VG Düsseldorf, Urteil vom 08.11.2011, Az. 27 K 5887/10
§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 GlüStV, § 8 TMG
Das VG Düsseldorf hat entschieden, dass ein Access-Provider nicht ohne weiteres mit einer Sperrungsverfügung überzogen werden darf, nach welcher er den Zugang zu bestimmten (verbotenen) Glücksspielangeboten zu blockieren hat. Weder habe der Access-Provider die Übermittlung der Glücksspielinhalte veranlasst, noch wähle er diese oder den Adressaten aus. Zudem habe offenkundig ein Zusammenwirken des Access-Providers mit einem Nutzer im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 TMG ausgeschlossen werden können. Der Umstand, dass die Klägerin Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Inhalte habe, sei im Anwendungsbereich des § 8 TMG – wie die Ausgestaltung der Haftungsregelungen des § 8 TMG im Vergleich zu den Haftungsregelungen des § 10 TMG zeige – ohne Relevanz. Zum Volltext der Entscheidung:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Urteil
Die Sperrungsanordnung der Bezirksregierung E vom 12.08.2010 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig voll-streckbar.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin bietet Privat- und Geschäftskunden verschiedene Produkte und Dienstleistungen aus den Bereichen Mobilfunk, Festnetz, Datendienste und Breitband-Internet an, darunter auch Internetzugang. Die Beigeladene bietet auf der Internetseite www.U.com die Vermittlung von Wetten auf den Ausgang verschiedener staatlicher europäischer Lotterien an, unter anderem das von den Mitgliedern des Deutschen Lotto- und Totoblocks (DLTB) veranstaltete Lotto „6 aus 49“ und die europäische Lotterie „Euro Millones“. Sie vermittelt die Tipps der Spielteilnehmer an die Veranstalterin der Zweitlotterien, die N Ltd., die ursprünglich 100%-ige Mutter der Beigeladenen, deren Geschäftsanteile ursprünglich vollständig von der U AG (heute X) in I, der früheren Marktführerin auf dem Gebiet der Lottovermittlung im Internet, gehalten wurden. Sowohl die Beigeladene als auch die N Ltd. verfügen über eine entsprechende Genehmigung der britischen Glücksspielaufsichtsbehörde.
Mit Schreiben vom 21. Juni 2010 wies die Bezirksregierung E die Klägerin darauf hingewiesen, dass die Beigeladene und C Ltd., H über die Websites www.U.com und www.C.com Lotterien, Sportwetten und andere Glücksspiele anbieten würden, bei denen es sich um unerlaubtes Glücksspiel nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) handele, dessen Veranstaltung und Vermittlung im Internet verboten sei (§ 4 Abs. 4 GlüStV) und welches den Straftatbestand des § 284 des Strafgesetzbuches (StGB) erfülle. Die Klägerin als Internet-Zugangsanbieterin ermögliche es den Internetnutzern aus NRW bzw. aus ganz Deutschland, auf diese Seiten zuzugreifen.
Mit Schreiben vom 30.06.2010 hörte die Bezirksregierung E die Klägerin als „bösgläubiger Störer und verantwortlicher Diensteanbieter“ (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV i.V.m. §§ 2 und 7 ff. Telemediengesetz (TMG)) sowie „äußerst hilfsweise“ als „Nichtstörer“ (i.S.d. § 19 OBG NRW) zur beabsichtigten Untersagung ihrer Mitwirkung am Zugang zum unerlaubten öffentlichen Glücksspielangebot unter www.U.com und www.C.com an. Unter dem 19. Juli 2010 erweiterte die Bezirksregierung E diese Anhörung, indem sie sich auf eine Ermächtigung durch die Bundesländer Brandenburg, Niedersachsen, Sachsen und Sachsen-Anhalt berief. Mit Schreiben vom 27. Juli, 10. und 11.08.2010 ermächtigten das Ministerium des Inneren des Landes Brandenburg, das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt sowie die Landesdirektion Leipzig des Freistaates Sachsen die Bezirksregierung E auch mit Wirkung für sie entsprechende Sperrungsanordnungen unter anderem gegen die Klägerin zu erlassen. Die Ermächtigung für das Land Brandenburg bezog sich auf die Internetseite www.U.com, diejenige des Freistaates Sachsen auf die Internetseite www.C.com und diejenige des Landes Sachsen-Anhalt auf beide zuvor genannten Internetseiten.
Unter dem 12.08.2010 erließ die Bezirksregierung E gegenüber der Klägerin folgende Sperrungsanordnung:
„A.:
1.
Ihnen wird aufgegeben, den Zugang zum Internetangebot der Websites www.C.com und www.U.com über die Einrichtung einer DNS-Sperrung zu erschweren. Diese Anordnung ist für das Bundesland Nordrhein-Westfalen rechtlich verbindlich.
2.
die Maßnahme zu 1. ist innerhalb von 4 Wochen nach Bekanntgabe dieses Bescheides umzusetzen.
3.
für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Ziffer 2 wird hiermit ein Zwangsgeld i.H.v.100.000 Euro (hunderttausend Euro) angedroht.
4.
für diese Sperrung an Ordnung wird eine Verwaltungsgebühr i.H.v.2 .000,00 (zweitausend) Euro erhoben.
(….)
B.:
Zum Erlass dieser Sperrungsanordnungen wurden der Bezirksregierung E folgende Ermächtigungen gemäß § 9 Abs. Abs. 1 S. 4 GlüStV erteilt:
ØBrandenburg, Ermächtigung vom 27.07.2010 für die Sperrung der Seite www.U.com.
ØSachsen, Ermächtigung vom 11.08.2010 für die Sperrung der Seite www.C.com.
ØSachsen-Anhalt, Ermächtigung vom 10.8.2010 für die Sperrung der Seiten www.C.com und www.U.com.
(…)
Damit entfaltet diese Sperrungsverfügung auch rechtliche Wirksamkeit für diese Bundesländer im Umfang der jeweiligen Ermächtigung.“
Zur Begründung führte die Bezirksregierung E im Wesentlichen aus: Sie habe den Glücksspielanbietern der Seiten www.C.com und www.U.com das Angebot auf den von ihnen betriebenen Seiten, insbesondere auf den genannten Seiten, bezogen auf das Bundesland NRW untersagt. Obwohl die Untersagungsverfügungen vollziehbar seien und deren Rechtmäßigkeit in entsprechenden Rechtsschutzverfahren obergerichtlich bestätigt worden sei, würden die Seiten www.C.com und www.U.com mit dem beanstandeten Inhalt weiter betrieben und seien für Spieler aus NRW abrufbar. Da eine Vollstreckung im Ausland voraussichtlich keinen Erfolg verspreche, rückten weitere potentielle Störer in den Blickpunkt. Die Klägerin biete als Diensteanbieter nach dem TMG den Service der Zugangsvermittlung zum Internet an und zwar auch in Bezug auf die beanstandeten Glücksspielangebote. Die Eingriffsvoraussetzungen nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 GlüStV lägen vor. In Ausübung ihres pflichtgemäßen Ermessens und im Rahmen der von ihr durchzuführenden Störerauswahl nehme sie die Klägerin als Störer in Anspruch. Nach dem ordnungsrechtlichen Störerbegriff könne nicht nur derjenige in Anspruch genommen werden, der die Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung unmittelbar und schuldhaft vorgenommen oder veranlasst habe. Vielmehr sei auch derjenige ordnungspflichtig, der in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal an der Herbeiführung des Rechtsverstoßes mitgewirkt habe, wobei als Mitwirkung auch die Unterstützung eines eigenverantwortlich handelnden Dritten genüge, sofern der in Anspruch genommene die rechtliche Möglichkeit zur Verhinderung des Rechtsverstoßes habe. Die Klägerin sei als Zugangsvermittler nach erfolglosem Versuch der Inanspruchnahme der Inhaltsanbieter der richtige Adressat dieser Verfügung. Die Klägerin wirke im Sinne des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 GlüStV am Zugang zu unerlaubten Glücksspielangeboten mit, sei Diensteanbieter im Sinne von § 2 TMG und auch nach diesem Gesetz verantwortlich. Aus § 7 Abs. 2 S. 2 TMG ergebe sich, dass den Diensteanbieter von fremden Inhalten, der von der Rechtswidrigkeit eines bestimmten Angebotes Kenntnis erlangt habe, die Verpflichtung zur Entfernung oder Sperrung der Nutzung der Informationen treffe. Der Umstand, dass die Klägerin lediglich eine neutrale Dienstleistung anbiete, schließe ihre Haftung nicht aus. In einer Vielzahl von sonderordnungsrechtlichen Regelungen sei – ähnlich wie im TMG – eine vom OBG NRW abweichende Störerregelung getroffen, mit der Folge, dass der für die Abwehr der Gefahr benannte Verantwortliche nicht nur handlungspflichtig sei, sondern in Ermangelung einer Kostenregelung auch die Kosten der Gefahrenabwehr selbst zu tragen habe. Hilfsweise werde die Klägerin nach § 19 OBG NRW als Nichtstörer in Anspruch genommen. Eine gegenwärtige erhebliche Gefahr sei im Hinblick auf das unerlaubte Glücksspiel und die damit einhergehenden Gefahren für jugendliche Spieler oder auch für Spielsüchtige gegeben. Alleine das Vorliegen des Straftatbestandes reiche zur Annahme einer erheblichen Gefahr aus, die insbesondere über das Angebot im Internet ubiquitär und allgegenwärtig, zeitlich und örtlich nicht beschränkt sei und deshalb ein sehr großes Gefahrenpotenzial darstelle. Diese Gefahr sei auch gegenwärtig, da sie täglich rund um die Uhr für eine unübersehbare Vielzahl von Nutzern, die zur Spielteilnahme animiert würden, wahrnehmbar sei. Auch die übrigen Tatbestandvoraussetzungen des § 19 OBG wurden bejaht.
Gegen die Ordnungsverfügung vom 12.08.2010 hat die Klägerin am 07.09.2010 Klage erhoben und einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt (27 L 1458/10). Im Laufe dieses Verfahrens haben die Beteiligten einen außergerichtlichen Vergleich geschlossen, in welchem die Bezirksregierung E auf die Vollstreckung der angegriffenen Sperrungsanordnung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage verzichtet hat, woraufhin die Klägerin ihren Antrag zurückgenommen hat.
Zur Begründung der Klage führt die Klägerin unter anderem aus: Die Ordnungsverfügung sei bereits formell rechtswidrig, da es an der Verbandskompetenz der Bezirksregierung E fehle und keine hinreichende Anhörung hinsichtlich der Inanspruchnahme der Klägerin als Nichtstörerin stattgefunden habe. Außerdem sei die Ordnungsverfügung auch materiell rechtswidrig. Das tenorierte Handlungsgebot sei unbestimmt, widersprüchlich und aus technischen Gründen unmöglich auszuführen, so dass eine Nichtigkeit nach § 44 VwVfG vorliege. Weiterhin fehle es an einer Rechtsgrundlage für die Sperrungsanordnung. Mit der Einrichtung einer „DNS-Sperrung“ werde in das durch Art. 10 GG und § 88 TKG geschützte Telekommunikationsgeheimnis eingegriffen. Die Regelungen der §§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV und 19 OBG NRW ermächtigten jedoch nicht in einer dem Bestimmtheitsgebot entsprechenden Weise zu „DNS-Sperrungen“ und genügten weder dem Zitiergebot noch dem Erfordernis des Richtervorbehalts. Darüber hinaus seien die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV nicht erfüllt. Insbesondere sei die Klägerin nicht verantwortlich nach dem TMG, da zu ihren Gunsten die Haftungsprivilegierung des § 8 TMG eingreife. Die Begründung der Bezirksregierung E zur Störereigenschaft der Klägerin lehne sich an die im Immaterialgüter- bzw. Wettbewerbsrecht entwickelten Kriterien zur Störerhaftung an. Diese seien jedoch nicht übertragbar auf das differenzierte ordnungsrechtliche Haftungssystem. Nach diesem System handele es sich bei einem Access-Provider im Sinne des § 8 TMG um einen Nichtstörer, woran auch die Kenntnis der Klägerin über die Rechtswidrigkeit der vermittelten Inhalte – anders als bei Providern im Sinne des § 10 TMG – nichts ändere. Auch sei eine Inanspruchnahme der Klägerin als Nichtstörerin nicht möglich, da § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV eine abschließende Regelung darstelle, die einen Rückgriff auf die allgemeinen Bestimmungen des OBG NRW verbiete. Im Übrigen lägen auch die Voraussetzungen des § 19 OBG NRW nicht vor. Schließlich sei die Ordnungsverfügung auch unverhältnismäßig. Zum einen sei sie bereits aufgrund der einfachen Umgehbarkeit der DNS-Sperre zur Abwehr von Gefahren ungeeignet. Zum anderen werde die Klägerin gegenüber weiteren in NRW tätigen Internetzugangsanbietern, denen gegenüber keine Sperrverfügung ergangen sei, ungleich behandelt. Die Bezirksregierung E sei nicht gegen alle – oder auch nur die überwiegende Zahl der – Internetzugangsanbieter, die mit großem Werbeaufwand ihre Dienste in NRW anböten, vorgegangen. Die Inanspruchnahme der Klägerin habe daher eine negative Auswirkung auf ihre Stellung im Wettbewerb zu anderen Diensteanbietern. Die Nutzer könnten jederzeit einen Anbieter wählen, der ihnen einen „unzensierten“ Zugang zum Internet gewährleiste. Es sei zu erwarten, dass die Kunden der Klägerin die bestehenden Verträge kündigten und zu anderen Anbietern wechselten. Auch die Neukundengewinnung werde erschwert. Außerdem würden Partnerunternehmen der Klägerin, die die DNS-Server der Klägerin nutzten, durch die Sperrung betroffen, ohne Adressaten der Verfügung zu sein. Dies gelte selbst für diejenigen Partnerunternehmen, die ihren Sitz außerhalb von NRW hätten.
Die Klägerin beantragt, die Sperrungsanordnung der Bezirksregierung E vom 12.08.2010 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Ergänzend zu den Gründen der Ordnungsverfügung vom 15.01.2010 führt die Bezirksregierung E im Wesentlichen aus: § 9 Abs. 1 Satz 2, Satz 3 Nr. 5 GlüStV sei eine wirksame Rechtsgrundlage für die Maßnahme einer DNS-Sperrung. Der Umstand, dass diese in § 9 Abs. 1 Satz 2, Satz 3 Nr. 5 GlüStV nicht konkret benannt sei, ergebe sich daraus, dass es sich um eine Generalklausel handele. Ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 10 GG sei zu verneinen. Ferner sei die Klägerin als Störerin in Anspruch zu nehmen. Auch nach den im öffentlichen Recht geltenden Grundsätzen der unmittelbaren Gefahrenverursachung sei – entsprechend den in der zivilgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Kriterien – die Inanspruchnahme des Zugangsproviders, der Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der von ihm durchgeleiteten Informationen habe, als Störer zu bejahen. Außerdem sei eine Verantwortlichkeit der Klägerin nach TMG zu bejahen, diese folge aus § 7 Abs. 2 Satz 2 TMG. Hinsichtlich der hilfsweisen Inanspruchnahme der Klägerin als Nichtstörer sei der Regelung des § 9 Abs. 2 GlüStV die Einschätzung des Gesetzgebers zu entnehmen, dass es sich bei Verstößen gegen den GlüStV um eine gegenwärtige und erhebliche Gefahr handele. Auch sei der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt. Die Störerauswahl sei nach den Kriterien der Effektivität und Schnelligkeit der Gefahrenabwehr erfolgt. Außer der Klägerin sei ein weiterer Zugangsanbieter in Anspruch genommen worden. Damit seien die zwei größten Access-Provider, die weit über 50 % Marktanteil in Deutschland abdeckten, zu Sperrmaßnahmen verpflichtet worden. Dass alle Zugangsprovider in Deutschland gleichzeitig mit Sperrungsmaßnahmen bedacht würden, sei tatsächlich nicht realisierbar. Schließlich sei die Maßnahme verhältnismäßig. Gesichtspunkte wie ein hypothetischer Imageschaden oder Umsatzverluste müssten, falls sie eintreten sollten, von der Klägerin in Anbetracht der gegenüberstehenden erheblichen glücksspiel- und strafrechtlichen Rechtsverletzungen hingenommen werden.
Die Beigeladene beantragt, die Sperrungsanordnung der Bezirksregierung E vom 12.08.2010 gegenüber der W GmbH hinsichtlich der Regelung in A. Ziffern 1 und 2 aufzuheben, sowie hinsichtlich B. aufzuheben, soweit sich für die Bundesländer Brandenburg und Sachsen-Anhalt die in A. Ziffern 1 und 2 getroffenen Regelungen auf die Webseite www.U.com erstrecken.
Die Beigeladene macht geltend, dass sie durch die gegenüber der Klägerin ergangene Verfügung vom 12.08.2010 in ihren Grundrechten insbesondere aus Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 1 GG, in ihrer Dienstleistungsfreiheit aus Art. 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und in ihrem Grundrecht aus Art. 11 Abs. 1 der europäischen Grundrechtscharta verletzt werde. Die Verfügung der Bezirksregierung E sei rechtswidrig. In Bezug auf ihre Angebote auf der Seite www.U.com macht die Beklagte geltend, dass ihr Angebot unter www.U.com bereits kein unerlaubtes Glückspiel darstelle. Sie bedürfe keiner Erlaubnis der zuständigen Behörde in NRW, da sie ihre Tätigkeit nicht in Nordrhein-Westfalen, sondern ausschließlich in London ausübe und dort die Möglichkeit zur Spielteilnahme im Sinne des § 3 Abs. 4 GlüStV eröffne. Aus diesem Grund verstoße sie auch nicht gegen § 284 StGB. Darüber hinaus handele es sich bei den bloßen Unternehmensinformationen auf ihrer Internetseite auch nicht um Werbung. Außerdem sei der Glücksspielstaatsvertrag, insbesondere der Erlaubnisvorbehalt des § 4 Abs. 1 GlüStV und das Internetverbot des § 4 Abs. 4 GlüStV, inkohärent und damit unionsrechtswidrig. Zudem sei die Klägerin keine taugliche Adressatin für eine Sperrverfügung, da es an ihrer für eine Inanspruchnahme nach § 9 Abs. 1 S. 2 und 3 Nr. 5 GlüStV erforderlichen Verantwortlichkeit nach TMG fehle und es sich bei dieser Vorschrift um eine abschließende Sonderregelung handele. Schließlich sei die Sperrverfügung auch unverhältnismäßig. Die Sperrverfügung erfasse nicht nur das von der Bezirksregierung E als rechtswidrig erachtete Glücksspielangebot, sondern zugleich auch die legale Kommunikation der Beigeladenen mit ihren Kunden. Auch habe sich die Bezirksregierung E in ihrem Bescheid nicht näher mit der Tätigkeit der Beigeladenen auseinandergesetzt, sondern sich in ihrer Abwägungsentscheidung ausschließlich auf die Umstände des Unternehmens C gestützt, obwohl zwischen beiden Angeboten deutliche Unterschiede bestünden. Dass Sperrverfügungen insgesamt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte der Internetnutzer darstellten, liege auch den Beratungen zur Änderung des GlüStV zu Grunde. Insoweit seien sich die Ministerpräsidenten einig, dass die Möglichkeit des Erlasses glücksspielrechtlicher Sperrverfügungen abgeschafft werden solle.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, insbesondere hinsichtlich der Ausführungen der Beteiligten, wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten der Verfahren 27 K 5887/10 und 27 L 1458/10 sowie der Verwaltungsvorgänge der Bezirksregierung E Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Sperrungsanordnung der Bezirksregierung E vom 12.08.2010 ist sowohl hinsichtlich der auf das Bundesland Nordrhein-Westfalen bezogenen Regelungen zu A. Ziffer 1 bis 4. (A.) als auch in Bezug auf die zu B. für die Bundesländer Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt getroffenen Regelungen (B.) rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
A.
Die Sperrungsanordnung in Ziffer 1 einschließlich der auf sie bezogenen Fristsetzung in Ziffer 2 (I.) des Bescheides vom 12.08.2010 ist nach der wegen ihrer Dauerwirkung
– sie erschöpft sich nicht in einer einmaligen Aufforderung, die erforderliche Programmierung der Rechner der Klägerin vorzunehmen, wesentlicher Bestandteil ist vielmehr auch deren Beibehaltung und Neuprogrammierung bei einer erforderlich werdenden Änderung der Konfiguration des Servers, vgl. hierzu auch VG Düsseldorf, Urteil vom 10.05.2005 – 27 K 5968/02 – (Juris) zur Sperrung einer Website, die nationalsozialistisches Gedankengut verbreitet, nach den Vorschriften des (außer Kraft getretenen) Mediendienstestaatsvertrages – grundsätzlich maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, hier also zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, rechtswidrig (I.), was auch die Rechtswidrigkeit der Regelungen in Ziffer 3 und 4 zur Folge hat (II.)
I.
Die Bezirksregierung E hat die in Ziffern 1 und 2 geregelte Sperrungsanordnung auf § 9 Abs. 1 Satz 2 und 3 Nr. 5 Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) gestützt. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 GlüStV kann die für die Glücksspielaufsicht zuständige Behörde des jeweiligen Landes die erforderlichen Anordnungen im Einzelfall erlassen. Sie kann insbesondere nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV Diensteanbietern im Sinne von § 2 Nr. 1 TMG, der an die Stelle des § 3 Teledienstgesetz (TDG) getreten ist, soweit sie nach diesem Gesetz verantwortlich sind, die Mitwirkung am Zugang zu unerlaubten Glücksspielangeboten untersagen.
Ob sämtliche tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Einschreiten gegen die Klägerin letztlich erfüllt sind, bedarf keiner Entscheidung. Jedenfalls ist davon auszugehen, dass das Einschreiten der Bezirksregierung E gegen die Klägerin zwar zur Unterbindung unerlaubten Glücksspiels erfolgt ist (1.), die Inanspruchnahme der Klägerin indes auch unter Berücksichtigung der Verantwortlichkeitsregeln des TMG nicht als Störerin erfolgen konnte (2.), sondern allenfalls als Nichtstörerin, insoweit allerdings ermessensfehlerhaft war (3.).
1.
Auf den Internetseiten www.C.com und www.U.com wird unerlaubtes Glücksspiel veranstaltet bzw. vermittelt. Insoweit verweist das Gericht hinsichtlich des Angebots auf der Internetseite www.U.com auf die Urteile der Kammer vom 15.11.2011, Az. 27 K 8453/08 und 27 K 6026/09 und hinsichtlich des Angebots auf der Internetseite www.C.com auf den Beschluss der Kammer vom 19.05.2009, Az. 27 L 1983/08 – sowie den Beschluss des OVG NRW vom 30.10.2009, Az. 13 B 736/09 (Juris).
2.
Der GlüStV trifft keine Regelungen zu den als Störer in Anspruch zu nehmenden Personen. Die Eingriffsermächtigung des § 9 Abs. 1 Satz 2 und 3 Nr. 5 GlüStV differenziert nicht zwischen Störern und Nichtstörern. In Hinsicht auf die Störerhaftung ist sonach mangels Spezialregelung auf die allgemeinen Grundsätze des Polizei- und Ordnungsrechts zurückzugreifen. Die Regelung unterscheidet sich insoweit von § 22 Abs. 3 des Mediendienstestaatsvertrages (MDStV), der eine umfassende Eingriffsbefugnis enthielt und die Inanspruchnahme von Nichtverantwortlichen ausdrücklich vorsah. Hiernach konnten Maßnahmen zur Sperrung von Internetangeboten, wenn sich Maßnahmen gegenüber dem Verantwortlichen nach § 6 Abs. 1 MDStV (Inhalteanbieter) als nicht durchführbar oder nicht erfolgversprechend erwiesen, auch gegen den Diensteanbieter von fremden Inhalten nach den §§ 7 bis 9 MDStV gerichtet werden, sofern eine Sperrung technisch möglich und zumutbar war. Bei § 22 Abs. 3 MDStV handelte es sich um eine spezialgesetzliche Sonderregelung, die im Anwendungsbereich des MDStV nach § 19 Abs. 4 MDStV i. V. m. § 17 Abs. 4 OBG NRW den allgemeinen ordnungsrechtlichen Grundsätzen über die Inanspruchnahme Nichtverantwortlicher in § 19 Abs. 1 bis 3 OBG NRW vorging, vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 19.12.2002, Az. 15 L 4148/02, Juris (Rn. 74).
Im Gegensatz zu dem von der Bezirksregierung E zur Begründung einer Störereigenschaft der Klägerin in der Ordnungsverfügung herangezogenen Störerbegriff im Zivil- und Wettbewerbsrecht, welchem die Rechtsfigur des Nichtstörers unbekannt ist und welcher im Kern im Sinne einer Äquivalenz jegliche Mitverursachung erfasst, vgl. Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 18.10.2001, Az. I ZR 22/99, GRUR 2002, 618; Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart, Urteil vom 01.08.2002, Az. 2 U 47/01, NJW-RR 2003, 1273; Hanseatisches OLG, Urteil vom 04.11.1999, Az. 3 U 274/98, MMR 2000, 92; Billmeier, in: Manssen, Telekommunikations- und Multimediarecht, Loseblattwerk (Stand: 7/2010), D § 7 TMG Rn. 147 ff., m. w. N., ist die Zurechnung im Polizei- und Ordnungsrecht nach der in Rechtsprechung und Schrifttum herrschenden Theorie der unmittelbaren Verursachung auf Ursachen zu begrenzen, welche unmittelbar die Gefahr oder Störung setzen und so die Gefahrengrenze überschreiten, vgl. OVG NRW, Beschluss vom 10.01.1985, Az. 4 B 1434/84, NVwZ 1985, 355 m. w. N.; Bundesverwaltungsgereicht (BVerwG), Beschluss vom 22.11.1980, Az. 4 B 192/80 -, Juris; Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26.11.2008, Az. 8 A 10933/08, NVwZ-RR 2009, 280; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Auflage (1986), S. 313; Denninger, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Auflage (2007), E Rn. 77, m. w. N.
Bei der Bewertung, wann ein Diensteanbieter die Gefahrengrenze überschreitet und so als Störer anzusehen ist, müssen nach der Wertung des Gesetzgebers die Haftungsgrundsätze und Haftungsprivilegien nach dem TMG Berücksichtigung finden. Deshalb bedarf es, zumindest im Ordnungsrecht, keiner weiteren Klärung, in welcher Weise die Verantwortlichkeitsregeln des TMG (§§ 7 bis 10 TMG) im Rahmen der Inanspruchnahme von Diensteanbietern nach den Regelungen des (Sonder-) Ordnungsrechts zu berücksichtigen sind, ob sie also als Vorfilter oder Nachfilter einzuordnen sind, vgl. Billmeier, a.a.O., § 7 TMG Rn. 6 ff.; Heckmann, Juris Praxiskommentar zum Internetrecht, 2. Aufl., Vorbemerkung. Kapitel 1.7, Rn. 66 f.; Engel-Flechsig / Maennel / Tettenborn, Das neue Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz, NJW 1997, 2981 (2984).
Die Klägerin ist Diensteanbieterin im Sinne des § 2 Nr. 1 TMG. Als Access-Provider vermittelt sie den Zugang zur Nutzung von Telemedien. Diensteanbieter sind nach § 7 Abs. 1 TMG für eigene Informationen, die sie zur Nutzung bereithalten, nach den allgemeinen Gesetzen verantwortlich. In Hinsicht auf fremde Informationen ist im Telemediengesetz jedoch eine Haftungsprivilegierung vorgesehen. Nach § 7 Abs. 2 Satz 1 TMG sind Diensteanbieter im Sinne der §§ 8 bis 10 TMG nicht verpflichtet, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen. Spezifische Haftungsprivilegierungen ergeben sich in Abhängigkeit von der Funktion des Diensteanbieters aus den §§ 8 bis 10 TMG. Nach § 7 Abs. 2 Satz 2 TMG bleiben Verpflichtungen zur Entfernung oder Sperrung der Nutzung von Informationen nach den allgemeinen Gesetzen jedoch auch im Falle der Nichtverantwortlichkeit des Diensteanbieters nach den §§ 8 bis 10 TMG unberührt.
Die Klägerin ist – in Abgrenzung zu § 9 TMG und § 10 TMG – aufgrund ihrer Tätigkeit unzweifelhaft als Diensteanbieter im Sinne des § 8 TMG (Zugangsvermittler) anzusehen, da sie fremde Informationen in einem Kommunikationsnetz übermittelt bzw. den Zugang zur Nutzung zu solchen vermittelt. Als Diensteanbieter im Sinne des § 8 TMG ist sie für die durch Aufruf der Domains „www.C.com“ und „www.U.com“ zu erreichenden Inhalte nicht verantwortlich. Diensteanbieter im Sinne des § 8 TMG sind nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift für fremde Informationen nicht verantwortlich, sofern sie die Übermittlung nicht veranlasst, den Adressaten der übermittelten Informationen nicht ausgewählt und die übermittelten Informationen nicht ausgewählt oder verändert haben. Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 TMG findet § 8 Abs. 1 Satz 1 TMG keine Anwendung, wenn der Diensteanbieter absichtlich mit einem Nutzer seines Dienstes zusammenarbeitet, um rechtswidrige Handlungen zu begehen. Diese Haftungsausschlussvoraussetzungen erfüllt die Klägerin. Weder veranlasst sie die Übermittlung der Glücksspielinhalte, noch wählt sie diese oder den Adressaten aus. Zudem kann offenkundig ein Zusammenwirken der Klägerin mit einem Nutzer im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 TMG ausgeschlossen werden.
Der Umstand, dass die Klägerin Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Inhalte hat, ist im Anwendungsbereichdes § 8 TMG – wie die Ausgestaltung der Haftungsregelungen des § 8 TMG im Vergleich zu den Haftungsregelungen des § 10 TMG zeigt – ohne Relevanz (Spindler, in: Spindler / Schmitz / Geis, TDG, Teledienstegesetz, Teledienstedatenschutzgesetz, Signaturgesetz, Kommentar, § 9 TDG Rn. 6).
Eine Haftung der Klägerin als Störerin lässt sich entgegen der Einschätzung der Bezirksregierung E in der Sperrungsanordnung (vgl. S. 9) wie auch im vorliegenden Verfahren (vgl. Bl. 78 der Gerichtsakte) auch nicht mit der Regelung des § 7 Abs. 2 Satz 2 TMG begründen. Nach dieser Vorschrift bleiben auch im Falle der Nichtverantwortlichkeit des Diensteanbieters nach den §§ 8 bis 10 die Verpflichtungen zur Entfernung oder Sperrung der Nutzung von Informationen nach den allgemeinen Gesetzen unberührt. Die von der Bezirksregierung insoweit angeführten „allgemeinen Gesetze – nämlich glücksspielrechtliche Vorschriften und (…) das Strafgesetzbuch (§ 284 StGB)“ begründen indes solche Verpflichtungen zur Entfernung oder Sperrung für den Access-Provider nicht. Dies wird gesetzestechnisch auch nicht durch § 7 Abs. 2 Satz 2 TMG bewirkt. Diese Regelung sieht – wie zitiert – lediglich vor, dass anderweitig begründete Verpflichtungen unberührt bleiben, d.h. fortbestehen.
3.
Es verbleibt die Möglichkeit der Inanspruchnahme als Nichtstörerin, deren tatbestandlichen Voraussetzungen aber ebenfalls offen gelassen werden können (a.), da sie jedenfalls ermessensfehlerhaft erfolgt ist (b.).
a.
Nach § 19 Abs. 1 OBG NRW kann die Ordnungsbehörde Maßnahmen gegen andere Personen als die nach den §§ 17 oder 18 Verantwortlichen richten, wenn eine gegenwärtige erhebliche Gefahr abzuwehren ist (Nr. 1), Maßnahmen gegen die nach den §§ 17 oder 18 Verantwortlichen nicht oder nicht rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg versprechen (Nr. 2), die Ordnungsbehörde die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig selbst oder durch Beauftragte abwehren kann (Nr. 3) und die Personen ohne erhebliche eigene Gefährdung und ohne Verletzung höherwertiger Pflichten in Anspruch genommen werden können (Nr. 4).
Eine gegenwärtige erhebliche Gefahr dürfte zwar vom Glücksspiel im Internet wegen des Verstoßes gegen den Glücksspielstaatsvertrag und der Erfüllung des Straftatbestandes des § 284 StGB grundsätzlich ausgehen. Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26.01.2010, Az. 13 B 760/09 -, Juris (Rn. 16).
Dies kann hier aber letztlich ebenso die das Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 OBG NRW im Ergebnis ob der Ermessensfehlerhaftigkeit der Entscheidung offen bleiben.
Aus diesem Grund bedarf es auch weder der Klärung der von der Klägerin aufgeworfenen Frage, ob die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV dem § 9 Abs. 1 Satz 2 GlüStV als Spezialvorschrift vorgeht und einen Rückgriff auf § 9 Abs. 1 Satz 2 GlüStV ausschließt, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV nicht erfüllt sind, so Ennuschat / Klestil, ZfWG 2009, 389 (391 f.); Sieber / Nolde, Sperrverfügungen im Internet, Berlin (2008), S. 29, noch näherer Erwägungen dazu, ob der Verweis des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV auf die Verantwortlichkeit nach dem TMG ausschließlich die Vorschriften der §§ 8 bis 10 TMG erfasst oder zugleich die Vorschrift des § 7 TMG mit ihrem Verweis auf die Verpflichtungen zur Sperrung nach den allgemeinen Gesetzen und damit auch die Möglichkeit der Inanspruchnahme des Zugangsproviders als Nichtstörer.
b.
Die Inanspruchnahme der Klägerin als Nichtstörerin durch die Bezirksregierung E stellt sich jedenfalls als ermessensfehlerhaft dar (vgl. § 114 VwGO). Die Ausübung des Auswahlermessens hinsichtlich der in Anspruch zu nehmenden Dienstleister durch die Bezirksregierung E verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG (aa.), zudem hat die Bezirksregierung E nicht alle für die Inanspruchnahme der Klägerin als Nichtstörerin maßgeblichen Aspekte in ihre Ermessensentscheidung einfließen lassen (bb.).
aa.
Ist die Bezirksregierung E im Jahr 2002 mit den – u.a. der Entscheidung der Kammer vom 10.05.2005 (Az. 27 K 5968/02) zugrundeliegenden – Sperrungsverfügungen betreffend eine Website, die nationalsozialistisches Gedankengut verbreitete, nach ihren Angaben gegen alle in Nordrhein-Westfalen ansässigen und bei der DENIC eG (Zentrale Registrierungsstelle für de.Domains) verzeichneten gewerblichen Access-Provider vorgegangen, vgl. hierzu auch VG Düsseldorf, Urteil vom 10.05.2005 – 27 K 5968/02 – , Juris, hat sie Sperrungsanordnungen nunmehr lediglich gegen zwei Access-Provider mit dem Sitz in NRW erlassen.
Selbst wenn dem Umstand, dass gegen Access-Provider in anderen Bundesländern nicht vorgegangen wurde, insoweit keine Relevanz zukommt, da jeder Träger öffentlicher Gewalt den allgemeinen Gleichheitssatz nur innerhalb seiner eigenen Zuständigkeit beachten kann, vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. März 2003 – 8 B 2567/02 -, Juris; BVerfG, Beschluss vom 23. November 1988 – 2 BvR 1619 und 1628/83 -, BVerfGE 79, 127, 158, fordert die Wahrung des Gleichheitssatzes eine einheitliche Vorgehensweise jedenfalls gegen die Access-Provider, die ihren Sitz in NRW haben.
Soweit die Bezirksregierung E geltend macht, die zwei von ihr in Anspruch genommenen Access-Provider deckten über 50 % des Marktes in Deutschland ab und seien damit die größten Provider, stellt dies kein sachgerechtes Differenzierungskriterium dar. Abgesehen davon, dass es für die Beachtung des Gleichheitssatzes nicht auf den deutschlandweiten Marktanteil, sondern allenfalls auf den Marktanteil in NRW ankäme, würde die Effektivität und Schnelligkeit der Gefahrenabwehr verlangen, dass auch gegen diejenigen Access-Provider vorgegangen wird, die eine im Vergleich zu den in Anspruch genommenen Providern kleinere Marktstärke in NRW aufweisen. Schon bei einem Nichtvorgehen gegen wenige Provider ist die Geeignetheit einer Sperrverfügung zur Erreichung der dadurch verfolgten Zwecke, nämlich Vermeidung und Bekämpfung von Glücksspielsucht, Jugend- und Spielerschutz sowie Kanalisierung und Begrenzung des Glücksspielangebots zumindest in Frage gestellt.
Eine Maßnahme ist zwar bereits dann geeignet, wenn durch sie eine Förderung des gewünschten Erfolgs möglich ist bzw. sie einen Beitrag zu dessen Erreichen leistet. Eine vollständige Gefahrenabwehr ist nicht Voraussetzung. Es muss sich um einen „Schritt in die richtige Richtung“ handeln. OVG NRW, Beschluss vom 19.03.2003 – 8 B 2567/02 -, Juris, hierzu auch VG Düsseldorf, Urteil vom 10.05.2005 – 27 K 5968/02 -, Juris, jeweils zur Sperrung einer Website, die nationalsozialistisches Gedankengut verbreitet, nach den Vorschriften des (außer Kraft getretenen) Mediendienststaatsvertrages -; Dietlein/Heinemann, Ordnungsrecht und Internetkriminalität, K&R 2004, S. 418 (423).
Für die Geeignetheit der DNS-Sperrung als solche reicht es aus, dass sie den Zugriff auf die beiden gesperrten Angebote für den durchschnittlichen geschäftlichen, beruflichen oder privaten Nutzer, auf dessen Horizont insoweit abzustellen ist, erschwert. Dabei handelt es sich um einen Personenkreis, der sich mit technischen Details nicht auseinandergesetzt hat und auch die Konfiguration der eigenen Hard- und Software entweder Dritten überlässt oder nach Möglichkeit in dem werksseitig eingestellten Zustand belässt. Für diese Personengruppe wird der Zugriff auf die hier betroffenen Angebote mindestens „sperriger“, nicht selten auch nicht unerheblich erschwert. Dass es dennoch – mit aus der Sicht vieler Nutzer einfachen Mitteln – möglich ist, die Seiten zu erreichen, ist unschädlich. Gleichwohl werden viele Nutzer die vorhandenen Möglichkeiten zur Umgehung der Sperrung nicht kennen oder als zu aufwendig nicht nutzen. Eine vollständige Ausschaltung der Gefahr durch Sperrungen ist ohnehin praktisch unmöglich, da im Internet mannigfaltige Möglichkeiten zur Umgehung bestehen, s. OVG NRW, Beschluss vom 19.03.2003, Az. 8 B 2567/02 -, a.a.O. Für die Geeignetheit der DNS-Methode i.E. auch VG Düsseldorf, Urteil vom 10.05.2005, Az. 27 K 5968/02 -, Juris, VG Arnsberg, Urteil vom 26.11.2004, Az. 13 K 3173/02 – und VG Köln, Urteile vom 03.03.2005, Az. 6 K 7151/02 und 76032/02 -; a.A. z.B. Engel, MMR 2003, Beilage Nr. 4, S. 1 (25 f.) sowie Stadler MMR 2002, S. 343 (345).
Eröffnet aber bereits die einzelne gegen einen bestimmten Access-Provider erlassene DNS-Sperrungsanordnung Umgehungsmöglichkeiten, die den Erfolg der Maßnahme zumindest relativieren, führt eine Vorgehensweise nur gegen bestimmte Access-Provider zu einer weiteren Einschränkung der Geeignetheit. Denn die Internetnutzer können ohne weiteres auf einen der verbleibenden Anbieter ausweichen, vgl. Spindler, a.a.O., § 9 Rn. 51, der die Effektivität der Gefahrenabwehr in solchen Fällen verneint.
Dies wiegt angesichts des mit der Sperrungsanordnung verfolgten Ziels umso schwerer, als die Bezirksregierung E ohnehin von dem Gesamtangebot im Internet letztlich nur zwei Angebote von unerlaubtem Glücksspiel durch ihre Anordnungen erfasst.
Dem Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz kommt für die Klägerin, die als Nichtstörerin selbst die Gefahrengrenze nicht überschreitet, weiterhin eine erhebliche Bedeutung zu. Die Ausweichmöglichkeiten der Internetnutzer auf von der Sperrungsanordnung nicht erfasste Access-Provider sind geeignet, für die Klägerin auf dem ohnehin von einem Konkurrenzdruck geprägten Markt zu Wettbewerbsnachteilen zu führen, die sie im Kern nachvollziehbar dargelegt hat.
bb.
Ferner hat die Bezirksregierung E nicht alle für die Inanspruchnahme der Klägerin als Nichtstörerin maßgeblichen Aspekte in ihre Ermessensentscheidung einfließen lassen. Beurteilt sich die Rechtmäßigkeit dieser als Dauerverwaltungsakt einzuordnenden Sperrungsanordnung nach dem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, durfte die Bezirksregierung E im Rahmen ihres Ermessens, mittels Sperrungsanordnungen einzuschreiten, die zu diesem Zeitpunkt bereits konkret abzusehenden rechtlichen und politischen Veränderungen nicht ausblenden, sondern hätte ihre diesbezüglichen Ermessenserwägungen dahingehend überprüfen und ggf. ergänzen müssen. Sie hat aber weder Liberalisierungstendenzen des Gesetzgebers im Bereich des Glücksspielrechts im Zusammenhang mit dem Entwurf eines neuen, auch das Bundesland Nordrhein-Westfalen betreffenden Glücksspielstaatsvertrages einbezogen, vgl. Entwurf „Erster Staatsvertrag zur Änderung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland (Erster Glücksspieländerungsstaatsvertrag – Erster GlüÄndStV)“, ; zum Stand der Änderungen 6. Oktober 2011: , noch hat sie das vom Landtag Schleswig-Holsteins bereits am 14. September 2011 verabschiedete neue Glücksspielgesetz (GlüG SH) berücksichtigt, das einen Genehmigungsvorbehalt für die Veranstaltung öffentlicher Glücksspiele (§ 4 Abs. 1 GlüG SH) sowie für Vertrieb von Lotterien mit hoher Ereignisfrequenz, Wetten und Online-Casinospielen (§ 5 Abs. 1 GlüG SH) enthält, das generelle Internetverbot aber nicht beibehält, Schleswig-Holsteinischer Landtag, Drucksache 17/1640.
Einer Einbeziehung in die Ermessenserwägungen hätte auch der Aspekt der politischen Diskussion um eine zurückhaltendere Vorgehensweise gegen AccessProvider bedurft, die sich in dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Aufhebung von Sperrungsregelungen bei der Bekämpfung von Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen, BT-Drucks. 17/6644, wiederspiegelt und die auch mit den Änderungen Stand 6. Oktober 2011 im Entwurf „Erster Staatsvertrag zur Änderung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland“ in der Weise aufgegriffen worden ist, dass die der streitbefangenen Sperrungsanordnung zugrunde gelegte Ermächtigungsgrundlage des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 GlüStV gestrichen wird.
Soweit die Bezirksregierung E dem in der mündlichen Verhandlung entgegen gesetzt hat, entscheidend sei die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltende Rechtslage, handelt es sich um eine in Bezug auf die aktuelle Situation nicht hinreichend differenzierte Betrachtung. Zwar mag es für die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Einschreiten auf die geltende Gesetzeslage ankommen, die Ermessenserwägungen für die Frage des Einschreitens gegen die Klägerin als Nichtstörerin können diese zukunftsbezogenen Aspekte indes nicht ausblenden. Dies gilt umso mehr, als die Bezirksregierung E im Eilverfahren 27 L 1458/10 im Rahmen eines außergerichtlichen Vergleichs auf die Vollstreckung der Sperrungsanordnung bis zum Ergehen einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung im Klageverfahren verzichtet und die Klägerin die geforderte DNS-Sperrung noch nicht eingerichtet hat.
II.
Aus der Rechtswidrigkeit der Anordnung in Ziffer 1 und 2. folgt zugleich die Rechtswidrigkeit der Zwangsgeldandrohung in Ziffer 3 der Sperrungsanordnung vom 12. August 2010 sowie der Gebührenfestsetzung in Ziffer 4. Die Kostenpflicht setzt eine rechtmäßige Amtshandlung voraus. Für eine rechtswidrige Amtshandlung können keine Kosten gefordert werden.
B.
Erweisen sich die auf das Bundesland Nordrhein-Westfalen bezogenen Regelungen zu A. als rechtswidrig, folgt hieraus ebenfalls die Rechtswidrigkeit in Bezug auf die zu B. für die Bundesländer Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt getroffenen Regelungen. Denn mit Buchstabe B. hat die Bezirksregierung Düsseldorf in Anwendung der auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 Satz 4 GlüStV erteilten Ermächtigungen die zu A getroffenen Regelungen in dem genannten Umfang lediglich auf die genannten Bundesländer übertragen und der Sperrungsanordnung „rechtliche Wirksamkeit“ „im Umfang der jeweiligen Ermächtigung“ zugesprochen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren für erstattungsfähig zu erklären, da sie einen eigenen Antrag gestellt und damit ein Kostenrisiko eingegangen ist.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
Die Zulassung der Berufung ist nach § 124a Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf die bisher obergerichtlich noch nicht entschiedene Frage der Zulässigkeit der Inanspruchnahme von Zugangsprovidern zur Sperrung von Glücksspielseiten im Internet erfolgt.