BGH: Wenn die Gewährleistungspflichten des Onlinehändlers für diesen unverhältnismäßig werden / Vorlagebeschluss an EuGH

veröffentlicht am 23. Januar 2009

Rechtsanwalt Dr. Ole DammBGH, Beschluss vom 14.01.2009, Az. VIII ZR 70/08
§ 439 Abs. 3 BGB

Häufig stellt sich für den Käufer einer Ware, die sich im Nachhinein als mangelhaft erweist, die Frage, ob er den Verkäufer auch für weitere Kosten in Regress nehmen kann. Dies ist dann problematisch, wenn die „weiteren Kosten“ den Wert der Ware um ein Vielfaches übersteigen, etwa Ein- und Ausbaukosten. Gemäß § 439 BGB gilt: „Der Käufer kann als Nacherfüllung nach seiner Wahl die Beseitigung des Mangels oder die Lieferung einer mangelfreien Sache verlangen. Der Verkäufer hat die zum Zwecke der Nacherfüllung erforderlichen Aufwendungen, insbesondere Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten zu tragen. Der Verkäufer kann die vom Käufer gewählte Art der Nacherfüllung verweigern, wenn sie nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist. Dabei sind insbesondere der Wert der Sache in mangelfreiem Zustand, die Bedeutung des Mangels und die Frage zu berücksichtigen, ob auf die andere Art der Nacherfüllung ohne erhebliche Nachteile für den Käufer zurückgegriffen werden könnte. Der Anspruch des Käufers beschränkt sich in diesem Fall auf die andere Art der Nacherfüllung; das Recht des Verkäufers, auch diese unter den Voraussetzungen des Satzes 1 zu verweigern, bleibt unberührt.“  Der BGH hat nach einer Pressemitteilung (8/09 vom 14.01.2009) dem EuGH per Vorlagebeschluss eine Anfrage zur Auslegung der Richtlinie 1999/44/EG (Verbrauchsgüterkaufrichtlinie) gestellt (? Klicken Sie bitte auf diesen Link, der JavaScript verwendet: Pressemitteilung).

Im betroffenen Fall hatte der Kläger Bodenfliesen beim Beklagten erworben, die später Mängel offenbarten. Der Kläger begehrte daher nicht nur Ersatz der Fliesen, sondern auch für die entstehenden Aus- und Einbaukosten, welche den Warenwert um 150 % überstiegen. Das zuständige Landgericht hatte die Klage hinsichtlich der Ausbaukosten wegen Unverhältnismäßigkeit abgewiesen, das Oberlandesgericht hatte dem Klagebegehren im Berufungsverfahren entsprochen, und den Beklagten auch zum Ersatz der Ausbaukosten verpflichtet. Der für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des BGH setzte das Revisionsverfahren aus und legte dem EuGH folgende Fragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts zur Vorabentscheidung vor:

„1.
Sind die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 und 2 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.05.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter dahin auszulegen, dass sie einer nationalen gesetzlichen Regelung entgegenstehen, wonach der Verkäufer im Falle der Vertragswidrigkeit des gelieferten Verbrauchsgutes die vom Verbraucher verlangte Art der Abhilfe auch dann verweigern kann, wenn sie ihm Kosten verursachen würde, die verglichen mit dem Wert, den das Verbrauchsgut ohne die Vertragswidrigkeit hätte, und der Bedeutung der Vertragswidrigkeit unzumutbar (absolut unverhältnismäßig) wären?

2.
Falls die erste Frage zu bejahen ist: Sind die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 Unterabs. 3 der vorbezeichneten Richtlinie dahin auszulegen, dass der Verkäufer im Falle der Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsgutes durch Ersatzlieferung die Kosten des Ausbaus des vertragswidrigen Verbrauchsgutes aus einer Sache, in die der Verbraucher das Verbrauchsgut gemäß dessen Art und Verwendungszweck eingebaut hat, tragen muss?

Der Senat hat ausgeführt, dass der Kläger von der Beklagten nach deutschem Recht im Rahmen der hier allein in Betracht kommenden Nacherfüllung durch Lieferung einer mangelfreien Sache (§ 439 Abs. 1 Fall 2 BGB) die Kosten für den Ausbau der mangelhaften Fliesen nicht verlangen kann, selbst wenn ein solcher Anspruch grundsätzlich zu bejahen wäre. Das deutsche Recht sieht in § 439 Abs. 3 BGB das Recht des Verkäufers vor, die Nacherfüllung wegen absoluter Unverhältnismäßigkeit der dafür erforderlichen Kosten zu verweigern. Eine solche absolute Unverhältnismäßigkeit ist hier anzunehmen, weil die Kosten der Nacherfüllung (Lieferung neuer Fliesen und Ausbau der mangelhaften Fliesen) mit insgesamt rund 3.300,00 EUR den Wert der Fliesen im mangelfreien Zustand, der nicht mehr als den Kaufpreis beträgt, um deutlich mehr als 150% überschreiten. Das deutsche Recht könnte aber im Widerspruch zu der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.05.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. EG Nr. L 171 S. 12) – Verbrauchsgüterkaufrichtlinie – stehen. Diese könnte dahin auszulegen sein, dass der Verkäufer die Nacherfüllung nicht wegen absoluter, sondern nur wegen relativer („… verglichen mit der alternativen Abhilfemöglichkeit …“) Unverhältnismäßigkeit der dafür erforderlichen Kosten verweigern darf.

In diesem Fall stellt sich die weitere Frage, ob der Käufer im Rahmen der Nacherfüllung durch Lieferung einer mangelfreien Sache (§ 439 Abs. 1 Fall 2 BGB) von dem Verkäufer den Ausbau der mangelhaften Kaufsache aus einer anderen Sache, in die sie bestimmungsgemäß eingebaut worden ist, und dementsprechend auch im Wege des Schadensersatzes die Erstattung der Kosten hierfür verlangen kann. Eine solche Verpflichtung lässt sich dem deutschen Recht nicht entnehmen. Sie könnte sich jedoch gemäß der Annahme des Berufungsgerichts aus Art. 3 Abs. 2, Abs. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie ergeben, was bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung von § 439 BGB zu berücksichtigen wäre.

Wie die Bestimmungen des Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in dem dargelegten Zusammenhang auszulegen sind, ist der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vorbehalten.

Artikel 3 der Verbrauchsgüterrichtlinie lautet:

(1) …

(2) Bei Vertragswidrigkeit hat der Verbraucher entweder Anspruch auf die unentgeltliche Herstellung des vertragsgemäßen Zustands des Verbrauchsgutes durch Nachbesserung oder Ersatzlieferung nach Maßgabe des Absatzes 3 …

(3) Zunächst kann der Verbraucher vom Verkäufer die unentgeltliche Nachbesserung des Verbrauchsgutes oder eine unentgeltliche Ersatzlieferung verlangen, sofern dies nicht unmöglich oder unverhältnismäßig ist.

Eine Abhilfe gilt als unverhältnismäßig, wenn sie dem Verkäufer Kosten verursachen würde, die

– angesichts des Werts, den das Verbrauchsgut ohne die Vertragswidrigkeit hätte,

– unter Berücksichtigung der Bedeutung der Vertragswidrigkeit und

– nach Erwägung der Frage, ob auf die alternative Abhilfemöglichkeit ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher zurückgegriffen werden könnte,

verglichen mit der alternativen Abhilfemöglichkeit unzumutbar wären.

Die Nachbesserung oder die Ersatzlieferung muss innerhalb einer angemessenen Frist und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten für den Verbraucher erfolgen, wobei die Art des Verbrauchsgutes sowie der Zweck, für den der Verbraucher das Verbrauchsgut benötigte, zu berücksichtigen sind.

…“

Vorinstanzen:

LG Kassel, Urteil vom 24.11.2006, Az. 4 O 1248/06
OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 14.02.2008, Az. 15 U 5/07

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