OLG Hamm: Bei umstrittenen Therapieformen muss die Werbung die Gegenmeinung darstellen

veröffentlicht am 24. Juli 2014

OLG Hamm, Urteil vom 20.05.2014, Az. 4 U 57/13
§ 3 HWG; § 5 UWG

Das OLG Hamm hat entschieden, dass die Werbung für ein fachlich umstrittenes Behandlungsverfahren (hier: Kinesiologie) mit Wirkungsaussagen die Gegenmeinung enthalten muss, um nicht irreführend zu sein. Anderenfalls sei dem Empfänger der einseitigen Werbung keine objektive Entscheidung möglich. Zum Volltext der Entscheidung:

Oberlandesgericht Hamm

Urteil

Die Berufung der Beklagten gegen das am 15. März 2013 verkündete Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Münster wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass es bei der Verurteilung zu Ziffer 1.5 statt „Sinnesfunktion“ „Sinnesfunktionen“ und bei der Verurteilung zu Ziffer 2. statt „Edu-Kinetik-BrainGym®“ „Edu-Kinestetik-BrainGym®“ und es im Anschluss an Ziffer 2.2 heißt: „wie jeweils geschehen im Internetauftritt der Beklagten unter der Domain www.kinesiologie-vbf.de gemäß Anlage K 1 (Bl. 10 – 50 d. A.)“.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
Der Kläger ist ein eingetragener Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben die Wahrung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder gehört, insbesondere die Achtung darauf, dass die Regeln des lauteren Wettbewerbs eingehalten werden.

Die Beklagte bietet u. a. sog. „begleitende Kinesiologie“ und „Edu-Kinestetik-BrainGym®“ an. Ihre Angebote bewirbt sie im Internet unter der Domain www.xxxx-xxx.de. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf die Anlage K 1 (Bl. 10 ff. d. A.) Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 06.09.2012 (Anlage K 2, Bl. 51. ff. d. A.) mahnte der Kläger die Beklagte ab. Er beanstandete, dass sie auf ihrer Internetseite für das Verfahren der Kinesiologie, für „Edu-Kinestetik-BrainGym®“, für eine „Photon-Wave®-Farblichtunterstützung“, ein „Elektrolyse Fußbad“ und eine „Magnetfeld-Resonanz-Stimulation (vita-life®)“ mit nicht belegten Wirkungsbehauptungen in irreführender Weise werbe und nicht über eine behördliche Erlaubnis zur Ausübung von Heilbehandlungen verfüge. Da die Beklagte die geforderte strafbewehrte Unterlassungserklärung nicht abgab, erwirkte der Kläger gegen sie eine einstweilige Verfügung, die das Landgericht Münster mit Beschluss vom 02.10.2012 – 022 O 111/12- erlassen hat. Wegen des Inhalts der einstweiligen Verfügung wird auf die Anlage K 3 (Bl. 74 ff. d. A.) verwiesen. Mit anwaltlichem Schreiben vom 18.10.2012 (Anlage K 5, Bl. 93 f. d. A.) gab die Beklagte eine Abschlusserklärung ab, soweit dies die angegriffenen Werbeangaben für die Verfahren „Photon-Wave®-Farblichtunterstützung“, „Elektrolyse Fußbad“ und „Magnetfeld-Resonanz-Stimulation (vita-life®)“ und das Anbieten, Bewerben und Ausführen von Heilbehandlungen ohne behördliche Erlaubnis betrifft. Wegen der Werbeangaben für „Kinesiologie“ und „Edu-Kinestetik-BrainGym®“ lehnte sie hingegen die Abgabe einer Abschlusserklärung ab.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die angegriffenen Werbeaussagen verstießen als irreführende Heilmittelwerbung gegen § 3 Nr. 1 HWG; zugleich sei das lauterkeitsrechtliche Irreführungsverbot nach § 5 UWG verletzt. Er hat unter Verweis auf das von der Stiftung Warentest herausgegebene Handbuch „Die andere Medizin“ (dortiger Eintrag zur Kinesiologie gemäß Anlage K 6, Bl. 95 ff. d. A.) sowie auf die Internetdatenbank „Wikipedia“, Stichwort „Kinesiologie“ (Anlage K 7, Bl. 101 ff. d. A.) behauptet, die Kinesiologie und ihre Varianten seien zu Diagnosezwecken ungeeignet; auch sei eine therapeutische Wirksamkeit nicht belegt. Es handele sich um eine Pseudowissenschaft.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an der Beklagten, zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu werben:

1. für das Behandlungsverfahren „Kinesiologie“:

1.1.

„Auf sanfte Art werden die Selbstheilungskräfte aktiviert“,

1.2.

„Die Kinesiologie bietet Ihnen Unterstützung und Hilfe bei:

…“

1.2.1.

„…Gesunderhaltung“,

1.2.2.

„…Steigerung der Leistungsfähigkeit“,

1.3.

„Unterstützung oder Beschleunigung des

Genesungsprozesses“,

1.4.

„Linderung bei körperlichen Beschwerden“,

1.5.

„Optimierung des Lernpotentials und der Sinnesfunktion“,

1.6.

„Hilfe bei Allergien, Unverträglichkeiten und toxischen

Belastungen“,

1.7. mit dem Anwendungsgebiet:

1.7.1.

„Narbenstörungen“,

1.7.2.

„Migräne“,

1.7.3.

„Rückenschmerzen“,

1.7.4.

„Verdauungsprobleme“,

1.7.5.

„Menstruationsschmerzen“,

1.7.6.

„Entgiftung“,

1.7.7.

„Burnout“,

1.7.8.

„Schlafstörungen“,

1.7.9.

„Nervosität“,

1.7.10.

„Depressionen“,

1.8

„Mit sanftem Druck wird der Muskeltonus, zum Beispiel am

Arm, getestet. So erfahren wir, wo und wie der natürliche

Energiefluss im Körper beeinträchtigt wird ….

Kinesiologische Balancen bauen Stress ab und regen die

Selbstheilungskräfte an“,

2.

für das kinesiologische Verfahren „Edu-Kinetik-BrainGym®“:

2.1.

„Verbesserung von Lernvoraussetzungen und Lernfähigkeiten“,

2.2.

„Auflösung von Energieblockaden zwischen den beiden

Gehirnhälften“.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat mit näheren Ausführungen geltend gemacht, sie übe als „Begleitende Kinesiologin“ keine erlaubnispflichtige Heilkunde aus. Bei der „begleitenden Kinesiologie“ würden kinesiologische Techniken genutzt, um gemeinsam mit den Klienten Wege zu erarbeiten, mit denen diese ihre persönlichen Ziele besser erreichen könnten. Sie unterstützte die Klienten darin, ihr persönliches Potenzial zu entdecken und zu entfalten. Es gehe um pädagogische und gesundheitsfördernde Themenstellungen. Die Werbeaussagen seien nicht irreführend. Sie behaupte keine medizinisch-therapeutische Wirksamkeit oder Wirkung der von ihr angebotenen Verfahren. Sie nehme nicht für sich in Anspruch, dass es sich bei der „begleitenden Kinesiologie“ um eine Methode zur Diagnostik oder Therapie von psychischen oder physischen Erkrankungen handele. Das sei für einen durchschnittlich informierten und verständigen Verbraucher ohne Weiteres erkennbar. Sie weise ihre Kunden zudem schriftlich darauf hin, dass die Kinesiologie keine ärztliche Untersuchung ersetze. Es handele sich um ein zur Diagnostik oder Therapie geeignetes Verfahren, das auch von Heilpraktikern und Ärzten genutzt werde. Zudem seien kinesiologische Methoden sehr gut zur Entspannungs- und Gesundheitsprophylaxe geeignet. Der Vortrag des Klägers, der die Internetdatenbank „Wikipedia“ und die „Stiftung Warentest“ dafür anführe, dass es sich bei der Kinesiologie um eine „Pseudowissenschaft“ handele, sei unsubstantiiert.

Das Landgericht hat die Beklagte mit dem angefochtenen Urteil antragsgemäß verurteilt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe durch Vorlage der Anlagen K 6 und K 7 das Fehlen einer wissenschaftlichen Grundlage für die betreffenden Wirkungsaussagen substantiiert vorgetragen. Die Beklagte habe für die behaupteten Wirkungen keinerlei wissenschaftlichen Nachweis erbracht. Die Werbung sei daher nach § 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 3 HWG sowie unter dem Gesichtspunkt der Irreführung nach § 5 UWG unlauter.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, die sie wie folgt begründet: Die Werbung für die Verfahren der Kinesiologie und des „Edu-Kinestetik-BrainGym“ erwecke nicht den irreführenden Eindruck, dass sich diese auf die Beseitigung und Linderung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden bezögen. Das Landgericht habe nicht berücksichtigt, dass die Beklagte im direkten Zusammenhang mit der beanstandeten Werbung eine (unterstellte) Behauptung von Wirkungen der von ihr praktizierten Verfahren durch den Hinweis relativiert habe, dass die Kinesiologie keine ärztliche Untersuchung ersetze, jedoch eine sinnvolle Ergänzung und Unterstützung einer medizinischen/therapeutischen Behandlung sein könne. Somit stelle sie gerade nicht in Aussicht, die betreffenden Beschwerden mit den von ihr angewandten Techniken heilen zu können, so dass ärztliche Behandlungen entfallen könnten.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass es bei der Verurteilung zu Ziffer 1.5 statt „Sinnesfunktion“ „Sinnesfunktionen“ und bei der Verurteilung zu Ziffer 2. statt „Edu-Kinetik-BrainGym®“ „Edu-Kinestetik-BrainGym®“ und es im Anschluss an Ziffer 2.2 heißt: „wie jeweils geschehen im Internetauftritt der Beklagten unter der Domain www.kinesiologie-vbf.de gemäß Anlage K 1 (Bl. 10 – 50 d. A.)“.

Er verteidigt das Urteil des Landgerichts unter Bezugnahme auf sein erstinstanzlichen Vorbringen und vertritt mit näheren Ausführungen die Ansicht, der Hinweis der Beklagten, dass die Kinesiologie keine ärztliche Untersuchung ersetze, reiche nicht aus, um die Gefahr der Irreführung der angesprochenen Verkehrskreise zu beseitigen.

Nachdem der Senat den Kläger durch den Berichterstatter darauf hingewiesen hat, dass sein Vorbringen zum Nachweis des wissenschaftlichen Streitstands hinsichtlich der in Rede stehenden Verfahren mit Blick auf die Anlagen K 6 und K 7 nicht ausreichend sei, trägt er nun ergänzend vor. Er verweist darauf, dass Prof. Dr. F sog. „Schlussgutachter“ des zitierten Handbuchs der Stiftung Warentest „Die andere Medizin“, 5. Aufl. 2005, sei. Dieser sei bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2011 Inhaber eines Lehrstuhls im Bereich der Komplementärmedizin der Universität F in England gewesen. Seine Forschungstätigkeit habe sich auf die evidenzbasierte Überprüfung von Methoden der Komplementärmedizin konzentriert. Mit näheren Darlegungen beruft sich der Kläger zudem auszugsweise auf das Werk „Praxis Naturheilverfahren“ (herausgegeben von Prof. Dr. F) (Anlage K 12, Bl. 247 ff. d. A.), auf das „Lexikon der Parawissenschaften“ (Anlage K 13, Bl. 259 ff. d. A.) sowie auf eine Stellungnahme der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) zur Kinesiologie (Anlage K 15, Bl. 267 d. A.) und behauptet weiterhin, dass die Methode der Kinesiologie keine wissenschaftliche Grundlage habe.

Die Beklagte macht demgegenüber geltend, für die Kinesiologie bestehe eine wissenschaftliche Grundlage. Sie wendet sich mit näheren Darlegungen gegen die inhaltliche Richtigkeit bzw. Validität der vom Kläger vorgelegten Unterlagen und rügt deren fehlende Nachprüfbarkeit und mangelnde Erkennbarkeit des Verfassers.

Sie meint, eine Umkehr der Beweislast sei nicht eingetreten. Dass ihre Aussagen richtig seien, ergebe sich daraus, dass die Methoden der Kinesiologie in der Praxis bei Schulmedizinern bzw. Ärzten anerkannt seien. Diese berichteten durchgängig von positiven Erfahrungen mit der Kinesiologie und rieten diese Methoden ihren Patienten auch als Ergänzung zur ärztlichen Behandlung an. Die Beklagte überreicht dazu mit Schriftsatz vom 07.03.2014 Stellungnahmen mehrerer Ärzte (Anlage BB 1). Sie weist zudem unter Bezugnahme auf einen Internetausdruck (Anlage BB 2) darauf hin, dass Kinesiologie am Institut für Sportmedizin und Prävention der Universität Potsdam seit langem gelehrt werde. Es existiere eine Vielzahl an wissenschaftlich-medizinischer Fachliteratur, die von einer Wirksamkeit der Kinesiologie ausgehe. So beschreibe auch der anerkannte Wissenschaftler Prof. Dr. H in dem Werk „Mein Rückenbuch: Das sanfte Programm zwischen High Tech und Naturheilkunde“ die erfolgreichen Wirkungsweisen der Kinesiologie (Anlage BB 3). In der Schweiz sei die Kinesiologie längst als alternative Therapiemethode anerkannt, so durch die dortige Krankenversicherung T (Anlage BB 4). Auch die deutsche Fußball-Nationalmannschaft werde kinesiologisch behandelt, wie sich aus den als Anlage BB 5 vorgelegten Internetausdrucken ergebe. Zudem schätze Frau Dr. med. D die Kinesiologie als ideale Ergänzung der modernen Medizin ein (Anlage BB 6). Schließlich stellt die Beklagte die Richtigkeit ihrer Aussagen unter Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrags der Parteien wird auf den Inhalt der zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

1.
Die Klage ist zulässig.

a)
Die Unterlassungsanträge sind mit der nunmehr erfolgten Bezugnahme auf den Internetauftritt der Beklagten als konkrete Verletzungshandlung hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Klarstellungen bezüglich der Klageanträge zu Ziffer 1.5 und zu Ziffer 2. sind allein aus sprachlichen Gründen erfolgt.

b)
Der Kläger ist für das vorliegende Verfahren nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG klagebefugt, was die Beklagte auch nicht in Zweifel zieht.

2.
Die Klage ist auch begründet.

Dem aktivlegitimierten Kläger stehen die geltend gemachten Unterlassungsansprüche gegen die Beklagte aus §§ 8 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 2; 3 Abs. 1; 4 Nr. 11 UWG i. V. m. § 3 S. 1, S. 2 Nr. 1 HWG; § 5 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 1 UWG zu.

a)
Bei den angegriffenen Werbeaussagen handelt es sich um geschäftliche Handlungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG.

b)
Die mit den Anträgen zu 1.1., 1.3., 1.4., 1.6., 1.7.1. bis 1.7.10., 1.8. und 2.2. angegriffenen Werbeaussagen sind nach §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 11 UWG i. V. m. § 3 S. 1, S. 2 Nr. 1 HWG unlauter.

aa)
Die Vorschrift des § 3 HWG stellt eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG dar (vgl. Köhler/Bornkamm, 32. Aufl., § 4 UWG Rn. 11.134a m. w. N.).

Der Anwendung von § 4 Nr. 11 UWG steht nicht entgegen, dass die mit dem UWG 2008 in deutsches Recht umgesetzte Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken, die in ihrem Anwendungsbereich eine vollständige Harmonisierung des Lauterkeitsrechts bezweckt und die Frage der Unlauterkeit von Geschäftspraktiken im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern abschließend regelt, keinen dieser Vorschrift vergleichbaren Unlauterkeitstatbestand kennt. Die Richtlinie 2005/29/EG lässt die Rechtsvorschriften der Union und der Mitgliedstaaten in Bezug auf Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten unberührt (Art. 3 Abs. 3 und Erwägungsgrund 9 der Richtlinie 2005/29/EG). Die Anwendung des § 4 Nr. 11 UWG steht daher mit der Richtlinie 2005/29/EG im Einklang, soweit Marktverhaltensregelungen – wie im Streitfall – dem Gesundheitsschutz von Verbrauchern dienen (BGH, WRP 2012, 705 – INJECTIO – m. w. N.).

bb)
Die Aussagen der Beklagten, die Gegenstand der Klageanträge zu 1.1., 1.3., 1.4., 1.6., 1.7.1. bis 1.7.10., 1.8. und 2.2. sind, beinhalten eine nach § 3 S. 1 und S. 2 Nr. 1 HWG unzulässige irreführende Werbung.

(1)
Die Vorschriften des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) sind insoweit anwendbar. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 HWG findet dieses Gesetz u. a. Anwendung auf die Werbung für Verfahren bzw. Behandlungen, soweit sich die Werbeaussage auf die Erkennung, Beseitigung oder Linderung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden bezieht. Eine heilmittelwerberechtlich relevante Werbung sind alle informationsvermittelnden und meinungsbildenden Aussagen, die darauf abzielen, die Aufmerksamkeit der Adressaten zu erwecken und deren Entschlüsse mit dem Ziel der Förderung des Absatzes von Heilmitteln zu beeinflussen (Fezer/Reinhart, UWG, 2. Aufl., § 4-S4 Rn. 424 m. w. N.). Diese Definition steht in Einklang mit Art. 86 Abs. 1 des Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel (Richtlinie 2001/83/EG), der Werbung definiert als „alle Maßnahmen zur Information, zur Marktuntersuchung und zur Schaffung von Anreizen mit dem Ziel, die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch von Arzneimitteln zu fördern“. Danach ist das Absatzförderungsziel konstitutiv für den Begriff der Werbung (Senat, Urteil vom 29.11.2007 – 4 U 121/07 = Magazindienst 2008, 285 m. w. N.). Hier dienen die Angaben der Beklagten auf ihrer Internetseite ersichtlich der Förderung des Absatzes der von ihr angebotenen und konkret genannten Behandlungen bzw. Verfahren und sind somit als Werbung anzusehen.

Die mit den Anträgen zu 1.1., 1.3., 1.4., 1.6., 1.7.1. bis 1.7.10., 1.8. und 2.2. angegriffenen Werbeaussagen beziehen sich auf die Beseitigung bzw. Linderung von Krankheiten, Leiden bzw. krankhaften Beschwerden und – hinsichtlich der Werbeaussage gem. dem Klageantrag zu 1.8. – auch auf deren Erkennung. Dies ergibt sich bereits daraus, dass von der Aktivierung bzw. Anregung der „Selbstheilungskräfte“, von einer „Unterstützung oder Beschleunigung des Genesungsprozesses“, einer „Linderung bei körperlichen Beschwerden“ und der „Hilfe bei Allergien, Unverträglichkeiten und toxischen Belastungen“ sowie von einer „Auflösung von Energieblockaden“ die Rede ist. Dass es nach dem Inhalt der Werbung um körperliche und psychische Beschwerden mit Krankheitswert geht, wird auch mit Blick auf die genannten Anwendungsgebiete deutlich (vgl. die Klageanträge zu 1.6. und 1.7.1. bis 1.7.10.).

Selbst wenn man hinsichtlich einzelner Anwendungsgebiete (etwa Menstruationsschmerzen) einen Krankheitsbezug verneinte, ist jedenfalls die Vorschrift des § 5 UWG anwendbar (s. unten zu c)).

(2)
Nach § 3 S. 1 HWG ist eine irreführende Werbung unzulässig. Gemäß § 3 S. 2 Nr. 1 HWG liegt eine Irreführung insbesondere dann vor, wenn Verfahren oder Behandlungen eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkung beigelegt wird, die sie nicht haben. Von dieser Vorschrift wird auch die Werbung mit unzureichend wissenschaftlich gesicherten Wirkungsaussagen erfasst (OLG Hamburg, Beschluss vom 05.11.2012 – 3 W 18/12 = BeckRS 2013, 01067).

Bei gesundheitsbezogener Werbung sind besonders strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussage zu stellen, da mit irreführenden gesundheitsbezogenen Angaben erhebliche Gefahren für das hohe Schutzgut des Einzelnen sowie der Bevölkerung verbunden sein können (BGH, WRP 2002, 74 – Das Beste jeden Morgen; Köhler/Bornkamm, UWG, 32. Aufl., § 4 Rn. 1.243).

Im Interesse des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung gilt für Angaben mit fachlichen Aussagen auf dem Gebiet der gesundheitsbezogenen Werbung generell, dass die Werbung nur zulässig ist, wenn sie gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht (BGH, GRUR 1971, 153, 155 = NJW 1971, 323 – Tampax; GRUR 1991, 848, 849 = NJW-RR 1991, 848 – Rheumalind II; GRUR 2002, 273, 274 = WRP 2001, 1171 – Eusovit; GRUR 2013, 649 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil; OLG Hamburg, PharmaR 2007, 204, 206; Köhler/Bornkamm, UWG, 32. Aufl., § 5 Rn. 4.183; Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl., § 4 Rn. 1/140).

Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, wenn dem Werbenden jegliche wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse fehlen, die die werbliche Behauptung stützen können (OLG Düsseldorf, MD 2008, 49, 52 f.). Unzulässig ist es außerdem, wenn mit einer fachlich umstrittenen Meinung geworben wird, ohne die Gegenmeinung zu erwähnen (BGH, GRUR 1991, 848, 849 – Rheumalind II; GRUR 2002, 273, 274 – Eusovit; GRUR 2013, 649 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil; Köhler/Bornkamm, UWG, 32. Aufl., § 5 Rn. 4.183; Fezer/Reinhart, UWG, 2. Aufl., § 4-S 4 Rn. 452).

Die Aussagen, die Gegenstand der Anträge zu 1.1., 1.3., 1.4., 1.6., 1.7.1. bis 1.7.10., 1.8. und 2.2. sind, lauten dahin, dass das Verfahren der Kinesiologie die Selbstheilungskräfte aktiviert bzw. anregt, den Genesungsprozesses unterstützt oder beschleunigt, körperliche Beschwerden lindert (Narbenstörungen, Migräne, Rückenschmerzen, Verdauungsprobleme, Menstruationsschmerzen, Entgiftung), Entlastung bei emotionalen und psychischen Themen verschafft (Burnout), zur Begleitung bei seelischer Erschöpfung oder Verlust der Lebensfreude dient (Schlafstörungen, Nervosität, Depression), Hilfe bei Allergien, Unverträglichkeiten und toxischen Belastungen bietet, dass durch Kinesiologie erfahren werden kann, „wo und wie der natürliche Energiefluss im Körper beeinträchtigt wird“, und dass das Verfahren „Edu-Kinestetik BrainGym®“ „Energieblockaden“ zwischen den beiden Gehirnhälften auflösen kann. Zwar weist die Beklagte auf ihrer Internetseite auch darauf hin, dass man in der begleitenden Kinesiologie nicht therapeutisch tätig werde (Anlage K 1, Bl. 10 d. A.) und die Kinesiologie keine ärztliche Untersuchung ersetze (Anlage K 1, Bl. 23 d. A.). Zugleich teilt sie dort jedoch auch mit, dass die Kinesiologie eine sinnvolle Ergänzung und Unterstützung einer medizinischen/therapeutischen Behandlung sein könne (Anlage K 1, Bl. 23 d. A.) bzw. therapeutische Prozesse sehr effektiv begleiten und unterstützen könne (Anlage K 1, Bl. 10 d. A.). Damit stellt sie zwar keine Heilung von Krankheiten allein durch die Anwendung der (begleitenden) Kinesiologie in Aussicht. Sie suggeriert aber gleichwohl, dass die von ihr angebotenen Leistungen als Ergänzung bzw. Unterstützung einer medizinischen/therapeutischen Behandlung zur Linderung der genannten Krankheiten, Leiden bzw. krankhaften Beschwerden beitragen können und insoweit eine Wirkungsmöglichkeit besteht.

Der Nachweis, dass eine gesundheitsbezogene Angabe nicht gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht, obliegt zwar grundsätzlich dem Kläger als Unterlassungsgläubiger. Eine Umkehrung der Darlegungs- und Beweislast kommt aber dann in Betracht, wenn der Beklagte mit einer fachlich umstrittenen Meinung geworben hat, ohne die Gegenmeinung zu erwähnen. Der Werbende übernimmt in einem derartigen Fall dadurch, dass er eine bestimmte Aussage trifft, die Verantwortung für die Richtigkeit, die er im Streitfall auch beweisen muss (BGH, GRUR 1991, 848, 849 – Rheumalind II). Ob die beanstandete Aussage wissenschaftlich umstritten ist, muss wiederum vom Kläger dargelegt und bewiesen werden (OLG Hamburg, GRUR-RR 2004, 88, 89; Fezer/Reinhart, a. a. O., § 4-S 4 Rn. 450). Eine entsprechende Umkehr der Darlegungs- und Beweislast gilt, wenn der Kläger darlegt und nachweist, dass nach der wissenschaftlichen Diskussion die Grundlagen, auf die der Werbende sich stützt, seine Aussage nicht rechtfertigen (OLG Hamburg, GRUR-RR 2004, 88, 89) oder sogar jegliche tragfähige wissenschaftliche Grundlage für die Behauptung fehlt (BGH, GRUR 2013, 649 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil; OLG Düsseldorf, Magazindienst 2008, 49, 52 f.; OLG Hamburg, PharmR 2011, 99, 102; Weidert in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 3. Aufl., § 5 Rn. C175; Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl., § 4 Rn. 1/140; Zimmermann, HWG, § 3 Rn. 5). Der Kläger hat das Fehlen einer wissenschaftlichen Grundlage substantiiert vorzutragen (vgl. OLG Hamburg, a. a. O.; Fezer/Reinhart, a. a. O., § 4-S4 Rn. 450).

Es kann dahinstehen, ob der Kläger nachgewiesen hat, dass nach der wissenschaftlichen Diskussion die Grundlagen, auf die die Beklagte sich stützt, ihre Aussagen nicht rechtfertigen oder sogar jegliche tragfähige wissenschaftliche Grundlage für ihre Behauptungen fehlt. Denn unter Berücksichtigung seines weiteren Vortrags, der nach dem Hinweis des Senats erfolgt ist, hat der Kläger nun hinreichend dargetan und durch die vorgelegten Unterlagen auch den Nachweis geführt, dass die beanstandeten Angaben der Beklagten wissenschaftlich jedenfalls umstritten sind.

In dem Handbuch „Die andere Medizin“, herausgegeben von der Stiftung Warentest im Jahre 2005, ist das Konzept der Kinesiologie und der „Edu-Kinestetik“ beschrieben; es wird ausgeführt, dass der angewandte Muskeltest auf einer Annahme beruhe, die jeglicher wissenschaftlicher Plausibilität entbehre; die Kinesiologie und ihre Varianten hätten keine diagnostische Aussagekraft; das Risiko von Fehldiagnosen und falschen Behandlungsempfehlungen sei erheblich; die therapeutische Wirksamkeit der kinesiologischen Therapie, der Edu-Kinestetik und der psychologischen Kinesiologie sei nicht belegt (S. 184 und 187 des Handbuchs) (Anlage K 6, Bl. 96 und 99 d. A.). Auch wenn Autorinnen des Handbuchs zwei Journalistinnen sind, berichten diese offenkundig über einen in der Wissenschaft zur Kinesiologie vertretenen Standpunkt. Das folgt daraus, dass ausweislich der vom Kläger vorgelegten Anlage K 10 (Bl. 241 d. A.) Prof. Dr. F „Schlussgutachter“ des Handbuchs ist. Der Senat geht deshalb davon aus, dass ihm die Ausführungen in dem Handbuch bekannt sind und er diese vollinhaltlich billigt. Dazu verfügte Prof. Dr. F auch über Fachkompetenz. Denn unstreitig war er seinerzeit mit der evidenzbasierten Überprüfung von Methoden der Komplementärmedizin wissenschaftlich tätig, wie der Kläger mit Schriftsatz vom 08.01.2014 dargelegt hat.

Dass Prof. Dr. F in mindestens einer weiteren Publikation die Meinung vertreten hat, dass die Methode der Kinesiologie keine wissenschaftliche Grundlage hat und nicht als (diagnostisches) Verfahren empfohlen werden kann, ergibt sich aus den vorgelegten Auszügen aus dem von ihm herausgegebenen und im Jahr 2001 erschienenen Handbuch „Praxis Naturheilverfahren“. Darin wird Bezug auf drei Studien genommen, nach denen die Validität des Verfahrens nicht bestätigt wurde (dort S. 24 (Anlage K 12, Bl. 258 d. A.). Soweit die Beklagte dagegen einwendet, es sei unklar, wer Autor des Eintrags sei, ergibt sich aus dem Hinweis auf Seite XII des Handbuchs, dass alle Kapitel, bei denen keine Autoren genannt sind, gemeinsam von „E. F“ und weiteren genannten Mitautoren verfasst worden sind (Bl. 257 d. A.).

Ferner ist in dem „Lexikon der Parawissenschaften“, das im Jahr 1999 erschienen und u. a. von Doz. Dr. med. X herausgegeben worden ist, zum Stichwort „Kinesiologie“ ausgeführt, dass die Eignung des Verfahrens zur Allergiediagnostik aufgrund einer klinischen Studie nicht bestätigt worden sei (Anlage K 13, Bl. 265 d. A.).

Nach alledem geht der Senat schon aufgrund der vorgenannten Literaturnachweise davon aus, dass die in Rede stehenden Angaben der Beklagten in ihrem Internetauftritt jedenfalls wissenschaftlich umstritten sind. Es kommt nicht mehr entscheidend darauf an, dass in der Stellungnahme der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) auf deren Internetseite (Anlage K 15, Bl. 267 d. A.) und in der Internetdatenbank „Wikipedia“ (Anlage K 7, Bl. 101 d. A.) ebenfalls ausgeführt ist, dass eine Wirksamkeit der Kinesiologie nicht belegt ist.

Zwar sind die vom Kläger angeführten Schriften bereits vor längerer Zeit veröffentlicht worden. Es ist aber weder konkret vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die darin vertretene Ansicht seitens des betreffenden Verfassers inzwischen aufgegeben worden ist.

Soweit die Beklagte bestreitet, dass die Untersuchungen, die in den vom Kläger angeführten Werken erwähnt sind, stattgefunden haben, und einwendet, Einzelheiten dazu seien nicht mitgeteilt, betrifft das die Frage der inhaltlichen Richtigkeit der dort vertretenen Ansicht. Das ändert aber nichts daran, dass die in Rede stehenden Aussagen der Beklagten wissenschaftlich umstritten sind.

Die Beklagte weist in ihrer Internetwerbung nicht deutlich auf die Gegenmeinung hin. Wie vorstehend ausgeführt, suggeriert sie mit den beanstandeten Aussagen, dass die von ihr angebotenen Leistungen als Ergänzung bzw. Unterstützung einer medizinischen/therapeutischen Behandlung zur Linderung der genannten Krankheiten, Leiden bzw. krankhaften Beschwerden beitragen können und eine Wirkungsmöglichkeit besteht. Dass dies zumindest von Teilen der medizinischen Wissenschaft nicht anerkannt wird, stellt die Beklagte in ihrer Werbung nicht deutlich heraus.

Nach alledem tritt eine Umkehr der Beweislast ein (vgl. BGH, GRUR 1991, 848, 849 – Rheumalind II; BGH, GRUR 2013, 649 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil). Dies hat zur Folge, dass die Beklagte den Beweis der Richtigkeit ihrer Aussagen erbringen muss. Diesen Beweis hat sie nicht geführt. Ihrem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens war nicht nachzugehen. Denn der in Anspruch genommene Stand der Wissenschaft muss bereits im Zeitpunkt der Werbung dokumentiert sein; eine (erstmalige) Erhebung durch Sachverständigenbeweis im Unterlassungsprozess kommt nicht in Betracht, denn auch ein solches Gutachten kann den Vorwurf nicht entkräften, mit einer im Zeitpunkt der Werbung nicht belegten Aussage geworben zu haben (OLG Düsseldorf, Magazindienst 2008, 49; OLG Frankfurt, OLG-RR 2003, 295; OLG Hamburg, GRUR-RR 2004, 88; OLG München, Magazindienst 2009, 784; OLG Hamburg, Beschluss vom 05.11.2012 – 3 W 18/12 = BeckRS 2013, 01067; Köhler/Bornkamm, UWG, 32. Aufl., § 5 Rn. 3.26).

Der Nachweis der Richtigkeit der Aussagen der Beklagten ist auch nicht durch die von ihr vorgelegten Unterlagen geführt. Aus den ärztlichen Stellungnahmen (Anlagen BB 1 und BB 6) ergibt sich zwar, dass die genannten Ärzte sich für das Verfahren der Kinesiologie aussprechen und dieses mit positiven Erfahrungen anwenden. Das zeigt, dass es in der medizinischen Praxis und Wissenschaft durchaus Befürworter des Verfahrens gibt, reicht aber nicht als Nachweis dafür aus, dass die Werbebehauptungen der Beklagten gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entsprechen (zu diesem Erfordernis BGH, GRUR 2013, 649 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil).

Gleiches gilt für den weiteren, auf die Anlagen BB 2 bis BB 5 gestützten Vortrag der Beklagten, wonach Kinesiologie am Institut für Sportmedizin und Prävention der Universität Potsdam seit langem gelehrt wird, es wissenschaftlich-medizinische Fachliteratur gibt, in der eine Wirksamkeit der Kinesiologie bejaht wird, und eine schweizerische Versicherung die Kinesiologie als Therapieanwendung der Alternativmedizin anerkannt hat und die deutsche Fußball-Nationalmannschaft kinesiologisch behandelt wird. Auch dies vermag nichts daran zu ändern, dass ausweislich der vom Kläger eingereichten Unterlagen in der Wissenschaft die Meinung vertreten wird, dass die hier in Rede stehenden Verfahren einer wissenschaftlichen Grundlage entbehren. Danach kann nicht davon ausgegangen werden, dass die betreffenden Angaben der Beklagten wissenschaftlich gesichert sind.

Vor diesem Hintergrund bedurfte es nicht der Vernehmung der von ihr benannten Ärzte als Zeugen. Es kann als wahr unterstellt werden, dass diese sich für das Verfahren der Kinesiologie aussprechen.

Für die Beurteilung der Zulässigkeit der hier gegenständlichen Werbung der Beklagten im Internet ist es unerheblich, ob sie ihren Kunden unmittelbar vor Inanspruchnahme ihrer Leistungen weitergehende Informationen zuteil werden lässt, etwa im Rahmen einer sog. Sitzungsvereinbarung. Für das Vorliegen einer Irreführung (Irreführungsgefahr) reicht es aus, dass sich der angesprochene Verkehr auf Grund der irreführenden Angaben überhaupt erst oder näher mit dem Angebot befasst. Auf eine nachträgliche Aufklärung kommt es bei einer solchen Sachlage nicht an. Eine Angabe ist regelmäßig auch dann als irreführend zu beanstanden, wenn der angesprochene Verkehr im Zeitpunkt seiner Vertragsentschließung nicht mehr in einem Irrtum befangen ist, die betreffende Angabe aber geeignet war, ihn anzulocken und dem Angebot näherzutreten, das er sonst nicht oder nicht in dieser Weise beachtet hätte (vgl. Ohly/Sosnitza, UWG, 6. Aufl., § 5 Rn. 106 m. w. N.).

Nach alledem hat die Beklagte gegen das Verbot der irreführenden Werbung nach § 3 S. 1 und S. 2 Nr. 1 HWG verstoßen.

c)
Soweit es die Werbeaussagen der Beklagten betrifft, die Gegenstand der Anträge zu 1.2.1. („… Gesunderhaltung“), 1.2.2. („… Steigerung der Leistungsfähigkeit“), 1.5. („Optimierung des Lernpotentials und der Sinnesfunktion“), 2.1. („Verbesserung von Lernvoraussetzungen und Lernfähigkeiten“) sind, liegt ein Verstoß gegen § 3 S. 1 und S. 2 Nr. 1 HWG nicht vor. Denn diese Aussagen beziehen sich nicht auf die Erkennung, Beseitigung oder Linderung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden. Insoweit geht es um die Verbesserung von körperlichen bzw. geistigen Funktionen bzw. um die Gesunderhaltung, ohne dass ein Krankheitsbezug gegeben ist. Ist die Werbeaussage nicht krankheitsbezogen im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 HWG oder bezieht sie sich ausschließlich auf die Verhütung von Krankheiten, ist der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Nr. 2 HWG nicht eröffnet (vgl. Fezer/Reinhart, UWG, 2. Aufl., § 4-S4 Rn. 433 m. w. N.).

Indes sind die mit den Klageanträgen zu 1.2.1., 1.2.2., 1.5. und 2.1. angegriffenen Werbeaussagen irreführend nach § 5 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 1 UWG. Eine Anwendung des § 5 UWG ist durch die Spezialvorschrift des § 3 HWG nicht ausgeschlossen, da insoweit kumulative Normkonkurrenz besteht (vgl. Senat, GRUR-RR 2009, 186).

Mit den betreffenden Angaben bringt die Beklagte zum Ausdruck, dass das Verfahren der Kinesiologie zur Gesunderhaltung und Steigerung der Leistungsfähigkeit sowie zur Optimierung des Lernpotentials und der Sinnesfunktionen beitragen kann und dass das Verfahren „Edu-Kinestetik-BrainGym®“ zur Verbesserung von Lernvoraussetzungen und Lernfähigkeiten angewandt wird. Sie suggeriert dabei zumindest das Bestehen einer Wirkungsmöglichkeit (s. oben b) bb) (2)).

Auch insoweit geht der Senat davon aus, dass dieses Verbraucherverständnis der Werbung nicht mit den tatsächlichen Verhältnissen übereinstimmt. Denn die vorstehend zu b) bb) (2) dargestellten Grundsätze der Beweislastverteilung gelten hier entsprechend (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, 32. Aufl., § 5 Rn. 3.26). Da die Beklagte nicht deutlich auf die Gegenmeinung hingewiesen hat (s. o.), trifft sie die Beweislast für die Richtigkeit ihrer Aussagen. Diesen Beweis hat sie – wie bereits dargestellt – nicht geführt.

d)
Die nach alledem vorliegende Irreführung der Verbraucher ist auch wettbewerbsrechtlich relevant. Denn es geht um das hohe Schutzgut der Gesundheit des Einzelnen sowie der Bevölkerung (vgl. BGH, GRUR 2013, 649 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil). Bei gesundheitsbezogener Werbung sind besonders strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussage zu stellen.

Aus diesen Gründen beinhaltet auch der Verstoß gegen § 3 S. 1 und S. 2 Nr. 1 HWG eine spürbare Interessenbeeinträchtigung im Sinne des § 3 Abs. 1 UWG.

e)
Das Bestehen einer Wiederholungsgefahr wird vermutet. Eine strafbewehrte Unterlassungserklärung der Beklagten hinsichtlich der streitgegenständlichen Werbeaussagen liegt nicht vor.

f)
Auf die Frage, ob die Beklagte erlaubnispflichtige Heilkunde ausübt, kommt es im vorliegenden Rechtsstreit nicht an, weil dies nicht Gegenstand der Klageanträge ist.

III.
Die Entscheidungen zur Kostentragung und zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

IV.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO bestehen nicht.

V.
Der Streitwert für die Berufungsinstanz beträgt 15.000,00 €.

Vorinstanz:
LG Münster, Az. 22 O 143/12

I