OLG Köln: „Tippfehler-Domain“ kann eine gezielte Behinderung von Mitbewerbern sein

veröffentlicht am 25. März 2014

OLG Köln, Urteil vom 18.10.2013, Az. 6 U 36/13
§ 4 Nr. 10 UWG, § 8 Abs. 2 UWG

Das OLG Köln hat entschieden, dass die Einrichtung einer so genannten Tippfehler-Domain (Domainname, der einer existierenden Domain sehr ähnlich ist) und eine daraus erfolgende Umleitung auf das eigene Internetangebot eine gezielte Behinderung eines Mitbewerbers darstellen kann. Internetnutzer seien nach Eingabe der streitbefangenen „Tippfehlerdomains“ über eine für sie unsichtbar bleibende Verlinkung zur Webseite der Antragsgegnerin weitergeleitet worden, welcher der so erhöhte „Traffic“ zu Gute kam. Dass die Einrichtung dieser Domains über einen Werbepartner der Antragsgegnerin erfolgte, sei ohne Relevanz, da das Verhalten von Beauftragten dem Auftraggeber zuzurechnen sei. Zum Volltext der Entscheidung:

Oberlandesgericht Köln

Urteil

Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das am 06.02.2013 verkündete Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln – 84 O 208/12 – wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Parteien stehen als Anbieter von Druckereileistungen über das Internet miteinander im Wettbewerb. Zur Steigerung der Zugriffe auf ihre Website unter „www.T.de“ bedient sich die Antragsgegnerin eines Partnerprogramms der („B“-) Netzwerkbetreiberin C GmbH (nachfolgend: C). Werbepartner („Publisher“) können sich dazu online unter Angabe der Primär-URL ihrer eigenen Website anmelden; die Antragsgegnerin (als „Advertiser“) stellt ihnen mit einem Link unterlegte Werbemittel zur Verfügung und gewährt für erfolgreiche Weiterleitungen auf ihre Webseite unter näher definierten Voraussetzungen Provision.

Die Antragstellerin betreibt eine Webseite unter „www.V.de“. Am 18.09.2012 stellte sie fest, dass Internetnutzer, die in die Adresszeile ihres Browsers „www.V.de“ oder „www.V2.de“ eingaben, über das C-Netzwerk unmittelbar zur Webseite der Antragsgegnerin weitergeleitet wurden. Sie hat diese unter dem 26.09.2012 abgemahnt und am 16.10. 2012 eine einstweilige Verfügung erwirkt, mit der das Landgericht der Antragsgegnerin untersagt hat, für Druckereiprodukte mittels Verlinkung von den vorgenannten Domains auf ihre Website unter „T.de“, wie durch Bildschirmansichten vom 21.09.2012 wiedergegeben, selbst oder durch Dritte Werbung zu betreiben. Nach Widerspruch der Antragsgegnerin, die ihre Haftung in Abrede gestellt, als Inhaberin der genannten Domains ein nicht zu ihrem Partnerprogramm angemeldetes Unternehmen mit Sitz in Hongkong namhaft gemacht und am 24.10.2012 demjenigen Unternehmen die Kooperation gekündigt hat, dem sie nach ihren Angaben den der Weiterleitung zu Grunde liegenden Link für die Webseite „www.T2.de“ überlassen hatte, ist die einstweilige Verfügung vom Landgericht mit dem angefochtenen Urteil bestätigt worden. Dagegen richtet sich die weiterhin auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung und Zurückweisung des Verfügungsantrags gerichtete Berufung der Antragsgegnerin.

II.
Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.

1.
Die Annahme des Landgerichts, dass die Einrichtung von „Tippfehlerdomains“ (hier: „www.V.de“, „www.V2.de“) mit Weiterleitung zur Webseite eines Mitbewerbers objektiv darauf angelegt ist, Nutzer von der ohne Tippfehler geschriebenen Domain (hier: „www.V.de“) „umzuleiten“, und in diesem sogenannten „Typosquatting“ eine gezielte Behinderung (§ 4 Nr. 10 UWG) des Inhabers der Domain (hier: der Antragstellerin) liegt, trifft zu (vgl. Senat, WRP 2012, 989 = MMR 2012, 462; Müller-Bidinger/ Seichter in: Ullmann jurisPK-UWG, 3. Aufl., § 4 Nr. 10, Rn. 50) und wird von der Berufung auch nicht angegriffen.

2.
Für die vorbeschriebene unlautere geschäftliche Handlung (§ 3 Abs. 1 UWG) haftet der Antragstellerin (§ 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Nr. 1 UWG) nicht nur derjenige, der die Weiterleitung eingerichtet hat, sondern auch die Antragsgegnerin, denn auf Grund des beiderseitigen Parteivorbringens ist es derzeit überwiegend wahrscheinlich, also glaubhaft gemacht (§§ 294, 920 Abs. 2, 936 ZPO), dass einer ihrer Beauftragten die Zuwiderhandlung in ihrem Unternehmen begangen hat (§ 8 Abs. 2 UWG). Dies hat bereits das Landgericht zutreffend ausgeführt; zu Unrecht rügt die Berufung, dass die Kammer für Handelssachen wesentliche technische Zusammenhänge verkannt und die für die Haftung in „B“-Netzwerken geltenden rechtlichen Grundsätze fehlerhaft angewendet habe.

a)
Die Tatbestandsmerkmale „in einem Unternehmen von … einem Beauftragten“ (§ 8 Abs. 2 UWG, entsprechend § 14 Nr. 7 MarkenG) sind gemäß dem Zweck der Vorschrift weit auszulegen, denn der Unternehmensinhaber soll sich bei Wettbewerbsverstößen nicht hinter mehr oder weniger von ihm abhängigen Dritten verstecken können (vgl. BGH, GRUR 2008, 186 = WRP 2008, 220 [Rn. 22] – Telefonaktion; GRUR 2009, 1167 = WRP 2009, 1520 [Rn. 21] – Partnerprogramm; Senat, GRUR-RR 2006, 205 [206] – Bluerate Tarif-Wunder). Beauftragter ist jeder, der in die betriebliche Organisation des Unternehmens in der Weise eingegliedert ist, dass der Erfolg seiner Geschäftstätigkeit dem Inhaber zu Gute kommt und der Inhaber einen bestimmenden durchsetzbaren Einfluss auf diejenige Tätigkeit des Beauftragen hat, in deren Bereich das beanstandete Verhalten fällt (BGH, GRUR 2005, 864 [865] = WRP 2005, 1248 – Meißner Dekor II). Dabei kommt es nicht darauf an, welchen Einfluss sich der Inhaber gesichert hat, sondern darauf, welchen Einfluss er sich sichern konnte und musste. Der Unternehmensinhaber haftet daher gegebenenfalls auch für ohne sein Wissen und gegen seinen Willen von einem Beauftragten begangene Rechtsverstöße (vgl. BGH, GRUR 2009, 1167 = WRP 2009, 1520 [Rn. 21] – Partnerprogramm; GRUR 2011, 617 = WRP 2011, 881 [Rn. 54] – Sedo).

Beauftragte in diesem Sinne sind auch Werbepartner des Betreibers einer Internetseite, die im Rahmen eines Werbepartnerprogramms gegen Zahlung einer erfolgsabhängigen Provision auf ihren Webseiten elektronische Verweise auf jene Internetseite bereitstellen, um für das dortige Angebot zu werben (vgl. BGH, GRUR 2009, 1167 = WRP 2009, 1520 [Rn. 21, 28] – Partnerprogramm). Die Gestaltung der Partnerseite, von der aus per Link die Webseite des werbenden Unternehmen aufgerufen werden kann, ist diesem grundsätzlich unabhängig davon zuzurechnen, wie die Beteiligten ihre Rechtsbeziehungen ausgestalten (BGH, GRUR 2009, 1167 = WRP 2009, 1520 [Rn. 21] – Partnerprogramm) und inwieweit der Werbepartner bei der Webseitengestaltung gegen ausdrückliche vertragliche Abreden verstößt (Senat, K&R 2008, 465 = MD 2008, 675 = CR 2008, 521 = OLGR Köln 2008, 531 – Nova Nutria). In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Werbung über „B“-Netzwerke nicht von anderen dezentralisierten Werbeformen, bei denen der Unternehmensinhaber auch dann für seine Beauftragten haftet, wenn diese ihre vertraglichen Befugnisse überschreiten (vgl. BGH, GRUR 2008, 186 = WRP 2008, 220 [Rn. 23 -Telefonaktion), und zwar unabhängig davon, ob er damit konkret rechnen musste (vgl. zur einer vertragswidrigen Bestellung von Unterbevollmächtigten bei der Haustürwerbung BGH, MD 2012, 802 [Rn. 9] – Beauftragendenhaftung).

Die Haftung des Unternehmensinhabers endet allerdings, wo das Handeln des Beauftragten nicht mehr seiner Geschäftsorganisation, sondern der eines Dritten oder des Beauftragten selbst zuzurechnen ist, etwa weil dieser noch für andere Personen oder Unternehmen tätig wird oder weil er neben dem Geschäftsbereich, in dem er für den Auftraggeber tätig wird, noch weitere, davon zu unterscheidende Geschäftsbereiche unterhält. Die Haftung erstreckt sich im Hinblick auf das vom Auftraggeber beherrschbare Risiko also nicht auf eine geschäftliche Tätigkeit des (Unter-) Beauftragten außerhalb des ihm zugewiesenen Geschäftsbereichs, wenn der Auftrag auf einen bestimmten Geschäftsbereich des Beauftragten beschränkt ist und der Auftraggeber nicht damit rechnen muss, dass der Beauftragte auch anderweitig für ihn tätig wird (vgl. BGH, GRUR 2009, 1167 = WRP 2009, 1520 [Rn. 27] – Partnerprogramm; BGH, MD 2012, 812 [Rn. 10] – Beauftragendenhaftung). Dagegen ist es nicht ausgeschlossen, dass der Unternehmensinhaber auch für rechtswidrige Inhalte anderer als der zu seinem Partnerprogramm angemeldeten Webseiten haftet, wenn die seinem Wettbewerb nützliche Betätigung eines dort platzierten Links über das Partnerprogramm abgerechnet werden konnte, er mit entsprechenden Manipulationen seines Werbepartners rechnen musste und er diese beeinflussen konnte (vgl. Senatsurteil vom 28.01.2011 – 6 U 200/05 – Rn. 14 bei juris).

b)
Im Streitfall sind die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Haftung der Antragsgegnerin für ihre Beauftragten glaubhaft gemacht, und zwar auch nach ihrem eigenen Vorbringen, dass sie nur einer Werbepartnerin für deren Webseite „www.T2.de“ den konkret verwendeten individualisierten Link zu ihrer Domain „www.T.de“ zur Verfügung gestellt habe.

Fest steht, dass Internetnutzer nach Eingabe der streitbefangenen „Tippfehlerdomains“ über eine für sie unsichtbar bleibende Verlinkung zur Webseite der Antragsgegnerin weitergeleitet wurden, welcher der so erhöhte „Traffic“ zu Gute kam. Es ist unstreitig und wird auch durch den nach der Eingabe im Adressfeld des Browsers erscheinenden (URL-) Text belegt, dass die Verlinkung über das C-Partnerprogramm der Antragsgegnerin erfolgte, womit offenbar eine dadurch gegebene Abrechnungsmöglichkeit ausgenutzt werden sollte. Die Antragsgegnerin behauptet, nach Erhalt der Abmahnung mit Hilfe dieses Textes und von ihr gesetzter Cookies in der Lage gewesen sein zu ermitteln, dass sie den auf ihre Website verweisenden Link dem mit der Website „www.T2.de“ zu ihrem Partnerprogramm angemeldeten Unternehmen überlassen habe; nachdem sie – geraume Zeit nach der Abmahnung und gut eine Woche nach Erlass der einstweiligen Verfügung – die Zusammenarbeit mit diesem Unternehmen beendet hatte, war die Verlinkung unterbrochen. Wird dies zu Grunde gelegt, erscheint zumindest überwiegend wahrscheinlich, dass das zum Partnerprogramm der Antragsgegnerin angemeldete, mithin von dieser beauftragte Unternehmen sich des ihm überlassenen Links zur Umleitung von sich vertippenden potentiellen Internetkunden der Antragstellerin auf die Seite der Antragsgegnerin bedient hat. Soweit dies eigenmächtig und ohne positive Kenntnis der Antragsgegnerin geschehen sein mag, wird deren Haftung dadurch nicht ausgeschlossen. Hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Werbepartnerin mit der Art der Verwendung des Links den ihr zugewiesenen Geschäftsbereich verlassen haben könnte, ohne dass die Antragsgegnerin damit habe rechnen und dies habe kontrollieren können, zeigt die Berufung nämlich nicht auf.

Die Antragsgegnerin macht unter Bezugnahme auf eine knappe eidesstattliche Versicherung ihres Marketingleiters geltend, dass sie den Link zwar individuell zuordnen, angesichts verschiedener in Frage kommender technischer Möglichkeiten der Weiterleitung aber keine Angaben dazu machen könne, wo und wie – insbesondere auf welcher Internetseite – der Link gesetzt worden sei. Diese Unklarheit geht indessen zu ihren Lasten, weil der in Rede stehende Vorgang in erster Linie ihrer Risikosphäre als Inhaberin der Domain „www.T.de“ zuzuordnen ist, während es der Antragstellerin jedenfalls im vorliegenden Eilverfahren gestattet sein muss, sich auf die einfache Behauptung eines der Antragsgegnerin zuzurechnenden Verstoßes ihrer Beauftragten zu beschränken; denn ohne hinreichend klare, einlassungsfähige Darlegung ihrer Gegnerin ist es ihr mangels eigenen Zugriffs auf die Nachverfolgungsmittel („Tracking-Software“) des C-Netzwerks und mangels eigener vertraglicher Auskunftsrechte erst recht nicht möglich, den Weg der für die Internetnutzer unsichtbaren Verlinkung nachzuvollziehen und nachzuweisen. Auch sprechen die von der Berufung in den Raum gestellten Sachverhaltsvarianten keineswegs eindeutig für ein unerlaubtes, unerwartetes und unkontrollierbares Verhalten der Werbepartnerin der Antragsgegnerin: Weder bei einer „Weitergabe“ des den Provisionsabrechnungen zu Grunde liegenden Links an den Betreiber der „Tippfehlerdomain“-Seiten noch bei einer Kette von unsichtbaren Weiterleitungen („re-directs“) unter Einbeziehung der Werbepartnerseite „www.T2.de“ liegt die Ungewöhnlichkeit der angewandten Methode und das Fehlen jeder Nachverfolgungsmöglichkeit auf der Hand; sollte die Werbepartnerin in diesem Zusammenhang mit der Einschaltung Dritter die Geschäftsbedingungen der C für „Publisher“ missachtet haben, wäre dies rechtlich nicht anders zu bewerten als die vertragswidrige Einschaltung eines Unterbeauftragten, mit der ein Beauftragter seine Befugnisse überschreitet, den ihm zugewiesenen Geschäftsbereich jedoch nicht verlässt.

Ergänzend kommt hinzu, dass die Antragsgegnerin bei Erlass der einstweiligen Verfügung bereits mehr als zwei Wochen sichere Kenntnis von den wettbewerbswidrigen Weiterleitungen zum Nachteil ihrer Mitbewerberin hatte, ohne innerhalb dieses Zeitraums erkennbar effektive Maßnahmen zu ihrer Unterbindung unternommen zu haben.

III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Das Urteil ist gemäß § 542 Abs. 2 ZPO mit seiner Verkündung rechtskräftig.

Vorinstanz:
LG Köln, Az. 84 O 208/12

I