OLG Hamm: Zur Bestimmheit des Klageantrags bei Bezugnahme auf einen USB-Stick (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO)

veröffentlicht am 13. Juli 2022

OLG Hamm, Urteil vom 10.06.2021, Az. 4 U 1/20
§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO

Das OLG Hamm hat entschieden, dass es einer Verfahrenspartei nicht verwehrt werden kann, ihren Anspruch auf den zur Akte gereichten USB-Stick zu stützen, wenn es für die Begründetheit des Anspruchs auf eine – anders nicht umsetzbare – Gesamtbetrachtung ankommt. Zum Volltext der Entscheidung (OLG Hamm: Zur Bestimmheit des Klageantrags bei Bezugnahme auf einen USB-Stick (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO)). Das entscheidende Zitat der Urteilsbegründung lautet:

„Der Klageantrag (Hauptantrag) genügt noch den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

a)
Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO darf ein Unterlassungsantrag – und nach § 313 Abs. 1 Nr. 4 ZPO eine darauf beruhende Verurteilung – nicht derart undeutlich gefasst sein, dass der Streitgegenstand und der Umfang der Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis des Gerichts (§ 308 Abs. 1 ZPO) nicht erkennbar abgegrenzt sind, sich die beklagte Partei deshalb nicht erschöpfend verteidigen kann und die Entscheidung darüber, was ihr verboten ist, letztlich dem Vollstreckungsgericht überlassen bleibt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 04.02.2021 – I ZR 79/20, BGH, Urteil vom 8. November 2018 – I ZR 108/17, GRUR 2019, 627 Rn. 15 = WRP 2019, 731 – Deutschland-Kombi, mwN). Eine hinreichende Bestimmtheit ist für gewöhnlich gegeben, wenn auf die konkrete Verletzungshandlung Bezug genommen wird und der Klageantrag zumindest unter Heranziehung des Klagevortrags unzweideutig erkennen lässt, in welchen Merkmalen des angegriffenen Verhaltens die Grundlage und der Anknüpfungspunkt für den Wettbewerbsverstoß und damit das Unterlassungsgebot liegen soll (vgl. BGH, GRUR 2019, 627 Rn. 15 – Deutschland-Kombi, m.w.N.). Bei der Auslegung eines Klageantrags ist nicht an dessen buchstäblichem Sinn zu haften, sondern der wirkliche Wille der Partei zu erforschen. Dabei ist der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage der erklärenden Partei entspricht (vgl. BGH, Beschluss vom 04.02.2021 – I ZR 79/20, Urteil vom 17. September 2015 – I ZR 92/14, GRUR 2016, 395 Rn. 40 = WRP 2016, 454 – Smartphone-Werbung; Urteil vom 21. März 2018 – VIII ZR 68/17, BGHZ 218, 139 Rn. 31).

Das ergibt sich bereits daraus, dass das Prozessrecht das materielle Recht verwirklichen und nicht dessen Durchsetzung vermeidbar hindern soll. Zudem dient ein solches Verfahrensverständnis der Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Ansprüche der klagenden Partei auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip und auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BGH, Beschluss vom 04.02.2021 – I ZR 79/20, Urteil vom 21. Juni 2016 – II ZR 305/14, WM 2016, 1599 Rn. 12; BGHZ 218, 139 Rn. 32 mwN).

Die Anforderungen an die Bestimmtheit eines Klageantrags sind danach in Abwägung des zu schützenden Interesses der beklagten Partei, sich gegen die Klage erschöpfend verteidigen zu können, sowie ihres Interesses an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit hinsichtlich der Entscheidungswirkungen mit dem ebenfalls schutzwürdigen Interesse der Klagepartei an einem wirksamen Rechtsschutz festzulegen (vgl. BGH, Beschluss vom 04.02.2021 – I ZR 79/20, Urteil vom 14. Dezember 2006 – I ZR 34/04, GRUR 2007, 693 Rn. 23 = WRP 2008, 986 – Archivfotos; BGHZ 218, 139 Rn. 30).

b)
Auf dem als Anlage K1 beigefügten USB-Stick ist das Angebot auf „b.de“ zum streitgegenständlichen Zeitpunkt, auf das die Klägerin sich als konkrete Verletzungsform bezieht, unstreitig vollständig dokumentiert. Mit der Bezugnahme darauf hat die Klägerin zum Ausdruck gebracht, dass von dem begehrten Verbot ein Verhalten erfasst sein soll, in dem sich das Charakteristische dieser konkreten Verletzungsform wiederfindet

aa)
Der Antrag ist nicht deshalb unbestimmt, weil der Begriff „Telemedienangebot“ auslegungsfähig und nicht Gegenstand einer Definition im Rundfunkstaatsvertrag ist (so i.E. auch BGH, Beschluss vom 04.02.2021 – I ZR 79/20). Aufgrund der Antragstellung besteht kein Zweifel daran, dass die Klägerin die Unterlassung des Stadtportals „b.de“ verlangt, wie es sich inhaltlich am 15.05.2017 dargestellt hat.

bb)
Zur Konkretisierung ihres Unterlassungsantrags ist die Bezugnahme auf den als Anlage K1 zur Akte gereichten USB-Stick noch ausreichend.

(1)
Bezieht sich der Unterlassungsantrag – wie hier – auf Anlagen, müssen sich diese bei den Gerichtsakten befinden und mit dem Urteil verbunden werden, damit der entsprechende Antrag oder Tenor inhaltlich bestimmt ist. Nur in besonderen Ausnahmefällen kann davon abgerückt werden, wenn ein wirksamer Rechtsschutz nicht gewährt werden kann oder ein unangemessener Aufwand entstehen würde, der nach Abwägung aller beteiligten Interessen vermieden werden kann (vgl. Cepl/Voß/Zigann/Werner, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2. Auflage, § 253 Rdnr. 204 mit Verweis auf BGH GRUR 2015, 672 – Videospiel-Konsolen II, vgl. dazu auch: OLG München, Urteil vom 30.07.2020 – 29 U 6389/19 – Schutz des Goldtons).

Grundsätzlich muss sichergestellt werden, dass der Urteilsausspruch bei Erlass des Urteils inhaltlich bestimmt ist (und das auch bleibt). In aller Regel muss der Urteilsausspruch daher aus sich heraus oder jedenfalls im Zusammenhang mit seiner Begründung bestimmbar sein. Daraus folgt, dass der Urteilsinhalt grundsätzlich in einer einheitlichen Urkunde festzulegen ist (vgl. dazu: BGH, Urteil vom 27.11.2014 – I ZR 124/11, GRUR 2015, 672 – Videospiel-Konsolen II; Urteil vom 14.10.1999 – I ZR 117/97, GRUR 2000, 228 – Musical-Gala). Nur in besonders gelagerten Fällen können bei der Bemessung der Anforderungen, die zur Sicherung der Bestimmtheit des Urteilsausspruchs aufzustellen sind, die Erfordernisse der Gewährung eines wirksamen Rechtsschutzes oder der Vermeidung eines unangemessenen Aufwands mit abzuwägen sein (BGH, Urteil vom 27.11.2014 – I ZR 124/11, GRUR 2015, 672 – Videospiel-Konsolen II).

(2)
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist noch nicht höchstrichterlich entschieden, dass zur Konkretisierung des Klagebegehrens auf die auf einem digitalen Speichermedium gesicherten Daten zurückgegriffen werden kann. Die von der Klägerin in diesem Zusammenhang angeführte Entscheidung des BGH (Urteil vom 27.11.2014 – I ZR 124/11 – Videospiel-Konsolen II) hatte sich damit zu befassen, ob ein u.a. auf Untersagung der Verbreitung, des Verkaufs und des Besitzes eines bestimmten Speichermediums gerichteter Antrag durch Bezugnahme auf das als Anlage zur Akte gereichte Speichermedium selbst hinreichend bestimmt ist. Die Möglichkeit der inhaltlichen Bezugnahme auf die gespeicherten Daten selbst waren aber für die Entscheidung nicht von tragender Bedeutung.

Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang, dass das als Anlage K1 zur Akte gereichte Speichermedium möglicherweise nicht gewährleistet, dass der Urteilsausspruch auch vollstreckbar bleibt. Das folgt daraus, dass diese Speichermedien (allgemein bekannt) nur für einen begrenzten Zeitraum eine verlässliche Sicherung der Daten leisten können. Dieser Zeitraum differiert (auch ohne durchaus nicht unübliche Defekte mit einhergehendem Datenverlust) zwischen 10 und 30 Jahren und hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Im Vorfeld lässt sich die Dauer der Funktionsfähigkeit des Speichermediums nicht mit der erforderlichen Sicherheit absehen. Zudem besteht eine naheliegende Möglichkeit der Beschädigung des USB-Sticks, der eine Reproduktion der Daten zu einem noch früheren Zeitpunkt unmöglich machen könnte.

Allerdings kann das streitgegenständliche Telemedienangebot in seiner Gesamtwirkung – unabhängig davon, dass allein der Ausdruck einen beträchtlichen Aufwand darstellen würde – nicht durch Fertigung von Ausdrucken dargestellt werden. Die Darstellung des Angebots in einer (so auch nicht vorgesehenen) Druckform entspricht diesem in Gestaltung und Handhabung nicht. Eine andere Möglichkeit der hinreichend konkretisierten Darstellung der nach Auffassung der Klägerin wettbewerbswidrigen Handlung, als durch Nutzung von digitalen Speicher- und Endgeräten besteht nicht.

(3)
Die geforderte Verbindung des USB-Sticks mit dem Urteil kann grundsätzlich umgesetzt werden. So kann der USB-Stick mittels eines verschlossenen und wiederverschließbaren (festen/wattiertem) Umschlags dem Urteil beigeheftet werden. Dabei verkennt der Senat nicht, dass das Vollstreckungsgericht jeweils gehalten wäre, die Verbindung zu lösen, um die mit dem Tenor in Bezug genommene „Anlage K1“ zu sichten, um einen Verstoß zu überprüfen.

Insofern besteht unzweifelhaft das Risiko, dass nach Rechtskraft der Entscheidung und insbesondere bei der Zwangsvollstreckung Unsicherheiten infolge eines Verlusts von dem mit dem Urteil nicht dauerhaft fest verbundenen Anlagen entstehen können (vgl. zum tatsächlichen Risiko des Verlusts nur BGH, Urteil vom 15.07.2010, GRUR 2011, 148 – Goldhase II; OLG München, Urteil vom 30.07.2020 – 29 U 6389/19 – Schutz des Goldtons).

(4)
Unter Berücksichtigung der Erfordernisse der Gewährung eines wirksamen Rechtsschutzes und zur Vermeidung eines unangemessenen Aufwands reicht die Bezugnahme auf die Anlage K1 vorliegend aber noch aus, um den Anforderungen, die zur Sicherung der Bestimmtheit des Urteilsausspruchs aufzustellen sind, gerecht zu werden. Es kann der Klägerin nicht verwehrt werden, ihren Anspruch auf den zur Akte gereichten USB-Stick zu stützen, da es für die Begründetheit des Anspruchs auf eine – anders nicht umsetzbare – Gesamtbetrachtung ankommt.“

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