OLG Köln, Urteil vom 23.08.2013, Az. 6 U 41/13
§ 4 Nr. 11 UWG; § 8LMKV
Das OLG Köln hat entschieden, dass die Inhaltsstoffe eines Lebens- oder Nahrungsergänzungsmittels auch dann in Prozent anzugeben sind, wenn das Mittel fast ausschließlich aus einem Stoff besteht. Ausnahmen nach der Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung gebe es nur für Produkte, die zu 100% aus einem Stoff bestünden. Zwar werde auch die Auffassung vertreten, dass bei sog. „Quasi-Mono-Produkten“, d.h. Produkten, die zu mehr als 90% aus einem Stoff bestehen, die Prozentangabe nicht notwendig sei, vorliegend habe das streitgegenständliche Produkt jedoch nur zu 88% aus dem Stoff AAKG bestanden, so dass nach keiner Auffassung die Angabepflicht entfalle. Zum Volltext der Entscheidung:
Oberlandesgericht Köln
Urteil
Die Berufung der Streithelferin der Antragsgegner gegen das am 14. 2. 2013 verkündete Urteil des Landgerichts Köln – 31 O 374/12 – wird zurückgewiesen.
Die bis zum 24. 4. 2013 (Rücknahme der Berufung durch die Antragsgegner) angefallenen Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Streithilfe tragen die Antragsgegner. Die ab Berufungsrücknahme entstandenen Kosten trägt die Streithelferin der Antragsgegner.
Gründe
(anstelle von Tatbestand und Entscheidungsgründen gemäß § 540 Abs. 1 ZPO)
I.
Die Parteien vertreiben „Sportlernahrung“ (Nahrungsergänzungsmittel). Im Streit steht nur noch der Vertrieb eines Produkts „AAKG 1250 extreme mega caps“, das von den Antragsgegnern in Deutschland über das Internet vertrieben und von der Streithelferin der Antragsgegner (nachfolgend Streithelferin) in Polen hergestellt wird. Auf der Produktverpackung ist auf der Vorderseite (Anlage K 1, Bl. 17) angegeben „1250 mg AAKG“, auf einem der Seitenteile „1 Kapsel … 1.420 mg“ (Bl. 21 d. A.) und auf der Unterseite unter „Supplement facts“ „Arginin Alpha-Ketoglutarat … (AAKG) … 1 Kapsel … 1.250 mg“. Die Antragstellerin hat beanstandet, dass entgegen §§ 7 Abs. 1 EichG, 8 Abs. 1 und Abs. 4 der Verordnung über die Kennzeichnung von Lebensmitteln (Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung, LMKV) der Anteil von AAKG in den Kapseln nicht in einer Prozentzahl angegeben worden ist. Die Antragsgegner haben sich darauf berufen, die Angabe des AAKG-Anteils sei nach § 8 Abs. 2 LMKV nicht erforderlich. Das Landgericht hat ein entsprechendes Verbot durch einstweilige Verfügung erlassen und diese auf den Widerspruch der Antragsgegner hin bestätigt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil des Landgerichts verwiesen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Gegen dieses Urteil haben sowohl die Antragsgegner als auch ihre Streithelferin Berufung eingelegt; die Antragsgegner haben ihre Berufung wieder zurückgenommen. Die Streithelferin verfolgt weiter das Ziel, die einstweilige Verfügung aufzuheben, soweit der Vertrieb des Produkts „AAKG 1250 extreme mega caps“ untersagt worden ist, und wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Die Antragstellerin verteidigt das angefochtene Urteil.
II.
1.
Die Berufung ist zulässig. Auch die Antragsgegner zu 1) bis 3) sind nach wie vor als Berufungskläger an dem Verfahren beteiligt, obwohl sie die von ihnen eingelegte Berufung zurückgenommen haben. Reichen sowohl Hauptpartei als auch Streithelfer Rechtsmittelschriften ein, so handelt es sich um ein einheitliches Rechtsmittel, über das auch nur einheitlich entschieden werden kann. Die Rücknahme des Rechtsmittels durch die Hauptpartei ist für das einheitliche Rechtsmittel ohne Bedeutung, wenn auch der Streithelfer das Rechtsmittel eingelegt hat, denn die Hauptpartei steht nach Rücknahme nicht anders, als wenn sie untätig geblieben wäre und nur der Nebenintervenient zu ihren Gunsten das Rechtsmittel eingelegt hätte. Das Rechtsmittel bleibt demzufolge anhängig trotz Rücknahme durch die Hauptpartei und ist die alleinige Verfahrensgrundlage. Die Hauptpartei bleibt als Rechtsmittelkläger Partei des Verfahrens (BGH, Beschluss vom 1. 7. 1993 – V ZR 235/92 – NJW 1993, 2944 m. w. N.).
2.
Die Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der Antragstellerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1 UWG zu.
a)
Es liegt ein Verstoß gegen § 8 Abs. 1 und 4 LMKV vor. Der Bestandteil „AAKG“ ist in der Produktbezeichnung enthalten, so dass seine Menge grundsätzlich gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 LMKV in Gewichtshundertteilen (Prozent) anzugeben ist. Das Landgericht hat auch zutreffend ausgeführt, dass es nicht darauf ankommt, ob die anderen Bestandteile als „Zutaten“ im Sinn der LMKV angabepflichtig sind, da sich die Antragstellerin allein darauf stützt, dass der AAKG-Anteil nicht korrekt angegeben worden ist. Auf dieses Argument ist die Streithelferin in der Berufung auch nicht zurückgekommen.
Die Streithelferin verteidigt sich in erster Linie damit, bei ihrem Produkt handele es sich um ein „Quasi-Mono-Produkt“, bei dem die Angabe des Gewichtsanteils nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 d) LMKV entfallen könne. Sie stützt sich dabei auf Nr. 21 der „Allgemeinen Leitlinien für die Umsetzung des Grundsatzes der mengenmäßigen Angabe der Lebensmittelzutaten (QUID) – Artikel 7 der der Richtlinie 79/112/EWG in der Fassung der Richtlinie 97/4/EG“ (abgedruckt bei Zipfel/Rath, Lebensmittelrecht, § 8 LMKV Rn. 1). Diese Leitlinie sieht vor, dass bei bestimmten Produkten („Monoprodukten“) die Angabe entfallen kann; als solche Erzeugnisse werden (nicht abschließend) Malzwhisky, Liköre/Obstschnäpse und Roggenbrot („ausschließlich mit Roggenmehl zubereitet“) genannt. Bei Roggenbrot ist daher die Angabe „100% Roggen“ nicht erforderlich. In der Literatur wird vertreten, dies gelte auch für sogenannte „Quasi-Mono-Produkte“, die bis zu 90% aus einem Hauptbestandteil bestehen würden. Unter diese Kategorie, so die Streithelferin, würden auch ihre AAKG-Kapseln fallen, die – unstreitig – 88% AAKG enthalten. Auch die Verkehrsauffassung erwarte nichts anderes, was sie darauf stützt, dass die entsprechende (Prozent-) Angabe auch bei einer Reihe von Konkurrenzprodukten fehle.
Das Landgericht hat dieses Argument mit der Begründung zurückgewiesen, dass bei einem Anteil von 88%, also weniger als 90%, kein Quasi-Mono-Produkt mehr vorliege. Die Antragstellerin hat ergänzend darauf hingewiesen, den angesprochenen Verkehrskreisen gehe es gerade um die exakten Mengen der Substanz AAKG. Während niemand Roggenbrot konsumiere, um eine bestimmte Tagesdosis an Roggen zu sich zu nehmen (gleiches dürfte auch für Malzwhisky gelten), sei das bei einem Nahrungsergänzungsmittel anders. Diesem Argument könnte allerdings entgegenhalten werden, dass dieses Interesse durch die Angabe des absoluten Gewichts eher befriedigt wird als durch eine relative Prozentangabe. Demgegenüber ist es aber bei einem Produktvergleich durchaus von Interesse, den prozentualen Anteil des Wirkstoffs zu erfahren, da die Kapseln in unterschiedlichen Größen angeboten werden, wie sich auch aus der Anlage BK 1 ergibt (Bl. 188 ff. d. A.).
Die Ausnahme des § 8 Abs. 2 Nr. 1 d) LMKV ist aber auch aus einem anderen Grund nicht einschlägig. Sie nimmt ihrem Wortlaut nach auf Zutaten Bezug, die in der Verkehrsbezeichnung aufgeführt sind, mithin auf § 8 Abs. 1 Nr. 1 LMKV. Daraus ist zu folgern, dass sie in den Fällen des § 8 Abs. 1 Nr. 3 LMKV (besonders hervorgehobene Zutat) nicht gilt (so ausdrücklich Nr. 20 der QUID-Leitlinie: „[Die Ausnahme] gilt nicht, wenn der Name der Zutat hervorgehoben wird, insbesondere, wenn er an anderer Stelle als in der Verkehrsbezeichnung zusammen mit Hinweisen, die die Aufmerksamkeit des Käufers auf das Vorhandensein der Zutat lenken, genannt wird“, Hervorhebung im Original; Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, § 8 LMKV Rn. 31). Im vorliegenden Fall wird auf der Oberseite der Schachtel „AAKG“ eindeutig hervorgehoben. Die Zeichenfolge ist der größte und dominierende Bestandteil der Produktbezeichnung. Sie wird direkt unterhalb noch einmal aufgelöst („L-Arginine Alpha-Ketoglutarate“) und in kleinerer Form noch zweimal wiederholt, einmal als Bestandteil des Werbeslogans „PUMP IT UP with AAKG“. Danach kann kein Zweifel daran bestehen, dass dieser Bestandteil in besonderer Weise auf der Produktverpackung hervorgehoben wird. § 8 Abs. 2 Nr. 1 d) LMKV ist damit nicht anwendbar.
b)
Bei § 8 LMKV handelt es sich um eine Marktverhaltensregelung im Sinn des § 4 Nr. 11 UWG (vgl. BGH, Urteil vom 22. 11. 2012 – I ZR 72/11 – GRUR 2013, 739 Tz. 19 – Barilla). Eine Vorschrift regelt die Marktverhältnisse im Interesse der Verbraucher und Marktteilnehmer, wenn sie den Schutz von Interessen, Rechten und Rechtsgütern dieser Personen bezweckt, und dieses Interesse gerade durch die Marktteilnahme, also durch den Vertragsschluss und den nachfolgenden Gebrauch der Ware berührt wird (BGH, Urteil vom 10. 12. 2009 – I ZR 189/07 – GRUR 2010, 754 Tz. 20 ff. – Golly Telly; Urteil vom 4. 11. 2010 – I ZR 139/09 – GRUR 2011, 633 Tz. 34 – BIO TABAK; Senat, Urteil vom 14. 8. 2009 – 6 U 70/09 – GRUR-RR 2010, 34 – Rückgewinnungsschreiben; Köhler/Bornkamm, 31. Aufl. 2013, § 4 Rn. 11.35d).
Produktkennzeichnungsvorschriften dienen durchweg dem Schutz der Verbraucher und stellen damit Marktverhaltensregeln im Interesse der Verbraucher dar (Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl. 2013, § 4 Rn. 11.118). Zwar hat das OLG Hamburg einmal in einem obiter dictum (da es bereits die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 LMKV als nicht erfüllt sah) ausgesprochen, ein Verstoß gegen § 8 Abs. 1 LMKV rechtfertige nur beim Hinzutreten weiterer Unlauterkeitsmerkmale die Annahme eines Verstoßes gegen § 1 UWG a. F., da es sich um eine wertneutrale Vorschrift handele (Urteil vom 8. 5. 2003 – 5 U 161/02 – NJOZ 2003, 2127 – Salbei-Bonbons). Dies ist aber bei der Anwendung des § 4 Nr. 11 UWG nicht mehr haltbar. § 8 LMKV setzt Art. 7 der Richtlinie 2000/13/EG um; in Erwägungsgrund 7 dieser Richtlinie heißt es ausdrücklich: „Jede Regelung der Etikettierung von Lebensmitteln soll vor allem der Unterrichtung und dem Schutz der Verbraucher dienen“. Damit ist Art. 8 Abs. 1 LMKV als Marktverhaltensregelung im Sinn des § 4 Nr. 11 UWG einzustufen, die auch die erforderliche Grundlage im Unionsrecht hat.
b)
Der Verstoß beeinträchtigt auch die Entscheidungsfindung der Verbraucher spürbar. Bei der Verletzung von Informationspflichten gegenüber Verbrauchern, die – wie hier – ihre Grundlage im Unionsrecht haben, beurteilt sich die geschäftliche Relevanz nach § 3 Abs. 2 S. 1 UWG. Werden Informationen vorenthalten, die das Unionsrecht als wesentlich einstuft, ist zugleich geklärt, dass das Erfordernis der Spürbarkeit nach § 3 Abs. 2 S. 1 UWG erfüllt ist (BGH, Urteil vom 21.?12. 2011 – I ZR 190/10 – GRUR 2012, 842 Tz. 25 – Neue Personenkraftwagen; Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl. 2013, § 4 Rn. 11.58a). Die Richtlinie 2000/13/EG wird zwar nicht im Anhang II der UGP-Richtlinie aufgeführt; die dort enthaltene Liste der als wesentlich geltenden Informationspflichten ist aber ausdrücklich nicht erschöpfend (Art. 7 Abs. 5 UGP-RL). Die Angabe, wieviel Prozent des Hauptinhaltsstoffes in einer Kapsel eines Nahrungsergänzungsmittels enthalten ist, ist auch als „wesentliche“ Information (auch im Sinn des § 5a Abs. 4 UWG) anzusehen. Wie bereits angesprochen, ist es gerade für den Konsumenten von Nahrungsergänzungsmitteln von zentraler Bedeutung, welche Menge des Nahrungsergänzungsmittels er aufnimmt. Wenn er dann verschiedene Produkte miteinander vergleicht, wird ihm ein Preisvergleich ohne die Angabe des prozentualen Anteils der maßgeblichen Substanz erschwert.
c)
Aus dem von der Streithelferin in der Berufungsinstanz erstmals vorgelegten „Certyficate [sic!] of Free Sale“ (Anlage BK 4, Bl. 197 d. A.), nach dem das Produkt in Polen und anderen EU-Mitgliedstaaten als Nahrungsergänzungsmittel und Diätnahrungsmittel vertrieben werden darf, folgt nichts anderes. Zunächst ist der Bescheinigung nicht zu entnehmen, dass sie sich auch auf die Produktverpackung und nicht nur auf das Produkt selber bezieht. Aber selbst wenn dies so wäre, würde dies die Antragsgegner nicht entlasten. Zwar ist der Tatbestand des § 4 Nr. 11 UWG nicht erfüllt, wenn ein Marktverhalten durch einen Verwaltungsakt ausdrücklich erlaubt worden ist und der Verwaltungsakt nicht nichtig ist. Außerhalb dieser Fälle ist aber allein die objektive Rechtmäßigkeit des Verhaltens maßgeblich, das vom Gericht selber – unabhängig von der Beurteilung durch Fachbehörden – zu prüfen ist. Lediglich Schadensersatz-, nicht aber Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche können durch das Vertrauen des Unternehmers auf Auskünfte der zuständigen Behörden berührt werden (BGH, Urteil vom 23. 6. 2005 – I ZR 194/02 – GRUR 2005, 778, 779 – Atemtest; Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl. 2013, § 4 Rn. 11.18). Dass es sich bei der vorgelegten Bescheinigung um einen Verwaltungsakt (im Sinn einer Zulassung des Produkts) handelt, kann ihr nicht entnommen werden. Sie ist daher für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch gegen die Antragsgegner unerheblich.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO. Wird ein Rechtsmittel sowohl von der Hauptpartei als auch dem Streithelfer eingelegt, überlässt aber anschließend die Hauptpartei die Durchführung des Rechtsmittels dem Streithelfer, trägt ab dieser Erklärung der Streithelfer das Kostenrisiko (BGH, Urteil vom 20. 12. 1957 – VI ZR 171/56 – MDR 1958, 419; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl. 2004, § 101 Rn. 2; Zöller/Herget, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 101 Rn. 4).
Das Urteil ist gemäß § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO mit seiner Verkündung rechtskräftig.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren und das Verfahren erster Instanz ab dem 10. 9. 2012 wird – abweichend von der Festsetzung in dem Urteil des Landgerichts (§ 63 Abs. 3 S. 1 GKG) – auf 6.500 EUR festgesetzt.
Vorinstanz:
LG Köln, Az. 31 O 374/12