OLG Hamburg, Urteil vom 04.05.2011, Az. 5 U 207/10
§§ 4 Nr. 11, 8 Abs. 3 Nr. 3 UWG i.V.m. 5 Abs. 1 PAngV
Das OLG Hamburg hat entschieden – wie bereits das Landgericht zuvor – dass ein Tätowierer in seinem Studio keinen Preisaushang gemäß der Preisangabenverordnung anbringen muss. Es liege hier eine künstlerische Tätigkeit vor, vergleichbar mit einem Auftrags-Porträt-Maler, welche einer Ausnahmeregelung der Preisangabenverordnung unterfalle. Die z.T. komplexen Bildkompositionen, die z.B. den ganzen Rücken oder Arm bedecken, seien als persönlich-geistige Schöpfungen im Sinne von § 2 UrhG zu qualifizieren. Das OLG hat die Revision für dieses Urteil zugelassen. Zum Volltext der Entscheidung:
Hanseatisches Oberlandesgericht
Urteil
In dem Rechtsstreit
…
hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 5. Zivilsenat, durch … nach der am 20. April 2011 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht erkannt:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg – Zivilkammer 27 – vom 24.9.2010 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann eine Vollstreckung der Beklagten wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger ist als qualifizierte Einrichtung im Sinne des § 4 UKlagG anerkannt und nimmt die Beklagten wegen eines Verstoßes gegen die Preisangabenverordnung (PAngV) auf Unterlassung und Ersatz vorgerichtlicher Abmahnkosten in Anspruch.
Beide Beklagte betreiben Tätowierstudios. Bis zum Jahre 2005 – ob darüber hinaus, ist streitig – unterhielten sie einen gemeinsamen Betrieb unter dem Namen „S“ in der H-straße in H . Der Beklagte zu 1 ist auch heute noch unter dieser Adresse als Tätowierer tätig.
Das fragliche Tätowierstudio besitzt ein Schaufenster. Der Kläger stellte im Jahre 2009 fest, dass sich in dem Schaufenster kein Preisaushang befand. Seiner Meinung nach stellt dies einen Verstoß gegen § 5 Abs.1 PAngV dar.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
1) es den Beklagten bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr Tätowierleistungen anzubieten, ohne ein Preisverzeichnis mit den Preisen für die wesentlichen Leistungen oder ggf. Verrechnungssätzen im Schaufenster oder Schaukasten anzubringen, sowie
2) die Beklagten zu verurteilen, an den Kläger € 160,50 nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten haben Klagabweisung beantragt. Der Beklagte zu 2. beruft sich darauf, dass er schon nicht passivlegitimiert sei, weil er schon seit 2005 das Tätowierstudio „S“ nicht mehr mitbetreibe. Beide Beklagte halten die Klage im Übrigen deshalb für unbegründet, weil sie sich auf die Ausnahmevorschriften der §§ 9 Abs.8 Nr.1 und 2 PAngV berufen könnten.
Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivortrags wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils und wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme auf das Sitzungsprotokoll vom 30.7.2010 (Bl. 59 ff.) verwiesen. Das Landgericht hat angenommen, dass § 5 PAngV aufgrund der Ausnahmevorschriften der §§ 9 Abs.8 Nr.1 und § 9 Abs.8 Nr. 2 PAngV im Falle der Beklagten nicht anwendbar sei.
Mit seiner gegen das landgerichtliche Urteil eingelegten Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Klaganträge weiter, allerdings mit der Maßgabe, dass das Wort „ggf.“ im Klagantrag zu Ziff.1 entfällt.
Er macht im Wesentlichen geltend :
Entgegen dem Landgericht sei die Ausnahmevorschrift des § 9 Abs.8 Nr.1 PAngV nicht erfüllt. Die Erstellung eines schriftlichen Bildentwurfs vor der Durchführung der Tätowierung sei nicht mit schriftlichen Angeboten oder Voranschlägen gleichzusetzen, da ein Bildentwurf keine Preisangabe enthalte. Ferner sei durch die Beweisaufnahme die Üblichkeit des Bildentwurfs nicht nachgewiesen.
Das Landgericht sei auch zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Beklagten künstlerische Leistungen erbrächten. Dies hätten die Beklagten nicht hinreichend nachgewiesen. Außerdem erfordere die Ausnahmevorschrift des § 9 Abs.8 Nr.2 PAngV, dass die künstlerischen Leistungen in den privaten Räumen des Leistungsanbieters stattfinden müssten.
Die Beklagten verteidigen das erstinstanzliche Urteil.
II.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichteten Angriffe bleiben erfolglos. Im Einzelnen ist Folgendes auszuführen :
1.
Wie in der Senatsverhandlung erörtert, scheitert die Klage hinsichtlich des Beklagten zu 2. nicht bereits daran, dass er zum Zeitpunkt des beanstandeten Wettbewerbsverstoßes – am 23.6. und 26.6.2009 – nicht mehr Mitbetreiber des Tätowierstudios in der H straße war. Die Klägerin hat zum Nachweis des gemeinsamen Betriebs einen Auszug aus dem Gewerberegister vorgelegt, wonach beide Beklagte seit dem 1.10.94 als BGB-Gesellschaft unter der Adresse H straße in H einen Betrieb als Tätowierer führen ( Anlage K 5). Zwar ist dieser Auszug nicht datiert. Doch ergibt sich aus der von den Beklagten selbst eingereichten Gewerbe-Abmeldung gemäß Anlage B 2 (S.1,2) dass die Beklagten erst unter dem 24.2.2010 – also nach dem streitgegenständlichen Wettbewerbsverstoß und der Klagerhebung – dem Gewerbeamt mitgeteilt haben, dass die GBR zum 31.12.05 aufgelöst worden sei und der Beklagte zu 2. seit dem 1.4.2006 eine eigene „Filiale“ habe. Das Vorhandensein eines weiteren, von dem Beklagten zu 2. allein betriebenen Studios ergibt sich auch aus der Gewerbe-Anmeldung des Beklagten zu 2. vom 11.9.2006, mit der er einen Betrieb in der H chaussee angemeldet hat und einer weiteren Gewerbe-Ummeldung vom 9.1.2009, mit der der Beklagte zu 2. die Verlegung des Betriebes von der H chaussee in die H chaussee angezeigt hat (beides ebenfalls in der Anlage B 2).
Auf der Grundlage dieser von den Beklagten selbst vorgelegten Anlagen geht der Senat davon aus, dass der Gewerberegisterauszug gemäß Anlage K 5 aus der Zeit vor dem 24.2.2010 – der rückwirkenden Abmeldung – stammt und die Beklagten somit zum Zeitpunkt des Wettbewerbsverstoßes nach der Registerlage den Betrieb in der H straße gemeinsam geführt haben. Hinzu kommt, dass die Beklagten in dem Antwortschreiben ihres Prozessbevollmächtigten auf die Abmahnung des Klägers, die an „S, H straße, H “ gerichtet war (Anlage K 2) als „die Betreiber des Tätowierstudios Skindoktors“ bezeichnet werden (Anlage K 3). Erst nach Klagerhebung haben sie die Passivlegitimation des Beklagten zu 2. erstmals in Abrede genommen.
Auch aus der An- und Ummeldung des Betriebs des Beklagten zu 2. in der H chaussee ergibt sich nicht, dass er seine Mitinhaberschaft in dem Betrieb H str. bereits endgültig aufgegeben hatte. Dafür, dass die Betriebe weiterhin zusammenhängen, spricht im Gegenteil die Verwendung des Wortes „Filiale“ in der Meldung vom 24.2.10.
Angesichts der Registerlage im Juni 2009 und der übrigen vorgenannten Umstände hätten die Beklagten substantiiert dazu vortragen müssen, dass der Beklagte zu 2. bereits vor Juni 2009 endgültig aus dem Betrieb in der H straße ausgeschieden ist. Da dies nicht geschehen ist, geht der Senat mit dem Kläger von der Passivlegitimation des Beklagten zu 2 aus.
Die Passivlegitimation des Beklagten zu 2. wäre schließlich nicht dadurch entfallen, dass er möglicherweise inzwischen, also nach Juni 2009, seine Mitinhaberschaft an dem Betrieb in der H straße endgültig aufgegeben hat. Die Wiederholungsgefahr für einen schon begangenen Wettbewerbsverstoß wäre nur dann nicht mehr gegeben, wenn auszuschließen wäre, dass der Beklagte zu 2. denselben oder einen ähnlichen Geschäftsbetrieb wieder aufnimmt. Es muss jede Wahrscheinlichkeit hierfür beseitigt sein (Köhler/ Bornkamm, UWG, 29.Aufl., § 8 Rn.1.40 m.w.N.). Da der Beklagte zu 2. weiterhin als Tätowierer tätig ist, ist dies vorliegend zu verneinen.
2.
Der Kläger stützt den Unterlassungsantrag auf die §§ 4 Nr.11, 8 Abs.3 Nr.3 UWG i.V.m. 5 Abs.1 PAngV. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass es sich bei dem Angebot eines Tätowierers um Leistungen im Sinne des § 5 PAngV handelt und dass im Schaufenster des Tätowierstudios in der H. strasse … am 23. und 26.6.2009 kein Preisverzeichnis aufgehängt war (§ 5 Abs.1 S.1, 2 PAngV).
Der Senat hat allerdings bereits Zweifel, ob die Beklagten durch den Betrieb eines Tätowierstudios und das Vorhandensein eines Schaufensters diese Leistungen anbieten im Sinne des § 1 Abs.1 S.1 PAngV oder ob es sich nur um eine Werbung handelt, bei der noch keine Preise angegeben werden müssen. Voraussetzung für die Anwendung der §§ 2 ff. PAngV – also auch des § 5 – ist nämlich stets das Vorliegen des Grundtatbestandes im Sinne des § 1 PAngV (Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5.Aufl., PAngV , Einf. Rn.15). Die Parteien streiten zwar in erster Linie darum, ob die Beklagten sich auf die Ausnahmeregelungen der § 9 Abs.8 Nr.1 und 2 PAngV berufen können. Das setzt aber zunächst die Erfüllung der Tatbestände der §§ 1 Abs.1 S.1 und 5 Abs.1 PAngV voraus.
Der Begriff des Anbietens im Sinne des § 1 Abs.1 S.1 PAngV erfordert kein Vertragsangebot im Sinne des § 145 BGB. Nach der Rechtsprechung ist jedoch eine Ankündigung erforderlich, die so konkret gefasst ist, dass sie nach der Auffassung des Verkehrs den Abschluss eines Geschäfts auch aus der Sicht des Kunden ohne weiteres zulässt. Bedarf es ergänzender Angaben und weiterer Verhandlungen, um das Geschäft zustande zu bringen, kann es sich um bloße Werbung handeln (BGH GRUR 2003, 971, 972 – telefonischer Auskunftsdienst; GRUR 2004, 960, 961 – 500 DM-Gutschein für Autokauf). In der erstgenannten Entscheidung hat der BGH die Angabe einer Telefonnummer für einen Inlandsauskunftsdienst in Werbespots als Angebot einer konkreten Dienstleistung im Sinne des § 1 Abs.1 S.1 PAngV angesehen. In der letztgenannten hat er die Werbung eines Fahrschulunternehmens mit einer Anzeige, in der Fahrstunden mit den neuesten Fahrzeugen eines bestimmten Typs beworben und ein Gutschein von DM 500.- bei Bestehen der Fahrprüfung in Aussicht gestellt wurde, nicht als ausreichend konkretes Angebot qualifiziert. Beide Entscheidungen betrafen also Werbungen außerhalb des Betriebs des Leistungsanbieters, nicht das „körperliche“ Anbieten einer Leistung am Ort ihrer Erbringung , insbesondere durch Einrichtung eines Geschäftslokals und eines Schaufensters wie vorliegend.
Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass eine Tätowierung bei den Beklagten vollständig individuell nach den Wünschen und körperlichen Gegebenheiten des Kunden in mehreren Abschnitten abläuft : Auswahl des Motivs und dessen Größe, zeichnerische Vorarbeit mit Korrekturen, Auswahl des Orts der Tätowierung, Zeitdauer (eine oder mehrere Sitzungen), Auswahl der Farben je nach Hautbeschaffenheit usw. Ihre Leistung ist daher nicht vergleichbar z.B. mit derjenigen eines Friseurs, der in großem Umfang standardisierte Leistungen erbringt (Haarewaschen, – schneiden, – föhnen, – färben usw.). Es ist insbesondere nicht vorgetragen, dass in dem Tätowierstudio der Beklagten bestimmte „Standard-Tattoos“ angeboten würden. Dass es überhaupt Tätowierer gibt, die in jedenfalls teilweise standardisierte Leistungen anbieten, ist ebenfalls nicht vorgetragen.
Widmann („Die Preisangabenverordnung im Handwerk – Umfang und Grenzen“, WRP 2010,1443) scheint die Auffassung zu vertreten, dass es für die Bestimmtheit des Leistungsangebots genügt, wenn ein Handwerker allgemein Leistungen eines bestimmten Gewerks anbietet, z.B. durch entsprechende Beschilderung wie „Tischlerei, Baugeschäft, Schlosserei“ ( a.a.O. und Fn.2; dann aber wieder in Fn.3 als „offene Frage“ behandelt). Ansonsten wird die Frage, was für die Bestimmtheit des Leistungsangebots bei Handwerkern (einschließlich Kunsthandwerkern ) zu gelten hat, in der Kommentarliteratur zur PAngV nicht erörtert. Auch in der Rechtsprechung ist dies – soweit ersichtlich – bislang nicht geklärt.
Grundsätzlich erscheint es sachgerecht, im Interesse eines effektiven Verbraucherschutzes keine überhöhten Anforderungen an die Bestimmtheit des Leistungsangebots von Handwerkern/ Kunsthandwerkern zu stellen. Die Frage braucht für das Tätowierstudio der Beklagten indessen nicht abschließend geklärt zu werden, da sich die Beklagten jedenfalls auf die Ausnahmevorschrift des § 9 Abs.8 Nr.2 PAngV berufen können, wie nachfolgend unter Ziff. 4 ausgeführt wird.
3.
Der Senat folgt dem Kläger darin, dass die Ausnahmevorschrift des § 9 Abs.8 Nr.1 PAngV nicht zugunsten der Beklagten eingreift. Der gegenteiligen Auffassung des Landgerichts vermag sich der Senat nicht anzuschließen.
Nach § 9 Abs.8 Nr.1 PAngV ist § 5 PAngV nicht anzuwenden auf Leistungen, die üblicherweise auf Grund von schriftlichen Angeboten oder schriftlichen Voranschlägen erbracht werden, die auf den Einzelfall abgestellt sind. Typisches Beispiel ist das Bauhandwerk (Harte/Henning/Völker, UWG, 2. Aufl., § 9 PAngV, Rn.49).
Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten und der Aussage des erstinstanzlich vernommenen Zeugen Behn ist es zwar üblich, dass die Leistung eines Tätowierers mit schriftlichen Entwürfen der beabsichtigten Tätowierung, also bildlichen Entwürfen vorbereitet wird, doch enthalten diese Entwürfe noch keinen Preis, sondern dieser wird auf der Basis des Entwurfs nur mündlich genannt.
Unter einem „schriftlichen Angebot“ oder einem „schriftlichen Voranschlag“ im Sinne des § 9 Abs.8 Nr.1 PAngV ist nach Auffassung des Senats eine Aufstellung zu verstehen, die aus individuellen Angebotspositionen – ggf. mit Einzelpreisen – besteht und am Ende einen bestimmten Gesamt- oder Endpreis schriftlich ausweist . Denn Zweck der PAngV ist es, durch eine sachlich zutreffende und vollständige Verbraucherinformation Preiswahrheit und Preisklarheit zu gewährleisten und durch optimale Preisvergleichsmöglichkeiten die Stellung der Verbraucher gegenüber Handel und Gewerbe zu stärken und den Wettbewerb zu fördern (BGH GRUR 2003, 971, 972 – Telefonischer Auskunftsdienst). Dies erfordert die Angabe eines bestimmten Preises am Ende des Angebots oder Voranschlags. Die Ausnahmebestimmung des § 9 Abs.8 Nr.1 PAngV soll den Leistungsanbieter nach dem Verständnis des Senats nur davon befreien, Preisverzeichnisse aufzuhängen, nicht aber davon, überhaupt Preise schriftlich mitzuteilen, sobald sich die Leistungen im Einzelfall hinreichend konkretisierbar sind.
4.
Für die Beklagten streitet jedoch die Ausnahmevorschrift des § 9 Abs.8 Nr.2 PAngV. Insoweit ist dem Landgericht zuzustimmen.
Nach § 9 Abs.8 Nr.2 PAngV ist § 5 PAngV nicht anzuwenden auf künstlerische, wissenschaftliche und pädagogische Leistungen; dies gilt nicht, wenn die Leistungen in Konzertsälen, Theatern, Filmtheatern, Schulen, Instituten und dergleichen erbracht werden.
a)
Die Beklagten erbringen künstlerische Leistungen im Sinne von § 9 Abs.8 Nr.2 PAngV. Die PAngV definiert nicht, was unter „künstlerischen Leistungen“ zu verstehen ist. Außerhalb des Preisangabenrechts wird die Frage, ob Tätowierer künstlerische Leistungen erbringen, unterschiedlich zu beurteilen sein :
Nach Meinung des BSG sindTätowierer keine Künstler im Sinne der Künstlersozialversicherung , da der Schwerpunkt im Handwerklichen liege (Urteil vom 28.2.2007, Aktz.B 3 KS 2/07 R, zitiert nach juris). Gemäß § 2 S.1 des KünstlersozialversicherungsG sind Künstler nur solche Personen, die Musik, darstellende oder bildende Kunst schaffen, ausüben oder lehren. Der Kunsthandwerker fällt nach Auffassung der BSG grundsätzlich nicht in die Künstlersozialversicherung (Rn.18 ).
Demgegenüber kann im Urheberrecht auch der Kunsthandwerker ein Künstler sein, wenn nämlich sein Werk den Anforderungen des § 2 Abs.1 Nr.4, Abs.2 UrhG genügt, also als persönliche geistige Schöpfung qualifiziert werden kann. Dabei dürfte das Tätowieren der angewandten Kunst zuzurechnen sein, da es jedenfalls im deutschen Kulturkreis der Verschönerung des körperlichen Erscheinungsbildes dient, also nicht zweckfrei wie die sog. bildende Kunst ist.
Indessen wird die Ausnahmebestimmung des § 9 Abs.8 Nr.2 PAngV nach Auffassung des Senats unabhängig von dem Begriff der künstlerischen Tätigkeit oder der Kunst in anderen Rechtsgebieten auszulegen zu sein, nämlich allein in Hinblick auf den Sinn und Zweck der PAngV. Die in § 9 Abs.8 Nr.2 PAngV aufgeführten Leistungen sind solche, die einerseits in besonderem Maße durch die Individualität des Leistungserbringers – Qualifikation, Renommee, Sympathie, Vertrauen – geprägt sind, andererseits durch den individuellen Zuschnitt der Leistung auf den einzelnen Leistungsempfänger. Eine Typisierung solchermaßen individuell geprägter Leistungen in Preisverzeichnissen erscheint kaum praktikabel und lebensfremd. Sie wäre auch ungeeignet, für den Verbraucher mehr Preistransparenz und Preisklarheit zu schaffen, weil die Preise wegen der Besonderheiten der jeweiligen Leistung und des Leistungserbringers nicht vergleichbar sind.
Nach dem unstreitigen Vortrag der Beklagten wird jede Tätowierung als Einzelauftrag mit Vorentwürfen an unterschiedlichen Körperteilen der Kunden in unterschiedlicher Zeit ausgeführt (s.o.) . Der Kläger hat Nichts dazu vorgetragen, dass die Beklagten irgendwelche standardisierten, einfachen Tätowierleistungen erbringen (Anker, Herzen o.ä.). Die von den Beklagten vorgelegten Fotos von Arbeiten des Beklagten zu 1. gemäß den Anlagen B 3 – B 7 belegen im Gegenteil ihren Vortrag, dass sie die unterschiedlichsten Tätowierungen vornehmen, z.T. komplexe Bildkompositionen , die den ganzen Rücken oder Arm bedecken (Anlagen B 4 und B 5). Jedenfalls ein Teil dieser Arbeiten wird nach Auffassung des Senats, der auch Fachsenat für Urhebersachen ist , als persönlich-geistige Schöpfungen im Sinne von § 2 UrhG zu qualifizieren sein, auch wenn es hierauf im Ergebnis – s.o. – nicht ankommen dürfte. Die Bandbreite und künstlerische Vielfältigkeit von Tätowierungen ist ferner durch das Fachmagazin „Tattoo-Spirit“ belegt ( Anlage B 1 ). Angesichts dieses substantiierten Vortrags der Beklagten zur Individualität ihrer Leistungen und zu den Leistungen von Tätowierern generell, dem der Kläger nicht entgegen getreten ist, sowie unter Berücksichtigung des unstreitigen tatsächlichen Ablaufs jeder Tätowierung geht der Senat vorliegend von einer als künstlerisch einzustufenden Tätigkeit der Beklagten im Sinne des § 9 Abs.8 Nr.2 PAngV aus.
b)
Die Beklagten erbringen ihre Leistungen auch nicht in Konzertsälen, Theatern oder Filmtheatern, Schulen, Instituten oder dergleichen.
Aus der Aufzählung „Konzertsäle…usw.“ ist zu folgern, dass es sich um Orte handeln muss, die für die Öffentlichkeit oder zumindest eine größere Zahl von Personen zugänglich oder bestimmt sind (Harte/Henning/Völker, UWG, 2.Aufl., § 9 PAngV Rn.50). Außerdem erbringt ein Künstler, der in Konzertsälen, Theatern oder Filmtheatern auftritt, seine Leistung in gleicher Weise gegenüber einer Vielzahl von Personen, also nicht individuell unterschiedlich gegenüber Einzelnen. Dementsprechend werden diese künstlerischen Leistungen typischerweise durch ein standardisiertes Eintrittsgeld abgegolten, das ohne weiteres durch einen Preisaushang bekannt gegeben werden kann, so dass eine Ausnahme von § 5 PAngV auch der Sache nach nicht gerechtfertigt erscheint.
Ein Gewerbebetrieb wie ein Tätowierstudio ist einem Konzertsaal oder Theater nicht vergleichbar. Zwar richtet sich sein Angebot an eine zunächst nicht näher eingegrenzte Öffentlichkeit. Die einzelne Leistung wird jedoch individuell gegenüber jedem einzelnen Kunden in unterschiedlicher Weise erbracht.
Allerdings meinen mehrere Kommentatoren der PAngV, dass die Privilegierung des § 9 Abs.8 Nr.2 PAngV entfalle, wenn es sich um Leistungen auf „allgemein zugänglichen Grundstücken“ oder in „allgemein zugänglichen Räumen“ handele (Fuhrmann/Ambs in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, PAngV, Stand Januar 2003, § 9 Rn.25; Piper/Ohly/Sosnitza , UWG, 5.Aufl., § 9 PAngV, Rn.25). Es wird vertreten, dass die Leistungen in „privaten Räumen“ erbracht werden müssten, um die Privilegierung des § 9 Abs.8 Nr.2 PAngV in Anspruch zu nehmen zu können ( Fuhrmann/Ambs a.a.O.; Gelberg in Landmann/Rohmer, GewO, 2010, § 9 Rn.20 ). Für diese Meinung könnte auch die gesetzgeberische Begründung zu der Ausnahmebestimmung des § 9 Abs.8 Nr.2 PAngV sprechen. Zu der gleichlautenden Vorgängerbestimmung des § 7 Abs.3 Nr.2 PAngV in der bis zum 30.9.1997 gültigen Fassung heißt es nämlich „Soweit künstlerische, wissenschaftliche und pädagogische Leistungen gegenüber einzelnen Personen in privaten Räumen erbracht werden, würde die Forderung eines Preisaushangs eine Übersteigerung der Zielsetzung der Verordnung bedeuten“ (Bundesanzeiger Nr.97 v. 24.3.1973, S.4, Unterstreichung durch den Senat).
In der vom Kläger angeführte Kommentierung von Völker (in Harte/Henning/Völker, UWG, 2.Aufl, § 9 Rn.50) ist allerdings nur ausgeführt, dass sich die Ausnahmevorschrift „im wesentlichen“ auf Leistungen für einzelne Personen oder kleine Personengruppen in privaten Räumen des Leistungsempfängers oder -erbringers beschränke. Diese nur beispielhafte Formulierung lässt den genauen Anwendungsbereich der Ausnahmevorschrift letztlich offen.
Nach Auffassung des Senats lässt das Gesetz eine Beschränkung der Ausnahmevorschrift auf die Leistungserbringung in nicht öffentlich zugänglichen Räumen, insbesondere privaten Wohnräumen nicht erkennen. Auch in Gewerbebetrieben, deren Räume für jedermann zugänglich sind, können individuelle künstlerische Leistungen erbracht werden, die einer Darbietung in einem Konzertsaal oder Theater nicht vergleichbar sind. So wird man z.B. auch nicht davon ausgehen können, dass ein Maler, der individuelle Portraits anfertigt, schon deshalb einen Preisverzeichnis aufzustellen hätte, weil er diese nicht in seinen privaten Wohnräumen anfertigt, sondern in einem Atelier, welches in einem freizugänglichen Ladengeschäft unterhalten wird. Seine Leistung bliebe dennoch ein individuelles künstlerisches Auftragswerk gegenüber einem einzelnen Kunden und wäre einer Darbietung in einem Konzertsaal oder Theater nicht vergleichbar. Nichts anderes kann für einen Tätowierer gelten, der als künstlerisch einzustufende Leistungen als Auftragswerke in einem Tätowierstudio anbietet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs.1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr.10, 711 ZPO. Der Senat lässt die Revision gemäß § 543 Abs.2 ZPO zu. Der Rechtsstreit betrifft mehrere höchstrichterlich nicht hinreichend geklärte Fragen des Preisangabenrechts, nämlich die Anforderungen an die Bestimmtheit des Leistungsangebots im Handwerk ( einschließlich Kunsthandwerk ) und den Anwendungsbereich der Ausnahmevorschriften der §§ 9 Abs.8 Nr.1 und 2 PAngV.