AG Mannheim: Wenn ein Vertrag über die „Fluch- und Magiebefreiung“ sittenwidrig ist

veröffentlicht am 31. März 2011

Rechtsanwältin Katrin ReinhardtAG Mannheim, Urteil vom 04.03.2011, Az. 3 C 32/11
§§ 138, 611 ff., 814 BGB

Das AG Mannheim hat entschieden, dass ein Vertrag über die „Befreiung von negativer Energie, Fluch, telepathischen Angriffen oder Magie durch mediale Kräfte und mit Hilfe der göttlichen Liebe“ dann sittenwidrig ist, wenn der Kunde tatsächlich an solche Fähigkeiten des Werbenden glaube, dem Anbieter jedoch bewusst sei, dass es sich lediglich um „Unterhaltung“ handele. Sei dies der Fall, werde der Aberglaube des Kunden ausgenutzt, was gegen die guten Sitten verstoße und zur Nichtigkeit führe. Zum Volltext der Entscheidung:

AG Mannheim

Urteil

1.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 200,- EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.03.2010 zu zahlen.

2.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Ohne Tatbestand gemäß § 495 a ZPO

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist in voller Höhe begründet.

Der zwischen den Parteien geschlossene Dienstvertrag nach §§ 611 ff. BGB ist nichtig, § 138 BGB, so dass der Klägerin gegenüber dem Beklagten ein Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten 200,- EUR zusteht, § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Mit der Entscheidung des BGH vom 13. Januar 2011 ist davon auszugehen, dass Vertragsparteien „im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit und in Anerkennung ihrer Selbstverantwortung wirksam vereinbaren“ können, „dass eine Partei sich – gegen Entgelt – dazu verpflichtet, Leistungen zu erbringen, deren Grundlagen und Wirkungen (…) nicht erweislich sind“ (BGH Urteil vom 13. Januar 2011, III ZR 87/10 Rdn. 17). Grundsätzlich konnten die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits daher einen wirksamen Dienstvertrag schließen, der beide Seiten zu einer Leistungserbringung, die Klägerin insbes. zu einer Zahlung des vereinbarten Entgelts verpflichtet.

Der zwischen den Parteien geschlossene Dienstvertrag verstößt jedoch gegen die guten Sitten, § 138 I BGB und ist damit als nichtig anzusehen, was zu einer Rückzahlungsverpflichtung des Beklagten für die (ohne Rechtsgrund) empfangenen Leistungen führt, § 812 I 1 BGB. Diese Möglichkeit wird vom BGH in seiner oben zitierten Entscheidung ausdrücklich offen gelassen (BGH a.a.O. Rdn. 21).

Die Klägerin befand sich zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit dem Beklagten nach unstreitigem eigenen Vortrag „aufgrund einer anhaltenden Pechsträhne“ in einer Lebenskrise, in der sie aufgrund der Internetseite des Beklagten den Beklagten kontaktierte, der damit warb, „durch seine medialen Kräfte und mit Hilfe der göttlichen Liebe“ den Kunden von „negativer Energie“, „Fluch“, „telepathischen Angriffen“, „magischen und okkulten Einflüssen (Magie – Schwarzer Magie – Vodoo)“ zu befreien.

Auch in den vorgelegten Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Beklagten verpflichtet sich der Beklagte zu einer Rat- und Auskunftserteilung in den oben näher dargestellten Bereichen (vgl. § 3 der AGB, AS 7).

Obwohl der genauere Inhalt der anschließenden Vereinbarungen und Gespräche zwischen den Parteien streitig ist, ist dennoch davon auszugehen, dass die Klägerin hier von dem Beklagten übersinnliche Tätigkeiten erwartete, wobei davon auszugehen ist – sonst hätte die Kontaktaufnahme keinen Sinn ergeben -, dass die Klägerin darauf vertraut, dass magische Kräfte existieren und der Beklagte in der Lage ist, diese auch zugunsten der Klägerin nutzbar zu machen. Es ist weiter davon auszugehen, dass sich die Klägerin zwar objektiv von wissenschaftlich gesicherten Erfahrungen wegbewegte und sich auf die Ebene eines vernunftmäßig nicht mehr begründbaren und verifizierbaren Vertrauens in übersinnliche Erkenntnisse und Einflussmöglichkeiten begab (vgl. BGH a.a.O. Rdn. 18), sie aber gleichzeitig subjektiv an solche Möglichkeiten glaubte.

Dieser (Aber-) Glaube der Klägerin wird von dem Beklagten sittenwidrig ausgenutzt.

Der Beklagte hat in der Klageerwiderung vom 23.07.2010 vortragen lassen, dass im Grunde alles, was mit Horoskopen, Wahrsagerei, Kartenlegen usw., also mit der Tätigkeit des Beklagten zu tun hat, nach moderner Erkenntnis eine Form der Unterhaltung sei (dort Seite 2 und 4). Im Schriftsatz vom 26.10.2010 wird ergänzend noch ausgeführt, dass es „JEDER normal intelligenten Person offenkundig und bekannt“ ist, „dass es so etwas wie „Magie“ nicht gibt“ (dort Seite 2), es der Klägerin offenkundig hätte sein müssen, dass „die Leistung (Fluchbefreiung/Magiebefreiung) unmöglich“ sei (dort Seite 3). Die Tätigkeit des Beklagten wird in einen Zusammenhang mit Fernsehshows (Uri Geller) und der Krake Paul gestellt. Die Klägerin habe (lediglich) Unterhaltung gewollt, die sie zu Recht bezahlt habe.

Wer auf diese Weise die Leichtgläubigkeit der Klägerin, deren (Aber-) Glaube, der für diese zwar objektiv außerhalb des wissenschaftlich Beweisbaren aber subjektiv wichtig und real ist, als Blödsinn abtut, obwohl er selbst mit dieser Leichtgläubigkeit und diesem (Aber-) Glauben wirbt und Geschäfte macht, verstößt in einer solchen Situation, in der sich jemand in einer schwierigen Lebenssituation („Pechsträhne“) vertrauensvoll an ihn wendet und – aus ihrer Sicht – Hilfe erwartet, nach Auffassung des Gerichts gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, gegen die guten Sitten, wodurch der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag nichtig ist.

Nachdem die Klägerin in diesem (nichtigen) Vertragsverhältnis jedoch ihre Leistung aufgrund einer aus ihrer Sicht bestehenden Verpflichtung erbringt (eine Verpflichtung, die mit der oben zitierten Entscheidung des BGH grundsätzlich bestehen könnte) ist eine Anwendung des § 814 BGB vorliegend ausgeschlossen; der Klägerin ist gerade nicht bekannt, dass sie zur Leistung nicht verpflichtet war. Sie vertraut darauf, dass aufgrund ihrer Leistung (Zahlung) auch der Beklagte eine entsprechende Leistung (Fluchbefreiung) erbringt; nach ihrem Verständnis wäre sie dann auch zur Zahlung verpflichtet.

Der Klage war damit stattzugeben.

Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 286, 288 BGB, 91, 713 ZPO.

I