OLG München, Urteil vom 17.10.2024, Az. 29 U 310/21
§ 1 Abs. 1 FernUSG ,§ 7 Abs. 1 FernUSG, § 12 Abs. 1 FernUSG, § 134 BGB
Das OLG München hat entschieden, dass ein Online-Coaching-Vertrag mit einem Unternehmer als Coachee nicht dem Fernunterrichtschutzgesetz (FernUSG) unterliegt, weil sich aus den Gesetzgebungsmaterialien zum FernUSG insbesondere ersehen lässt, dass der historische Bundesgesetzgeber durch eine Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Verbraucher eine Überschreitung seiner Gesetzgebungskompetenz hat verhindern wollen. Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung sowie zur Fortbildung des Rechts nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO zugelassen. Zum Volltext der Entscheidung:
Oberlandesgericht München
Urteil
…
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 16.12.2020 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Das Versäumnisurteil des Landgerichts München I vom 25.05.2020, Az. 11 O 13517/19, wird insoweit aufrechterhalten, als der Beklagte in dessen Ziffer 1. verurteilt wurde, an die Klägerin € 10.710,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 05.06.2019 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird das Versäumnisurteil des Landgerichts München I vom 25.05.2020, Az. 11 O 13517/19, aufgehoben und die Klage abgewiesen.
3. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Dieses Urteil, das Urteil des Landgerichts in obiger Fassung sowie das Versäumnisurteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klägerin macht gegen den Beklagten einen Vergütungsanspruch aus einem OnlineCoaching-Vertrag geltend.
Die Klägerin ist eine Unternehmensberatung, die im Bereich des Online-Coaching tätig ist. Der Beklagte ist Schauspieler.
Der Beklagte und der Geschäftsführer der Klägerin, Herr …, hatten am 25.04.2019 Kontakt im Rahmen eines Zoom-Calls, dessen Videoaufzeichnung die Klägerin als Anlage K 4 vorlegt.
Die Klägerin verlangt vom Beklagten die Zahlung eines vertraglichen Honorars für ein sogenanntes Coaching-Paket „…“ sowie von Inkassokosten.
Die Klägerin behauptet, im Rahmen des Zoom-Calls vom 25.04.2019 seien dem Beklagten die konkreten Leistungen der Klägerin im Rahmen des Coaching-Pakets mitgeteilt und die einzelnen auf einer Online-Lernplattform aufeinanderfolgenden Module, die sukzessive nach Lernfortschritt freigeschaltet würden, erläutert worden. Der Beklagte sei darauf hingewiesen worden, dass das Modul 1 die …, das Modul 2 die …, das Modul 3 das Thema …, das Modul 4 die …, das Modul 5 den … sowie das Modul 6 die … enthielten. Dem Beklagten sei weiter mitgeteilt worden, dass er einen Zugriff auf wöchentliche Zoom-Calls sowie einen Eins-zu-eins-Support in einer Wh.A.-Gruppe erhalten werde.
Die Klägerin ist der Auffassung, bei dem Zoom-Call vom 25.04.2019 sei ein wirksamer Vertrag über das Coaching-Paket „…“ zustande gekommen, da dem Beklagten sämtliche Vertragsinhalte konkret dargelegt worden seien und er sein entsprechendes Einverständnis mit dem Vertragsschluss erklärt habe. Der Beklagte schulde daher für die erbrachten Coaching-Leistungen das vereinbarte Honorar.
Der Beklagte behauptet, er habe zunächst nur an einem kostenlosen Online-Seminar teilnehmen wollen. Dabei habe er festgestellt, dass die Klägerin bisher keine Schauspieler betreue und nur Beratung im Bereich Online-Marketing und -Vertrieb durchgeführt habe, welche für ihn nicht nutzbar gewesen sei. Dies habe er der Klägerin mitgeteilt und von einem Vertragsschluss abgesehen. Die Klägerin habe weder brauchbare Leistungen angeboten noch über das nötige KnowHow oder die nötigen Kontakte verfügt, um ihm bei seiner schauspielerischen Tätigkeit als Unternehmensberaterin zur Seite zu stehen.
Das Landgericht München I hat gegen den Beklagten am 25.05.2020 ein Versäumnisurteil im schriftlichen Verfahren (Bl. 19/22 d.A.), berichtigt durch Beschluss vom 22.01.2021 (Bl. 79/80 d.A.), mit folgendem Inhalt erlassen:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 10.710,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 05.06.2019 zu zahlen.
2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Inkassokosten in Höhe von 805,20 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.07.2020 zu zahlen.
3. Im Übrigen (Zinsen) wird die Klage abgewiesen.
4. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Auf den Einspruch des Beklagten hat das Landgericht das Versäumnisurteil durch Endurteil vom 16.12.2020 (Bl. 64/71 d.A.), auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, aufrechterhalten und dem Beklagten die weiteren Kosten des Rechtsstreits auferlegt.
Der Beklagte greift das Urteil mit seiner Berufung unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens vollständig an.
Der Beklagte ist nunmehr der Auffassung, ein vermeintlich zwischen den Parteien geschlossener Vertrag sei mangels behördlicher Zulassung des Online-Coaching der Beklagten jedenfalls nach dem Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) nichtig. Das FernUSG sei unterschiedslos auf Verbraucher und Unternehmer anwendbar. Auch seien die übrigen Voraussetzungen des FernUSG, die entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, die ausschließliche oder überwiegende räumliche Trennung von Lehrendem und Lernendem sowie die Überwachung des Lernerfolgs durch den Lehrenden, beim angebotenen Online-Coaching der Beklagten entsprechend dem Zoom-Call gemäß Anlage K 4 erfüllt gewesen.
Der Beklagte beantragt,
1. das am 16. Dezember 2020 verkündete Urteil des Landgerichts München I, Az. 11 O 13517/19, aufzuheben sowie zugleich die diesem Urteil zu Grunde liegenden Feststellungen aufzuheben,
2. das Versäumnis-Urteil vom 25. Mai 2020, soeben genanntes Aktenzeichen, aufzuheben,
3. neu zu verhandeln,
4. die Klage-Anträge der Klägerin sowie die Berufungs-Anträge der Klägerin abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das Urteil des Landgerichts ebenfalls unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.
Die Klägerin ist der Auffassung, das FernUSG sei auf den hiesigen Fall eines Vertragsschlusses zwischen Unternehmern schon nicht anwendbar, was auch dem Verständnis und der Verwaltungspraxis der zuständigen Behörde, der Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU), entspreche. Zudem sei der Aspekt der räumlichen Distanz nicht erfüllt, da synchrone Maßnahmen, die „live“ geschähen, von dem Merkmal nicht erfasst würden, weil sie einen unmittelbaren Austausch des Coachee mit seinem Vertragspartner ermöglichten. Zudem sei beim Coaching der Beklagten keine Lernzielkontrolle im Sinne des FernUSG vorgesehen gewesen, da es dafür nicht ausreiche, dass der Lernende aus eigener Initiative Rückfragen stellen könne. Weitergehende Maßnahmen wie die Ableistung von Prüfungsaufgaben und deren Korrektur seien zwischen den Parteien gerade nicht vereinbart gewesen. Seitens der Klägerin seien auch niemals die nach dem FernUSG einschlägigen Begriffe wie „Lehrgang“, „Studium“ oder „Ausbildung“ verwendet worden.
Der Senat hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 17.10.2024 durch Inaugenscheinnahme des Videogramms gemäß Anlage K 4. Zur Ergänzung wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17.10.2024 sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung des Beklagten ist zum überwiegenden Teil unbegründet.
1. Der Klägerin steht der vom Landgericht zuerkannte Vergütungsanspruch gegen den Beklagten in Höhe von € 10.710,00 aus §§ 611 Abs. 1, 615 Satz 1 BGB i.V.m. dem zwischen den Parteien geschlossenen Coaching-Vertrag zu. Die vom Beklagten dagegen erhobenen Einwendungen greifen nicht durch.
a) Zwischen den Parteien ist entsprechend dem Zoom-Video-Call gemäß Anlage K 4 ein OnlineCoaching-Vertrag über die dort beschriebenen Leistungen im Rahmen des „…“ geschlossen worden. Diese Überzeugung hat der Senat aufgrund des durchgeführten Augenscheins gewonnen.
Soweit der Beklagte geltend macht, ein Vertrag sei mangels Einigung über die sog. essentialia negotii nicht zustande gekommen, kann dem nicht gefolgt werden. Die Kongruenz der Willenserklärungen muss sich zwar mindestens auf die essentialia negotii beziehen. Zu diesen gehören beim Dienstvertrag aber nur die Vertragsparteien und die zu erbringende Leistung, da die anderen wesentlichen Vertragsbestandteile durch Ergänzungsnormen wie die §§ 269, 271, 243 Abs. 2, 620 und 621 bis 623 BGB vervollständigt werden (BeckOGK/Maties, 1.5.2024, BGB, § 611, Rn. 82, 83).
Über diese wesentlichen Bestandteile des Vertrags fand im Rahmen des Zoom-Calls gemäß Anlage K 4 eine Einigung zwischen den Parteien statt, da einvernehmlich geklärt wurde, dass der Beklagte als Einzelunternehmer unter seiner Firma „…“ Vertragspartei wird und die seitens der ebenfalls eindeutig identifizierten Klägerin zu erbringenden Leistungen klar umrissen und so akzeptiert wurden, so wie sie der Geschäftsführer der Klägerin durch Aufzählung der einzelnen Module sowie der Zusatzleistungen in Form der Zoom-Meetings unter Einschluss von anderen Kunden und der direkten Unterstützung per Wh.A.-Kontakt dargestellt hat. Diesbezüglich äußerte der Beklagte ebenfalls sein Einverständnis. Übereinstimmend gehen die Parteien in Anlage K 4 auch von einer Tätigkeit des Beklagten als Schauspieler aus, deren Vermarktung durch die Lern- und Beratungsinhalte gefördert werden soll, so dass sich eine fehlende Willensübereinstimmung auch nicht aus unterschiedlichen Auffassungen über den Bezugspunkt der Leistungen, nämlich der Selbstvermarktung als Schauspieler, ableiten lässt.
b) Soweit der Beklagte versucht, die Regelung des Art. 246c EGBGB für seine Argumentation fruchtbar zu machen, erschließt sich die Relevanz für das vorliegende Verfahren nicht. Art. 246c EGBGB konkretisiert die Informationspflichten, die ein Unternehmer gem. § 312i Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB im elektronischen Geschäftsverkehr zu erfüllen hat. Der Vertrag wurde jedoch nicht im elektronischen Geschäftsverkehr geschlossen, sondern lediglich unter Zuhilfenahme eines Video-Calls als elektronischem Fernkommunikationsmittel. Insoweit handelt es sich nicht um Telemedien im Sinne von § 312i Abs. 1 Satz 1 BGB, worunter keine interpersonellen Telekommunikationsdienste fallen, die ganz in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen (BeckOGK/Busch, 1.7.2023, BGB, § 312i, Rn. 9).
c) Auch die Bedeutung des vom Beklagten angeführten § 312k Abs. 1 Satz 1 BGB erschließt sich nicht. Mangels Vertragsschlusses im elektronischen Geschäftsverkehr im Sinne von § 312i Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB findet die darauf bezogene Regelung des § 312k Abs. 1 Satz 1 BGB vorliegend keine Anwendung.
d) Die Ausführungen der Beklagtenpartei, wonach das Landgericht „grundlegende Wertungsprinzipien der Zurechnung“ missachtet habe und die „Wissenszurechnungsnormen des BGB, HGB, GmbHG“, insbesondere die „§§ 164, 166 Abs. 2 BGB, §§ 55, 54, 56 HGB, § 13 Abs. 3 GmbHG“ sowie „§§ 26 Abs. 2, 28 Abs. 2, 164, 166 Abs. 1 BGB, §§ 35, 36 GmbHG“, verletzt seien, vermag der Senat ebenfalls nicht nachzuvollziehen. Wem welche Erklärung welchen Inhalts falsch zugerechnet worden sein soll, erschließt sich nicht.
e) Inwieweit die Diskussion des Beklagten über die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG, die negative Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und die Eigentumsgarantie im Rahmen von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG etwas zur Frage des Vertragsschlusses zwischen den Parteien beitragen kann, bleibt argumentativ ebenfalls unverständlich.
f) Soweit der Beklagte eine Überraschungsentscheidung und eine Verletzung von § 139 ZPO sowie von Art. 103 Abs. 1 GG moniert, führt seine Berufungsrüge ebenfalls nicht zum Erfolg.
Sofern die Berufungsbegründung die Verletzung der Hinweispflicht oder des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG rügt, muss sie zur Entscheidungserheblichkeit des Verfahrensfehlers darlegen, was bei Erteilung des Hinweises bzw. bei Gewährung des rechtlichen Gehörs vorgetragen worden wäre und dass nicht auszuschließen ist, dass dieser Vortrag zu einer anderen Entscheidung geführt hätte. Dieser Darlegung bedarf es nur dann nicht, wenn die Entscheidungserheblichkeit der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör unmittelbar und zweifelsfrei aus dem bisherigen Prozessstoff ersichtlich ist (BGH NZG 2021, 831 Rn. 32; NJW-RR 2020, 573 Rn. 14; NJW 2016, 2890 Rn. 11; NJW 2015, 1458 Rn. 13; NJW-RR 2015, 757 Rn. 8; BeckRS 2014, 12010 Rn. 10; NJW 2012, 3581 Rn. 12; NJW-RR 2004, 495, 496). Aus dem Vorbringen des Beklagten lässt sich indes weder erkennen, was er im Falle eines Hinweises bzw. der Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte, noch warum die Entscheidungserheblichkeit eines Verstoßes bereits aus dem bisherigen Prozessstoff ohne weiteres ersichtlich wäre.
g) Entgegen der Argumentation des Beklagten kann vorliegend auch kein Dissens im Sinne der §§ 154, 155 BGB angenommen werden. Wie oben unter a) dargestellt, gingen die Parteien in dem Zoom-Call gemäß Anlage K 4 übereinstimmend von einer Tätigkeit des Beklagten als Schauspieler aus, deren Vermarktung durch die vertragsgemäßen Lern- und Beratungsinhalte gefördert werden sollte. Ein verdeckter oder offener Einigungsmangel hierüber bestand demnach nicht.
h) Eine Nichtigkeit des geschlossenen Vertrages wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB ergibt sich nicht daraus, dass EUR 9.000,00 netto für eine wöchentliche Konferenzschaltung mit Produktverkäufern und fernmündlicher Pauschalerklärung des Produktmarketings verlangt worden seien.
Soweit der Beklagte meint, hier ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung zu erkennen, lässt sich hierzu aus seinem Vorbringen nichts ableiten. Die Festlegung der Grenze zwischen einem hohen, aber rechtlich unbedenklichen Preis und einem widerrechtlichen, sittenwidrigen Preis wird durch zwei Festsetzungen bestimmt, die von den Gerichten vorgenommen werden müssen: erstens die Festlegung eines Marktpreises und zweitens die Festlegung einer rechtlich unbedenklichen Abweichung (BeckOGK/Jakl, 1.8.2024, BGB, § 138, Rn. 161). Erst bei einer Überschreitung der noch unbedenklichen Abweichung kann ein Verstoß gegen § 138 Abs. 1 BGB in Betracht kommen. Der Vortrag des Beklagten verhält sich indes weder zu einem objektiven Markpreis noch zu einer noch unbedenklichen Abweichung und ihrem Überschreiten. Die vom Beklagten nur empfundene Überhöhung gegenüber einem für ihn subjektiv geringen Wert der Dienstleistungen vermag einen Verstoß gegen § 138 Abs. 1 BGB nicht zu begründen.
i) Auch eine Nichtigkeit nach § 134 BGB i.V.m. §§ 1 Abs. 1, 7 Abs. 1, 12 Abs. 1 FernUSG aufgrund der unstreitig nicht vorhandenen behördlichen Zulassung des streitgegenständlichen Coaching-Programms der Klägerin kommt nicht in Betracht. Der persönliche Anwendungsbereich des FernUSG ist im hier maßgeblichen Verhältnis zu einem Unternehmer als Coachee nicht eröffnet.
aa) Aus den Gesetzesmaterialien lässt sich ersehen, dass mit dem aus dem Jahre 1975 stammenden FernUSG nach dem Verständnis des Gesetzgebers versucht werden sollte, Defiziten bei der Verschaffung eines Marktüberblicks für Fernunterricht und bei der Vergewisserung über die Zweckmäßigkeit und Eignung von teilweise sehr aufwendigen Fernlehrgängen Rechnung zu tragen und den Teilnehmer am Fernunterricht unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes zu sichern. Das Gesetz sollte sich in die übrigen Bemühungen zum Schutz der Verbraucher wie z.B. das Abzahlungsgesetz und die Regelung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, des Rechts der Reiseveranstalter oder der Immobilienmakler einreihen (BT-Drs. 7/4245, Seite 13, linke Spalte, erster und zweiter Absatz). Der Gesetzeszweck des Verbraucherschutzes wurde vom Bundestag auch deutlich im Hinblick auf Anregungen des Bundesrats im Gesetzgebungsverfahren hervorgehoben, so bezüglich der Anwendung von § 139 BGB (BT-Drs. 7/4245, Seite 32, linke Spalte, zweiter Absatz) sowie im Hinblick auf die Gesetzgebungskompetenz des Bundes (BT-Drs. 7/4245, Seite 34 unter „Zu 10. a) und b) (§§ 10 und 11)“). Für die fehlende Anwendbarkeit des FernUSG auf Unternehmer als Lernende spricht auch § 4 Satz 1 FernUSG, da dort auf § 355 BGB verwiesen wird, der den Verbraucherwiderruf normiert. Der Ansicht, dass das FernUSG lediglich auf Verbraucher anwendbar sein soll, entspricht zudem die gegenwärtige Regelung des § 3 Abs. 3 FernUSG, wonach bei einem Fernunterrichtsvertrag zu den wesentlichen Eigenschaften, über die der Unternehmer den Verbraucher nach Art. 246a § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EGBGB zu informieren hat, dort näher bezeichnete Aspekte gehören (vgl. KG BeckRS 2023, 41873; LG Frankfurt/M. BeckRS 2023, 36846 Rn. 71; LG München I MMR 2024, 696 Rn. 43; NomosBR/Vennemann, FernUSG, 2. Aufl., § 3, Rn. 4).
Soweit die Gegenansicht annimmt, das FernUSG sei gleichermaßen auf Verbraucher und Unternehmer als Lernende anwendbar, weil das Gesetz keine ausschließliche Anwendung auf Verbraucher vorsehe, eine teleologische Auslegung kein gegenteiliges Ergebnis rechtfertige und die Regelungen des FernUSG so verstanden werden könnten, dass sie zum Schutz von Verbrauchern erlassen worden seien, Unternehmer aber nicht ausschließen sollten (OLG Celle NJW-RR 2024, 1181 Rn. 4; MMR 2023, 864 Rn. 25 ff.; LG Hamburg MMR 2024, 272 Rn. 37 f.), vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen. Zwar mag es zutreffen, dass der Gesetzgeber mit dem FernUSG der „Enttäuschung der Bildungswilligkeit“ vorbeugen wollte und dabei in erster Linie von einer erheblich höheren Schutzbedürftigkeit des Teilnehmers am Fernunterricht im Verhältnis zu demjenigen am Direktunterricht ausgegangen ist. Hieraus lässt sich indes nicht ableiten, er habe gerade nicht auf die Eigenschaft des Teilnehmers als Verbraucher abstellen wollen. Wie aus den bereits oben zitierten Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 7/4245, Seite 34 unter „Zu 10. a) und b) (§§ 10 und 11)“) ersichtlich ist, sah sich der Bundestag veranlasst, die Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Hinblick auf die Kultushoheit der Länder gegenüber dem Bundesrat besonders hervorzuheben, indem er bezüglich der Zulassungspflicht für Fernlehrgänge betonte, dass deren Zweck ausschließlich der dem Recht der Wirtschaft nach Art. 74 Nr. 11 GG zugehörige Verbraucherschutz sei (BT-Drs. 7/4245, Seite 34, rechte Spalte, zweiter Absatz, letzter Satz). Aus staatsorganisationsrechtlicher Sicht lässt das nach Auffassung des Senats den Schluss zu, dass die entsprechenden Regelungen des FernUSG ausschließlich auf Verbraucher Anwendung finden sollen, da der historische Bundesgesetzgeber hierdurch eine Überschreitung seiner Gesetzgebungskompetenz gerade hat verhindern wollen.
bb) Der Beklagte hat den hiesigen Coaching-Vertrag als Unternehmer, nicht als Verbraucher abgeschlossen, so dass die §§ 1 Abs. 1, 7 Abs. 1, 12 Abs. 1 FernUSG darauf nicht anwendbar sind. Ab Minute 04:41 des Zoom-Calls gemäß Anlage K 4 wies der Geschäftsführer der Klägerin den Beklagten ausdrücklich darauf hin, dass man keine Verträge mit Verbrauchern und Privatpersonen schließe, worauf die Parteien überein kamen, dass der Beklagte den Coaching-Vertrag unter seiner Firma „…“ mit der Klägerin abschließt, und er die gesonderte Geschäftsanschrift dieses Unternehmens in der … mitteilte. Auf die nochmalige Frage des Geschäftsführers der Klägerin ab Minute 06:18 der Anlage K 4, die lautete: „In dem Fall bist Du dann ja Unternehmer mit der Firma“, antwortete der Beklagte: „Ja, genau“.
j) Soweit sich der Beklagte in der Berufungsinstanz erstmals auf die §§ 305 ff. BGB stützt und hierzu vorträgt, der Inhalt des Video-Chats gemäß Anlage K 4 sei vorformuliert gewesen, so dass es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen gehandelt habe, ist er mit diesem neuen und seitens der Klägerin bestrittenen (Bl. 206 d.A.) Vortrag nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO ausgeschlossen, da nicht ersichtlich ist, warum dieser ohne Nachlässigkeit nicht bereits in erster Instanz hätte angebracht werden können.
k) Soweit der Beklagte erstmals in der Berufungsinstanz zu Vorgesprächen Beweisangebote im Hinblick auf eine vermeintlich dort verabredete, aber bestrittene (Bl. 217 d.A.) Beschränkung der Dienstleistungen speziell auf das Berufsfeld des Schauspielers liefert (Seite 47 f. der Berufungsbegründung), greift wiederum § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO ein, da nicht ersichtlich ist, warum er diese nicht bereits in erster Instanz hätte anbringen können. Ein Beweisangebot ist erstinstanzlich im Rahmen der informellen Anhörung des Beklagten, in der er seine Tochter nur im Zusammenhang mit der Durchsicht von Unterlagen und Erstellung von Websites erwähnt (Bl. 47/48 d. A.), nicht aber als Zeugin angeboten hat, nicht erfolgt.
l) Gänzlich unverständlich bleiben die Berufungsrügen des Beklagten auf Seite 49 der Berufungsbegründung welche lauten: „Dieses ist Anspruch auf Vertragsaufhebung sowie auf Unterlassung gemäß § 823 Abs. 1 sowie Abs. 2, 826 BGB mit § 263 StGB, erstinstanzlich unbearbeitet.“ und „Zudem gelten §§ 241 Abs. 2, 242, 311 Abs. 2 und Abs. 3 BGB, insbesondere Einwände, unclean hands, dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est, sowie § 249 Abs. 1 BGB.“. Die angeführten Normen und Rechtsgrundsätze werden insbesondere nicht mit Sachvortrag unterlegt.
m) Soweit der Beklagte anführt, eine Vergütungspflicht aus § 611 Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem geschlossenen Beratungsvertrag sei deshalb entfallen, weil die erbrachten Beratungsleistungen nur auf das Marketing von Produkten bezogen gewesen und deshalb für Schauspieler und vergleichbare freie Berufe mit der Notwendigkeit zur Selbstvermarktung völlig unbrauchbar gewesen seien, dringt er damit ebenfalls nicht durch.
Zwar wird teilweise vertreten, dass es beim Dienstvertrag als ein völliges Ausbleiben der Leistung und damit als Nichterfüllung mit der Konsequenz des Entfallens der Vergütungspflicht anzusehen sei, wenn eine erbrachte – aber grundsätzlich ordnungsgemäß nachholbare – Dienstleistung völlig unbrauchbar war (BGH NJW 2018, 3513 Rn. 17; Jauernig/Mansel, BGB, 19. Aufl., § 611, Rn. 16).
Vorliegend lässt sich aber eine völlige Unbrauchbarkeit der klägerischen Leistungen im Hinblick auf die vertraglich im Zoom-Call gemäß Anlage K 4 vorausgesetzte Selbstvermarktung des Beklagten als Schauspieler nicht annehmen. Dass bei den einzelnen Schulungsmodulen und den Zoom-Konferenzen mit anderen Kunden – wie vom Beklagten vorgetragen – das in der Praxis häufiger anzutreffende Marketing von konkreten Produkten, weniger dagegen die Selbstvermarktung von Freiberuflern im Vordergrund gestanden haben mag, erklärt nicht die völlige Unbrauchbarkeit der Dienstleistungen. Dass sich der Beklagte subjektiv eine passgenauere Beratung speziell für seinen Beruf gewünscht und eine solche erwartet haben mag, vermag eine völlige Unbrauchbarkeit der tatsächlich angebotenen Leistungen für den vertraglich vorausgesetzten Zweck im Rahmen von § 611 Abs. 1 BGB nicht zu begründen. Gleiches gilt für ein etwaiges vorvertragliches Verhalten der Klägerin im Rahmen von §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB, da sich nicht ohne weiteres erschließt, aufgrund welcher Umstände die Klägerin vorvertraglich über die völlige Unbrauchbarkeit der vertraglichen Leistungen für einen Schauspieler hätte aufklären müssen.
n) Soweit der Beklagte meint, zur Anfechtung des Vertrages gemäß § 123 Abs. 1 BGB oder § 119 BGB berechtigt gewesen zu sein, lässt sich vor diesem Hintergrund nicht erkennen, in welchen tatsächlichen Vorgängen eine Täuschung zu erblicken sein soll bzw. worin ein Inhalts- und Erklärungsirrtum, nicht nur ein bloßer Motivirrtum für den Abschluss des Beratungsvertrages gelegen haben soll. Gleiches gilt für den Kündigungsgrund im Rahmen einer außerordentlichen Kündigung im Rahmen von § 626 BGB.
o) Im Hinblick auf die vom Beklagten vermeintlich erklärte ordentliche Kündigung fehlt es an einer entsprechenden Kündigungsmöglichkeit nach § 627 Abs. 1 BGB, da nach dem Vertrag keine Dienste höherer Art im Sinne dieser Vorschrift geschuldet waren. Bei den hier streitgegenständlichen Verkaufs- bzw. Marketingschulungen handelt es sich nicht um Dienste höherer Art, die üblicherweise aufgrund eines besonderen Vertrauens übertragen zu werden pflegen. Nach der gesetzlichen Regelung soll bei ganz auf persönliches Vertrauen gestellten und zudem lockeren, nicht auf eine ständige Tätigkeit gerichteten Dienstverhältnissen die Freiheit der persönlichen Entschließung eines jeden Teils im weitesten Ausmaß gewahrt werden.
Eine Marketing- oder Verkaufsschulung als Weiterbildung durch einen Verkaufstrainer in einem Seminar für Verkaufsargumentation und -technik gehört indes nicht zu solchen Dienstleistungen höherer Art, die üblicherweise aufgrund eines besonderen Vertrauens übertragen zu werden pflegen. Im Vordergrund steht die qualifizierte, erfolgversprechende Vermittlung von Fachwissen. Der Gesichtspunkt besonderen Vertrauens, der im Erziehungsbereich allgemein und insbesondere bei der Schul- und Berufsausbildung bedeutsam ist, tritt demgegenüber ganz zurück. Die Vermittlung von Fachwissen und beruflichen Fertigkeiten erwartet der Teilnehmer von dem Lehrinstitut oder dem Seminarleiter. Das allein schafft aber noch kein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Teilnehmer und Leiter (vgl. BGH NJW 1986, 373, 374).
p) Soweit der Beklagte meint, es habe keine erstinstanzliche mündliche Verhandlung gegeben, weil der im Termin vom 09.09.2020 (Bl. 47 d.A.) für die Klägerin anwesende Rechtsanwalt … keine Vollmacht im Sinne von §§ 78 ff. ZPO gehabt habe, greift diese Rüge ebenfalls nicht durch. Selbst wenn man unterstellt, dass der handschriftliche Zusatz „RA …“ auf der Untervollmacht (hinter Bl. 49 d.A.) nicht vom Vollmachtgeber selbst stammt und später hinzugefügt wurde, ergibt die Auslegung der auf die „Kanzlei …“ lautenden Vollmacht, dass sie aus Praktikabilitätsgründen allen in dieser Kanzlei tätigen Anwälten erteilt werden sollte, zu denen unstreitig auch Rechtsanwalt … gehörte.
2. Erfolg hat die Berufung des Beklagten lediglich hinsichtlich der geltend gemachten Inkassokosten in Höhe von € 805,20 nebst Zinsen. Ein Anspruch aus §§ 611 Abs. 1; 280 Abs. 1; 286 Abs. 1, Abs. 3; 288 Abs. 4 BGB steht der Klägerin gegen den Beklagten insoweit nicht zu.
Die Klägerin hat im Hinblick auf einen Verzugseintritt im Rahmen von § 286 Abs. 1 BGB weder vorgetragen, wann dem Beklagten die auf Seite 2 der Klageschrift (Bl. 14 d.A.) behaupteten Aufforderungsschreiben übersandt worden sein sollen, noch zu welchem danach liegenden Zeitpunkt der Inkassodienstleister beauftragt worden sein soll. Ebenso wenig hat sie im Rahmen von § 286 Abs. 3 BGB vorgetragen, dass sie den Inkassodienstleister erst mehr als 30 Tage nach dem Zugang der Rechnung gemäß Anlage K 1 beauftragt hat. Eines Hinweises bedarf es nach § 139 Abs. 2 ZPO bei Nebenforderungen nicht.
3. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 92 Abs. 2, 97 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
4. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung sowie zur Fortbildung des Rechts nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO zuzulassen. Die entscheidungserhebliche Frage, ob die §§ 1 Abs. 1, 7 Abs. 1, 12 Abs. 1 FernUSG auf Unternehmer Anwendung finden, ist höchstrichterlich nicht geklärt und über den Einzelfall hinaus in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen von Bedeutung. Insofern fehlt es für die rechtliche Beurteilung typischer oder jedenfalls verallgemeinerungsfähiger Lebenssachverhalte an einer richtungsweisenden Leitentscheidung. Zudem besteht im Hinblick auf die zitierten Entscheidungen des OLG Celle eine Divergenz im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO.
Da im hiesigen Verfahren Fragen des FernUSG entscheidungserheblich sind und nicht im Wesentlichen über Vorschriften des Landesrechts entschieden werden muss, ist die Revision nach § 8 Abs. 2 EGGVG i.V.m. Art. 11 Abs. 1 BayAGGVG zum Bundesgerichtshof, nicht zum Bayerischen Obersten Landesgericht zuzulassen.