragsgegners hinter den Grundrechtspositionen der Antragsteller zurückzutreten hätte. Vielmehr haben sie dessen Kritik an ihrem Geschäftsverhalten – wenngleich sie scharf ausfällt, den Antragsteller zu 2) allerdings nur in seiner Sozial- und Berufssphäre berührt – hinzunehmen.
III.
Der Streitwert war – unter Berücksichtigung der insoweit leitenden Gesichtspunkte (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 2.6.2023 – 16 W 27/23 -, Rn. 21) – gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO auf 15.000 EUR je Antragsteller, unter Berücksichtigung eines dem Verfahrenscharakter geschuldeten Abschlags von 1/3 mithin auf insgesamt 20.000 EUR festzusetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.