BGH, Urteil vom 09.03.2021, Az. VI ZR 73/20
§ 823 BGB, § 1004 BGB, Art. 2 GG, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO
Der BGH hat entschieden, dass über einen Plagiator grundsätzlich namentlich berichtet werden darf und die Rechtsmaßstäbe hierfür zusammengefasst. Einen Klageantrag, der darauf gerichtet war, eine Person (Beklagter) möge es unterlassen, über die Klägerin namentlich im Zusammenhang mit der Berichterstattung über gegen sie gerichtete Plagiatsvorwürfe zu berichten und/oder berichten zu lassen, hielt der Senat zu weitgehend und die entsprechende Klage damit für unbegründet. Zum Volltext der Entscheidung:
Bundesgerichtshof
Urteil
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 09.03.2021 durch … für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M. vom 19.12.2019 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt den Beklagten vorbeugend auf Unterlassung einer namentlichen Berichterstattung über gegen sie erhobene Plagiatsvorwürfe in Anspruch.
Die Klägerin ist Juristin und war seit 2009 als außerplanmäßige Professorin Leiterin eines Studienganges an der Universität X. Seit dem Jahr 2013 übte sie das Amt einer Vizepräsidentin aus, auf das sie im Jahr 2015 verzichtete. Nach zunächst nur interner Dokumentation ohne Namensnennung im Jahr 2015 wurden in den Jahren 2016 und 2017 auf der Internetseite „VroniPlag Wiki“ unter Nennung des vollen Namens der Klägerin Plagiatsvorwürfe in Bezug auf deren Habilitations- und Promotionsschrift erhoben. Im Januar 2017 verzichtete die Klägerin gegenüber der Universität Y auf die ihr von dieser verliehene akademische Bezeichnung „Privatdozentin“ und wurde auf ihr Verlangen mit Ablauf des 31. August 2017 aus dem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit entlassen. Die Universität Y leitete hinsichtlich der Plagiatsvorwürfe hochschulrechtliche Verfahren gegen die Klägerin ein, die u.a. mit der Aberkennung der Habilitation endeten, da die Habilitationsschrift großflächige Plagiate enthalte. In einem sich anschließenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren unterlag die Klägerin erstinstanzlich; das Berufungsverfahren ist anhängig.
Der Beklagte ist ebenfalls Jurist und u.a. als freier Journalist tätig. Am 10. Mai 2017 veröffentlichte die „F.A.Z.“ einen von ihm verfassten Artikel, der unter Nennung des vollen Namens der Klägerin sowie der beteiligten Universitäten und des betroffenen Verlagshauses den gegen die Klägerin erhobenen Vorwurf eines Doppelplagiats zum Gegenstand hatte. Darin heißt es:
„Trauriges Novum
Erstmals zwei Doppelplagiate gefunden
Die Soziologin […] und die Juristin [Klägerin] sollen sowohl in ihren Doktorarbeiten als auch in den Habilitationsschriften massiv plagiiert haben. Dieses jeweilige Doppelplagiat wäre ein Novum in Deutschland. Beide Fälle wurden von der Plattform VroniPlag Wiki öffentlich gemacht, einer kollaborativen Gruppe von Wissenschaftlern, die Plagiate in Hochschulschriften dokumentieren. Dass die betroffenen Hochschullehrerinnen ihre Positionen verlieren können, hält der Münchner Arbeitsrechtsexperte […] für möglich: „Betrüger genießen keinen Vertrauensschutz.“
[…]
Der zweite Plagiatsfall betrifft die Juristin [Klägerin] von der Universität X […]. In ihrer Dissertation fand VroniPlag Wiki auf 41 Prozent der Haupttextseiten Plagiate. Manche Kapitel seien vollständig von Dritten übernommen worden. Die Übernahmen beginnen schon auf der ersten Seite, „einem Patchwork aus drei nicht genannten Quellen, die leicht umformuliert wurden“, heißt es bei VroniPlag Wiki. In der Habilitationsschrift sollen sich auf 38 Prozent aller Seiten Übernahmen finden. Beide Arbeiten wurden an der Universität Y […] bewertet. Dort wird nun geprüft, ob ein wissenschaftliches Fehlverhalten vorliegt. [Klägerin] selbst schweigt sich aus. Der Erstgutachter der Habilitationsschrift ist verstorben. Zweitgutachter […] hat in einer Stellungnahme die Recherchen von VroniPlag Wiki bestätigt: „Hätte ich gewusst, dass und in welchem Umfang in der Habilitationsschrift Texte aus fremden Arbeiten wörtlich oder annähernd wörtlich übernommen worden waren, hätte ich das beanstandet und dem Fachbereich die Ablehnung der Arbeit als Habilitationsschrift in der vorgelegten Form empfohlen.“ Das Verlagshaus […] hat den Vertrieb der Schrift eingestellt. […]“
In einem weiteren, ebenfalls den vollständigen Namen der Klägerin nennenden Bericht des Beklagten vom 9. November 2017 im Magazin „Cicero“ heißt es:
„Einspruch gegen Schavan
[…] Annette Schavan soll Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung werden, obwohl der früheren Bildungsministerin nach einem nachgewiesenen Plagiat der Doktortitel aberkannt wurde. Der Altstipendiat [Beklagter] erhebt Einspruch gegen die Berufung
[…]
Plagiate sind keine Kavaliersdelikte
[…]
Als Journalist habe ich in den vergangenen Jahren oft über Plagiatsfälle und Plagiatsverdachte berichtet, zuletzt über […] und [Klägerin]. Ich habe mich in die Thematik eingearbeitet und verfolge die Tätigkeiten von „VroniPlag Wiki“ – einer zivilgesellschaftlichen Gruppe, die sich für die Wissenschaft einsetzt. „Wissenschaftliches Fehlverhalten verjährt nicht. Wissenschaft baut auf Vertrauen. Wer dieses missbraucht, muss mit Sanktionen rechnen, auch nach zwanzig oder dreißig Jahren“, sagt VroniPlag Wiki-Mitarbeiterin […] von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Sie hat recht. Plagiate sind keine Kavaliersdelikte. Sie sind extrem schädlich für die Wissenschaft und ein Schlag ins Gesicht jedes ehrlich arbeitenden Wissenschaftlers. Seit ich die elend langen Aberkennungsverfahren von akademischen Titeln an deutschen Hochschulen verfolge, weiß ich: Der Titel geht nur bei wirklich schweren Verfehlungen verlustig. Viele Fälle werden mit einer „Rüge“ beendet, die Titelträger dürfen den Titel behalten. […]“
Durch anwaltliches Schreiben vom 14. Dezember 2017 ließ der Beklagte die Klägerin darüber unterrichten, dass er eine weitere Berichterstattung vorbereite. Darin hieß es:
„Unser Mandant ist Freier Journalist und arbeitet für deutsche und luxemburgische Printmedien und Radiosender. Seit vielen Jahren betreut er aus journalistischer Sicht das Thema „Plagiate in der Wissenschaft“ und hat in diesem Zusammenhang, wie Sie wissen, am 10. Mai 2017 in der F.A.Z. unter dem Titel „Trauriges Novum“ und am 9.11.2017 bei Cicero.de unter dem Titel „Einspruch gegen Schavan“ auch über Ihre Mandantin [Klägerin] berichtet.
Sie haben in verschiedenen Schreiben darum gebeten, die Berichterstattung nicht ins Internet zu stellen bzw. den Namen ihrer Mandantin aus der Internet-Berichterstattung streichen zu lassen. […]
Um eine spätere gerichtliche Auseinandersetzung zu vermeiden, zeigen wir an, dass unser Mandant eine Berichterstattung über den Plagiatsfall Ihrer Mandantin und deren Bemühungen, bisherige Berichterstattung zu unterbinden, vorbereitet. Dabei wird im Rahmen der Berichterstattung der Name Ihrer Mandantin genannt werden, auch im Internet.
Mit diesem Schreiben möchten wir Ihnen die Möglichkeit geben, einen Beleg für die Krankheit Ihrer Mandantin beizubringen (der nicht Gegenstand einer Berichterstattung sein wird) […]“
Die Klägerin stellt sich nicht gegen die Rechtmäßigkeit der bisherigen Berichterstattung des Beklagten, verfolgt jedoch einen in die Zukunft gerichteten vorbeugenden Unterlassungsanspruch gegen eine weitere Berichterstattung unter voller Nennung ihres Namens. Sie habe sich vollständig aus der Öffentlichkeit und ihrem früheren beruflichen Wirken zurückgezogen. Die namentliche Berichterstattung in Zusammenhang mit den Plagiatsvorwürfen habe bei ihr eine schwere psychische Belastung in Form einer Depression ausgelöst.
Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt, es zu unterlassen, über die Klägerin namentlich im Zusammenhang mit der Berichterstattung über gegen sie gerichtete Plagiatsvorwürfe zu berichten und/oder berichten zu lassen, wenn dies geschieht wie angekündigt in dem Schreiben des Bevollmächtigten des Beklagten vom 14.12.2017. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Unterlassungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
A.
Das Berufungsgericht hat in seiner in WissR 2019, 339 veröffentlichten Entscheidung die Klage für zulässig erachtet. Bedenken gegen die Bestimmtheit des Klageantrags (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) bestünden nicht. Ob der Klageantrag zu weit gefasst sei, weil er jeglichen Bericht über Plagiatsvorwürfe gegen die Klägerin erfasse, auch wenn sich diese bestätigen sollten, sei eine materiell-rechtliche Frage. Im Übrigen könne der Antrag einschränkend ausgelegt werden.
Die Klage sei jedoch unbegründet. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob die erforderliche Erstbegehungsgefahr bestehe. Denn als Ergebnis der vorzunehmenden Güterabwägung sei dem Beklagten eine namentliche Nennung der Klägerin im Rahmen einer Berichterstattung über die gegen sie erhobenen Plagiatsvorwürfe gestattet.
Die Berichterstattung betreffe lediglich die Sozialsphäre der Klägerin, da die Ursache für den Bericht aus ihrer früheren beruflichen Tätigkeit stamme. Zwar habe sich die Klägerin aus ihrem früheren beruflichen Leben vollständig zurückgezogen. Doch blieben sowohl die Doktorarbeit als auch die Habilitationsschrift der Klägerin als wissenschaftliche Werke in der Welt, seien an Hochschulen und in weiteren Bibliotheken vorhanden und dienten der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Die Öffentlichkeit habe ein berechtigtes Interesse an der Veröffentlichung des Namens der Autorin dieser Schriften, weil gerade hierin ein besonderer Informationswert liege. Ohne die namentliche Nennung der Klägerin würden die Fortwirkungen auf den Wissenschaftsbetrieb nicht angemessen berücksichtigt. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Plagiaten, die nicht als solche gekennzeichnet seien, führe zu deren Perpetuierung, was gegen wissenschaftliche Interessen verstoße. Ohne Erfolg wende die Klägerin ein, sie trage für die Handhabung der Bibliotheken mit Plagiaten keine Verantwortung. Denn entscheidend sei, dass die Klägerin es gewesen sei, die so gearbeitet habe, dass ihre Werke dem Plagiatsvorwurf ausgesetzt worden seien. Ein Recht auf „Vergessenwerden“ habe sie nicht. Gerade die Habilitationsschrift der Klägerin zum Recht der Europäischen Zentralbank stehe noch im wissenschaftlichen Diskurs und habe große Aktualität; selbst das Bundesverfassungsgericht habe sie noch im Jahr 2019 zitiert.
Für die Berichterstattung über wissenschaftliche Plagiate gälten nicht dieselben Maßstäbe wie für die Verdachtsberichterstattung über Straftaten. Der Verfasser einer wissenschaftlichen Schrift begebe sich mit dieser in den öffentlichen Diskurs. Ebenso wie über begründete sachliche Einwände gegen seine veröffentlichten Ausführungen dürfe auch über den Verdacht nicht gekennzeichneter Übernahmen von anderen Autoren oder den Verstoß gegen die Regeln wissenschaftlichen Zitierens berichtet werden. Überdies hätten sich zwischenzeitlich auch die Fakten verdichtet, dass der Plagiatsvorwurf wohl nicht unberechtigt sein könne, weshalb in ausreichendem Umfang auch die für eine Verdachtsberichterstattung erforderlichen Belegtatsachen vorlägen und der Beklagte als Sachwalter eines fairen und wissenschaftlichen Tugenden verpflichteten Diskurses und Wissenschaftsbetriebes den Namen der Klägerin nennen dürfe – erst recht angesichts des im Raum stehenden Vorwurfs eines Doppelplagiats.
Etwas anderes könne nur gelten, wenn eine solche Namensnennung zu schweren gesundheitlichen Folgen bei der Klägerin geführt hätte und weiterhin führen könnte. Insoweit sei jedoch allenfalls von einer fortwährenden seelischen Belastung der Klägerin auszugehen. Der weitergehende Vortrag der Klägerin hierzu sei nicht ausreichend konkret und unbelegt.
B.
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
Die Klage ist allerdings zulässig. Insbesondere ist der Klageantrag, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
1. Die hinreichende Bestimmtheit eines Klageantrags ist auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfen (vgl. Senatsurteil vom 15. Januar 2019 – VI ZR 506/17, AfP 2019, 40 Rn. 11 mwN). Ein Klageantrag ist hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), wenn er den erhobenen Anspruch konkret bezeichnet, dadurch den Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis (§ 308 ZPO) absteckt, Inhalt und Umfang der materiellen Rechtskraft der begehrten Entscheidung (§ 322 ZPO) erkennen lässt, das Risiko eines Unterliegens des Klägers nicht durch vermeidbare Ungenauigkeit auf den Beklagten abwälzt und eine Zwangsvollstreckung aus dem Urteil ohne eine Fortsetzung des Streits im Vollstreckungsverfahren erwarten lässt. Dies ist bei einem Unterlassungsantrag regelmäßig der Fall, wenn die konkret angegriffene Verletzungsform antragsgegenständlich ist (vgl. Senatsurteil vom 15. Januar 2019 – VI ZR 506/17, AfP 2019, 40 Rn. 12 mwN). Wird demgegenüber wie im Streitfall ein auf Erstbegehungsgefahr gestützter Unterlassungsanspruch vorbeugend geltend gemacht, kommt es – soweit die konkret erwartete Verletzungsform im Einzelfall ungewiss bleibt – maßgeblich darauf an, ob das Klagebegehren im Rahmen des dem Kläger Möglichen und zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes für beide Seiten Gebotenen hinlänglich eindeutig formuliert ist und als Urteilstenor vollstreckbar wäre (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juni 1986 – I ZR 43/84, WRP 1987, 101, 102, juris Rn. 14 – Tomatenmark).
2. An diesen Anforderungen gemessen ist der Antrag der Klägerin hinreichend bestimmt. Zwar ist er auch unter Berücksichtigung des in Bezug genommenen anwaltlichen Schreibens des Beklagten vom 14. Dezember 2017 denkbar weit gefasst, da darin lediglich „eine Berichterstattung über den Plagiatsfall Ihrer Mandantin und deren Bemühungen, bisherige Berichterstattung zu unterbinden“ angekündigt wurde. Trotz und gerade wegen dieser Weite ist der Antrag jedoch bestimmt. Denn für den Beklagten ergibt sich hieraus sowohl im Hinblick auf seine Rechtsverteidigung wie auch unter dem Gesichtspunkt der Zwangsvollstreckung eindeutig, dass die Klägerin das Unterlassen jeder Berichterstattung über gegen sie erhobene Plagiatsvorwürfe einschließlich etwaiger Bemühungen, bisherige Berichterstattung zu unterbinden, begehrt, sofern sie namentlich erfolgt. Ob eine Berichterstattung den Namen einer Person nennt oder nicht, unterliegt aber keinem Zweifel. Wenn der Antrag dabei – wie der Beklagte meint – nach seiner Formulierung auch Fälle umfasst, deren Verbot die Klägerin gar nicht verlangen kann, lässt sich daraus kein Einwand gegen seine Bestimmtheit, sondern allenfalls gegen seine sachliche Berechtigung herleiten (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juni 1986 – I ZR 43/84, WRP 1987, 101, 102, juris Rn. 14 – Tomatenmark).
II.
Die Klage ist jedoch unbegründet, weil der Klägerin der geltend gemachte vorbeugende Anspruch auf Unterlassung jeglicher namentlichen Berichterstattung über ihren Plagiatsfall nicht zusteht (§ 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG).
1. Die angekündigte Berichterstattung des Beklagten würde in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerin eingreifen. Denn die den Plagiator identifizierende Berichterstattung über einen Plagiatsfall und damit im Zusammenhang stehende Verfahren beeinträchtigt seinen guten Ruf, weil sie sein mögliches wissenschaftliches Fehlverhalten öffentlich bekannt macht und seine Person in den Augen der Adressaten negativ qualifiziert (vgl. zum Schutzgut des öffentlichen Ansehens als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts etwa BVerfG, NJW 2012, 1500 Rn. 37; ferner Senatsurteil vom 17. Dezember 2019 – VI ZR 504/18, NJW 2020, 2032 Rn. 19 [Bildberichterstattung]).
2. Wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, ist über den Unterlassungsantrag aufgrund einer Abwägung des Rechts der Klägerin auf Schutz ihres guten Rufs aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK verankerten Recht des Beklagten auf Meinungsund Medienfreiheit zu entscheiden. Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalles sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (st. Rspr.; vgl. nur Senatsurteil vom 17. Dezember 2019 – VI ZR 249/18, AfP 2020, 143 Rn. 18 mwN).
a) Vorliegend wendet sich die Klägerin vorbeugend gegen die vom Beklagten angekündigte erneute namentliche Berichterstattung über die bereits seit einigen Jahren öffentlich gegen sie erhobenen Plagiatsvorwürfe. In der Rechtsprechung sind verschiedene Gesichtspunkte entwickelt worden, die Kriterien für die konkrete Abwägung in einem solchen Fall vorgeben.
aa) Danach darf die Presse zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht grundsätzlich auf eine anonymisierte Berichterstattung verwiesen werden. Verfehlungen – auch konkreter Personen – aufzuzeigen, gehört zu den legitimen Aufgaben der Medien (Senatsurteil vom 30. Oktober 2012 – VI ZR 4/12, NJW 2013, 229 Rn. 12 mwN). Zu den zu berücksichtigenden Gesichtspunkten gehört daher als Ausgangspunkt, dass die Mitteilung wahrer Tatsachen mit Sozialbezug grundsätzlich hinzunehmen ist. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht vermittelt kein Recht, in der Öffentlichkeit so dargestellt zu werden, wie es dem eigenen Selbstbild und der beabsichtigten öffentlichen Wirkung entspricht. Betroffene können sich nicht von Rechts wegen aus der Gesamtheit ihres sozialbezogenen Verhaltens und der darin zum Ausdruck kommenden Persönlichkeit diejenigen Aspekte herausgreifen, von denen sie sich eine positive Außenwirkung versprechen und alles andere einseitig dem Blick der Öffentlichkeit entziehen (vgl. BVerfG, AfP 2020, 307 Rn. 16; NJW 2012, 1500 Rn. 37; jeweils mwN).
bb) Bei Würdigung des den Persönlichkeitsinteressen gegenüberstehenden Interesses an einer freien Presseberichterstattung ist in Rechnung zu stellen, dass die öffentliche Vermittlung und Kommunikation wahrer Tatsachen von allgemeinem Interesse zu den elementaren Aufgaben einer freien Presse gehört.
Die Herstellung eines gemeinsamen Tatsachenfundaments, von dem die Allgemeinheit ausgehen kann, ist elementare Voraussetzung demokratischen aber auch privaten Entscheidens. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es Ausgangspunkt und unaufhebbare Voraussetzung einer freien Presse ist, selbst zu entscheiden, was berichtenswert ist und wie berichtete Umstände miteinander verknüpft, bewertet und zu einer Aussage verwoben werden (BVerfG, AfP 2020, 307 Rn. 23 mwN).
cc) Allerdings kann auch eine wahre Darstellung das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verletzen, wenn sie einen Persönlichkeitsschaden anzurichten droht, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die Aussagen geeignet sind, eine erhebliche Breitenwirkung zu entfalten und eine besondere Stigmatisierung des Betroffenen nach sich zu ziehen, so dass sie zum Anknüpfungspunkt für eine soziale Ausgrenzung und Isolierung zu werden drohen (Senatsurteil vom 30. Oktober 2012 – VI ZR 4/12, NJW 2013, 229 Rn. 12 mwN). Auch durch eine wahre Tatsachenberichterstattung kann – insbesondere angesichts der allgemeinen Verfügbarkeit und großen Breitenwirkung personenbezogener Informationen über das Internet – unter besonderen Umständen aus einer unzumutbar anprangernden Wirkung einer zutreffenden Meldung eine Beeinträchtigung der freien Persönlichkeitsentfaltung erwachsen. Dies kann sich zum Beispiel aus der außergewöhnlichen Art und Weise und der Hartnäckigkeit einer Berichterstattung ergeben oder daraus, dass eine einzelne Person aus einer Vielzahl vergleichbarer Fälle herausgegriffen und zum „Gesicht“ einer personalisierten und individualisierenden Anklage für ein damit verfolgtes Sachanliegen gemacht wird (vgl. BVerfG, AfP 2020, 307 Rn. 18 mwN).
dd) Jenseits dieser besonderen Fälle ist im Rahmen der Abwägung auch allgemein zu berücksichtigen, dass das öffentliche Berichterstattungsinteresse durch Zeitablauf weniger akut werden kann. Das Abflauen des Berichterstattungsinteresses in der Zeit lässt sich jedoch nicht aus dem zeitlichen Abstand des zu berichtenden Ereignisses als solchem ableiten, sondern ist bei einer neuerlichen Berichterstattung anhand des Anlasses der jeweiligen Berichterstattung zu bemessen, der neu entstehen und aktualisiert werden kann (BVerfG, AfP 2020, 307 Rn. 19 mwN). Für die Frage, wie sich der Faktor Zeit auf das fortdauernde Bestehen eines Berichterstattungsinteresses auswirkt, ist außerdem das Verhalten der betroffenen Person von maßgeblicher Bedeutung. Eine aktiv in die Öffentlichkeit tretende und dort kontinuierlich präsente Person kann nicht in derselben Weise verlangen, dass ihr Verhalten nicht mehr Gegenstand öffentlicher Erörterung wird, wie eine Privatperson, deren zwischenzeitliches Verhalten von einem „Vergessenwerdenwollen“ getragen war (vgl. BVerfG, AfP 2020, 307 Rn. 20; NJW 2012, 1500 Rn. 37; jeweils mwN).
ee) Ebenfalls erheblich für die Abwägung können – auch jenseits des engen Kreises grundsätzlich der öffentlichen Erörterung entzogener Gegenstände – Gegenstand und Herkunft der mitgeteilten Information sein. War eine Information ohne Weiteres zugänglich, darf sie eher öffentlich berichtet werden, als wenn sie über aufwendige Recherchen oder sogar rechtswidrige Handlungen erlangt wurde. Ebenso erheblich kann es sein, ob der mitgeteilte Umstand eher dem privaten Bereich zugeordnet ist oder ein Verhalten betrifft, das einen stärkeren Sozialbezug aufweist (BVerfG, AfP 2020, 307 Rn. 21 mwN). Für die Schwere der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts erheblich ist schließlich die Breiten- und Öffentlichkeitswirkung der beanstandeten Berichterstattung, also etwa der Adressatenkreis der betreffenden Publikation, die Auflagenzahl und die Verfügbarkeit im Internet (BVerfG, AfP 2020, 307 Rn. 22 mwN).
b) Nach diesen Grundsätzen, die den individuellen Umständen einer konkreten Berichterstattung und der hiervon betroffenen Personen letztlich entscheidende Bedeutung beimessen und einer schematischen Anwendung nicht zugänglich sind, kann die Klägerin vom Beklagten nicht vorbeugend verlangen, schlechterdings jede weitere namentliche Berichterstattung über die gegen sie erhobenen Plagiatsvorwürfe zu unterlassen.
aa) Der Klageantrag ist darauf gerichtet, der Beklagte möge es unterlassen, über die Klägerin namentlich im Zusammenhang mit der Berichterstattung über gegen sie gerichtete Plagiatsvorwürfe zu berichten und/oder berichten zu lassen, wenn dies geschieht wie angekündigt in dem Schreiben vom 14. Dezember 2017. Eine Konkretisierung der zu unterlassenden Verletzungsform ist im Klageantrag nicht enthalten. Eine solche Konkretisierung wurde auch nicht vorgenommen durch die – der Begründung der Erstbegehungsgefahr dienende – erfolgte Bezugnahme auf das Ankündigungsschreiben des Beklagten vom 14. Dezember 2017. Der Beklagte macht in seinem Ankündigungsschreiben lediglich deutlich, dass der Plagiatsfall der Klägerin und deren Bemühungen, bisherige Berichterstattung zu unterbinden, Gegenstand der von ihm in Vorbereitung befindlichen zukünftigen Berichterstattung sein soll. Im Übrigen hält sich der Beklagte alles offen; entsprechend umfassend ist der hierauf bezogene Unterlassungsantrag der Klägerin.
Dieses weite Verständnis des Klageantrags entspricht auch der in dem bisherigen Prozessgeschehen zum Ausdruck kommenden Interessenlage der Klägerin (vgl. zu diesem Kriterium Senatsbeschluss vom 27. August 2019 – VI ZB 32/18, NJW 2019, 3727 Rn. 9 mwN). Die Klägerin hat auf die wiederholt die Weite ihres Klageantrags beanstandenden Einwände des Beklagten zu keinem Zeitpunkt durch eine den Klageantrag eingrenzende Erklärung reagiert, sondern die gewählte Formulierung des Klageantrags ausdrücklich verteidigt. Die Weite des Klageantrags wurde auch – wenngleich im Ausgangspunkt lediglich in prozessualer Hinsicht – in beiden instanzgerichtlichen Entscheidungen erörtert. Einer einschränkenden Auslegung ist der Klageantrag nicht zugänglich (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 1998 – XI ZR 72/97, NJW-RR 1998, 1005, 1006, juris Rn. 11; Becker-Eberhard in MünchKomm, ZPO, 6. Aufl., § 253 Rn. 25 mwN).
bb) Dies zugrunde gelegt, lässt sich im Streitfall nicht feststellen, dass die gebotene Abwägung in jedem Fall zu Gunsten der Klägerin ausfiele. Denn auch unter Berücksichtigung des konkretisierenden Schreibens vom 14. Dezember 2017, wonach der Klageantrag auf eine „Berichterstattung über den Plagiatsfall“ der Klägerin „und deren Bemühungen, bisherige Berichterstattung zu unterbinden“ abzielt, wobei der Name der Klägerin auch im Internet genannt werden soll, lässt sich über Anlass und Kontext einer künftigen Berichterstattung lediglich spekulieren. Es bleibt offen, ob und welche Tatsachen- oder Meinungsäußerungen sie zum Gegenstand haben könnte, zu welchem Zeitpunkt, mit welcher Sachbezogenheit, in welchem Medium, für welchen Adressatenkreis und mit welcher Breitenwirkung die Klägerin in einer solchen Berichterstattung namentlich erwähnt würde, und demzufolge welche Folgen dies für die Klägerin hätte. Erfasst wären von dem begehrten Unterlassungsgebot etwa auch Situationen, in denen das verwaltungsgerichtliche Verfahren über die Aberkennung rechtskräftig abgeschlossen ist oder die plagiatsbemakelten Schriften der Klägerin gutgläubig – wie während des Berufungsverfahrens bereits durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 151, 202 Rn. 139 – Europäische Bankenunion) geschehen – an prominenter Stelle zitiert und insoweit unerkannt im wissenschaftlichen Diskurs angeführt werden. Die entsprechenden Möglichkeiten sind derart vielgestaltig, dass sie mit einer vorbeugenden Unterlassungsklage nicht erfasst werden können. Es sind zahlreiche Sachverhaltskonstellationen denkbar, in denen das Schutzinteresse der Klägerin das Berichterstattungsinteresse des Beklagten nicht überwöge. Die vorgenannten Beispiele machen deutlich, dass sich das Ergebnis der erforderlichen Abwägung wegen der Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls nicht generell und abstrakt vorausbestimmen lässt (vgl. BVerfGE 99, 185, 196, juris Rn. 50). Eine vorweggenommene Abwägung, die sich mehr oder weniger nur auf Wahrscheinlichkeitsurteile und Vermutungen stützen könnte und die im konkreten Verletzungsfall im Vollstreckungsverfahren nachgeholt werden müsste, verbietet sich aber schon im Hinblick auf die Bedeutung der betroffenen Grundrechte (vgl. für die Bildberichterstattung Senatsurteile vom 13. November 2007 – VI ZR 269/06, AfP 2008, 187 Rn. 14; vom 9. März 2004 – VI ZR 217/03, BGHZ 158, 218, 225, juris Rn. 15; für den Vorwurf eines schriftstellerischen Plagiats im Rahmen eines Feststellungsantrags bereits BGH, Urteil vom 12. Januar 1960 – I ZR 30/58, GRUR 1960, 500, 504, juris Rn. 53).
Vorinstanzen:
LG Frankfurt am Main, Urteil vom 05.11.2018, Az. 2-3 O 90/18
OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 19.12.2019, Az. 16 U 210/18