OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 11.07.2024, Az. 6 W 36/24
§ 63 S. 1 Nr- 2 GKG, § 68 GKG
Das OLG Frankfurt a.M. hat entschieden, dass für datenschutzrechtliche Verfahren in Zusammenhang mit einem Facebook-Datenleck ein Streitwert von 3.000 EUR anzusetzen ist. Im Übrigen sei bei einer Streitwertbeschwerde auch ein geringerer bzw. höher Betrag als angegriffen möglich (reformatio in peius). Zum Volltext der Entscheidung:
Oberlandesgericht Frankfurt a.M.
Beschluss
1. Die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Klägers wird zurückgewiesen.
2. Der Streitwert wird für die erste Instanz auf 3.000 EUR festgesetzt.
3. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Die Beklagte betreibt die Socia-Media-Platform „Facebook“. Der Kläger ist ein Kunde der Beklagten.
Der Kläger gab bei seiner Facebook-Registrierung folgende Daten an: Vor- und Nachname, E-Mail-Adresse, Handynummer, Geburtsdatum und Geschlecht. Er stimmte den Nutzungsbedingungen der Beklagten zu, indem er die Schaltfläche „Registrieren“ betätigte. Dabei wurde er auf die am Seitenende verlinkte Datenrichtlinie der Beklagten verwiesen. Nach dieser Richtlinie sind die Profildaten eines Nutzers (u.a. Name, Profil- und Titelbild, Geschlecht, Nutzername und Nutzer-ID) immer – auch für Personen außerhalb der Plattform – öffentlich einsehbar.
Da der Kläger es in Bezug auf die Suchbarkeits-Einstellungen bei der Standardeinstellung beließ, konnten sog. „Freunde des Nutzers“ sein Profil mit den öffentlich einsehbaren Daten bei einer Suche mit seiner E-Mail-Adresse oder Telefonnummer über eine Suchfunktion der Beklagten auffinden.
Diese Suchfunktion machten sich unbekannte Dritte von Januar 2018 bis September 2019 zunutze. Sie generierten automatisiert strukturell Telefonnummern nachgebildete Ziffernfolgen und suchten damit auf Facebook nach Profilen, denen diese gegebenenfalls zugeordnet werden konnten. Im Fall einer Übereinstimmung sammelten sie automatisiert die auf den betreffenden Profilen veröffentlichten Daten (sog. Scraping) und verknüpften sie mit der jeweiligen Telefonnummer. Die gesammelten Daten (nebst der Telefonnummer) wurden im April 2021 in einer ungesicherten Datenbank veröffentlicht. Betroffen davon waren insgesamt über 500 Millionen Nutzer der Beklagten, darunter der Kläger.
Der Kläger hat beantragt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite immateriellen Schadensersatz in angemessener Höhe zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 1.000,00 EUR nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerseite alle künftigen Schäden zu ersetzen, die der Klägerseite durch den unbefugten Zugriff Dritter auf das Datenarchiv der Beklagten, der nach Aussage der Beklagten im Jahr 2019 erfolgte, entstanden sind und/oder noch entstehen werden.
3. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 EUR, ersatzweise an ihrem gesetzlichen Vertreter (Director) zu vollstreckender Ordnungshaft, oder einer an ihrem gesetzlichen Vertreter (Director) zu vollstreckender Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, zu unterlassen,
a) personenbezogenen Daten der Klägerseite, namentlich Telefonnummer, FacebookID, Familiennamen, Vornamen, Geschlecht, Bundesland, Land, Stadt, Beziehungsstatus unbefugten Dritten über eine Software zum Importieren von Kontakten zugänglich zu machen, ohne die nach dem Stand der Technik möglichen Sicherheitsmaßnahmen vorzusehen, um die Ausnutzung des Systems für andere Zwecke als der Kontaktaufnahme zu verhindern,
b) die Telefonnummer der Klägerseite auf Grundlage einer Einwilligung zu verarbeiten, die wegen der unübersichtlichen und unvollständigen Informationen durch die Beklagte erlangt wurde, namentlich ohne eindeutige Informationen darüber, dass die Telefonnummer auch bei Einstellung auf „privat“ noch durch Verwendung des Kontaktimporttools verwendet werden kann, wenn nicht explizit hierfür die Berechtigung verweigert und, im Falle der Nutzung der Facebook-Messenger App, hier ebenfalls explizit die Berechtigung verweigert wird.
4. Die Beklagte wird verurteilt der Klägerseite Auskunft über die Klägerseite betreffende personenbezogene Daten, welche die Beklagte verarbeitet, zu erteilen, namentlich welche Daten durch welche Empfänger zu welchem Zeitpunkt bei der Beklagten durch Scraping oder durch Anwendung des Kontaktimporttools erlangt werden konnten.
5. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 887,03 € zu zahlen zuzüglich Zinsen seit Rechtshängigkeit in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz.
Den vom Kläger in der Klageschrift mit 11.000 Euro angegebenen Streitwert (von dem 1.000 Euro auf den Schadensersatzanspruch, 500 € auf den Feststellungsanspruch, 500 € auf den Auskunftsanspruch sowie 9.000 € auf den Unterlassungsanspruch entfallen sollen) hat das Landgericht auf 6.000 Euro festgesetzt. Davon entfallen 1.000 Euro auf den Klageantrag zu 1.500 Euro, auf den Feststellungs- und Auskunftsantrag je 500 €, sowie auf den Unterlassungsantrag 4.000 €.
Der hiergegen eingelegten Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Klägers, mit der er die Festsetzung auf 11.000,– € begehrt, hat das Landgericht nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die zulässige Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Der Streitwert ist vielmehr auf 3.000,00 € festzusetzen.
Auch der Senat teilt die Grundsätze zur Streitwertfestsetzung, die das OLG Hamm (Urteil vom 15.8.2023 – 7 U 19/23, GRU-RS 2023, 22505, Rn.254 ff.) entwickelt hat:
1. Der Streitwert für den Antrag zu 1 (Schadensersatz) ist gemäß § 3 ZPO, da insoweit ein bezifferter Antrag vorliegt, auf 1.000,00 EUR festzusetzen.
2. Der Streitwert für den Antrag zu 2 (Feststellung) ist gemäß § 3 ZPO auf 500,00 EUR festzusetzen.
3. Der Streitwert für den Antrag zu 3 (Unterlassung) ist gemäß § 3 ZPO und § 48 Abs. 2 Satz 1 GKG unter Berücksichtigung von § 23 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 RVG in Abweichung von der Streitwertangabe des Klägers (€ 9.000.–) auf 1.000 EUR festzusetzen.
a) Der Streitwert für nichtvermögensrechtliche Ansprüche wird gemäß § 48 Abs. 2 GKG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls – insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien – nach Ermessen bestimmt; es kann dann im konkreten Einzelfall von dem in § 23 Abs. 3 Satz 2 Hs. 2 RVG vorgesehenen Regelstreitwert erheblich abzuweichen sein (vgl. zu einer Herabsetzung auf 500,00 EUR jeweils nur BGH Beschluss vom 17.1.2023 – VI ZB 114/21, NJW-RR 2023, 959 Rn. 11; BGH Beschluss vom 28.1.2021 – III ZR 162/20, GRUR-RS 2021, 2286 Rn. 9).
b) Dabei ist insbesondere das Interesse des Klägers und damit seine aufgrund des zu beanstandenden / gewünschten Verhaltens zu besorgende wirtschaftliche / persönliche Beeinträchtigung zu berücksichtigen (vgl. OLG Hamm Beschluss vom 8.11.2013 – 9 W 66/13, NJW-RR 2014, 894 = juris Rn. 5 m. w. N.). Zu berücksichtigen ist zudem die Stellung der Beteiligten sowie Art, Umfang und Gefährlichkeit der zu unterlassenden / begehrten Handlung (vgl. BGH Beschluss vom 25.4.2023 – VI ZR 111/22, GRUR 2023, 1143 Rn. 13 m. w. N.). Das Gericht ist bei der Streitwertbemessung nicht an die subjektiven Wertangaben in der Klageschrift gebunden (so explizit BGH Beschl. v. 8.10.2012 – X ZR 110/11, GRUR 2012, 1288 Rn. 4, sogar für übereinstimmende Angaben der Parteien; siehe auch BGH Beschluss vom 12.6.2012 – X ZR 104/09, MDR 2012, 875 Rn. 5). Insbesondere kommt ihnen keine indizielle Bedeutung zu, wenn sie – wie hier – das tatsächliche Interesse offensichtlich unzutreffend widerspiegelt (so auch OLG München Beschluss vom 5.2.2018 – 29 W 1855/17, NJW-RR 2018, 575, Rn. 16).
c) Außer Betracht zu lassen ist insbesondere die über die konkret-individuellen Interessen hinausgehende gesamtgesellschaftliche oder general-präventive sowie die abstrakt-generelle Bedeutung für andere potentiell betroffene Personen (vgl. BGH Beschluss vom 30.11.2004 – VI ZR 65/04, BeckRS 2004, 12785, Rn. 2; BGH Urt. v. 12.5.2016 – I ZR 1/15, MDR 2016, 1344, Rn. 42). Dementsprechend ist Art. 82 Abs. 1 DSGVO dahin auszulegen, dass der in dieser Bestimmung vorgesehene Schadenersatzanspruch, insbesondere im Fall eines immateriellen Schadens, ausschließlich eine Ausgleichsfunktion erfüllt, da eine auf diese Bestimmung gestützte finanzielle Entschädigung es ermöglichen soll, den konkret aufgrund des Verstoßes gegen die DSGVO erlittenen Schaden in vollem Umfang auszugleichen, und keine Abschreckungs- oder Straffunktion erfüllt (EuGH Urt. v. 20.6.2024 – C-182/22, C-189/22, BeckRS 2024, 13981 Rn. 23)
d) Gemessen daran gilt im vorliegenden Fall:
Der Kläger hat seine vermeintlich stattgehabte Beeinträchtigung durch den Scraping-Vorfall selbst mit 1.000,00 EUR (Antrag zu 1) und die noch drohende Beeinträchtigung durch den Scraping-Vorfall selbst mit 500,00 EUR (Antrag zu 2), also seine Beeinträchtigung insgesamt mit 1.500,00 EUR bemessen.
Die Anträge zu 3a und 3b stützen sich im Wesentlichen auf eine Wiederholungsgefahr bezüglich nur eines Teils der vermeintlich und tatsächlich vorliegenden Datenschutzverstöße der Beklagten.
Der Streitwert für die Anträge zu 3a und 3b kann deshalb jedenfalls nicht oberhalb der vermeintlich insgesamt bereits erlittenen Beeinträchtigung liegen.
Vor diesem Hintergrund hält der Senat, da mit den Anträgen letztlich auch nur nicht vollstreckbare gesetzlichen Vorgaben der DSGVO aufgegriffen werden und die Daten der Klägerin bereits ohnehin abgegriffen und veröffentlicht worden sind, einen Gesamtstreitwert der Anträge 3a und 3b von 1.000,00 EUR, konkret von jeweils 500,00 EUR, für ausreichend, aber auch erforderlich, um das Klagebegehren der Klägerin individuell zu bemessen.
4. Der Auskunftsantrag ist mit 500,– € zu bewerten.
5. Der Senat sieht daher im Einklang mit dem Landgericht einen Gesamtstreitwert von 3.000 € als angemessen an.
Dies gilt für das vorliegende Verfahren und vergleichbare Verfahren. Der Senat wird dies nunmehr – sofern nicht im Einzelfall konkrete Umstände eine andere Entscheidung bedingen – in Verfahren der vorliegenden Art betreffend Facebook-Scraping-Fällen regelmäßig praktizieren, unabhängig davon, ob bei identischem Rechtsschutzziel eine Aufspaltung der Anträge den Anschein eines umfangreicheren Prozessstoffs suggerieren soll (Abweichung von der bisherigen Senatsrechtsprechung, vgl. Beschl. v. 18.7.2023 – 6 W 40/23, GRUR-RS 2023, 19849 Rn. 24).
6. Der Festsetzung auf 3.000 € steht nicht ein Verbot der reformatio in peius entgegen. Wegen der Möglichkeit, die erstinstanzliche Festsetzung von Amts wegen zu ändern (§ 63 Abs. Satz 1 Nr. 2 GKG), besteht bei Streitwertbeschwerden kein Verschlechterungsverbot (vgl. z.B. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 13.10.2014 – 10 W 48/14, Rn. 1; OLG Stuttgart, Beschluss vom 09.10.2019 – 6 W 47/19, NJW-RR 2020, 255 Rn. 26; OLG München, Beschluss vom 14.07.2020 – 25 W 587/20, Rn. 5, OVG Lüneburg, Beschluss vom 04.02.2008 – 5 OA 185/07, NVwZ-RR 2008, 431; Laube in: BeckOK Kostenrecht, 41. Edition, Stand: 01.04.2023, § 68 Rn. 161 mwN).