AG Frankfurt a.M.: Filesharing – Anschlussinhaber muss seinen Ehepartner nicht überwachen

veröffentlicht am 22. Juni 2012

AG Frankfurt a.M., Urteil vom 25.05.2012, Az. 32 C 157/12
§ 97 Abs. 2 S. 1 UrhG

Das AG Frankfurt hat entschieden, dass im Falle des illegalen Filesharings über Internettauschbörsen keine allgemeinen Überwachungspflichten zwischen Ehepartnern anzunehmen sind. Vorliegend war die Ehefrau Anschlussinhaberin und wurde auf Schadensersatz für die Verbreitung von Musikstücken in Anspruch genommen. Sie bestritt die Tat und gab an, dass außer ihr nur ihr Ehemann Zugang zu dem Internetanschluss gehabt habe. Sie habe ihm gesagt, dass er keine Musik in Tauschbörsen herunterladen solle, ihn jedoch nicht weiter überwacht. Dies genügte dem Gericht zur Zurückweisung der geltend gemachten Ansprüche. Vor dem Hintergrund des gesetzlich geregelten Verhältnisses zwischen Ehegatten sei eine gegenseitige Überwachung nicht zumutbar. Das gelte auch dann, wenn bereits Anhaltspunkte für vorherige Rechtsverletzungen bestünden. Zum Volltext der Entscheidung:


Amtsgericht Frankfurt am Main

Urteil

In dem Rechtsstreit

hat das Amtsgericht Frankfurt am Main durch … auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 27.04.2012 für Recht erkannt:

1.
Die Klage wird abgewiesen.

2.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagte Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadenersatz wegen des Anbietens eines Musikalbums per Filesharing-Software.

Der Klägerin stehen die ausschließlichen Verwertungsrechte an dem Musikalbum „Große Freiheit“ der Künstlergruppe „Unheilig“ zu. Die Klägerin ließ zur Feststellung von Verletzungen ihrer Rechte durch unautorisierte Internetangebote die Dienstleisterin ProMedia GmbH Ermittlungsmaßnahmen durchführen. Am 02.07.2010 ermittelte die ProMedia GmbH um 23:09 Uhr einen Internetanschluss, dem zu diesem Zeitpunkt die IP-Adresse xxx zugeordnet war. Von dieser IP-Adresse wurde zu diesem Zeitpunkt mittels der Filesharing-Software eMule unter dem Benutzernamen xxx das streitgegenständliche Musikalbum „Große Freiheit“ der Künstlergruppe „Unheilig“ öffentlich zugänglich gemacht. Nachdem die Klägerin beim Landgericht Köln einen Antrag auf Errnittlung der Verkehrsdaten gestellt hatte, erteilte die Deutsche Telekom AG, der die verfahrensgegenständliche IP-Adresse zugeteilt war, Auskunft dahingehend, dass die IP-Adresse zum oben genannten Zeitpunkt dem Internetzugang der Beklagten zugeordnet war.

Bereits zuvor, nämlich am 09.08.2009 um 15:19 Uhr war über den nach Auskunft der Telekom ebenfalls der Beklagten zugeordneten Anschluss mit der damaligen IP-Adresse xxx mittels derselben Software unter demselben Benutzernamen das nicht streitgegenständliche Musikalbum „Die Suche geht weiter“ der Künstlergruppe „Rosenstolz“ öffentlich zugänglich geemacht worden. Bezüglich auf diesen nicht streitgegenständlichen Vorgang mahnte die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 04.01.2010 ab. Wieder auf den streitgegenständlichen Vorgang bezogen, gaben die Beklagtenvertreter am 18.03.2011 eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, die die Klägervertreter mit Schreiben vom 15.12.2011 namens der Klägerin annahmen.

Die Klägerin behauptet, dass Musikalbum „Große Freiheit“ sei über den Anschluss der Beklagten öffentlich zugänglich gemacht worden. Sie ist der Ansicht, dass die Beklagte dafür als Täterin und Anschlussinhaberin, hilfsweise als Teilnehmerin und hilfsweise aus einer Verkehrssicherungspflichtverletzung schadensersatzpflichtig ist. Zur Schadensberechnung beruft sie sich auf einen Betrag von rechnerisch 156,25 € pro Einzeltitel.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen angemessenen Schadenersatz in Höhe von mindestens 2.500,00 € für die unberechtigte öffentliche Zugänglichmachung des Musikalbums „Große Freiheit“ der Künstlergruppe „Unheilig“ nebst Zinsen (als Nebenforderung) in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seitdem 03.07.2010 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bestreitet die Richtigkeit der Ermittlungen der ProMedia GmbH und die korrekte Zuordnung der IP-Adresse. Sie behauptet, außer ihr habe nur noch ihr Ehemann Zugriff auf ihren Internetanschluss. Sie behauptet, sie habe ihm mitgeteilt, er solle keine Musik aus dem Internet herunterladen; weitere Überwachungsmaßnahmen, so meint die Beklagte, seien ihr gegenüber ihrem Ehemann nicht zumutbar. Sie ist der Ansicht, dass der Klägerin jeweils pro Titel nur ein sehr geringer Schaden entstanden sei mit Blick auf die damals geltenden Tarife für das Streaming von Musik im lnternet.

Im Übrigen wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27.04.2012, Blatt 190 der Akte verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Das Amtsgericht Frankfurt am Main ist gemäß § 32 ZPO zuständig, weil die streitgegenständlichen Musikaufnahmen auch in Frankfurt am Main abrufbar waren.

Der Klägerin steht indes kein Anspruch aus § 97 Abs. 2 Satz 1 UrhG zu. Ob die Ermittlungen und Zuordnungen richtig waren bzw. ob darüber trotz der besonderen Umstände des Einzelfalles Beweis erhoben werden müsste, kann dahinstehen. Denn die tatsächliche Vermutung, dass der Inhaber eines Internetanschlusses für eine von diesem Anschluss aus begangene Rechtsverletzung verantwortlich ist, ist entkräftet. Hierzu genügt es, dass die ernsthafte Möglichkeit eines von der Lebenserfahrung abweichenden Geschehensablaufs feststeht. Hier ist unstreitig, dass der Ehemann der Beklagten ebenfalls Zugriff auf den Internetanschluss hatte. Es wird in der Rechtsprechung überwiegend vertreten, dass das bloße Bestreiten der Täterschaft unter Hinweis auf die Zugangsmöglichkeit anderer dann unbeachtlich ist, wenn nicht gesagt wird, wer stattdessen die Rechtsverletzung begangen haben soll. Dies überzeugt nicht. Insoweit hat das Oberlandesgericht Hamm (MMR 2012, 40 f.) zu Recht ausgeführt:

„Denn mit seiner nach Erlass der einstweiligen Verfügung eingegangenen Widerspruchsschrift hat der Verfügungsbeklagte vorgetragen, dass außer ihm noch seine Frau und seine Schwiegereltern Zugang zu seinem WLAN-Anschluss hätten. Damit hat er seiner sekundären Darlegungslast für die ernsthafte Möglichkeit eines eine Täterschaft oder Teilnahme an der Urheberrechtsverletzung ausschließenden Geschehensablaufs genügt (vgl. OLG Köln a. a. O. Juris-Rn. 9), so dass es die der Verfügungsklägerin obliegende Glaubhaftmachungslast nunmehr erfordert hätte, diese plausible Möglichkeit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auszuräumen. Entsprechende Glaubhaftmachungsmittel hat sie nicht anzubieten vermocht.

Entgegen den Ausführungen auf S. 3 Mitte der Beschwerdeschrift ist es aber auch nicht geboten, die sekundäre Darlegungslast in Fällen wie dem vorliegenden weiter zu verschärfen und insbesondere zu verlangen, dass der seine eigene Täterschaft oder Teilnahme bestreitende Anschlussinhaber Nachforschungen über die Täterschaft bei den seinen Anschluss mitbenutzenden Personen anstellt und das Ergebnis mitteilt. Denn für die Plausibilität der Möglicf]keit, dass der Anschlussinhaber nicht Täter oder Teilnehmer der Urheberrechtsverletzung war, macht es keinen entscheidenden Unterschied, ob er nur einen bestimmten Kreis von Personen benennt, die aufgrund ihrer Zugangsmöglichkeit zu dem WLAN-Anschluss die Rechtsverletzung abstrakt begangen haben könnten, oder ob er darüber hinaus all diese Personen konkret nach ihrer Tatbegehung befragt und das Ergebnis mitteilt. Auch wenn der Anschlussinhaber nämlich als Ergebnis mitteilen würde, dass alle befragten Personen eine Tatbegehung in Abrede gestellt hätten, würde dadurch das Bestreiten seiner eigenen Tatbegehung nicht unplausibel, weil die lebensnahe Möglichkeit bestünde, dass der wahre Täter die von ihm begangene Rechtsverletzung wegen der zu erwartenden Konsequenzen nicht zugegeben hat.

Es geht der Verfügungsklägerin denn auch weniger um die Plausibilität des Bestreitens des Verfügungsbeklagten, als vielmehr um den Gesichtspunkt, dass ihr die Verfolgung von als Täter oder Teilnehmer begangenen Rechtsverletzungen erschwert sei. Das aber ist keine Frage der sekundären. Darlegungslast, sondern eine Folge der tatsächlichen und technischen Gegebenheiten.“

Dem schließt sich das Gericht vollumfänglich an. Auch für eine spezielle Teilnahmehandlung bestehen keinerlei Anhaltspunkte (insoweit wäre nämlich notwendig, dass die Beklagte Kenntnis von der konkreten Rechtsverletzung hatte, vgi. OLG Köln vom 16.05.2012, AL. 6 U 239/11).

Die Haftung der Beklagten kann sich allein unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherungspflichtverletzung ergeben. Insoweit führt die Klägerin zu Recht aus, dass die Rechtsprechung des BGH, dass die Störhaftung sich nicht auf Schadenersatz erstreckt, vor dem Hintergrund der Anerkennung einer Haftung aus Verkehrssicherungspflichten durch den BGH faktisch an Bedeutung verloren hat, zurnal ein wesentlicher Unterschied zwischen den Prüfpflichten im Rahmen der Störerhaftung und den Verkehrssicherungspflichten im Regelfalf nicht erkennbar ist (Fromm/Nordemann/J. B Nordemann, UrhG,10. A. 2008, § 97 Rn. 155). Dabei ist die Frage der Verschlüsselung des Anschlusses unerheblich. Zwar hat die Klägerin bestritten, dass die Beklagte ihren Anschluss ordnungsgemäß verschlüsselt hat. Jedoch hat die Klägerin insbesondere in ihrem letzten Schriftsatz nicht dezidiert die Behauptung aufgestellt, ein unbekannter Dritter habe den Anschluss missbraucht. Vielmehr haben sich die Parteien im Folgenden ausschließlich damit beschäftigt, was gelten würde, wenn der Ehemann der Beklagten die Rechtsverletzung begangen hätte. In Bezug auf ihn trifft die Beklagte allerdings keine Verkehrssicherungspflicht. Vor dem Hintergrund des gesetzlich geregelten Verhältnisses zwischen Ehegatten ist eine solche gegenseitige Überwachung jedenfalls unzumutbar. Das gilt auch, wenn bereits – wie hier nach dem Vortrag der Klägerin – Anhaltspunkte für vorherige Rechtsverletzungen bestehen. Die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main vom 20.12.2007 (Az. 11 W 58/07) betrifft einen Fall, in dem es keine vorherigen Anhaltspunkte gab. Insoweit lässt sich zum Urteil zwar entnehmen, dass nach Ansicht des dort erkennenden Gerichts bei konkreten Anhaltspunkten eine andere Bewertung geboten sein dürfte, jedoch sind diese Ausführungen nicht tragend (ebenfalls der Sache nach nur obiter: OLG Köln vom 16.05.2012, Az. 6 U 239/11). Überdies enthält das Urteil aus genau diesem Grund auch keine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Überwachung von Ehegatten und minderjährigen bzw. erwachseneri Kindern nach anderen Grundsätzen zu bewerten ist, was die Zumutbarkeit anbelangt. Das Urteil des OLG Frankfurt am Main vom 16.05.2006 (Az. 11 U 45/05) ist ähnlich einzuordnen. Die Entscheidung des BGH vom 12.05.2010 (Az. I ZR 12/08) beruht im Wesentlichen auf der Erwägung, dass keinerlei Kosten und Probleme damit verbunden sind, dem Ehepartner ein eigenes eBay-Konto zuzuordnen. Diese Erwägungen sind auf einen Telefonanschluss nicht übertragbar. Das Gericht schließt sich vor diesem Hintergrund den Erwägungen des OLG Köln in seiner Entscheidung vom 24.03.2011 (Az.) an. Das OLG hat insbesondere ausgeführt:

„lnsofern ist zu bedenken, dass ein (ehelicher) Haushalt in der Regel nur über einen einzigen Internetanschluss vetfügt, den beide Ehegatten auch dann als gemeinsamen begreifen werden, wenn nur ein Ehepartner Vertragspartner des Internetptoviders ist. Insofern gelten die Erwägungen, die zur Einordnung des Abschlusses eines Telefondienstverlrages als Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs im Sinne des § 1357 BGB geführt haben (vgl. BGH NJW 2004, 1593), entsprechend. Ob sich damit die Annahme gegenseitiger Kontrollpflichten vereinbaren lässt, ist zumindest zweifelhaft und kann nicht im Prozesskostenhilfeverfahren abschließend geklärt werden.“

Dabei handelt es sich zwar nur um Erwägungen aus einem Prozesskostenhilfeverfahren, sodass sie nicht als abschließend anzusehen sind (der Sache – indes wie bereits ausgeführt unter nicht tragender Beschränkung auf Fälle ohne vorherige Anhaltspunkte – ebenso die nachfolgende Entscheidung des OLG Köln vom 16.052012). Die Argumente gegen eine solche Überwachungspflicht macht sich das Gericht dessen ungeachtet zu Eigen und erstreckt sie auch auf den hiesigen Fall. Die vorangegangene Abmahnung führt nicht dazu, dass Maßnahmen und Verhaltensweisen, die aus grundsätzlichen Erwägungen heraus unzumutbar ist, auf einmal zumutbar werden. Soweit in der Literatur (Fromm/Nordemann/J. B Nordernann, UrhG, 10. A. 2008, § 97 Rn. 172) vertreten wird, dass gegen dieses Ergebnis der Umstand spreche, dass Ehegatten sogar strafrechtlich als Garanten betrachtet werden, so liegt darin entweder eine Verkennung der Rechtsentwicklung (s. nur für die heute g. h. M. Fischer, 8tGB, 59. A. 2012, § 13 Rn. 14 m. w. N.) oder (wahrscheinlicher, denn Nordemann weist auf BGH NJW 2003, 3212 hin) ein Übersehen des grundlegenden Unterschieds zwischen (im Strafrecht zwischen Eheleuten bestehenden) Schutzpflichten und (im Strafrecht zwischen Eheleuten nach heute einhelliger Ansicht nicht bestehenden) Überwachungspflichten bzw. zwischen Beschützer- und Überwachergarant. Das Gericht verkennt nicht, dass das Strafrecht aus naheliegenden Gründen häufig strengere Anforderungen an eine Verantwortlichkeit stellt als das Zivilrecht. Die Überlegungen, mit denen im Strafrecht eine solche GarantensteIlung abgelehnt wird, speisen sich aber nicht aus der Funktion des Strafrechts als ultima ratio, sondern sind allgemeingültig: „Ein Ehegatte hat weder die Pflicht noch das Recht, die Lebensführung des anderen über die Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft hinaus zu beeinflussen oder zu beaufsichtigen.“ (Schönke/Schröder/Stree/Bosch, StGB, 28. A 2010, § 13 Rn. 21 a). Dies kann nicht durch das – gleichwohl nachvollziehbare – Interesse an einer effektiveren Rechtsverfolgung überspielt werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die Folgen vorläufiger Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.

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