BGH: Kein Wertersatz bei Widerruf, auch wenn zurückgegebene Ware wertmäßig für den Händler einen Totalverlust darstellt / Ein kritischer Kommentar

veröffentlicht am 4. November 2010

Rechtsanwalt Dr. Ole DammBGH, Urteil vom 03.11.2010, Az. VIII ZR 337/09
§ 357 BGB a.F.

Der BGH hat entschieden, dass ein Verbraucher bei einem Internetkauf die erworbene Ware zu Prüfzwecken in Gebrauch nehmen darf, und zwar selbst dann, wenn dies zu einer Wertminderung der Ware führt. Im vorliegenden Fall hatte der Käufer ein Wasserbett über das Internet gekauft, aufgebaut und die Matratze mit Wasser befüllt. Anschließend hatte er sein Widerrufsrecht ausgeübt. Nach Abholung des Wasserbetts forderte er den Verkäufer zur Rückzahlung des Kaufpreises auf. Der Verkäufer erstattete lediglich einen Betrag von 258,00 EUR und machte geltend, dass das Bett nicht mehr verkäuflich sei; lediglich die Heizung des Bettes mit einem Wert von 258,00 EUR sei wieder verwertbar. Der BGH gab der Klage des Verbrauchers statt. Was wir davon halten?

Lange ist’s her, als man auf Seiten des deutschen und europäischen Gesetzgebers dachte, den Verbraucher vor den Gefahren des dubiosen Internets mit dem dort auflauernden Onlinehändler schützen zu müssen. Eigentlich wollte man dem eCommerce zum Durchbruch verhelfen, was ohne notwendiges Vertrauen des Verbrauchers in die Untiefen des Internetgeschäfts nicht vonstatten gehen wollte. Die Realität hat sich zwischenzeitlich geändert. Der Verbraucher, einst ein verängstigtes Hascherl mit scheuem Blick auf die revolutionäre Möglichkeit des virtuellen Einkaufs, ist in heutigen Tagen, nunmehr gesetzlich in Watte gepackt, zum mitunter bösartigen Vertragswidersacher des Onlinehändlers mutiert. Das will der deutsche Gesetzgeber, der den Schutz des Onlinehändlers nie als wichtigen Punkt auf der Tagesordnung erkannte, jedoch nicht wahr haben; übrigens ebenso wenig wie die europäischen Partner. Er weilt immer noch in den Erkenntnissen des vergangenen Jahrhunderts, mit höchst unangenehmen wirtschaftlichen Folgen für die Wirtschaft.

Insbesondere die faktische Bevorzugung des Ladengeschäfts erstaunt: Eine sofortige Einweisung in das Hotel der milden Farben stünde dem Kunden bevor, der in einem Ladengeschäft das ins Auge gefasste Wasserbett „bestimmungsgemäß“ zu Wasser lässt, nur um dann – ohne das Bett gekauft zu haben – mit sonnigen Grüßen das Geschäft zu verlassen. Doch genau dies soll der Onlinehändler wie selbstverständlich dulden. Auf diese Weise wird der Onlinehandel nicht befördert. Ein zukunftsfähiger Onlinehandel besteht nicht nur aus vertrauensvollen Verbrauchern, sondern gleichermaßen in ihrem Vertrauen geschützten Onlinehändlern, denen vom Verbraucher (!) nicht das Fell über die Ohren gezogen wird. Der Verbraucherschutz im Fernabsatzrecht hat eine pathologische Phase erreicht, die der Gesetzgeber dringend beenden sollte. Ein Ausgleich der Interessen ist gefragt. Der BGH ist an diesem Drama übrigens nicht schuld. Er hatte obiges Urteil in Ansehung des Messner-Urteils des EuGH zu sprechen. Dem Onlinehändler bleibt einstweilen nur die – etwas modifzierte – Schiller’sche Übersetzung des Spruchs einer kleinen Gruppe von Spartanern nach der Schlacht an den Thermopylen: „Wanderer, kommst du in die USA, verkündige dorten, du habest uns uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl.“

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